60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes:
In Polen wartet man voll Misstrauen auf Gerhard
Schröder
Streit über Vertriebenenzentrum
und Entschädigungsforderungen - dem Bundeskanzler muss in Warschau
schon etwas einfallen, wenn er die Ängste der Polen beruhigen will
Von Gabriele Lesser
Versöhnendes Händehalten über Soldatengräbern
gehören nicht zum politischen Stil von Bundeskanzler Schröder. Das
hatte er schon auf seinem ersten Polenbesuch vor gut sechs Jahren
gesagt. Klartext wolle er reden und Realpolitik machen. In Polen kam
das nicht gut an. "Die Deutschen wollen ihre Geschichte vergessen",
hörten viele aus der Rede heraus.
Zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes wird
Schröder genau das tun, was er immer vermeiden wollte: Kränze
niederlegen, eine Trauerrede halten, eine historische Geste machen.
Für ihn und die Regierung steht viel auf dem Spiel: die
Glaubwürdigkeit der Deutschen. In den letzten Wochen und Monaten ist
sie leichtfertig aufs Spiel gesetzt worden. Die immer lauter
werdenden Forderungen der Vertriebenverbände nach Eigentumsrückgabe
und Entschädigung ließen in Polen alte Ängste aufbrechen, was von
den meisten Deutschen aber kaum registriert wurde. Ewiggestrige sind
schließlich eher eine politische Randerscheinung.
So verstanden viele Deutsche auch die Stoßrichtung
des "Zentrums gegen Vertreibungen" nicht, das, wie es die
Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, einmal
formulierte "in geschichtlicher und räumlicher Nähe" zum
Holocaust-Mahnmal angesiedelt werden solle. Steinbach: "Im Grunde
genommen ergänzen sich die Themen Juden und Vertriebene miteinander.
Dieser entmenschte Rassenwahn hier wie dort, der soll auch Thema in
unserem Zentrum sein."
Als dann auch noch zwei Vertriebenenverbände die
Preußische Treuhand gründeten, sich als "Prussian Claims Society"
deklarierten und wie die Jewish Claims Conference Sammelklagen
ankündigten, war das Maß für die meisten voll. Mit welchem Recht,
fragten sie, stellten die Vertriebenen sich selbst an die Seite der
Juden, die Polen aber an die Seite der Nazis?
In Deutschland stellten sich bekannte
Persönlichkeiten an die Seite Steinbachs. Ganz vorn dabei Peter
Glotz, dessen Vater, wie der SPD-Politiker einst schrieb, "der
Besitzer eines kleinen arisierten Betriebes für Gasmasken" und "ein
unbedeutendes, ungläubiges Parteimitglied der Nazis" gewesen sei.
Glotz und andere forderten von Warschau die Einhaltung der
Menschenrechte. Die Reaktionen in Polen waren hysterisch, was
wiederum viele Deutsche nicht mehr verstanden.
Vor kurzem wurde schließlich bekannt, dass das
Bundesamt für Lastenausgleich in Bad Homburg begonnen hat, die
Entschädigungszahlungen an Spätaussiedler zu überprüfen. Wer nicht
nachweisen kann, dass er tatsächlich sein Haus oder Grundstück bei
der Ausreise verloren hat, muss rund 4.600 Euro an den Bund
zurückzahlen. Da zahlreiche Alteigentümer noch immer im polnischen
Grundbuch eingetragen sind, gelten sie rein rechtlich auch heute
noch als Eigentümer.
Schröder wird es daher schwer fallen, ein Klima des
Vertrauens zu schaffen. Für viele Polen scheint nun klar, dass der
deutsche Staat sich hinter die Forderungen der Preußischen Treuhand
gestellt hat. Wenn Schröder in Warschau nur wiederholt, dass die
Regierung keine Forderungen stellen werde, dies aber Privatpersonen
nicht verbieten könne, wird sich am polnischen Misstrauen nichts
ändern. Wenn er aber sagt, dass Entschädigungsforderungen der
Vertriebenen nicht an Polen, sondern an Berlin zu richten seien,
würde dies das Verhältnis zwischen Polen und Deutschland
entkrampfen. Doch dies hätte politische, juristische und finanzielle
Konsequenzen, die noch nicht abzusehen sind.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der taz - die tageszeitung
taz muss sein:
Was ist Ihnen die
Internetausgabe der taz wert?
© Contrapress media GmbH
Vervielfältigung nur mit Genehmigung des taz-Verlags
haGalil onLine
01-08-2004 |