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Interview zum Tage - 9.11.2004

Paul Spiegel:
"Es ist fünf vor zwölf!"

Interview mit Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrats der Juden
Moderation: Birgit Kolkmann - http://www.dradio.de

Hören: [RealAudio Streaming] [drb-mp3]

Kolkmann: Erst eine Woche ist es her, dass sich NPD und DVU zu einem rechtsradikalen Bündnis mit Ziel Bundestag zusammengeschlossen haben, militante Neonazis inklusive. Und ein weiteres bildete sich gleich einen Tag später: Die Republikaner zusammen mit den ultrarechten Gruppierungen Deutsche Partei und Deutsche Soziale Union. Fast jedes Wochenende gehen Neonazis auf die Straße, um Staat und Gegendemonstranten zu provozieren. Die Gewerkschaft der Polizei befürchtet eine gefährliche Eskalation der Situation. Sogar Todesfälle seien denkbar. Heute jährt sich zum 66. Mal die Reichspogromnacht, in der der Nazimob Juden jagte und mordete, die Synagogen in Brand steckte. Wir sind verbunden mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel. Herr Spiegel, fürchten Sie sich vor einer Wiederbelebung Weimarer Verhältnisse?

Spiegel: Es ist in der Tat eine Zeit angebrochen, in der, ich würde sagen, fünf vor zwölf ist, weil Dinge in Deutschland zu beobachten sind, an die wir vor einigen Jahrzehnten nicht glaubten, dass sie jemals wieder in Deutschland zur Tagesordnung gehören. Zur Tagesordnung gehört, dass fast täglich jüdische Friedhöfe geschändet werden. Zur Tagesordnung gehört auch, dass man sich Sorgen macht über den Einzug von Rechtsradikalen in deutsche Landtage, wie wir es leider sehen mussten in Sachsen und in Brandenburg. Jetzt haben die verschiedenen Parteien sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen.

Das war schon eine beängstigende Tatsache, aber was noch hinzukommt, dass jetzt die Demaskierung erfolgt, nämlich dass gesagt wird, jawohl, wir wählen in den Bundesvorstand der NPD einen militanten Neonazi. Undenkbar gewesen, ein Aufschrei wäre gewesen noch vor einigen Jahrzehnten, aber wo ist der Aufschrei jetzt geblieben? Ich habe ihn nicht gehört.

Kolkmann: Was glauben Sie, woran es liegt, dass quasi ein militanter Neonazi im Vorstand der NPD jetzt salonfähig geworden ist?

Spiegel: Weil wahrscheinlich die Parteien dort gemerkt haben, dass das, was sie tun, einfach so zur Kenntnis genommen wird. Es ist doch so, zum Beispiel haben sich die Landtage in Sachsen und Brandenburg konstituiert, und die übrigen Fraktionen haben sich über Strategien im parlamentarischen Umgang mit den Rechten verständigt. Also der Alltag ist eingezogen, und der Aufstand der Anständigen, wie ihn seinerzeit Gerhard Schröder angefordert hat, ich sehe ihn nicht. Es wird immer noch so getan, als wenn die Angriffe auf Juden, Angriffe auf andere Minderheiten immer noch als Angriffe auf diese Minderheiten gesehen werden und nicht als Angriffe auf die Mehrheit in diesem Lande, nämlich auf die demokratisch denkenden Menschen in diesem Lande.

Kolkmann: Also insofern trifft der Antisemitismus die Allgemeinheit. Wie sollten denn Staat und Gesellschaft angemessen reagieren? Wie stellen Sie sich einen wirklich umgesetzten Aufstand der Anständigen vor?

Spiegel: Ich habe aufgerufen - es ist leider irgendwo verhallt - nach den Wahlerfolgen der Rechtsradikalen in Sachsen und Brandenburg zu einem runden Tisch, wo die demokratischen Parteien, die gesellschaftsrelevanten Gruppen sich einmal Gedanken darüber machen, was können wir dagegen tun, damit wir nicht bei den nächsten Landtagswahlen und auch nicht bei der Bundestagswahl mit diesen Tatsachen zu tun haben? Das heißt, man muss sich Gedanken machen nicht nur, wie man mit diesen Menschen, mit diesen Parteizugehörigen umgeht, sondern wie man die Wähler aufklärt, was sie mit ihren Stimmen an negativen Dingen tun, die unserer gesamten Demokratie schaden. Darüber muss man einmal nachdenken.

Es hat ja nach dem Fall der Mauer wirklich die runden Tische gegeben, die auch etwas gebracht haben. Jetzt rufe ich wirklich auf: die demokratischen Parteien, die gesellschaftsrelevanten Gruppen, setzen Sie sich zusammen mit Fachleuten und überlegen Sie sich, was man tun kann, und lassen Sie sich nicht einfach in die Sache hineintreiben!

Kolkmann: Muss das ein offensiver Umgang sein, eine Auseinandersetzung, die nicht nur darauf setzt, dass sich diese rechten Parteien schon selbst entzaubern werden in den Parlamenten?

Spiegel: Richtig, und darüber müssen Fachleute reden, ob das Philologen oder parteipolitische Strategen sind. Ich kann Ihnen nicht das allgemeingültige Rezept geben. Dazu bin ich viel zu schwach und alleine in dieser Hinsicht. Man darf uns Juden auch nicht wieder alleine lassen im Kampf gegen Rechtsradikalismus und Antisemitismus. Nein, das muss eine gemeinsame Aktion werden.

Kolkmann: Glauben Sie, dass ein großer Teil der Bevölkerung dem relativ gedankenlos zuschaut, oder haben Sie den Eindruck, dass sich das Problembewusstsein nun doch möglicherweise wieder schärft?

Spiegel: Ich glaube, es schärft sich, aber das muss man auch unterstützen, sowohl von pädagogischer Seite her in den Schulen als auch bei anderen Organisationen. Es gibt auch Organisationen, die davon auch betroffen sind. Mit denen muss man sprechen und sich hinsetzen und überlegen, was man machen kann. Es gab ja die OSZE-Konferenz, die sich auseinander setzte mit dem Antisemitismus in Europa. Eine bemerkenswerte Veranstaltung. Gute Reden sind gehalten worden dabei. Nur habe ich auch noch nichts gehört, was davon an faktischen Dingen übriggeblieben ist.

Kolkmann: Sie haben jetzt vor allen Dingen auch über die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Rechtsradikalismus. Es hat hier ein Vertreter der GDP, der Gewerkschaft der Polizei, gesagt, es wären auch zu viele Kräfte von Polizei und Verfassungsschutz bei der Bekämpfung des muslimischen Terrors gebunden, und das wäre fatal. Sehen Sie das ähnlich?

Spiegel: Ich kann diesen Fachleuten überhaupt keine Vorschriften machen und auch keine Empfehlungen machen. Das sind Sachen, die die Fachleute machen. Natürlich darf man nicht alle Muslime hier in Geiselhaft nehmen für das, was einzelne islamistische Terroristen an grausamen Dingen tun. Das ist auch eine Gefahr. Die Mehrheit der Muslime in Deutschland will hier mit den Deutschen gemeinsam und in Frieden leben, aber wie überall sind es Extremisten, die praktisch das ganze Bild verzerren und auch Emotionen erzeugen, die nicht geeignet sind, wie man Muslimen, die hier leben, begegnen soll. Das ist auch eine zweite Sache, aber wie die Polizei und die Sicherheitskräfte damit umgehen können, sollen, müssen, da kann ich Ihnen keine Verhaltensmaßregeln geben.

Kolkmann: Vielen Dank für das Gespräch.

hagalil.com 09-11-2004

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