Hochsommer:
Treffpunkt Totes MeerSchimschi Zahubi, Haifa
Im Hochsommer ans Tote Meer, das kann man mit
einer Wanderung auf den Mount Everest im Winter vergleichen. Anders
betrachtet kann kaum eine Krankheit übel genug sein, um einen Besuch des
Toten Meeres, mitten im August zu rechtfertigen.
Dennoch - trotz aller Warnungen, man sitzt im Auto und
rollt von Haifa aus in nördliche Richtung, rund um die "Gebiete" herum, bis
ins Jordantal, mit dem Zwischenziel - Jericho - vor Augen. Der heiße Wind
braust durch die geöffneten Fenster, und föhnt die längst getrockneten Haare
ein weiteres Mal. Von Beth-Sch'an an wird eine weitere Heizstufe zugelegt.
Nun reicht es! Alle Fenster werden geschlossen, die Klimaanlage wird
eingeschaltet, langsam beginnt das Hirn ein Arbeitsklima vorzufinden mit dem
sich leben lässt. Diese Schönheit des Landes vertreibt sämtliche
Befürchtungen, man könnte sich durch diese Reise einer Gefahr aussetzen. Die
erste Strassenverkehrs-kontrolle, von Soldaten ausgeführt, erinnert jedoch
daran.
Kaum Verkehr. Man wird verunsichert. Ist man vielleicht
doch schwer krank? Ist diese Krankheit der Grund, mitten im Hochsommer ans
Tote Meer zu wollen? Wo sind denn alle anderen? Sind die etwa mental
gesünder? Oder, eben nur der Meinung, gesünder zu sein, sozusagen, normal.
Kurz und gut, man muss verrückt sein, um mitten im August
,ohne Grund ans Tote Meer zu fahren. Diese Reflexionen bringen nicht weiter.
Der rechte Fuß auf dem Gaspedal jedoch ist in dieser Hinsicht produktiver.
Sanfte Hügel, vergammelte Ortschaften, auf Esel reitende Fellachen, hier
sieht es aus, als wäre man im Orient angekommen, den man vielleicht in Tel
Aviv nirgendwo finden konnte. Grell orange lackierte Taxis der
palästinensischen Mitbürger und immer wieder israelische Militärfahrzeuge,
dazwischen ein Polizeiauto, alles hat seine Ordnung. Die Fahrt geht weiter.
Die Umgehungsstrasse um Jericho herum, durch ein kaum bewohntes
Wüstengebiet. Im Dunst der Ferne die Häuser von Jericho. Und plötzlich
dieser blaue Klecks in der Senke: Das Tote Meer.
Eine Weggabelung. Rechts nach Eilat, links nach "Einfahrt verboten". Die
Hügel der Wüste von Judäa, mittendrin Qumran. Eine aufgegebene Siedlung am
ehemaligen Strand zum Toten Meer. Das Wasser ist verdunstet, jetzt ist der
Strand davongelaufen. Hinter einigen Palmen, ein paar Flachbauten, große
Werbetafeln, Strand für Familien, für Nudisten, für Erholungshungrige,
Duschen, Wasserrutschbahn, Rasenflächen, eine Oase neben der nächsten. Doch
es sind nur Badeanlagen, die den bescheidenen Ansprüchen der Tagesausflügler
entsprechen. Die umfangreiche Erholungsanlage, das "SPA", erreicht man nach
weiteren, kurvenreichen vierzig Kilometern, bei En Gedi. Auf dem großen
Parkplatz stellt man sein Auto in der Sonne ab, packt seine Utensilien für
die Freuden des Strandlebens ein, Sonnencreme, Wasserflaschen, Badelatschen
und bewegt sich auf die Kasse zu, um der freundlichen Dame umgerechnet zehn
Euro in die Hand zu drücken. Jetzt öffnet sich die Schatztruhe, zwei
Schwefelbecken, ein Schwimmbad, ein Transporttraktor an den Strand, und
viele Menschen, die das Schicksal mit einem teilen. Die Schönheiten aus den
Katalogen haben heute frei. Hier trifft sich der normale Mensch, der also
doch, gar nicht verrückt, mitten im Hochsommer, ans Tote Meer gefunden hat,
um sich etwas "Gutes" zu gönnen. Hat man sich erst den großen Zeh im heißen
Wasser des Toten Meeres verbrüht, dann genießt man das handwarme Wasser im
Schwimmbecken. Ist man vom Geschrei der überglücklichen Kinder überdrüssig,
dann erfreut man sich an der Ruhe im Schwefelbad. Meint man, etwa Held sein
zu müssen, dann steigt man dennoch ins Tote Meer und hockt seinen Leib in
die Suppe, die einen nicht ertrinken lässt. Ein Hut auf dem Kopf,
Trinkwasser in der Nähe, der Rettungsschwimmer in Sichtweite - denn es gibt
das Unglück, einen Spritzer ins Auge, oder in den Mund zu bekommen, und
seiner Hilfe zu bedürfen. Nun, man spürt ein wenig Paradies, sobald man aus
der Suppe unter die Dusche rennt, sobald man seine Füße vom heißen Boden in
die Badelatschen einfädelt, sobald man wieder ins Schwimmbecken hüpft, kurz
und gut, es ist einfach unglaublich schön, sobald der Schmerz nachlässt.
Und wem all dies zu hektisch erscheint, der bucht ein paar
Tage im Luxushotel von En Bokek und wagt das Bad im Toten Meer unterm
Sternenhimmel. Ein Komet, der über den Horizont huscht, das üppige Essen im
Hotel, das tatsächlich kalte Wasser im Schwimmbecken, das weiche Bett, und
plötzlich glaubt man, den Sündenfall hätte es nie gegeben, denn man sei wohl
wirklich im Paradies angekommen.
hagalil.com
31-08-2004 |