Warum die Araber Israels nicht wirklich etwas gegen den
Sicherheitszaun unternehmen Von Yair Ettinger,
Ha’aretz
Am Montagmittag letzter Woche, dem dritten Streiktag, strahlte die Sonne
heiß auf das Demonstrationszelt im A-Ram Bezirk im Norden Jerusalems. Unter
der gelben Plane des Zeltes neben dem kulturellen Zentrum A-Rasi sitzen
Gäste und Aktivisten. Einige tragen Armbinden, auf denen auf Arabisch
„Hungerstreik“ steht. Aus einem kleinen Lautsprecher im Zelt dringen
gellende Klänge von palästinensischen nationalistischen Liedern.
Der Hungerstreik und das Zeltlager, die der israelische
Knessetabgeordnete Azmi Bishara der arabischen Partei Balad initiierte,
stießen auf großes Interesse bei Anhängern der Fatah, Vertretern des
palästinensischen Parlaments und linken israelischen Aktivisten, die sich zu
den Streikenden hinzugesellen. Hunderte waren angereist, um sie willkommen
zu heißen, unter anderem eine Delegation der Einwohner im sogenannten
„Dreieck“, einem Teil Israels im Norden des Landes, in dem mehrheitlich
israelische Araber leben, nicht weit entfernt von der grünen Linie zum
benachbarten Westjordanland. Auch eine Delegation von Neture Karta Avrech
(Jeshiwa Studenten) aus Jerusalem ist gekommen, deren Schilder „Aufhören mit
dem Nazi-Ghetto-Zaun“ manche in Verlegenheit brachten.
Palästinensische und internationale Medien haben viel darüber
berichtet. Der Abgeordnete des israelischen Parlaments, der sich nur von
Wasser und Salz ernährt hat, wurde als Held empfangen. „Empfangt sie mit
Beifall“ sagt er, als Kinder eines Sommerlagers aus dem palästinensischen
Dorf Anata in der Schlange stehen, um ihn zu begrüßen.
„Ich werde nicht damit aufhören, es ist ernst“, erklärte Bishara, „ich mache
weiter bis zum Schluss“. Bisharas erklärtes Ziel ist weder das
„Apartheid-Regime in Israel zu stürzen“ noch ein Ende des Zaunbaus
herbeizuführen. Sein Ziel ist, weltweit Druck auf die israelische Regierung
auszuüben, auch von Seiten der israelischen Gesellschaft; die Leute in
Jerusalem sollen aktiviert werden, um Ministerpräsidenten Sharon unter Druck
zu setzen. „Die ganze Welt ist mit der Frage beschäftigt, ob er den
Gazastreifen räumt oder nicht, aber das wichtigste passiert hier, die
Trennung und die Abriegelung“, so Bishara.
In den Tagen seit dem Urteilsspruch des Obersten Gerichtshofes und dem
Urteilsspruch in Den Haag ist der Zaun wieder zu einem heißen politischen
Thema geworden, vor allem in den Medien. Der Koordinator der
„palästinensischen Kampagne gegen den Apartheid-Zaun” Aber Gamal Gumaha ist
einer von 25 Personen, die sich im Laufe der Woche zu den Hungerstreikenden
hinzugesellt hat. Er ist überzeugt, dass es sich nicht um eine einmalige
Demonstration handelt, bei der sich eine arabische Partei aus Israel bemüht,
gegen die Trennung vorzugehen. „In der letzten Zeit haben wir bemerkt, dass
es seitens der Araber in Israel viel mehr Interesse gibt, sich mit uns
solidarisch zu erklären. Menschen fragen uns, was sie machen können“, sagt
Gumaha. „Jetzt geht’s erst richtig los. Menschen werden verstehen, dass der
Zaun auch die Beziehungen zwischen Palästinensern beider Seiten des Zauns
beeinflussen würde, was die Kontinuität der Beziehungen zwischen den beiden
betrifft, die Kultur, die Gemeinde, das palästinensische Volk als ein Volk“.
Es gibt niemanden, der bestreitet, dass sich die Beziehungen zwischen der
israelisch-arabischen Bevölkerung und der palästinensischen in einer
kritischen Lage befinden, hauptsächlich wegen des Zauns. Es ist daher klar,
warum die arabischen Rechtsanwälte aus Israel das juristische Team gegen den
Zaun anführen, und warum einige der Abgeordneten wie Muhammad Baraka und
Ahamed Tibi regelmäßig an Demonstrationen gegen den Zaun teilnehmen.
Aber es ist auch rätselhaft, warum es von arabischer Seite so aussieht, als
sei der Zaun ein palästinensisches Problem, während die Abgeordneten in den
Medien auftreten und nach dem Urteilspruch aus Den Haag die Regierung mit
ihren Hungerstreiks stürzen wollen. In Wadi Ara steht der Zaun bereits ein
Jahr und veränderte dort sowohl die wirtschaftliche Situation als auch die
familiären Beziehungen, aber außer zwei Demonstrationen mit wenigen
Teilnehmern, die in Baka el Garbia im Februar diesen Jahres stattfanden, gab
es keine Demonstrationen, Proteste oder Petitionen der arabischen Anwohner
bezüglich des Zauns. Es ist erstaunlich, dass die Menschen von Wadi Ara
nicht demonstriert haben, sagt auch der arabische Abgeordnete bedauernd: „Es
war sehr schwer, Menschen gegen den Zaun zu mobilisieren.“
Die jüdischen und arabischen Aktivisten unter den Demonstranten gegen den
Zaun beschweren sich über die arabischen politischen Parteien: „Wir
erwarten, dass viel mehr getan wird“, sagt Gumaha „viel mehr Aktionen müssen
dort (in den arabischen Orten in Israel, Anm. d. Red.) veranstaltet werden,
um das Bewusstein der Bevölkerung zu wecken, Gruppen müssen kommen und rund
um den Zaun laufen, um den Zustand zu sehen und Solidarität zu zeigen“.
Hulud Badui, die für den Verband für Bürgerrechte recherchiert, schätzt,
dass die Zahl der arabischen Aktivisten, die aus Israel kommen, um an den
Demonstrationen gegen den Zaun teilzunehmen, auf Einhundert. Viele davon
gehören den arabischen Parteien an (z.B. Hadash), die mit den
palästinensischen Organisationen zusammenarbeiten oder zu den linken
Organisationen, die gegen den Zaun sind, Juden und Andere wie „Anarchisten
gegen den Zaun“ oder „Koalition der Frauen für den Frieden“.
„Die Palästinenser in den besetzten Gebieten sind tief enttäuscht, dass die
Palästinenser, die israelische Staatsbürger sind, nicht gegen dieses Unrecht
kämpfen“, sagt Badui. „Es ist nicht wegen des Gefühls, alleine gelassen zu
werden, sondern wegen der Einsicht, dass der Zaun viele Auswirkungen auf die
Palästinenser in Israel haben und dass dies die Geschichte des ganzen
palästinensischen Volks erneut prägen wird.
Es gibt mehr als eine Antwort, warum die arabisch-israelische Demonstration
bezüglich des Zauns so schwach und unsicher ist, oder eigentlich nicht
existiert: eine Führungskrise in der arabischen Gesellschaft, eine
schläfrige politische Aktivität, das Gefühl von Verzweiflung, denn seit
Oktober 2000 zögern viele Araber, zu demonstrieren oder eine nationale
Position zu beziehen.
MdK Ahmed Tibi (Hadash/Ta’al) meint, dass das Hauptproblem der Konsens in
der israelischen Gesellschaft bezüglich des Zauns ist, sei es von Rechts
oder Links. Jeder, der das palästinensische Leid nicht unmittelbar
miterlebt, glaubt an die Idee der Israelis und arabischer Bürger, als ob der
Zaun eine wunderbringende Lösung sei, die diesen Konflikt beenden wird. Es
ist nutzlos und irreführend, aber manche der Bürger denken das wirklich.“
Das Interessanteste ist, dass die arabisch-israelische Bevölkerung die
Bewegung gegen den Zaun in der öffentlichen politischen Diskussion nicht
unterstützt. Die Frage ist, wie es passieren konnte, dass die Isolierung der
Dörfer des arabischen Dreiecks von den palästinensischen Dörfern innerhalb
Israels ohne Reaktion von den Arabern der westlichen Seite geblieben ist?
Der Zaun hat keinen israelisch-arabischen Protest erweckt, auch wenn die
nördliche Seite 2002-2003 gebaut wurde. Die Ortschaften dieses arabischen
Dreiecks in Israel sind nach 36 Jahren intensiver Verbindung von
palästinensischen Orten isoliert worden. Wie konnte es passieren, dass
einerseits Araber gegen den Zaun aktiv sind und andererseits manche
Bauarbeiter des Zaunes Araber waren? Wie kam es dazu, dass der Grenzzaun
weiter östlich auf palästinensisches Gebiet hin verschoben wurde?
Gibt es wirklich israelische Araber, die für die Trennung sind? Nur anonym
hat ein bekannter Araber, Bewohner des „Dreiecks“, zugegeben: „Es stimmt,
dass die arabische Öffentlichkeit ein Friedensabkommen will, aber abgesehen
von dieser politischen Dimension sind 99% der Araber in Israel der Meinung,
dass der Zaun eine positive Sache ist. Er hat alle illegalen Versuche
verhindert, nach Israel einzudringen und den Diebstahl gestoppt. Die
Wirtschaft hier blüht auf: Millionen, die in palästinensische Städte
investiert wurden, können jetzt in Wadi Ara investiert werden. Vergessen Sie
nicht, dass die arabischen Einwohner in Israel anders als die Palästinenser
sind. Das arabische Publikum hat eine andere Lebensweise“. Dieser Vertreter,
der nicht genannt werden will, ist nicht der Einzige, der so denkt. „Es gibt
Leute, die sagen, ‚Gott sei Dank, dass wir die Verantwortung für sie los
sind’“, erklärt ein Journalist und Einwohner von in Um el Fahem.
Es ist schwer, zwischen den anonymen Stellungnahmen und zwischen den
Stellungnahmen Tibis und Bisharas eine „arabische Position“ zur Trennung zu
erkennen. Aber außer der offiziellen Position hat bisher nur eine politische
Persönlichkeit öffentlich ihre zurückhaltende Position bezüglich des Zaunes
erklärt: Sheikh Hasham Abd A-Rahman, der Bürgermeister von Um el Fahem. Im
Januar hatte er Ha’aretz gesagt, seit der Teil des Zauns gegenüber seiner
Stadt vor einigen Monaten gebaut wurde, „schlafen die Bürger besser. Sie
fühlen sich sicherer, niemand läuft durch ihr Land oder ihre Häuser, es
explodieren keine Sprengsätze und ihr Leben ist nicht mehr in ständiger
Gefahr“. Seine Meinung ist differenziert: Er ist für den Zaun, aber nur,
solange er der Grünen Linie folgt und nur wenn sich auf diese Weise eine
palästinensische Bewegung aufbaut.
Wie viele in Um el Fahem steht auch er unter dem Eindruck des schweren
Schadens, der durch die Intifada entstanden ist, als Attentäter aus Jenin
kamen, um Anschläge in Israel zu verüben. Der Ruf der Stadt war zerstört,
sodass die Einwohner schon anfingen, sich mit falschen Adressen
vorzustellen. „Aber kein Zaun kann mich von meinem Volk trennen“, sagt der
Sheikh, der in den vergangenen Monaten für eine jüdisch-arabische
Wirtschaftskooperation im Wadi Ara tätig ist, „aber auch ich will
Sicherheit, auch ich will in Frieden leben. Seitdem die Regierung den Zaun
gebaut hat, sind keine Attentäter durch Um el Fachem gezogen“.
Ähnliche Worte hört man bei Gesprächen in den Straßen von Um el Fahem und
Baqa al Garbiya („Hätte man die Mauer nur sechs Meter höher gebaut“, sagte
am Donnerstag ein Einwohner eines arabischen Ortes), aber als Sheikh Hasham
sich öffentlich dazu geäußert hatte, lösten diese ein Erdbeben innerhalb der
arabischen Öffentlichkeit aus. Daraufhin schreibt Sheikh Ra’ed Salah, Leiter
der Islamischen Bewegung Nord in Israel, schnell einen scharfen Brief gegen
den Zaun. Sheikh Hasham bleibt mit seiner Position alleine zurück,
jedenfalls zunächst.
Gamal Gumaha hat nie gehört, dass arabische Israelis für den Zaun sind. Aber
wenn man ihm erzählt, was andere darüber gesagt haben, verbirgt er nicht
seine Enttäuschung: „Das liegt bestimmt daran, dass einige nicht richtig
informiert sind“, und nach einer kurzen Pause wird er wütend: „Das ist nicht
gerecht. Ich fühle mich schlecht, wenn ich so etwas höre. Das ist eine
egoistische Haltung. Wo ist das Mitgefühl für die Anderen? Wissen
diejenigen, die so reden, was ein Zaun für die Palästinenser bedeutet? Was
hat er ihnen alles zerstört, er deprimiert sie, nimmt ihnen Land und
Quellen? Das Leben der Palästinenser wird zerstört. Sie werden in einem
Ghetto leben. Ich denke nicht, dass man gut schlafen kann, nachdem dies
passiert ist.“
(Ha’aretz, 11. Juli 2004 / israel.de)
International Court of Justice - Press Release
Summary
of the Advisory Opinion of 090704
Urteil von beispielloser Schärfe:
Sagt nicht
Antisemitismus!
Sind wir doch mal ehrlich: Wir machten aus dem so wichtigen Zaun eine
politische Angelegenheit, und dafür mussten wir jetzt bezahlen. Wir müssen
gar nicht bis nach Haag gehen. Es genügt, den Gazastreifen zu betrachten,
die Grenze zum Libanon und das Oberste Gericht in Jerusalem...
Confused and disappointed:
The
courts and the fence/wall
Two courts ruled on Israel's security fence
project within a period of ten days. The difference between the two rulings
is no less than cosmic, thereby demonstrating just how relative justice can
be...
Gutachten des Internationalen Gerichtshofes:
"Illegaler Mauerbau"
Der Bau des Zauns ist illegal, sagt der Gerichtshof, da er einen politischen
Präzedenzfall für zukünftige Grenzen zwischen Israel und dem zukünftigen
Staat Palästina schaffe...
Entscheidung zum Trennungszaun:
Es
gibt Richter in Den Haag
Haaretz bringt die beiden Begebenheiten auf ihrer Titelseite: den 100.
Todestag von Theodor Herzl und das Urteil des Internationalen Gerichtshofes
( ICJ), der den israelischen Trennungswall für illegal erklärte...
Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat die israelische
Sicherheitsanlage erwartungsgemäß für rechtswidrig erklärt. Er forderte
die israelische Regierung auf, die
Arbeiten
östlich der "grünen Linie" einzustellen und Palästinenser zu
entschädigen, die durch den Bau Nachteile erlitten haben.
Israel verteidigt die Anlage als notwendig zum Schutz gegen palästinensische
Terroristen. Der israelische Justizminister erklärte, für Israel seien nur
die Entscheidungen seines eigenen obersten Gerichtes maßgeblich. Israel will
dem Gutachten aus Den Haag nicht Folge leisten.
hagalil.com
20-07-2004 |