Heß-Gedenkmarsch:
Wieder in Wunsiedel
Tausende Neonazis aus ganz Europa werden
am 21. August zum Heß-Gedenkmarsch in Wunsiedel erwartet
Von Arthur Leone
Jungle World 34 v.
11.08.2004
Es ist wieder August. Seit 17 Jahren marschieren in dem
schönen Sommermonat Neonazis zu Ehren von Rudolf Heß im bayerischen
Wunsiedel auf. Dort liegt der frühere Stellvertreter Adolf Hitlers begraben.
Die Stadt ist nicht erfreut über das, was ihr zweiter Bürgermeister,
Matthias Popp (CSU), die "Jahreshauptversammlung der Rechtsextremisten"
nennt.
Dass sich der Ort einmal im Jahr "quasi im
Belagerungszustand" befinde, könne man ja noch verdrängen, sagte er der
Jungle World. Problematischer sei aber die Langzeitwirkung auf das Image
Wunsiedels, klagt Popp. Der Aufmarsch der Rechten wiege in der
Berichterstattung schwerer als die 120 000 Besucher der "Luisenfestspiele".
Dabei hatte man zumindest in Wunsiedel bis zum Jahr 2001 neun
Jahre lang Ruhe vor den Neonazis. Nach dem Selbstmord von Heß am 17. August
1987 im Kriegsverbrechergefängnis Spandau marschierte bis zum Jahr 1989 nur
der harte Kern der deutschen Neonaziszene durch die Stadt. Im nationalen
Taumel der deutschen Einheit kamen 1990 jedoch mehr als 1000 Neonazis, was
damals selbst die Organisatoren überraschte.
Seit 1991 gelang es jedoch nicht mehr, die erlassenen
Demonstrationsverbote gerichtlich aufheben zu lassen. So mussten die
Neonazis in den neunziger Jahren vor der Polizei und den Antifas in andere
Orte, am Ende sogar ins Ausland, ausweichen. 1994 geriet der Aufmarsch zu
einem Desaster. 180 Neonazis, die vor der deutschen Botschaft in Luxemburg
demonstrieren wollten, wurden festgenommen und nach Deutschland abgeschoben.
Die Teilnehmerzahl nahm in den darauffolgenden Jahren kontinuierlich ab.
Die Wende kam mit dem so genannten Aufstand der Anständigen
im Jahr 2000. Das zivilgesellschaftliche und regierungsamtliche Engagement
gegen den Rechtsextremismus führte einerseits zu Umbrüchen in der autonomen
Antifa. Viele Aktivisten wandten sich verstärkt anderen Themen zu.
Andererseits geriet die NPD unter Druck, weil das Verbotsverfahren gegen die
Partei anlief. Sie hielt sich beim Anmelden und Organisieren großer
Aufmärsche zurück.
Das nahmen parteiunabhängige "Freie Nationalisten" wie etwa
Christian Worch zum Anlass, auch ohne den Schutz durch das Parteienprivileg
eigene Aufmärsche anzumelden. Worch schrieb im Forum des "freien
Widerstandes": "Womit die NPD nicht gerechnet hat, war der Umstand, dass
parteifreie Kräfte schon lange bereit waren, unser eigenes
Demonstrationsrecht nötigenfalls auch einmal vor dem Karlsruher
Höchstgericht durchzusetzen."
Eine Reihe von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, in
denen Demonstrationsverbote aufgehoben wurden, führte schließlich dazu, dass
die Neonazis im Jahr 2001 wieder zu einem Aufmarsch in Wunsiedel aufriefen,
weil sie davon ausgingen, dass ein Demonstrationsverbot vor Gericht nicht
standhalten würde. Am Ende marschierten wieder 900 Nazis durch Wunsiedel,
während gleichzeitig an drei weiteren Orten Aufmärsche stattfanden.
So entwickelte sich der Heß-Aufmarsch wieder zu einem der
wichtigsten Ereignisse im Veranstaltungskalender der Neonazis – mit Musik,
Gulaschkanone und Bratwurststand. Im Vergleich mit den Neonaziaktionen am
13. Februar in Dresden, dem Jahrestag der Bombardierung der Stadt durch die
Alliierten, dem alljährlichen Pressefest der NPD, das immer wieder in einer
anderen Stadt stattfindet, und der jährlichen Kundgebung am Soldatenfriedhof
im brandenburgischen Halbe hat der Aufmarsch in Wunsiedel etwas Besonderes:
Hier treffen sich Rechtsextremisten aus ganz Europa.
Anfang der neunziger Jahre stießen die Heß-Aufmärsche noch
auf einen großen Widerstand der Antifa. Gegen den Aufmarsch im Jahr 1990
waren 2500 Antifas auf der Straße. Doch das Interesse flaute ab. Dieses Jahr
gibt es zum ersten Mal wieder den Versuch, Antifas aus ganz Deutschland nach
Wunsiedel zu locken.
In dem Aufruf zur Kundgebung der Kampagne "NS-Verherrlichung
stoppen!" heißt es: "Für dieses Jahr muss es uns darum gehen, in der Region
Fuß zu fassen, ein politisches Symbol gegen den Heß-Marsch zu setzen und
eine Perspektive für die antifaschistische Arbeit der nächsten Jahre zu
eröffnen." Ein jährliches Treffen mehrerer tausend Neonazis könne man nicht
hinnehmen, wenn die Antifa nicht "jede Glaubwürdigkeit verlieren" wolle.
Ein Bündnis aus DKP, der Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) und verschiedenen
Antifa-Gruppen will nahe der Demoroute der Neonazis eine Kundgebung
abhalten, außerdem soll es eine Podiumsdiskussion zum Thema
Täter-Opfer-Umkehr in der gegenwärtigen Gedenkkultur geben. Darüberhinaus
bleibe "die genaue Ausgestaltung des Widerstands gegen den Heß-Marsch" den
"mobilisierenden und anreisenden AntifaschistInnen" überlassen, heißt es im
Aufruf.
Auch die Stadt Wunsiedel plant eine Kundgebung, auf der neben
dem Bürgermeister und dem Landrat das Bündnis für Demokratie auftreten soll.
Eine Jugendinitiative will die "Nazis lächerlich machen", indem sie
Transparente aufhängt und nach dem Aufmarsch symbolisch "den braunen Dreck"
von der Straße fegt.
Bürgermeister Popp hofft jedoch, den Neonaziaufmarsch
mittelfristig auf ganz andere Weise loszuwerden. Juristisch gesehen sei der
Imageschaden ein "interessanter Ansatz". Popp setzt auf Bundesinnenminister
Otto Schily und dessen Pläne zur Einschränkung des Versammlungsrechtes.
Schily plant eine Gesetzesnovelle, nach der etwa rechtsextreme Aufmärsche
vor Gedenkstätten, die an die Ermordung der Juden im Nationalsozialismus
erinnern, verboten werden können.
Eigentlich wollte die Stadt Wunsiedel in diesem Jahr sogar
einen "Versammlungsrechtstag" ausrichten, auf dem Vertreter von Städten und
Gemeinden sich darüber austauschen wollten, wie mit solchen Aufmärschen
umgegangen werden könne. Das Bundesinnenministerium und das bayerische
Innenministerium baten die Stadt jedoch darum, darauf zu verzichten, wohl
aus Rücksicht auf Schilys Initiative zur Änderung des Versammlungsgesetzes.
Infos unter
www.ns-verherrlichung-stoppen.tk
hagalil.com 16-08-2004 |