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Wie das ganze zwanzigste Jahrhundert:
"Der Eremit" an der Wand

Von Robert Cohn

An meiner Wand hängt ein Gemälde, 60 cm hoch, 45 cm breit, nur damit man weiß, es ist nicht riesig oder winzig, es füllt nur ein Stück Wand. Es ist das einzige Gemälde bei mir, aber nur daran liegt es nicht, dass es dort seltsam aussieht. Fast überall würde es so "komisch hängen". Das Gemälde steckt in einem braungoldenen Rahmen, dessen Fugen ein bisschen klaffen, ein dürftiger Rahmen, sieht aus wie schnell drangemacht.

Man merkt, es ist irgend etwas damit. Warum würde ich sonst so unbeholfen davon reden, wo und wie es hängt oder wie sein Rahmen aussieht. Steht man vor dem Gemälde, sieht man erstaunlich wenig. Da ist ein großer alter Baum, oft vom Blitz getroffen, eine Eiche, die sich schirmend ins Bild lehnt, aber sie rauscht nicht, es leben keine Vögel in ihrem Geäst. Unten in der Bildmitte kniet ein Mensch in einer braunen Kutte und hebt die Hände, das ist "der Eremit", so habe ich es schon als Kind gehört. Über ihm ist zerrissener Himmel, dunkel wie das ganze Gemälde, etwas Blau schwimmt darin, ertrinkt aber im toten Braun des Baums, des undeutlichen Untergrunds, der Kutte des Eremiten. Ein rechtes Gesicht hat der nicht, hungrig aufgerissene Augen, die nicht zu sehen sind, eine abgezehrte Nase, ein wirrer Bart ist angedeutet. Am deutlichsten noch sind seine Hände, ausdrucksvoll und angespannt nach unten ausgestreckt, die Finger gespreizt, man sieht sie fast von der Seite. Mehr ist nicht auf dem Bild. Trostlos? Gar langweilig? Nein, innen braust es irgendwo wie ein Sturzbach hinten im Dunkeln, den man nicht sieht und kaum hört.

Also, man steht vor dem "Eremiten". Das Licht aus meinem Wohnzimmerfenster sickert von der linken Seite darauf. Ich habe bis jetzt immer vom dem geschrieben, das darauf sichtbar ist. Jedoch im Seitenlicht wird auf einmal deutlich, dass das gar kein 'richtiges' Gemälde sein kann. Die Oberfläche ist löchrig, aufgerissen, völlig uneben, da sind Knicklinien, Löcher mit Leinwandfäden drin, Hubbel. Alles ist gleichmäßig mit dunkler brauner Soßenfarbe zugestrichen, damit man's nicht so sieht. Die Oberfläche sieht starr aus und wenn man dagegen klopft klingt es hohl. Also nichts von einem vibrierenden Gemälde auf Leinwand. Auf der Rückseite ist auch kein Stoff mehr, nur eine billige braune Pressspanplatte, speckig, muss ziemlich alt sein, hat was von Notzeiten.

Es ist also ein auf Pressspan geleimtes und braun in braun überschmiertes Leinwandetwas in einem düsteren Rahmen aus Mangelzeiten. Jeder Kunsthändler würde sagen, "keine Chance, hmmm - das war mal was, ist aber ruiniert, versuchen Sie's mal beim Trödler, vielleicht nimmt der es noch". Der Trödler würde sagen, "die Zeiten sind schlecht, das kann ich nicht verkaufen, nie, ham Sie nicht was mit einem Hirsch drauf? Geht besser."

Ich würde das Gemälde niemals verkaufen. Auch nicht, wenn man seinen Wert feststellen könnte - was halt nicht geht. Das interessiert auch nicht. Für mich ist es die Geschichte meines Großvaters und meiner Großmutter als schweigender Gegenstand. Nie würde ich mich davon trennen.

Ich werde jetzt erzählen, was ich seit meiner Kindheit über "den Eremiten" gehört habe. Die Versionen wurden immer länger, je mehr ich verstehen konnte, und letztes Jahr hat mir mein Vater die Geschichte "vom Eremiten" nochmal erzählt, mit mehr Details denn je. Er ist alt, mein Vater, und erinnert sich jetzt besser an früher.

Mein Großvater Arthur C., der Vater meines Vaters, wollte im ersten Weltkrieg Flieger werden, wegen der Flugzeuge, die fand er spannend. Er war ein völlig unmilitärischer Mensch. Als der Krieg begann war er schon 36, viel zu alt für eine Fliegerausbildung. So musste er halt zur Infanterie. Später sollte er doch noch mit der Fliegerei zu tun bekommen, da wurde er nämlich Artilleriebeobachter im Fesselballon, 1918, als britische Doppeldecker ihn abschossen und er sehr verletzt gerade so herunter- und davonkam. Das gehört jedoch hier nicht dazu, zum "Eremiten".

Arthur war also in Italien, 1915, bei der Schlacht am Isonzo. Es war blutig und scheußlich. Italien hatte gerade entschieden, sich eben doch nicht mit Deutschland und Österreich zu verbünden und das nahm man dort als billigen Verrat auf. So erhielt auch Arthurs Trupp den Befehl, italienische Schlösser in der Gegend ordentlich zu verwüsten, als Abschreckung und als Rache für die Perfidie der Spaghettifresser - wurde nicht so gesagt, war aber so gemeint. Arthur kam zum Schloss, sah Fenster von innen splittern, sah edle Möbel zerschlagen auf dem Hof liegen und Gobelins in Fetzen. Er war sprachlos. Dass deutsche Soldaten wie er selber so etwas täten hatte er nie für möglich gehalten - da flatterte ein Gemälde in einem zerbrochenen Rahmen von irgendwo herunter und klatschte unten auf die Trümmer. Arthur starrte darauf, da war eine prächtige Eiche unter welcher ein Eremit kniete, mit ausdrucksvollem Gesicht, das bat und schrie. Der Himmel unter und hinter den Eichenästen drohte gewittrig. Schon kamen von oben weitere Möbel geflogen, Trümmer, Porzellan, Arthur duckte sich, ihm war widerlich und elend zumute. Er dachte, das ist doch nicht möglich, das hier kann nicht regulär sein, meine Armée macht sowas nicht, ich muss etwas davon retten. So zog er sein Bajonett heraus und schnitt das Gemälde vor ihm so vorsichtig wie es ging aus den Teilen des zerstörten Rahmens, rollte es zusammen und verstaute es in seinem Tornister.

Auf der Kommandantur - sagt man so? - ging er zum Leutnant, stand vor ihm stramm, bat sprechen zu dürfen und zog diese Rolle hervor. Er breitete "den Eremiten" auf dem Tisch aus und sagte, "solche Dinge sind dort zerstört worden, einfach zerschlagen. Ich weiß nicht, was das war. Ich will damit nichts zu tun haben. Dieses Gemälde hab ich gerettet, ich gebe es Ihnen hiermit ab. Hier. Bitte gehen zu dürfen, Herr Leutnant." Da holte der Leutnant verdattert Luft und sagte, davon dürfe er eigentlich gar nichts wissen und er, der Gefreite Arthur C., sowieso nicht, und das da sei nie passiert, es seien neue Befehle da, ganz neue, das da sei nie passiert, und er, der Leutnant Sowieso, wisse nicht, woher der Gefreite Arthur C. dieses Ding habe, es sei ja wohl seines, er solle es bitte jetzt nehmen und gehen. - Arthur nahm also das Gemälde, ging und schämte sich für die Anderen.

So schonend zusammengerollt, wie es ging, überdauerte "der Eremit" die Isonzoschlacht, wurde später ein wenig restauriert und hing ab 1916 in Hindenburg (Oberschlesien) an der Wand, nachdem Arthur meine Großmutter geheiratet hatte. Da hing es. 1933 kam ein SS-Mann in die Wohnung und verlangte Arthurs Weltkriegsorden, so etwas sollten Menschen wie er nicht besitzen dürfen. Arthur hielt ihm stinkwütend dieses eiserne Kreuz vors Gesicht und pfiff ihn an, "was erlauben Sie sich?!, damals als ich mir das verdient habe waren Sie genauso dumm wie jetzt. Wissen Sie was das ist?!..." (Baumeln des eisernen Kreuzes vor dem Gesicht des SS-Manns,) "...das hier?! Los raus hier, raus!" Der Scherge verzog sich verängstigt.

"Der Eremit" hing auch noch, als Arthur 1936 schrecklich umkam. Das Gemälde hatte Knicke vom Eingerolltsein und genug übermalte Stellen, aber es strahlte, und so hat es mein Vater in Erinnerung, dort strahlend an der Wand in Oberschlesien in einer Zeit, in der alles zusammenbrach, einfach alles.

Meine Großmutter überstand dort als Zahnärztin arbeitend, sie war äußerst geschickt (und sowieso großartig), und so haben ihre beiden Söhne und sie überlebt. 1945 war sie allein dort. Die Sowjetarmee marschierte ein, die Russen waren blind vor Hass gegen alles ihnen deutsch Vorkommende und unterschieden nicht. Soldaten drangen in die Wohnung ein, stürzten alles um, prügelten, rissen "den Eremiten" vom Nagel und Einer trampelte mit seinen Stiefeln hasserfüllt darauf herum, bis er genug hatte. Seine Sohlen waren mit Nägeln beschlagen. Meine Großmutter stand bebend in der Ecke. Alles war verwüstet. "Der Eremit" war durchlöchert, zerrissen und in den Fußboden getreten.

Meine Großmutter wurde "Bataillonszahnärztin der Sowjetarmee". Sie reparierte Soldaten die Zähne, die noch nie so einen Bohrer gesehen hatten und das machte sie so fürsorglich, dass Einige ein gutes Wort für sie einlegten. Sie wurde nicht deportiert, in den Gulag. Schließlich durfte sie sogar ausreisen, in die Amerikanische Zone. Nach Heidelberg zu ihren Söhnen. Mitnehmen durfte sie gar nichts, das war so. Abreisen dürfen war Gnade genug. Also rollte und knickte sie den zerfetzten "Eremiten" behutsam so ein, dass die Ausbeulung in ihrer Bluse nicht auffiel und hoffte, nicht durchsucht zu werden. Sie hatte Glück.

In Heidelberg angekommen hatte sie schlimmes Untergewicht und litt, aber ihre Söhne waren da und "der Eremit" auch. Jemand versuchte, ihn zu restaurieren, nein, zu reparieren. Er leimte, malte darauf herum, etwas Farbe hatte er irgendwo ergattert und Braun kriegt man ja immer ungefähr hin. Jedenfalls dieses Braun. Aber er gab sich Mühe.

Dann hing "der Eremit" wieder an der Wand meiner Großmutter, wo er hin gehörte, er strahlte längst nicht mehr, er sah aus wie das ganze zwanzigste Jahrhundert.

So ist er noch heute, an meiner Wand. So wird er auch bleiben. Anhübschen kann man andere Gemälde, nicht dieses. Die Knickspuren, quer, sind oben stärker als unten, Großvater Arthur hat 1915 wohl hier begonnen, die Leinwand einzurollen. Die Löcher von sowjetischen Nagelstiefeln sind überall, darin ist gar nichts mehr, nur Leinwandfäden an den Rändern, braun übermalt, damit man's nicht so sieht.

hagalil.com 03-10-2004

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