Tendenziöse Berichterstattung:
Der Londoner "Guardian" berichtet über Israel
Von
Karl Pfeifer
Unter
dem Titel "Ein neuer Antisemitismus?" erschien 2003 in London ein
Sammelband (1), in dem u.a. Universitätsprofessor Peter Pulzer (2) seriöse
britische Medien unter die Lupe nahm. Während eines zweiwöchigen
Aufenthaltes Anfang September in Großbritannien erfuhr ich, wie gültig seine
Analyse nach wie vor ist.
Pulzer zitiert Seumas
Milne, der sich im Guardian vehement gegen die "Verleumdung" stellte,
dass "linke oder liberale Unterstützung der Rechte der Palästinenser
irgendwie verbunden wäre mit antijüdischen Rassismus". Milne meinte, das sei
"eine absurde Verunglimpfung, die für den brutalen Krieg Israels zur
Unterjochung [der Palästinenser] benützt wird." (3)
Was nützt es, dass
maßgebliche jüdische und israelische Persönlichkeiten durchaus das
selbstverständliche Recht zur Kritik an Israel bejahen.
So
meinte Großbritanniens Oberrabbiner
Dr. Jonathan Sacks, "No democratic state is entitled to consider itself
beyond reproach, and Israel is a democracy."
(Guardian, 28. Feb 2002) Israels Botschafter
in Berlin äußerte sich ähnlich in der "Süddeutschen Zeitung" am 17.4. 2002.
Die Journalistin Barbara Amiel, die von vielen als unkritische Apologetin
des Zionismus betrachtet wird, erklärte im Daily Telegraph am 4.3.2002:
"Yes, it is possible to
be anti-Israel both in general and vis-à-vis specific policies
without being anti-semitic."
All das wird einfach
zur Seite geschoben, um sich selbst und allen anderen zu bestätigen, dass
der antiisraelische Diskurs überhaupt nichts mit Antisemitismus zu tun
hätte.
Pulzer folgert:
"It is not, as they claim, the fear of being thought antisemitic: that
characterizes their coverage of these issues, but the fear of appearing
unsufficiently pro-Palestinian." (4)
Die Voreingenommenheit
des Guardian gegen Israel hat auch die bekannte britische
Journalistin Julie Burchill vermerkt, als sie begründete, weshalb sie den
Guardian verließ, um für die Times zu arbeiten. Hier nur ein
Auszug aus einem längeren Artikel:
"Ich bewundere nicht
nur den Guardian, ich finde es auch ein Vergnügen darin zu lesen, was
irgendwie mehr als ein Kompliment ist. Aber wenn es irgendeine Sache gab,
die mich letztes Jahr weniger loyal fühlen ließ meiner Zeitung gegenüber,
dann war das, was ich als Nichtjüdin, als eine ganz schlagende
Voreingenommenheit gegen den Staat Israel wahrnahm. Der mit allen seinen
Fehlern in dieser öden Region das einzige Land ist, in dem sie oder ich,
oder irgendeine Feministin, Atheist, Homosexueller oder Gewerkschafter leben
könnte." (5)
Auffallend ist, dass
einige Israelis im Guardian bei einer solchen voreingenommenen
Berichterstattung eine Rolle spielen. Bereits am ersten Tag meines
Aufenthaltes in Großbritannien fand ich einen Artikel der israelischen
Journalisten Daphna Baram, die eine Lieblingsthese der palästinensischen
Führung sowie der israelischen Links- und Rechtsextremisten wiederholt,
wonach es in Israel keinen Unterschied zwischen links und rechts gibt und
Ariel Sharon der Inbegriff des Bösen ist:
"Regardless of his bravado, it is now doubtful whether Sharon can deliver
the goods to his American masters." (6)
Und sie sieht schon eine neue politische Allianz zwischen den Anhängern von
Sharon im Likud, der Arbeiterpartei und Shinui.
"This will give an
organisational framework to the political consensus and class interests of
Israel's influential pro-American middle class."
Baram schreibt auch
über die "sogenannte Linke", die Sharons Plan zum Abzug aus dem Gazastreifen
unterstützt. Und
sie resümiert:
"The battle over withdrawal delineates the real demarcation lines separating
the pragmatic expansionists from the fundamental expansionists. But the
referee back in the White House, will call the final shots."
Kein Zufall, dass eine
so altbackene aus der Zeit des kalten Krieges bekannte vulgärmarxistische
Analyse ihren Weg in den Guardian findet. Denn der oben erwähnte Seumas
Milne, Redakteur der Kommentarseite des links-liberalen Guardian
meinte, die Linke "needs
to police the line between anti-Zionism and anti-Semitism taking into
account Jewish sensitivities".
Wenn es also keine jüdische Sensitivität gäbe – dürfen wir folgern –
müsste man in der Berichterstattung über den Nahen Osten den Antisemitismus
nicht vermeiden. Dann würden auch keine Inserate israelischer Akademiker in
dieser Zeitung erscheinen, die behaupten, Israel würde einen Transfer, bzw.
eine "ethnische Säuberung" vorbereiten.
Ein Kritiker dieses
Textes verglich die Rolle, die Intellektuelle wie Baram spielen mit der
Rolle von jüdischen Konvertiten, die während des Mittelalters von der
katholischen Kirche gegen die jüdische Gemeinden eingesetzt wurden.
Meiner Meinung nach ist
das Phänomen gewisser realitätsferner Intellektuellen weit verbreitet und
keine jüdische oder israelische Besonderheit. Kein geringerer als George
Orwell hat sich in seinem im Dezember 1940 publizierten meisterhaften Essay
"The Lion and the
Unicorn", mit diesen linken und
liberalen intellektuellen Zeitgenossen, die in der Stunde als sein Land
allein als Bastion gegen den in Europa siegreichen Faschismus stand,
Defätismus betrieben, auseinandergesetzt.
"The mentality of the English
left-wing intelligentsia can be studied in half a dozen weekly and monthly
papers. The immediately striking thing about all these papers is their
generally negative, querulous attitude, their complete lack at all times of
any constructive suggestion. There is little in them except the
irresponsible carping of people who have never been and never expect to be
in a position of power. Another marked characteristic is the emotional
shallowness of people who live in a world of ideas and have little contact
with physical reality."
Wer, wie Daphna Baram
behauptet, es gäbe keinen Unterschied zwischen den israelischen Linken und
den Rechten, beweist damit, jede Beziehung zur Realität verloren zu haben.
Die israelische Linke
hat das Abkommen von Oslo gegen den wütenden Protest der Rechten
geschlossen. In Camp David war Ehud Barak bereit, auf die meisten Siedlungen
in Judea und Samaria zu verzichten und für die 3-5% dieses Gebiets, das in
israelischer Hand bleiben sollte, einen Bevölkerungsaustausch anzubieten.
Außerdem akzeptierte Barak, dass der größte Teil von Ostjerusalem unter
palästinensische Verwaltung gestellt wird.
Tatsächlich gibt es auch in Israel eine kleine Gruppe von Intellektuellen,
die kein gutes Haar an ihrem Land lassen und die wahrscheinlich gerade
deswegen im Ausland und vom Ausland publiziert werden. Wenn diese
israelische Journalistin die gesamte israelische Gesellschaft verteufelt,
dann schadet sie natürlich vor allem der israelischen Friedensbewegung, die
sich gegen die ungerechtfertigten Angriffe der Rechten wehren muss und der
dann die postzionistischen hemmungslosen Übertreibungen zur Last gelegt
werden.
Einige Redakteure des
Guardian sehen bei der Berichterstattung über Israel und seine
Nachbarn ihre Aufgabe in erster Linie als "Kampf für die Rechte der
Palästinenser". Sicher kein Zufall, dass man einer kleinen Gruppe von
postzionistischen Intellektuellen, die im eigenen Land fast nichts zu melden
haben, weil ihre Realitätsferne keine Überzeugungskraft ausstrahlt, breiten
Raum für Agitation bietet.
Ariel Scharon wird von
Baram und ihren Gesinnungsgenossen anders wahrgenommen, als von der Mehrheit
der Israeli, die ihn gewählt haben. Gerade, die Tatsache, dass er ein
pragmatischer Politiker ist, der auf die Stimmung im Lande achtet und
deswegen auch bereit ist, die Siedlungen im Gazastreifen zu räumen, wird ihm
vorgeworfen. Fakt ist auch, dass es Scharon (mit tatkräftigem Einsatz der
Sicherheitskräfte) gelungen ist, den todbringenden Terror einzudämmen. Auch
das irritiert einige dieser Intellektuellen, sagten sie doch voraus, dass
die israelische Gesellschaft unter den Schlägen des palästinensischen
Terrors zusammenbrechen wird.
Am 15.9.
2004
fand ich im Guardian
auf Seite 2 die zweispaltige Meldung
"Britons held after Israel raid blunder / Muslim women strip-searched before
being freed by judge". Der
nicht gerade israelfreundliche
"Evening Standard"
berichtete kurz und lakonisch:
"MUSLIM groups have called on the Government to make an official protest
after three British women were strip-searched by Israeli police who burst
into their hotel room at night. Hajira Qureshi, 20, Samra Ghafoor 28 and
Amina Shaikh, 28, were arrested at gunpoint on Friday and told to leave
Israel yesterday despite no charges being brought against them. They were in
Israel to visit holy sites and help a charity for Palestinian children."
Wer im Guardian
nur den Titel liest, glaubt, eine Horde israelischer Polizisten hat diese
Frauen nackt ausgezogen und durchsucht. Doch im Text können wir dann lesen,
dass sie von einer israelischen Polizistin ohne Beisein von Männern
durchsucht wurden. Die Journalisten des Guardian lässt Ms. Ghafoor, Lehrerin
in einer Volksschule in London bitter bemerken: "Die behandeln uns nur
deswegen so, weil wir Muslime sind", ohne der Fairness halber – die doch
Briten etwas bedeuten soll – zu bemerken, dass zwei britische Muslime einen
tödlichen Anschlag in Israel durchführten.
Da kommt Massoud
Shadjareh, Vorsitzender einer islamischen Menschenrechtskommission zu Wort,
der das Foreign Office auffordert, wegen der Behandlung dieser Frauen
offiziell in Israel zu protestieren:
"It is outrageous and racist
not to allow British Muslims to support Palestinians while British Jews can
show their support for Israelis be going to kibutzs."
Immerhin gab es keinen
Fall, in dem britische Juden in das Gebiet der PA fuhren, um dort einen
Terroranschlag zu verüben.
Für den "Guardian" ist
die Tatsache, dass bei den Damen keine Waffen und kein Sprengstoff gefunden
wurde schon der Beweis dafür, dass sie nichts böses im Schilde führten und
sich nur an Wohltätigkeit in Nablus üben wollten und das Vorgehen der
Polizei wurde deswegen als "Schnitzer" disqualifiziert. Die Tatsache, dass
die palästinensische Terrororganisationen sich als "Wohltätigkeitsvereine"
tarnen spielt in dem Bericht keine Rolle. Es ist natürlich keineswegs
"rassistisch" wenn die israelischen Sicherheitsbehörden britische Muslime,
die Israel besuchen, überprüfen. "Guardian" beschwert sich darüber, dass die
Damen die Beweise der Polizei nicht einsehen konnten. Der Richter hat ihre
Freilassung mit der Begründung angeordnet, dass er ihnen "keinen Schaden
zufügen" will, aber ihre Ausweisung verordnet.
Einige Seiten nach
dieser groß aufgemachten Meldung fand ich eine ganz kleine Meldung über
einen Vorfall in Großbritannien:"Investigation
into arrest of Muslim student", die
ganz vorsichtig formuliert ist, denn die Polizei hat bei einem 19jährigen
muslimischen Jurastudenten eine Waffe mit Klinge
("bladed weapon")
gefunden. Guardian gibt in indirekter Rede, die Behauptung des Studenten
wieder, dass er von den Polizisten "angeblich grob behandelt" wurde.
Diese
Ungleichbehandlung vergleichbarer Vorgänge im Guardian weist
ebenfalls darauf hin, dass in der Berichterstattung über Israel eine gewisse
Voreingenommenheit herrscht. Weil hier die Idee transportiert wird, dass die
Nahostpolitik mit schwarz-weiß Malerei geschildert werden kann und soll, mit
einer Seite als Unterdrücker und der anderen als ausschließlichem Opfer,
kommt es dabei auch immer wieder zur Wiederbelebung von alten Vorurteilen.
Und all das wird begleitet von der präventiven Leugnung jeder
antisemitischen Intention. Gleichzeitig wird suggeriert, dass die
israelische Politik und sogar die Existenz Israel viele der Weltprobleme,
inklusive den 11. September und das Attentat auf Bali verursacht haben.
Anmerkungen:
1) "A New
Antisemitism? / Debating Judeophobia in 21ST-Century Britain",
Profile Books, London, 2003, ISBN 1 86197 651 8
2) Peter Pulzer taught Politics and Modern History at Oxford
University from 1957 to 1996, latterly as Gladstone Professor of Government
and Fellow of All Souls College and has held visiting professorships at
various American and German universities. He is author of "The Rise of
Political Anti-Semitism in Germany and Austria (1988), "Jews and the German
State: The Political History of a Minority (1992) and works on British,
German and international politics. He is Chairman of the Leo Baeck
Institute, London, and a member of the Executive of the Wiener Library and
of the Institute for Jewish Policy Research.
3) Seumas Milne, "This slur of anti-Semitism is used to defend repression",
Guardian, 9 May 2002
4) Siehe zu Israel:
http://www.honestreporting.com/articles/45884734/critiques
/Whos_Watching_the_Guardian$.asp
Zu Beslan:
'In at least one respect the coverage was too restrained for a few readers.
Several took strong objection to the use of the term "militants" rather than
"terrorists" to describe the hostage-takers, the immediate perpetrators of
the atrocity. These complaints were provoked in particular by a heading
across the top of two pictures from the hostage-takers' video: "Inside
terror school - Film taken by militants shows hostages' desperate plight".'
http://www.buzzle.com/editorials/9-11-2004-59170.asp
5)
http://www.guardian.co.uk/
Columnists/Column/0,5673,1094420,00.html
6) Daphna Baram: "A sham at the
heart of Israel / Sharon has shown the conflict between left and right to be
bogus" The Guardian, September 1, 2004
http://www.guardian.co.uk/comment
/story/0,3604,1294421,00.html
hagalil.com
19-09-2004 |