Von Magdi Allam, 19.11.2004, Corriere della Sera
Übersetzt und redigiert von Karl Pfeifer
Israel ist der Garant der verletzten arabischen Identität
und Treuhänder des schlechten Gewissens der arabischen Völker. Israel ist
ein lebender Zeuge der geschichtlichen Realität der arabischen Länder, die
bisher geleugnet, gefälscht und ignoriert wird. Nach dem Dokumentarfilm "Der
stille Exodus" von Pierre Rehov über die Vertreibung und der Flucht von
einer Million sephardischer Juden, habe ich besser die Tragödie einer
Gemeinschaft verstanden, die einmal integraler und grundlegender Teil der
arabischen Gesellschaften war.
Vor allem habe ich das wesentliche der Katastrophe entdeckt von
der sich die zu mythisierte arabische Nation nicht erholt hat. Es ist ganz
einleuchtend, wie die Tragödie der Juden und die Katastrophe der Araber die
zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Die Juden vertreibend, die am
südlichen und östlichen Ufer des Mittelmeeres einige Jahrhunderte vor ihrer
Arabisierung und Islamisierung gesiedelt haben, begannen die Araber einen
tödlichen Prozess der Verletzung ihrer eigenen Identität und einer Beraubung
ihrer eignen Geschichte. Mit dem Verlust der Juden, haben die Araber ihre
eigenen Wurzel verloren.
Wie in der Geschichte oft, waren die Juden die ersten Opfer des
Hasses und der Intoleranz. Doch nach ihnen kamen präzise die "anderen" dran,
im spezifischen Fall, die Christen und andere religiöse Minderheiten, dann
die nicht orthodoxen und laizistischen Muslime, und am Ende die Gesamtheit
der Muslime, die nicht genau in die ideologischen Schemen der
nationalistischen oder islamistischen Extremisten hineinpassen. Es ist kein
Zufall, dass in dieser dunklen Periode unserer gegenwärtigen Geschichte die
arabischen Länder die kontinuierliche Flucht der Christen, der
ethnisch-religiösen Minderheiten, der aufgeklärten und gebildeten Muslime
beklagen, während parallel dazu die übrigen Muslime die hauptsächlichen
Opfer des Terrors islamistischer Machart wurden.
Im Zentrum der arabischen "Krankheit" ist die Identitätskrise,
die der Panarabismus von Nasser und der Bath ausgelöst hat, und die der
Panislamismus der saudischen Wahabiten, die Moslembrüder, Khomeini und Bin
Laden nicht lösen konnten. Eine Identitätskrise, die auch die arabischen und
muslimischen Gemeinschaften im Westen angesteckt hat.
Ich erinnere mich, dass in der Mitte der Sechzigerjahre das
arabische Schulbuch für Staatsbürgerkunde, das in den öffentlichen und
privaten Schulen Ägyptens gebraucht wurde, die arabische Identität so
definierte: "Die Arber sind eine Nation verbunden durch Einheit der Rasse,
des Blutes, der Geschichte, der Geographie, der Religion und des
Schicksals". Es handelte sich um eine Fälschung der geschichtlichen Realität
und des ethnisch-religiösen Pluralismus, um eine ideologische
Vergewaltigung, die beabsichtigte alle Differenzen zu annullieren, indem sie
die Theorie einer einheitlichen Rasse, einer eingebildeten arabischen Nation
aufzwang, um sie einer unbestrittenen Führerschaft zu unterwerfen. Ein
Zugang, der von der Doktrin der rassischen Reinheit und Überlegenheit der
Nazi und der Faschisten inspiriert war, mit denen die Führer und die
Ideologen des Panarabismus und Panislamismus sympathisierten.
Es ist selbstverständlich, dass in diesem manichäischen Kontext
Israel als ein Fremdkörper, der entfernt werden muss, begriffen wird, ein
vom amerikanischen Imperialismus erzeugter Krebs, um die arabische Welt zu
teilen und zu unterwerfen. Die historische Realität ist aber, dass die
nahöstlichen Völker, obwohl seit dem siebten Jahrhundert arabisiert und
islamisiert, eine spezifische Identität bewahrt haben, die ihre eingeborene
jahrtausendalte ethnische, sprachliche, kulturelle, religiöse und nationale
Wurzeln widerspiegeln. Zum Beispiel die Berber, die Hälfte der Einwohner
Marokkos und ein Drittel der Einwohner Algeriens, haben wenig oder nichts
gemein mit den arabischen Beduinenstämmen, die bis heute die Mehrheit der
Gesellschaft in Saudi-Arabien und Jordanien bilden. Als 1979 Ägypten aus der
Arabischen Liga ausgeschlossen wurde, weil es einen Friedensvertrag mit
Israel unterzeichnete, hat Präsident Sadat die ägyptisch-pharaonische
Identität wiederbelebt und diese mit Stolz der Theorie des Arabismus
entgegengestellt. Es war eine isolierte aber bedeutende Manifestation des
Wunsches die eigene autochthone Identität wiederzuerlangen, im Zeichen der
geschichtlichen Ehrlichkeit gegen die politische Erpressung.
Vor der Austrahlung des Filmes "The silent exodus" im
Kongresssaal der Provinz Mailand, aufgrund der Initiative der Vereinigung
Keren Hayessod, sprach mich ein ungefähr siebzig Jahre alter Herr im
perfekten ägyptischen Dialekt an und sagte: "Ich bin ein Jude aus
Alexandria. Ich war unlängst in Tunesien und in Algerien. Ich muss sagen,
dass die Menschen dort nicht so sind wie wir, sie haben nicht die Ironie,
welche die Ägypter auszeichnet." Lächelnd antwortete ich ihm, dass die
Ägypter es lieben, sich tatsächlich als ein "Volk des Spasses" zu
definieren, wegen ihrer Fähigkeit über alles zu lachen, inklusive sich
selbst. Und doch hat dieses "wir" - das bedeutet "wir Ägypter" - mich
beeindruckt, auch wenn wir beide seit langen Jahren italienische
Staatsbürger sind, er Jude und ich Moslem. Und es hat mir in Erinnerung
gerufen, dass nach der Niederlage der arabischen Armeen 1967 ich ganz
zufällig entdeckt habe, dass das Mädchen in das ich verliebt war – wir beide
waren fünfzehn jährig – eine Jüdin war. Für mich war sie ein ägyptisches
Mädchen wie alle anderen. Aber für die Polizei, die mich einem harten Verhör
unterzog, war sie "eine israelische Spionin" und ich war verdächtigt ein
Komplize zu sein.
Tatsächlich bezeugt der "Stille Exodus" dass der Antisemitismus
und die Pogrome gegen die Juden im Nahen Osten der Geburt des Staates Israel
vorangingen und auch durch die panislamischen und panarabische Ideologien
ausgelöst wurden. Dass der Hass und die Gewalt gegen die Juden einen
ideologischen Bezug in einer fanatischen und entkontextualisierten
Interpretation des Korans und des Lebens des Propheten Mohammed haben.
Sicher wäre es falsch zu verallgemeinern. Nicht die Tatsache zu bedenken,
dass für lange Perioden eine Koexistenz zwischen Juden, Christen und Moslems
im Nahen Osten möglich war, gerade als in Europa die Juden von der
katholischen Inquisition verfolgt und vom nazistischen Holocaust ermordet
wurden. So wie man auch nicht die Verantwortung von Israel zusammen mit der
der arabischen Führer bei der Explosion des Drama der Millionen
palästinensischen Flüchtlingen und der nicht gelösten Frage einer Heimat für
die Palästinenser ignorieren darf.
Es bleibt die Tatsache, dass von einer Million Juden, die bis
1945 integraler Teil der arabischen Populationen waren, nur 5.000 geblieben
sind. Diese vertriebenen oder geflüchteten jüdischen Araber wurden
integraler Teil der israelischen Bevölkerung. Und symbolisieren weiter ein
Zeichen der menschlichen Ungerechtigkeit und der geschichtlichen Tragödie.
Aber vor allem geben sie ein Maß für die identitäre und zivile Katastrophe.
Allam glaubt, dass durch die Anerkennung des Unrechts, das
den "arabischen Juden" angetan wurde, "die Araber sich vom ideologischen
Obskurantismus emanzipieren könnten, der sie zu dem niedrigen Niveau der
menschlichen Entwicklung führte und ihre Region in die am meisten
problematische und konfliktbeladene transformierte".
Quelle: Corriere della
Sera