Prozeß gegen die "Kameradschaft Süd":
Braune Mädchen, Bomben und ein V-Mann
Von Max Brym
Am Mittwoch den 6. Oktober begann vor dem
Oberlandesgericht in München der Prozeß gegen einen Teil der nazistischen
"Kameradschaft Süd". Die Bundesanwaltschaft wirft ihr die Bildung einer
kriminellen terroristischen Vereinigung gemäß Paragraph 129a vor.
Bundesanwalt Steidel sprach von der "Vorbereitung von Mord und Totschlag".
Der Kameradschaft Süd wird u.a. die Planung eines Bombenanschlages am Tag
der Grundsteinlegung für das neue "Jüdische Kulturzentrum" am 9. November
2003 in München zur Last gelegt.
Im September 2003 wurde der Anführer der Gruppe, Martin
Wiese und seine engsten Mitstreiter verhaftet. Der Prozess gegen Wiese, der
sich in Untersuchungshaft befindet, beginnt im Januar 2005. Jetzt läuft eine
Verhandlung gegen fünf enge Mitstreiter und Mitstreiterinnen von Martin
Wiese, die sich allesamt kooperationsbereit geben.
Die Beschuldigten
Alle Angeklagten, die den Gerichtssaal betraten, kamen
nicht aus der Untersuchungshaft, sondern sie befinden sich auf freiem Fuß.
Sie waren nur wenige Tage oder Wochen ab September 2003 in Haft. Angesichts
der Schwere der Vorwürfe ist das mehr als verwunderlich. Drei der
Angeklagten sind Frauen oder Mädchen, die der weit verbreiteten Vorstellung
von 'Naziamazonen' nicht entsprechen. Die 1986 geborene Angeklagte Monika S.
vermittelt einen leicht naiven Eindruck, sie sieht gepflegt aus und guckt
als ob sie keiner Fliege etwas zuleide tun könnte. In Wahrheit benützte die
Angeklagte Monika S. ihre Stelle als Auszubildende bei der Postbank, um
linke Personen und Organisationen, wie die PDS München, für die
"Anti-Antifa" auszuspähen. Von Ihr soll der Vorschlag stammen, sich selbst,
um die "nationale Sache" voranzubringen, mittels einer Bombe am Marienplatz
in die Luft zu jagen. Selbstverständlich sollten dabei viele Menschen
getötet werden.
Die 19 jährige Angeklagte Ramona S. gehörte zum inneren
Kreis um Martin Wiese und war Mitglied der sogenannten Schutzgruppe
innerhalb der Kameradschaft. Ramona S. ist durchaus in der Disco
vorstellbar. Kein Türsteher würde dem relativ hübschen Mädchen, die noch die
Schule besucht, den Zutritt verwehren. Die 22-jährige Jessica F. hat kurze
dunkelblonde Haare und wirkt sympathisch. Die Studentin brach kurz vor
Verhandlungsbeginn in Tränen aus und mußte von ihrer Anwältin beruhigt
werden. Jessica F. ist gebildet und versteht sich auszudrücken. Ganz im
Gegensatz zu dem frisch gebügelten Nazibüblein, dem 19 jährigen schwächlich
wirkenden Angeklagten Johann S. Nur der Angeklagte Joachim H. wirkte so, wie
sich viele einen Neonazi vorstellen. Der übergewichtige mit einem
Stiernacken ausgestattete Angeklagte aus Brandenburg, präsentierte sich dem
Gericht mit kahlem Kopf und in ungewaschener Kleidung. Joachim H. soll
Martin Wiese Schußwaffen und Sprengstoff mitbesorgt haben. Er gilt, da er
geständig ist, als wichtiger Zeuge der Anklage.
Die öffentliche Verhandlung
Das Gericht glich am Verhandlungstag einer Festung.
Mehrere scharfe Kontrollen mussten überwunden werden, um in den Gerichtssaal
zu gelangen. Auch jeder Pressevertreter wurde durchsucht und gefilzt. Nach
der Verlesung der Anklageschrift durch den Bundesanwalt, wollte die
Verteidigung die Öffentlichkeit wegen der "Persönlichkeitsrechten" ihrer
jugendlichen Mandanten vom Verfahren ausschließen lassen. Der Vorsitzende
Richter schlug vor, den Antrag zu verschieben und die Angeklagte Jessica S.
öffentlich zum Aufbau und zur allgemeinen Struktur der Kameradschaft Süd zu
vernehmen. Das Publikum und die Presse erfuhr deshalb durch die Aussage von
Jessica S. größtenteils bereits bekanntes.
Jessica S. beschrieb ausführlich die Struktur der
Kameradschaft Süd. Insgesamt soll die nazistische Gruppe etwas über 50
Personen organisiert haben. Die Anhänger der Kameradschaft wurden über
wöchentliche Stammtische instruiert. Besondere Stammtische gab es für
jugendliche Interessenten unter 18. Die Angeklagte leitete einen eigenen
Stammtisch für Frauen in einem Schwabinger Caféhaus und führte den
Frauenbund innerhalb der Kameradschaft. Zudem gehörte Jessica F. dem inneren
Kreis der Kameradschaft der Schutzgruppe an. Die Existenz dieses inneren
Zirkels sollte geheim bleiben. Nach Aussage von Jessica F. bedrohte Wiese
jeden mit "Sanktionen", der über die Sonderformation berichtete. Ein
Austritt aus dem "inneren Kern" war nach den Worten von Jessica F. nicht
möglich.
Wöchentlich veranstaltete die Kameradschaft
paramilitärische Übungen in einem Waldstück in der Nähe der S-Bahnstation
Lohof. Nach den Worten der Angeklagten kündigte Wiese an, "dass bald mit
scharfen Waffen trainiert würde". Sie selbst sei "gegen solche Aktionen
gewesen", getraute sich allerdings nicht auszusteigen, da "Wiese immer
drohte und mit seinen guten Kontakten zur Polizei prahlte". Inwiefern das
eine Schutzbehauptung ist, muss die Zukunft zeigen. Auch wirkte die
Einlassung "mehr zufällig als Mädchen in die Sache gerutscht zu sein", mehr
als fragwürdig. Dennoch versetzte Jessica F. die im Publikum anwesenden
Nazis in Wut. Sie legte die guten Beziehungen zu "Demokratie direkt" und zur
NPD offen. Auch die Burschenschaft Danubia bekam ihr Fett ab. Wiese stellte
für NPD-Infostände in München oft seine Mannschaft ab. Genauso sei der
Verein "Demokratie Direkt", dem ein Münchner Stadtrat der Republikaner
angehört, mit Wiese verbunden gewesen. Besonders enge Beziehungen sollen zur
NPD Niederbayern bestanden haben.
Den Führer der Kameradschaft Süd, Wiese, schilderte
Jessica F. als "cholerischen, brutalen Menschen", dessen Ziel "die
Wiedererrichtung des nationalsozialistischen Regimes sei". Aus den
Ausführungen von Jessica S. ging auch hervor, dass Martin Wiese
intellektuell nicht besonders hoch einzuschätzen sei. Der nazistische Teil
des Publikums schäumte bei diesen Aussagen. Es gingen Flüsterparolen um, wie
"die muß aufpassen" usw.
Ausschluß der Öffentlichkeit. Welche Rolle spielt der
V-Mann ?
Nach der Mittagspause stellte die Verteidigung erneut den
Antrag, die Öffentlichkeit vom weiteren Verlauf der Verhandlung
auszuschließen. Begründet wurde der Antrag mit der "Jugend einiger
Angeklagter" und der Notwendigkeit, deren "Persönlichkeit" zu schützen. Nur
halbherzig widersetzte sich die Bundesanwaltschaft diesem Antrag. Das
Gericht folgte dem Antrag der Verteidigung und schätzte damit das
öffentliche Interesse und das "Recht auf Information" als geringer ein, als
die "Rechte der Angeklagten". Der Beschluss wurde von den anwesenden
Medienvertretern mit Kopfschütteln kommentiert. Schließlich handelt es sich
bei den jugendlichen Angeklagten nicht um potentielle Kaufhausdiebe, sondern
um latente nazistische Mörder.
Die Entscheidung des Gerichts schloß die Öffentlichkeit
gerade zu dem Zeitpunkt aus, als es in dem Verfahren ans Eingemachte ging.
Nach der Aussage von Jessica F. sollte über die konkreten Terrorakte der
Gruppe verhandelt werden. Über Waffen und Munitionsbeschaffung und die
geplanten Anschläge auf die jüdische Feierstunde in München und den Anschlag
am Marienplatz. Selbstverständlich auch über Logistik und intellektuelle
Führung. Nach allen Erkenntnissen ist der Naziterrorist Martin Wiese keine
"Koryphäe der Wissenschaft". Immer wieder geistert durch die Prozeßakten der
V-Mann des Verfassungsschutzes, Didier M.
Er hat in Frankreich eine nazistische Gruppe aufgebaut,
deren Führung komplett aus V-Leuten bestand. Fakt ist, dass er gemeinsam mit
Wiese an einer Waffenbeschaffungsfahrt nach Güstrow beteiligt gewesen ist.
Damit hat sich der V-Mann selbst an einer Straftat beteiligt. Derzeit
befindet sich Didier M. in einem Zeugenschutzprogramm und wird vom
Verfassungsschutz an einem unbekannten Ort versteckt. Der Ausschluss der
Öffentlichkeit aus dem Verfahren könnte bewirken, seltsame Machenschaften
staatlicher Agenten in nazistischen Organisationen weitgehend unter
Verschluss zu halten. Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhard Baum sagte
gegenüber dem Magazin Report: "Der V-Mann hat nicht nur mitgemacht, er hat
gemacht. Er war in vieler Hinsicht der aktive, der treibende Teil, der
Organisator, das Gehirn der Organisation" ( zitiert nach AZ-7.10.04).
Daniel Hechler, der Autor des Report Berichtes sagte
gegenüber der AZ: "Der V-Mann hat eine aktivere Rolle eingenommen, als
angezeigt gewesen wäre." Dies bestreitet selbstverständlich der bayerische
Innenminister Beckstein. Der Ausschluss der Öffentlichkeit aus der
Verhandlung könnte vorläufig bestimmten staatlichen Stellen einige
Peinlichkeiten ersparen. Anders lässt sich die defensive Haltung der
Bundesanwaltschaft zum Antrag der Verteidigung nach "Persönlichkeitsschutz
für die Angeklagten" nicht erklären. In einem Prozess gegen "Linke" nach
Paragraph 129a hätte man sich einen Dreck um die Persönlichkeitsrechte der
Beklagten gekümmert.
Die Presse ist in München erst wieder zur
Urteilsverkündung gegen die Beschuldigten zugelassen. Im Januar beginnt der
Prozess gegen Martin Wiese. Dieses Verfahren wird öffentlich sein. Vorläufig
jedenfalls.
hagalil.com
11-10-2004 |