Nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen:
Ein seltsamer etablierter "Antifaschismus"
Von Max Brym
Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik
landete die SPD bei einer Landtagswahl im einstelligen Bereich. Dies
widerfuhr ihr erstmals in Sachsen am vergangenen Sonntag, mit 9.8%. Sie lag
damit nur knapp vor der rechtsextremistischen NPD, die 9,2% erreichte. In
Brandenburg verlor die SPD mehr als 7% der Stimmen, genau wie die CDU.
Fast 16% der Stimmen büßte die CDU in Sachsen
ein. Die Gewinner beider Wahlen war die PDS mit 28% in Brandenburg und 23,6%
der Stimmen in Sachsen. Zulegen konnte andererseits in beiden Bundesländern
der organisierte faschistische Mob in Gestalt der DVU mit 6,2% in
Brandenburg und der NPD mit sensationellen 9,2% in Sachsen.
Reaktionen auf die eigenen Verluste und den
Wahlerfolg der Nazis
Am Wahlabend zeigte sich der SPD Vorsitzende
Franz Müntefering mit dem Wahlergebnis zufrieden. Auch der Kanzler sah am
Montag "eine Trendwende zugunsten der SPD". Zusammenfassend kann
festgestellt werden, die SPD feierte eine hervorragende Niederlage. Es gibt
in bestimmten Regionen Fußballfans, die das müde Gekicke ihrer Truppe und
die damit verbundene Niederlage nicht mit Gejohle quittieren, sondern sich
selbst auf der Tribüne abfeiern. Zu dieser Kategorie von Fußballbetrachtern
gehört offensichtlich die SPD-Führung. Statt ihr Wahldesaster beim Namen zu
nennen wird aus einer neuerlichen Niederlage ein Sieg gemacht. Die Regierung
will Kurs halten weil es angeblich zu ihrer Konzeption des radikalen
Sozialabbaus keine Alternative gibt.
Nebenbei rufen die etablierten Parteiführer der
Koalition der sozialen Kälte aus SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP zu einem
"Aufstand" gegen die Rechtsradikalen auf. Ihre Begründung für diesen
"Aufstand der Anständigen" ist mehr als verdächtig. Hauptsächlich wird davor
gewarnt, dass das Ansehen Deutschlands im Ausland abnimmt. Es geht den
Herrschaften augenscheinlich nicht darum den Faschismus aus innerer
Überzeugung zu bekämpfen, sondern es geht um internationale Investitionen
und Exportchancen. Das unbedingte Festhalten an Hartz IV, die weitere
Absenkung des Rentenniveaus, die weitere Strangulierung des
Gesundheitssystems ermöglichen wie noch nie in der Bundesrepublik
nazistische Demagogie. Auch Heinrich Brüning nannte 1930 seinen Kurs, der
den Menschen das Blut aus den Zehen trieb, weil sie sich keine neuen Schuhe
kaufen konnten, unumgänglich. Die NSDAP als Partei der "konterrevolutionären
Verzweiflung" verstand dies auszunützen. Der in der deutschen Gesellschaft
weit verbreitete Antisemitismus wurde damals in der Nazipartei gebündelt
sowie mit sozialer Demagogie und wüstem Antikommunismus kombiniert. Den
damaligen Erfolg der Nazis ermöglichte die bürgerliche Mitte. Sie lieferte
die Steilvorlage für die soziale Demagogie der Nazis mit ihren
kanibalistischen Notverordnungen.
Und heute? Die NPD klebte in Sachsen Plakate mit
dem Slogan "Grenzen dicht". In CDU Wahlmaterialien stand zu lesen, "dass es
für kriminelle Ausländer in Sachsen keine Chance gibt" oder "bei uns werden
Geiselgangster erschossen". Seit Jahren erklärt Otto Schily und der
bayerische Innenminister Beckstein den "Asylbewerber" sowie andere
Emigranten zum "Problem". Das Asylrecht wurde faktisch abgeschafft und das
"Ausländergesetz" laufend verschärft. Diesen Gedankenstrang muss der
organisierte Faschismus nur radikalisieren und flugs ist er respektierlich
mit der Gedankenwelt in der Mitte der Gesellschaft verbunden. Der
Nazikandidat gilt am Wahltag als Original und nicht als Kopie. Zudem erklärt
die offizielle Parteienlandschaft die Naziparteien zu ernsthaften Gegnern
von Hartz IV. Mit dieser Lüge wird dem Nazismus ein Bärendienst erwiesen.
Die Nazis lehnen nicht Hartz IV sondern die
Emigranten ab
In sämtlichen neonazistischen Publikationen wird
nicht die soziale Umverteilung von unten nach oben kritisiert, sondern der
"Ausländer" der angeblich in der "deutschen sozialen Hängematte" liegt. Die
Rechten lehnen Hartz IV ab, weil es ihrer Meinung nach zuwenig den
"Nichtarier" trifft. Mit der Tatsache, dass es in Deutschland seit 1997
keine Vermögenssteuer mehr gibt und in vielen Kommunen die Hundesteuer eine
größere Einnahmequelle abgibt als die Gewerbesteuer, setzt sich kein Nazi
auseinander.
Auch nicht mit der Tatsache, dass das private
Geldvermögen der Deutschen vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden mit 3,9
Billionen Euro angegeben wird. Davon besitzen 775.000 Personen rund zwei
Drittel. Die Schicht der Kapitalbesitzer wird immer reicher und ihre
Steuerlast nahm in den letzten Jahren dramatisch ab. Mehr als 80% des
Gesamtsteueraufkommens wird von den Lohnabhängigen und Konsumenten erbracht.
Der Beitrag der Kapitalbesitzer liegt nur noch bei knapp 11%. Für den
nazistischen Demagogen ist hingegen der Arbeiter Ali oder der Gemüsehändler
Mehmed das Problem. Die Unzufriedenheit mit der Hartz IV-Regelung wird von
den etablierten Parteien auf die Agitation der Faschisten zurückgeführt. Das
ist eine paradoxe Veranstaltung, die nur den Nazis nützt.
Natürlich ist es gerechtfertigt, wenn ein
Langzeitarbeitsloser sich die Frage stellt, warum es ihm zugemutet wird, mit
einem Jahreseinkommen auszukommen, welches mit dem Preis einer einzigen
Damenhandtasche auf der Insel Sylt vergleichbar ist. Andererseits soll ihm
zugemutet werden, jede gesetzlich legale Arbeit anzunehmen, um den
Billiglohnsektor zu erweitern, was alle abhängig Beschäftigten unter Druck
setzt. Oder er hat Arbeit für 1 Euro in der Stunde zu verrichten. Die
Rechten sind für schärfere Zumutbarkeitsregelungen und erinnern (in vielen
Publikationen) an ihr großes Ideal den "Reichsarbeitsdienst" unter Hitler.
Der soziale Widerstand wird denunziert
Seit August gibt es in Deutschland
Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV und den Sozialabbau. Normalerweise
haben Nazis auf diesen Veranstaltungen keine Chance und in der Masse der
Städte gibt es klare Distanzierungen von faschistischen Kräften. Die
Kundgebungen, welche die Nazis alleine durchführten waren, was die
Teilnehmerzahl betrifft, ein absoluter Flop. Seit einiger Zeit versuchen
organisierte Faschisten bei den offiziellen Montagsdemonstrationen
mitzumischen. Meist wurden sie aus den Demonstrationen gedrängt und
vertrieben.
Am vergangenen Montag ermöglichte die Polizei in
Magdeburg, unter Knüppeleinsatz gegen Nazigegner, die Teilnahme von Nazis an
der Montagsdemonstration. Seit einige Wochen erzwingt die Polizei unter
Drohungen, die Teilnahme von wenigen Nazis an verschiedenen
Montagsdemonstrationen. Dabei beruft sich die Polizei auf das
Versammlungsrecht und bedroht mit diversen Paragraphen die Nazigegner. Auch
am Münchner Marienplatz sollte am Montag, den 20. September, eine Gruppe aus
dem Umfeld des inhaftierten Naziterroristen Martin Wiese (er sitzt wegen
einem geplanten Bombenanschlag auf das neue jüdische Kulturzentrum) nach
Aussagen der polizeilichen Einsatzleitung die Möglichkeit erhalten, sich an
der Kundgebung auf der Montagsdemonstration zu beteiligen. Dennoch wurde die
Nazigruppe abgedrängt.
Der Einsatzleiter der Polizei bedrohte mehrmals
den Versammlungsleiter der Montagsdemonstration mit dem Argument: "Halten
Sie ihre Leute im Zaum sonst muß ich ihre angemeldete Kundgebung auflösen".
Die Kundgebung konnte dennoch abgehalten werden und die Nazis wurden an den
Rand gedrängt, wo sie von Polizeikräften beschützt wurden.
Gerne hätte man Sozialisten und Faschisten
vereint auf Demonstrationen, um die alte perfide Ungeheuerlichkeit "Links
ist gleich Rechts" abzubilden. Das liegt auf der Linie von Frau Merkel, die
am Wahlabend meinte: "Ich bin erschrocken über die Stärke der linken und
rechten Extremisten". Auch das ist ein Bärendienst für die Nazis, denn wer
die PDS (sowie die Linke insgesamt) mit der NPD gleichsetzt verharmlost und
entsorgt den Nazismus. Zudem ist es eine Ungeheuerlichkeit, die linken Opfer
des Faschismus mit den nazistischen Tätern gleichzustellen.
hagalil.com
22-09-2004 |