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"Googling Sulzer":
Salomon Sulzers Bedeutung in der Gegenwart

Vortrag zum Empfang der Stadt Hohenems aus Anlass des 200. Geburtstags von Salomon Sulzer am 18. März 2004

Von Bernhard Purin

Häufig ist über das Selbstverständnis des Kantoren gesprochen worden und die jüdische Liturgiereform des 19. Jahrhunderts war über weite Strecken ein Kampf zwischen zwei Ämtern, dem des Rabbiners und dem des Kantors über die Vorherrschaft im Gottesdienst. Salomon Sulzer gehörte zweifelsohne zu jenen, die das Selbstverständnis des modernen Vorsängers in der Nachfolge Arons und der Tempelpriester sahen. Sulzer vertrat diese Ansicht selbstbewusst und auch was seine eigene Rolle in der Reform der synagogalen Musik betraf, war seine Selbsteinschätzung – so belegen es zahlreiche schriftliche Zeugnisse – keineswegs von übertriebener Bescheidenheit geprägt.

1880 etwa, in einem Schreiben an den Herausgeber der Monatsschrift "Der jüdische Kantor" beschrieb er seine Lebensaufgabe so: "Erst wenn sich "Schir Zion" wie ein Liebesband um die Herzen aller unserer Glaubensgenossen geschlungen, Sulzer's liturgische Gesänge für alle Zonen gleichsam eine Sprache gebildet haben werden, - dann ist mein Ziel erreicht, dann habe ich vor Gott und Menschen Rechtfertigung gefunden".

Doch wie steht es nun um dieses "Liebesband" genau 200 Jahre, nachdem Salomon Sulzer hier in Hohenems geboren wurde? Hat er, wie er es formulierte, sein Ziel erreicht, vor Gott und Menschen Rechtfertigung gefunden?

Als ich vor 14 Jahren an der Ausstellung aus Anlass seines 100. Todestages arbeitete, kamen die Recherchen einer mühsamen Spurensuche gleich. Zwar war bereits 1985 Hanoch Avenarys Dokumentation "Kantor Salomon Sulzer und seine Zeit" (1) erschienen, aber viele Unterlagen, Dokumente und Noten waren nur mühsam aufzuspüren. Schallplatten mit Sulzers Kompositionen waren im Handel nicht erhältlich und die Aufnahme einiger Sulzer'sche Werke im Wiener Stadttempel für eine Produktion des ORF-Landesstudios Vorarlberg waren nur mit Mühe und mit der Verstärkung des damals fünfköpfigen Stadttempel-Chores durch Mitglieder des Arnold-Schönberg-Chors möglich.

Was hat sich seitdem verändert? In den letzten Jahren ist es wesentlich leichter geworden, sich dazu einen weltumspannenden Überblick zu verschaffen. Vor allem amerikanische Kollegen pflegen immer häufiger, Fragen zu einer bestimmten Person mit einer Gegenfrage zu beantworten: "Did you google him?" – "Hast du ihn schon gegoogelt?". Hinter dem zugegebenermaßen unschönen Verb verbirgt sich natürlich die Internet-Suchmaschine "Google", und in den letzten Wochen habe ich mich mit deren Hilfe auf die Suche nach Sulzers Bedeutung heute, 200 Jahre nach seiner Geburt, gemacht.

Das quantitative Ergebnis war nicht unbedingt berauschend: Der Suchbegriff "Salomon Sulzer" bringt es gerade mal auf 611 Fundstellen, darunter allerdings auch einige, die den gleichnamigen Gründer einer Winterthurer Maschinenfabrik nennen. Jene Fundstellen, die sich mit unserem Geburtstagskind befassen, lassen jedoch einige Rückschlüsse darauf zu, wie Sulzer heute rezipiert wird und wo sein Name nicht in Vergessenheit geraten ist.

Nur ein kleiner Teil der Internet-Seiten kommt aus Österreich und Deutschland, lässt aber erkennen, dass Sulzers Werk in den letzten Jahren wieder Eingang in die Konzerthäuser gefunden hat, so etwa bei dem Festival "Styriarte" oder bei den Wiener Sängerknaben, die vor vier Jahren ein abendfüllendes Sulzer-Programm erarbeitet haben. Seit vor zehn Shmuel Barzilai Oberkantor am Wiener Stadttempel und damit auch einer der Nachfolger Sulzers wurde, wird auch dort wieder verstärkt das Werk des Komponisten sowohl in den Gottesdiensten als auch in Synagogenkonzerten gepflegt. Die meisten österreichischen und deutschen Websites beschäftigen sich aber mit Sulzer aus einer historischen Perspektive. Dass Sulzers Musik – sieht man vom Wiener Stadttempel ab – nach 1945 nicht mehr in den Synagogen Mitteleuropas erklang, hat freilich historische Gründe: Durch die Schoa wurde auch die im frühen 19. Jahrhundert begründete Tradition moderner jüdischer Sakralmusik zerstört. Jene wenigen Überlebenden, die nach 1945 die jüdischen Gemeinden wieder aufbauten, stammten meist aus Osteuropa und standen in einer anderen liturgischen Tradition, in der Werke Sulzers und seiner Zeitgenossen wie Louis Lewandowsky (1821-1894) oder Samuel Naumbourg (1816-1880) keinen Platz hatten.

Auch in Israel konnten Salomon Sulzers Kompositionen keine neue Heimat finden, war und ist doch auch dort die Liturgie entweder von sefardischen oder von osteuropäischen Traditionen geprägt. Eine weitere Rolle mag gespielt haben, dass Sulzers Kompositionen als zu deutsch aufgefasst und deshalb abgelehnt wurden.

Eine völlig andere Rezeption Sulzers fand hingegen in den Vereinigten Staaten statt. In den USA gibt es neben der zahlenmäßig kleinen Orthodoxie zwei große Strömungen innerhalb des Judentums: das "Conservative Movement" und das "Reform Movement". Beide Bewegungen haben ihre Wurzeln im Deutschland des 19. Jahrhunderts und gingen aus der von Samson Raphael Hirsch in Frankfurt begründeten Neo-Orthodoxie bzw. aus der vor allem in Berlin und Breslau entstandenen Reformbewegung hervor. Beide religiösen Richtungen pflegten die Musik Sulzers und seiner Zeitgenossen bereits im 19. Jahrhundert und nahmen diese Tradition mit nach Amerika. So ist es nicht verwunderlich, dass sich die meisten Belege zu Sulzer auf den Websites amerikanischer Synagogengemeinden, Rabbinerseminaren und Archiven finden, wenngleich seine Kompositionen gelegentlich auch hier kritisch hinterfragt werden. Abraham Wolf Binder (1895-1966) beispielsweise, der als Kantorensohn im Jüdischen Einwandererviertel der Lower East Side in New York mit dem Erbe der osteuropäischen Chazzanut aufgewachsen war, hatte sich zwar als Kantor einer großen Reformsynagoge um die Wiederaufnahme der reformorientierten synagogalen Musik des 19. Jahrhunderts bemüht – doch zunehmend Probleme damit bekommen: "Es wurde mir bald klar, dass auch bei Sulzer und Lewandowsky nicht alles ganz kascher ist. Irgendwie schien mir ihre Musik nicht die synagogale Athmosphäre zu verbreiten, so wie ich sie kannte." An anderer Stelle heißt es bei ihm salomonisch: "In seinen erhabensten Momenten (und es gab deren viele) drückte Sulzer echte Würde und tiefes religiöses Empfinden aus. Manchmal war es jüdisch und manchmal protestantisch..."

Es gibt auch eigene Websites für Kantoren und Kantorinnen (die in den USA übrigens mittlerweile die Mehrzahl der Vorbeter in den Synagogen ausmachen). Eines dieser Angebote, shulmusic.org, ermöglicht es sogar, die Partituren von Sulzers Hauptwerk "Schir Zion" herunterzuladen und auszudrucken und eine andere Seite, "Chazzanut Online", bietet umfangreiche Materialen zur Geschichte der Synagogenmusik, die natürlich auch eine Biographie Sulzers umfassen. Das Jewish Theological Seminary of America in New York, die größte Ausbildungsstätte für konservative Rabbiner, Lehrer und Kantoren, bietet sogar die Möglichkeit, Kompositionen Sulzers, gesungen von Lehrern und Schülern der Hochschule, online anzuhören.

Der 200. Geburtstag Sulzers ist schließlich auch für viele Synagogengemeinden und Ausbildungsstätten Anlass, dieser Tage Sulzer mit Konzerten zu ehren, so unter anderem im New Yorker Lincoln Center oder im Temple Emanu-El, der größten Reformgemeinde New Yorks. Unter den zahlreichen Konzerthinweisen findet sich schließlich auch jener des "Greater Lansing Gay Men's Chorus", eines schwulen Chors aus Boston, der aus Anlass des 200. Geburtstages Sulzers zu einem Konzert lädt.

Ergänzend dazu – auch das lässt sich im Internet mühelos feststellen – gibt es ein umfassendes Angebot an Tonträgern mit Sulzers Musik, teilweise live eingespielt bei Konzerten oder in Studios aufgenommen.

Trotz alledem: Auch in Amerika hat die Musik Sulzers und anderer liturgischer Komponisten des 19. Jahrhunderts keinen leichten Stand. Ausgehend vom "Camp Movement", einer Erneuerungsbewegung, die seit den 1960er Jahren in jüdischen Jugendsommerlagern entstand, entwickelte sich eine neue Form der liturgischen Musik, die Anleihen aus der amerikanischen Folk und Pop music, aber auch aus neuer israelischer Musik und anderen aktuellen Strömungen bezog. Gefühlsbetonte Lieder, die zum Mitsingen und auch zum Mitklatschen anregen, wurden zunehmend populär in liberalen und konservativen Synagogen. Parallelen zu den Entwicklungen in den christlichen Kirchen drängen sich dabei natürlich auf und in der Tat ist es für einen Außenstehenden manchmal schwer, einen solchen Gottesdienst musikalisch von einem Taizé-Treffen oder einem Evangelischen Kirchentag zu unterscheiden.

Allerdings ist in den letzten Jahren eine Rückbesinnung auf traditionellere Synagogenmusik – davon Zeugen im Internet die Beiträge in Diskussionsforen für Kantoren – zu beobachten. Traditionell heißt in diesem Falle Naumbourg, Lewandowsky und natürlich Sulzer, deren Werke wieder zunehmend Bestandteil des Gottesdienstes vor allem in den Reformgemeinden Amerikas werden.

Aber auch im deutschsprachigen Raum kann in den letzten Jahren zumindest in Ansätzen eine Renaissance dieser liturgischen Musik des 19. Jahrhunderts in den jüdischen Gemeinden beobachtet werden. Das hat vor allem mit der "Rückkehr" des Reformjudentums in das Land seines Ursprungs zu tun. In den letzten Jahren haben sich in Deutschland 15 Reformgemeinden neugegründet und zur "Union progressiver Juden in Deutschland" zusammengeschlossen. Auch in Österreich entstand vor einigen Jahren die Wiener liberale Gemeinde "Or Chadasch", die erst vor wenigen Wochen eine eigene Synagoge im 2. Wiener Gemeindebezirk eingeweiht hat. Mehrere deutsche Jüdinnen und Juden absolvieren derzeit ihre Kantorenausbildung an einer der liberalen oder konservativen Ausbildungsstätten in New York oder Los Angeles, wo Sulzers Kompositionen zum Pflichtkanon zählen und eine erste Absolventin ist seit kurzem Vorsängerin in zwei Berliner Synagogen. Diese jungen und in der Tradition jüdischer Sakralmusik des 19. Jahrhunderts ausgebildeten Kantoren und Kantorinnen werden in den nächsten Jahren sicherlich die Formen des jüdischen Gottesdienstes in Deutschland beeinflussen.

Das Gedenken an Salomon Sulzer zu seinem 100. Todestag war von Ausstellungen, Kolloquien und der Veröffentlichung historischer Abhandlungen geprägt. 1990 schrieb der Wiener Musikwissenschaftler Thomas Dombrowski noch sehr pessimistisch: "Ein Jahrhundert nach seinem Tod erscheint Salomon Sulzer als eine Persönlichkeit, deren Bedeutung historisch ist. Nur wenige seiner Werke haben bis heute überlebt. Die Zeit der großen Chorpflege in den Synagogen ist vorbei, eine Rückkehr zu der kantoralen Tradition Osteuropas ist allenthalben zu registrieren. Doch verdient es Sulzer, der Vergessenheit entrissen zu werden. Kaum einem anderen gelang eine so unnachahmliche und überzeugende Mischung aus modernem Kunstanspruch, Tradition und praktischer Anwendbarkeit in der Synagoge wie diesem großen Kantor aus Hohenems."

Heute gibt es wieder deutliche Anzeichen dafür, dass Salomon Sulzer mehr ist als ein zwar gewichtiges, aber abgeschlossenes Kapitel in der jüdischen Musikgeschichte. Sulzer selbst hat seine Wirkung stets aufmerksam verfolgt, Zeitungsberichte und Ehrenadressen sorgfältig gesammelt und im übrigen testamentarisch verfügt, dass diese heute verschollenen Unterlagen "für immerwährende Zeiten nach Hohenems" gesandt werden. Würde er heute leben, würde es ihm bestimmt gefallen, ab und an im Internet zu "googeln" und sich des Fortlebens seines Ruhms zu vergewissern. Das, was er dabei finden würde, würde er bestimmt als Geschenk an seinem heutigen Festtag, dem 200. Geburtstag, auffassen.

Erscheint in: Johannes Inama, Hanno Loewy (Hg.), "...wohl eine Illusion"? Geschichte und Gegenwart der Synagoge Hohenems. Hohenems: Jüdisches Museum, 2004.

Kantormania:
Von Salomon Sulzer zum Jazz Singer


Über Salomon Sulzer

Rahmenprogramm

Anmerkungen:
(1) Hanoch Avenary (mit Walter Pass und Nikolaus Vielmetti) Hg., Kantor Salomon Sulzer und seine Zeit. Eine Dokumentation. Sigmaringen 1985.
(2) Siehe: http://music-books-online.net/0819707171.html
(3) Abraham Wolf Binder, "Sulzer und die synagogale Gesangstradition", in: Hanoch Avenary, Kantor Salomon Sulzer und seine Zeit, S. 242.
(4) Siehe: http://www.ammersfeld.com/de/subx/c_info2.php

Websites (Auswahl):

Sulzers "Schir Zion" in der Ausgabe von 1922 zum Ausdrucken
http://www.shulmusic.org/sulzer/index.htm

Vorträge von Thomas Dombrowski und Hanoch Avenary s.A.
über Synagogenmusik und Sulzer
http://www.ammersfeld.com/de/subx/c_info2.php

Briefmarke zum 100. Todestag Sulzers
http://www.aeiou.at/aeiou.stamp.1990.900117a

Sulzer als "Personality of the Week" auf der Website des Diaspora Museums
in Tel Aviv
http://www.bh.org.il/Names/POW/Sulzer.asp

Artikel über aktuelle Strömungen in der Synagogenmusik Amerikas
aus der "Atlanta Jewish Times"
http://atlanta.jewish.com/archives/1999/022699cs.htm

Umfassendes Angebot mit Informationen zur Synagogenmusik und
natürlich auch über Sulzer
http://www.chazzanut.com/

Die liturgisch-musikalischen Traditionen des deutschen liberalen Judentums
und deren Weiterentwicklung in Nordamerika
http://www.hpk-info.de/musik/musik_synagoge/

Sulzer auf der Website der Belsize Square Synagogue in London.
http://www.synagogue.org.uk/music/main.htm

Sulzers "Aleinu" als Realaudio-File zum Anhören auf der Website
des Jewish Theological Seminary of America
http://learn.jtsa.edu/topics/arts/aud_hhday/track20.shtml

Historische Musikaufnahmen von Sulzers Musik im Robert and Molly Freedman
Jewish Music Archive Catalogue der Universiy of Pennsylvania
http://digital.library.upenn.edu/webbin/freedman/searchwords?
MyData=sulzer

hagalil.com 12-10-2004

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