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Von Berlin nach Haifa:
Das zweite Leben

Nach den Ausgrenzungen, die Dieter T. in Berlin erlebte, versucht er nun in Haifa einen "richtig jüdischen" Alltag

Von Inge Günther (Haifa) und Axel Vornbäumen (Berlin)
Frankfurter Rundschau, 25.09.2004

War nicht leicht, in Israel anzukommen. Als der Taxifahrer ihn und seine drei Koffer vor dem Hotel in Haifa absetzte, fühlte er sich "ziemlich deprimiert". Ganz allein auf sich gestellt, in dem gelobten, aber fremden Land, das das Land seiner Träume war. Vor gut neun Monaten war das, am 2. November 2003. Es war der Tag, an dem Dieter T., der jüdische Lebensmittelhändler aus der Brunowstraße in Berlin-Reinickendorf, "den Aufstieg", "Aliyah", machte, wie auf Hebräisch die Einwanderung nach Israel genannt wird. Abschied und Anfang.

Keine Selbstverständlichkeit, mit über 60 noch mal bei Null zu beginnen. Nicht, wenn zuvor die eigene Existenz böswillig ruiniert wurde. Erst recht nicht, weil es keinen Grund dafür gab - außer dass T. Jude ist. "Kaputt gespielt" worden sei er, hat er damals, im Sommer 2003, der FR gesagt, als er in seiner kleinen Berliner Wohnung auf gepackten Koffern saß.

"Kaputt gespielt", ein Euphemismus für sein Desaster. Es war ein stiller Abschied aus seinem Heimatland, einer voll Resignation, voll Hoffnung. Voll Verzweiflung? Das nicht, aber voll Zerrissenheit. "Hätte ick Arbeit jekriegt", sagt er heute, "wär ick sogar noch in Deutschland geblieben, schon um den Schuldenberg von 35 000 Euro mit abzustottern". Seine Frau hat damals gesagt, "lass mich das machen, fahr' du voraus." Sie ist geblieben. Sie hat noch eine feste Stelle in Berlin, ein, zwei Jahre noch wird sie bleiben, dann wollen beide ihren Lebensabend als Rentner in Israel verbringen.

Aliyah, "der Aufstieg", war hart, sein erstes Zimmer eine Absteige. Am Anfang wusste er nicht wohin. Sah mit wachsender Sorge, wie das Begrüßungsgeld, das man ihm am Flughafen in Tel Aviv ausgehändigt hatte, mitsamt der bewilligten Eingliederungshilfe von monatlich 1200 Schekel, rund 225 Euro, für die Übernachtungskosten draufging. Von Ivrit, der Landessprache, verstand er kaum ein Wort: "Wat habe ick mit Händen und Füßen jewunken, um mich verständlich zu machen." Einmal, da hat er sich ein Stück Pappe zurecht geschnitten, um dem Verkäufer zu bedeuten, dass er eine Telefonkarte will. So ist "allet bisschen anders gelaufen, wie ursprünglich gedacht", schildert er die Mühen "der Aliya", während er in seiner improvisierten Kochnische auf dem Balkon in Haifa zwei Tassen mit Nescafe aufbrüht. Er redet ohne Groll.

So, als ob ihm ein zweites Leben geschenkt worden sei, und irgendwie ist es ja auch so: Heute heißt er Arieh. Mit der Ankunft in Israel hat er, wie viele andere Einwanderer, seinen Vornamen hebräisiert. Dieter - das ist für ihn Vorgeschichte, ein zu Ende geschriebenes Kapitel in seinem bewegten Leben, das so bewegt war, bislang, weil T. Jude ist. Nur deswegen. Und nur deswegen hat er die bittere Erfahrung in Berlin gemacht, wo sein Laden in der Brunowstraße im bürgerlich-kleinbürgerlichen Reinickendorf von dem Moment an kaputt ging, als er ihn "Israel-Deli" nannte; kaputt ging an einer unseligen Allianz aus deutschen Glatzköpfen, arabischen Jugendlichen und wegschauenden Durchschnittsbürgern.

Nicht, dass er etwas davon vergessen hätte, das nicht: "War schon ein hartet Ding." Doch wichtiger ist ihm, nach vorn zu blicken. "Meine Geschichte fängt ja eigentlich da erst an", sagt er. Zumindest das neue Kapitel im Leben von Arieh T., der in Deutschland für sich keine Zukunft mehr sah. Im Rückblick erscheint ihm "irgendwie allet wie eine Fügung Gottes". Sonst wäre er nicht da, wo er nun ist.

In seiner bescheidenen Bleibe drängt sich Optimismus nicht ohne weiteres auf. Auf engstem Raum gibt es ein Bett, einen Esstisch mit Wachstuchdecke, eine Schrankwand mit Judaica, ein Pult mit aufgeschlagener Thora - das meiste hat er gebraucht gekauft. Doch nach ersten einsamen Wochen in Haifa erschien ihm der Tip, bei wem er ein möbliertes Zimmer mieten könne, als Wink des Himmels. "Es war schmuddelig, aber ich konnte am nächsten Tag einziehen." Eines ergab das Andere. "Wo beten", war für ihn als gläubigen Juden die nächste Frage. In einer Querstraße fand er eine kleine Synagoge und Jemanden, der ein wenig Jiddisch konnte und ihn zum Essen am Sabbath eingeladen hat. Beim nächsten Gebet lernte er den Rabbiner Hausmann kennen, der aus der Schweiz stammt und Deutsch spricht. Seitdem, sagt T., "bin ick in guten Händen. Sie kümmern sich um mich."

Dabei ist er einer, der selbst die Ärmel aufkrempelt, um sich nicht unterkriegen zu lassen. Das war schon in Berlin so, in jenem unseligen Frühsommer 2003, als er immer wieder, die Gummihandschuhe bis an die Ellbogen hochgezogen, vom Schaufenster seines "Israel-Deli" die Kot- und Spuckreste wegwischen musste. Und dazu all die unsäglichen Schmierereien wie "Juden raus" oder "Juden vergasen". Wie muss ihm damals zumute gewesen sein? Wie, als plötzlich einer in seinem Laden stand, die Hand zum Hitlergruß erhoben? Wie, als die Kunden wegblieben, die Bürger aus der Nachbarschaft, die ihn zuvor noch freundlich gegrüßt hatten und plötzlich unangenehm berührt waren. Er, der abgesehen von der Mutter und den Schwestern den Rest der Familie im Konzentrationslager verloren hatte.

Nichts ist dagegen der Dreck, gegen den er unermüdlich in Haifa ankämpft. Das Viertel Hadar, in dem er wohnt, ist eines der ärmsten, vernachlässigten in der sonst so idyllisch gelegenen Hafenstadt. Hier in Hadar, der neuen Heimat, gehören Drogengeschäfte an der Straßenecke und verstreuter Müll im Hof zu einem Alltag, der undenkbar gewesen wäre in der Brunowstraße. Abfinden mag sich T. damit nicht. Stinkende Abfälle hat er ein ums andere Mal unterhalb des Fensters seiner winzigen Behausung weggeschaufelt. Gummibäumchen und Blumen gepflanzt. "Als Lebensmittelhändler", sagt er, "bin ich vielleicht pingeliger als andere." Er will da nichts beschönigen. Von seinen Nachbarn, alles "Olim Chadaschim", Neueinwanderer, wie er, hält T. wenig. Die meisten sind russischsprachige Menschen. "Nischt, dass ick gegen die wat sagen will", sagt er. Aber dass Israel zu viele von denen rein lasse, "die gar keine richtigen Juden sind" - das regt ihn schon auf. Schließlich ist er vor allem gekommen, "um ein richtig jüdisches Leben zu führen". Und so ist es nicht eben einfach für ihn, sich die Wohnung mit zwei betagten Russinnen teilen zu müssen, die "sich nicht mal an die koscheren Speisevorschriften halten".

Koscher - das ist doch das Reizwort, mit dem in Deutschland die Leidenszeit von Dieter T. seinen Anfang genommen hatte. Als er das Wort "koscher" auf das Schaufenster seines kleinen Ladens in der Brunowstraße geklebt hatte, da fingen die Schikanen an. Koscher, hatte T. im vergangenen Sommer der FR in Berlin gesagt, "das musste offensichtlich immer doppelt bespuckt werden." Seine neue Heimat Israel hat T. noch religiöser werden lassen. Es ist ihm ein Bedürfnis, es ist sein Lebensweg. Es hat seine Logik. In Berlin, da hat er sich am Sabbath noch ins Auto gesetzt, um von Reinickendorf in die Synagoge nach Mitte zu fahren. Nun sieht er es strenger. Manchmal kann er daher nur den Kopf schütteln über die Zustände im Staate Israel, insbesondere im ausgesprochen säkularen Haifa, einer Stadt, in der das Motto gilt, leben und leben lassen. "Man kann doch nicht sagen, ich pflege das Orthodoxe und mach' nur die Hälfte", setzte T. sich als Devise. So hat er seine zuvor nur standesamtlich angetraute Ehefrau Hanna Sarah auch "richtig jüdisch geheiratet", als sie im Februar auf Besuch kam. "Wat ick vorher über den Glauben wusste, ist jarnischt im Vergleich zu dem, was ick hier gelernt habe", berichtet er.

Großes schwebt ihm gar noch vor, eine weitere Etappe auf seinem Lebensweg: Er will noch auf die Jeschiwa-Schule gehen und Rabbiner werden, wie sein Freund, der Rabbi Hausmann. Erst mal steht der Umzug an. Seine Gemeinde hat ihm eine bescheidene, aber eigene Mietwohnung weiter oben am Hang vermittelt, in einer Gegend, "die fast schon nobel ist."

So voller Pläne steckt T., dass mittlerweile alles für ihn einen höheren Sinn ergibt. Im Grunde, sagt er, sei er "nicht mal traurig, dass mein Laden kaputt jespielt worden ist". Und doch geht sein mühsam errungener Abstand verloren, als er noch einmal auf die böse Geschichte zu sprechen kommt. Sie handelt ja nicht nur von einer Hetzkampagne dumpfer Neonazis, es ging auch um das Versagen deutscher Behörden und den Mangel an Zivilcourage vieler Nachbarn. Sie handelt von der im Sande verlaufenen Täteranzeige, obwohl die antisemitischen Pöbeleien vor seinem Laden wochenlang anhielten. Und, ja, sie handelt auch vom Unverständnis seiner Umgebung, die der Ansicht war, dass er die Angriffe auf seinen Laden provoziert habe, in dem Moment, in dem er eine israelische Flagge zur Dekoration vor seinem Laden aushing. Als ob der Italiener an der Ecke mit seiner Fahne provozieren würde, hatte T. im Sommer 2003 gesagt, damals, als er noch Dieter mit Vornamen hieß. Damals, als sie in der Nachbarschaft die Flagge vor seinem Laden "Judenfahne" nannten.

Würde er Berlin einmal wieder besuchen? "Ja, sicher", erwidert Arieh T., "Deutschland ist Teil meines Lebens." Und er würde auch noch Spuren finden, die er hinterlassen hat, als er noch Dieter T. war. Der Laden in der Brunowstraße, sein Laden, steht immer noch leer. Es gab eine Zeit, in der man dort "Wurst" und "Käse" kaufen konnte. Noch immer prangen die Worte an jener eigentlich nur provisorisch geklebten Schaufensterscheibe, die sie ihm eingeschmissen haben, damals, im Frühsommer 2003, als niemand mehr beim Juden kaufen wollte.

Nicht nur ein koscheres Lebensmittelgeschäft mußte schließen:
Arabischer Antisemitismus in Berlin

Eine mir unbekannte Journalistenkollegin ruft an und will "ganz privat" wissen, wie ich "die Sache in Tegel" einschätze; gemeint ist die Schließung des koscheren Lebensmittelgeschäftes "Israel Deli"...

Bespuckt, Beleidigt, Boykottiert:
Ein deutscher Jude gibt auf

Berlin - die Stadt der Schwulen, der vielen Nationen und Kulturen, weltoffen und tolerant stellt sie sich zur Schau. Doch für einen kleinen Lebensmittelhändler, einem gläubigen Juden, ist in dieser Stadt offenbar kein Platz...

hagalil.com 06-10-2004

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