Erste Gedenkfeier:
Rumänien entdeckt Holocaust
Staatschef Ion Iliescu gedenkt
erstmals der Judenvernichtung unter Militärdiktator Ion Antonescu.
Doch rechte Gruppen leugnen weiter die historischen Tatsachen
Von William Totok
Rumänien hat am Dienstag erstmals offiziell der
Judenverfolgung und -vernichtung während der Diktatur des
Hitlerverbündeten Ion Antonescu gedacht. Präsident Ion Iliescu
erinnerte in einer Ansprache vor dem Bukarester Parlament daran,
dass während der faschistischen Militärdiktatur Antonescus von 1940
bis 1944 ungefähr 250.000 Juden in Rumänien und den von Rumänien
besetzten Gebieten getötet worden waren.
Der zum Sozialdemokraten gewendete Exkommunist
Iliescu forderte die Bürger Rumäniens auf, sich der Geschichte zu
stellen und die volle Verantwortung für dieses dunkle Kapitel zu
übernehmen. Der Holocaust sei ein Thema, das lange vermieden worden
sei, deswegen dürfe er weder verharmlost noch vergessen werden,
sagte Iliescu.
Die rumänische Presse kommentierte die Ansprache
ironisch-verhalten und vergaß nicht, auf die zahlreichen
widersprüchlichen Aussagen Iliescus hinzuweisen, die immer wieder
für aufgebrachte Reaktionen im In- und Ausland gesorgt hatten. In
einem heftig umstrittenen Interview mit der israelischen Zeitung
Haaretz hatte Iliescu noch im Sommer 2003 den von den
Antonescu-Behörden verschuldeten Holocaust relativiert.
Ion Antonescu hatte die rumänischen Juden nicht an
Hitlerdeutschland ausgeliefert, sondern eine eigene
Vernichtungsmaschinerie ins Leben gerufen. Zehntausende Juden aus
den östlichen Gebieten Rumäniens wurden in die Todeslager nach
Transnistrien deportiert, einem zwischen dem Bug und Dnjestr
liegenden Gebiet, das im Zweiten Weltkrieg unter rumänischer
Verwaltung stand. Den offiziellen Befehl zur Deportation erließ
Antonescu am 9. Oktober 1941.
In Transnistrien, "dem gigantischen Grab der
rumänischen und ukrainischen Juden", wie es ein Historiker nannte,
wurden die Juden und deportierten Roma einer blindwütigen
rumänischen Soldateska überlassen. Zu den blutigen Gräueltaten der
rumänischen Militär- und Polizeibehörden gesellten sich Seuchen,
Hunger und unmenschliche hygienische Bedingungen, die zehntausende
dahinrafften.
Trotz einschlägiger historischer Beweise leugnen
bestimmte Kreisen, extremistische Gruppierungen und Parteien den
rumänischen Holocaust. Nachdem sich die antisemitische
Großrumänienpartei aus wahltaktischen Gründen von ihrer
antijüdischen Haltung öffentlich distanzierte, haben kleine
rechtsradikale Gruppierungen das Flaggschiff des Revisionismus
übernommen. Im Namen der "Liga zur Bekämpfung des Antirumänismus,"
der neofaschistischen Organisation Vatra Româneasca (Rumänische
Heimstätte) und der Vereinigung der Kriegsveteranen und deren
Nachkommen organisierte der Universitätsprofessor Ion Coja in
Bukarest eine Gegenveranstaltung zum Holocaustgedenktag, um die
"unhaltbaren Beschuldigungen", auf rumänischem Boden habe es einen
Holocaust gegeben, zu entkräften. "Der so genannte Holocaust", sagte
Coja am Dienstag der BBC, "ist für uns Rumänen nicht repräsentativ."
Obwohl die rumänische Regierung per
Dringlichkeitsverordnung die Holocaustleugnung bereits im Frühjahr
2002 unter Strafe gestellt hatte, wurden bislang weder Coja noch
andere Leugner zur Verantwortung gezogen.
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15-10-2004 |