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10. Jahrestagung der Union progressiver Juden:
Liberales Judentum heute

Von Gudrun Wilhelmy

Zum zehnten Male treffen sich liberale Juden zu einer Jahrestagung und in diesem Jahr wird am letzten Tag unter den Delegierten diskutiert, ob man eine Klage gegen den Zentralrat einreichen will oder nicht. Anders als durch die Presse und auch in innerjüdischen Kreisen häufig festgestellt, wurde bisher mit einer Klage gedroht, nicht mehr und nicht weniger.

In diesen Kontext passt der vom Festredner, dem Landesrabbiner Dr. Henry Brandt, gehaltene Vortrag über "Verantwortung als Grundsatz jüdischen Lebens" zur Beleuchtung des Konfliktes um Geld und Einfluss auf der Basis der Lehre der Tora und des Talmud. Und dies war bei weitem keine Abschiedsrede als scheidender Landesrabbiner zum Ende des Monats, sondern die Worte eines Mannes, der sich selbst in noch vielen möglichen Funktionen, unter anderem auch im Zentralrat als Referent für den Interkonfessionellen Dialog sieht.

Zwar kommt das Wort "Verantwortung" in der Torah nicht vor und ist eine sprachliche Neubildung in Ivrit. Andererseits, so führte Brandt aus, begleiten Fragen nach ihrer Verantwortung die menschliche Existenz seit Beginn. Verantwortung stelle uns in Beziehung zum anderen und zu anderen. Der andere ist dabei immer jener, der anders ist, anders denkt, sich vom Subjekt des Betrachters unterscheidet. Das der Betrachter selbst, auch immer der andere ist, blieb in diesem Kontext ausgespart.

Auf die Geschichte Abrahams bezogen, zeigt auch die Aussage "Du sollst ein Segen sein", das es hier um die unmittelbare Beziehung zum anderen geht. Das Tun oder auch die Unterlassung kommen hier zum Tragen und benötigt die ethische Wegweisung, sich für den anderen in gleichem Maße verantwortlich zu fühlen, wie für sich selbst.

Für die Zeiten, in denen Juden ausschließlich oder überwiegend in Ghettos lebten, bezog sich die Verantwortung dem anderen gegenüber ausschließlich auf Juden. Der Ausschluss aus der Mehrheitsgesellschaft und -kultur, schaffte ein Klima für eine hohe Verantwortung innerhalb einer jüdischen Gemeinde und gegenüber dem jüdischen Volk. Dies zeigte sich beispielsweise im Freikauf von jüdischen Sklaven oder in der Unterstützung von jüdischen Verfolgten.

Doch Verantwortung in Freiheit, so wie die meisten Juden heute leben können und selbstverständlich leben, erweitert den auf sich selbst gerichteten Blickraum und die ganze Gesellschaft und wandelt sich immer mehr zu einer Verantwortung für die Mehrheitsgesellschaften, in denen Juden leben. Dafür steht ein feststehenden Begriff: tikkun olam. Aus der innerjüdischen Verantwortung wird eine sich globalisierende und globalisierte, die sich in einer soziale Ethik ausdrückt, in einem Verhalten in Hilfsbereitschaft und Verantwortung für den anderen als ethisch-zwischenmenschliches Gebot.

Aber hier sei die jüdische Stimme noch viel zu selten zu hören, als ein gleichberechtigter Teil innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft. Brandt nannte als Beispiel die medizin-ethischen Fragen unserer Zeit. Aber es gibt dafür auch ganz andere Beispiele. So ist die jüdische Stimme, und dies wird von vielen mit Erschrecken festgestellt. Auch bei Fragen des Kirchenasyls für flüchtige von Abschiebung bedrohte Menschen in Deutschland ist die jüdische Stimme nicht zu hören. Das Drama der 37 Flüchtlinge und Schiffbrüchigen und die Rettungsversuche der Crew auf der Cap Anamur, werden ebenso wenig von jüdischer Seite, und gerade hier liegen doch eigene Erfahrungen gar nicht so weit zurück, nicht kommentiert, als nehme man hier den anderen gar nicht wahr.

Streit und Feindbilder seien die am wenigstens nützlichen Mittel etwas zu erreichen, führte Brandt weiter aus, sondern die Stärke des Judentums bestand immer in einem gelebten, lebendigen Pluralismus. Eine besondere Verhaltensweise bestand und besteht auch darin, wenige zu sein und für viele Krach zu schlagen. Doch ohne die Aufforderung zu vergessen "Liebt den Frieden und jagt ihm nach!" im Blick zu behalten, als Maxime zur Lösung von auch innerjüdischen Problemen, werden sich schwerlich Einigungen erzielen lassen. Es geht darum, im Rahmen jüdischer Traditionen, die sich auf Tora und Talmud stützen, und nicht allein auf mittelalterliche Schriften, auch gemeinsam und ohne personalisierten Streit und Anwürfe, miteinander zu reden und um mögliche Lösungen zu streiten. Das Bild, dass Brandt dabei wählte, wurde sofort verstanden: In einem vollbesetzten Boot sitzen Jüdinnen und Juden dicht gedrängt zusammen. Plötzlich beginnt einer unter seinem Sitz ein Loch in das Boot zu bohren. Die anderen schreien empört auf: "Was machst du da?" Worauf dieser antwortet "Ich mache es unter MEINEM Sitz."

Eine Bemerkung am Rande sei erlaubt. Bei der Akkreditierung mussten Journalisten unterschreiben, dass sie nur dann persönliche Namen nennen und die Personen zitieren dürfen, wenn sich die Personen einverstanden erklären. Eigentlich eine journalistische Selbstverständlichkeit, aber hierin drückt sich zum einen Angst aus, das in aller Öffentlichkeit innerjüdische Auseinandersetzungen breitgetreten werden. Es wird sich zeigen, ob Medienvertreter nur von solchen Nachrichten leben (müssen oder können), in denen innerjüdische ungelöste Konflikte in aller Öffentlichkeit breitgetreten werden. Rabbiner Brandt hat mir die Erlaubnis erteilt, über seine Festrede zu schreiben. Morgen werden die Workshop-Besucher entscheiden, ob ich daran teilnehmen kann. Die Berichterstattung wird, in diesem Falle schwieriger oder unmöglich werden, aber es stehen genügend Interview-Partner zur Verfügung. Wenn es tikkun olam dient, will ich damit mehr als zufrieden sein.

Im Internet:
Die Union progressiver Juden in Deutschland

10. Jahrestagung der Union progressiver Juden:
Podium der Generationen

Keine Klage gegen Zentralrat:
Verhandlungen sind die bessere Alternative

hagalil.com 18-07-2004

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