Ausflug nach Pirna
Am kommenden Samstag wollen Antifas im sächsischen Pirna
demonstrieren. Obwohl Neonazis zu Störaktionen aufrufen, sehen die Stadt und
die Polizei das größte Problem in der Antifa.
von peter conrady,
http://www.jungle-world.com
Glaubt man den Worten der Verfassungsschützer, dann
könnte der Stadt Pirna am kommenden Wochenende eine gewalttätige
Auseinandersetzung bevorstehen, vor allem wegen der angeblichen
Gewaltbereitschaft der Antifa-Szene. »Wir sehen in dieser Szene eine in
Besorgnis erregender Weise gewachsene Bereitschaft, mit Gewalt gegen
vermeintliche Rechtsextreme vorzugehen«, sagte ein Verfassungsschützer
der Berliner Zeitung. Konrad Freiberg von der Gewerkschaft der Polizei
(GdP) stellte seine Gewaltfantasien bereits Anfang November der Neuen
Osnabrücker Zeitung vor. Er rechne in der Zukunft mit Toten auf
Neonaziaufmärschen. Die rechten Demonstranten würden nicht zuerst
zuschlagen, sondern wollten angegriffen werden, »um nach außen eine
saubere Weste zu behalten und sich als Opfer von Chaoten und Polizei
darstellen zu können«, sagte Freiberg.
Trotz dieser Stimmungsmache wollen Antifas am
kommenden Samstag in der rechten Hochburg Pirna (Sächsiche Schweiz)
demonstrieren. Im Zuge der im Sommer gegründeten Kampagne sächsischer
Antifagruppen unter dem Titel »Schöner Leben ohne Naziläden« findet die
zweite Demonstration gegen rechten Lifestyle und für eine linke
Jugendkultur statt. Neben etlichen Gruppen aus dem gesamten Bundesgebiet
ruft auch die Antifa Dresden dazu auf. Eine Sprecherin der Gruppe,
Francisca Briast, sagte der Jungle World: »Wir unterstützen die Kampagne
und die Demonstration in Pirna, weil sich hier eine neue Qualität
neonazistischen Mainstreams in der Gesellschaft zu etablieren droht,
beziehungsweise weil dies in einigen Orten der Sächsischen Schweiz schon
geschehen ist.« Der ohnehin kaum noch vorhandene Bewegungsraum für
Nichtrechte und Nichtdeutsche müsse umso entschlossener verteidigt
werden. Deshalb verfolge die Demonstration in Pirna zwei Ziele: Das
Problem der rechten Jugendkultur und der Neonaziläden solle publik
gemacht werden. »Außerdem fordern wir die öffentliche Unterstützung für
ein linkes Jugendhaus in Pirna«, sagte Briast.
Eine der wichtigsten Gruppen, die in der Region
antirassistische Arbeit leistet, die Aktion Zivilcourage Pirna,
unterstützt die Demonstration nicht. »Wir stellen es jedem frei, an der
Demo teilzunehmen oder nicht«, sagte ein Sprecher der Aktion
Zivilcourage am vorvergangenen Wochenende in Wurzen auf dem jährlichen
Treffen des Netzwerkes Tolerantes Sachsen, in dem sich rund 50
sächsische Initiativen und Vereine gegen Rechtsextremismus, Rassismus
und Antisemitismus zusammengeschlossen haben.
Auch die Stadtverwaltung Pirnas ist nicht begeistert
von der Demonstration. Der Pirnaer Oberbürgermeister Markus Ulbig (CDU)
sagte vor dem Stadtrat: »Wir sind nicht bereit, durch links- oder
rechtsextreme Leute das zerstören lassen, was in 15 Jahren aufgebaut
wurde.« Was da aufgebaut worden sein soll, ließ Ulbig offen. Stattdessen
sagte er weiter: »Von außen eingeflogene Extremisten wollen wir hier
nicht haben.« Die Stadt erwäge ein Verbot der Demonstration. Der dafür
zuständige Amtsleiter des Landratsamtes, Thomas Obst, sagte dagegen der
Jungle World, es habe »zu keinem Zeitpunkt« Überlegungen gegeben, die
Demostration der Antifas zu verbieten.
Während Pirnas Stadtverwaltung noch immer die
Gewalttäter auf der linken Seite sucht, rufen Neonazis seit Wochen ihre
Kameraden auf, nach Pirna zu kommen, um »bei Antifaterror auch mal
zuhauen« zu können, wie es in einem Aufruf des Internetportals
heimatschutz.org heißt. Nachdem es bereits im September in Chemnitz zu
Angriffen von etwa 150 Neonazis auf die Antifademonstration gegen einen
Neonaziladen gekommen war, die Rechtsextremen unbehelligt von der
Polizei den Hitlergruß zeigten und »Juden raus« riefen, wollen sie in
Pirna mit »kreativen Einzelaktionen« die Demonstration behindern.
Die Kampagne »Schöner Leben ohne Naziläden« will den
Neonazis entschlossen und selbstbewusst entgegentreten. Peter Sonthofen,
ein der Sprecher der Kampagne, geht davon aus, »dass an dem Tag mehrere
Hundert Neonazis aktiv sein werden, die entweder versuchen wollen, die
Anreise der TeilnehmerInnen oder die Demonstration selbst anzugreifen«.
Außerdem dürfte die Polizei »aus den Erfahrungen von Chemnitz die
notwendigen Schlüsse gezogen« haben und dafür Sorge tragen, »dass
Neonazi-Provokationen am 27. November in Pirna unterbunden werden«,
meint Sonthofen. »Wir als Kampagne sind jedenfalls nicht bereit, Rufe
wie ›Juden raus‹ widerspruchslos hinzunehmen.«
Eine Sprecherin der Polizeidirektion Pirna versicherte
der Jungle World: »Pirna wird gut gerüstet sein.« Da auch die Polizei
davon ausgehe, dass Auseinandersetzungen wahrscheinlich seien, bereite
sie sich »gründlich« auf den Termin vor.
»Auch von der Polizei sind Aktivitäten gegen uns zu
erwarten«, prophezeit Sonthofen. Jedoch plane die Kampagne nicht, in
einem »grünen Wanderkessel« durch Pirna zu latschen. Man wolle das Recht
auf freie Meinungsäußerung »offensiv« verteidigen, vor allem auch nach
den jüngsten Ereignissen in Halbe und in Wurzen. Am vorvergangenen
Samstag schikanierte die Polizei Antifas, die zu der Demonstration gegen
das so genannte Heldengedenken im brandenburgischen Halbe fahren
wollten; Leuten, die mit Bussen aus Berlin zu der Demonstration anreisen
wollten, erzählten die Beamten, der Neonaziaufmarsch in Halbe sei
verboten. Teilweise wurden Busse konfisziert. Markus Roth vom
antifaschistischen Bündnis Halbe sagte: »Wir wurden an diesem Tag so
unerträglich schikaniert und eingeschüchtert, dass wir nicht mal den
Hauch einer Chance hatten, uns in Halbe Gehör zu verschaffen.
Eine Spontandemonstration nach dem Sprengstoffanschlag
auf die Räume des Netzwerkes für Demokratische Kultur im sächsischen
Wurzen eine Woche zuvor wurde von der Polizei unter dem Einsatz von
Knüppeln aufgelöst, einem Antifa wurden dabei fünf Zähne ausgeschlagen.
Treffpunkt zur gemeinsamen Anreise mit dem Zug:
11.30 Uhr Bahnhof Dresden-Neustadt - Beginn Pirna: 13 Uhr Gartenstraße
Demonstration gegen NS-Lifestyle
findet auf alle Fälle statt:
Schöner wohnen in Pirna
Trotz Behinderungen durch Behörden und Mordaufrufen von
Neonazis, soll am 27. November in Pirna eine Demonstration gegen den
neonazistischen Lifestyle in der Sächsischen Schweiz und dessen
Unterstützung durch örtliche Läden stattfinden...