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Im Juli 2003 mußte Dieter T. sein koscheres Lebensmittelgeschäft nach fortgesetzten antisemitischen Übergriffen schließen. Nachdem haGalil online mehrfach darüber berichtet hatte, begannen auch die Jungle World, die Frankfurter Rundschau und das Fernsehmagazin Kontraste das Thema aufzugreifen. Ansonsten blieb es in der deutschen Medienlandschaft auffallend still. Erst im April 2004 als in Berlin die OSZE-Konferenz zum Thema Antisemitismus stattfand, haben viele Medien unter dem Stichwort "arabischer Antisemitismus" in einem Nebensatz die Schließung des Ladens erwähnt.
[Anm. Red. haGalil onLine]

"Als ich ankam, hatte ich nur drei Koffer dabei":
Ari T. in Haifa

Heike Runge und Kerstin Eschrich sprachen für Jungle World 32 v. 28. Juli 2004 mit ihm.

Sie sind in Berlin geboren und haben immer dort gelebt. Im Alter von 60 Jahren haben Sie einen Neuanfang gewagt. Mit welchen Gefühlen, sind Sie nach Israel gekommen?

Als ich den Anruf von Sochnut (Jewish Agency; H.R.) bekam, dass meine Einreisedokumente und mein Ticket da sind, ging plötzlich alles sehr schnell. Die sagten mir, jetzt geht’s ab, und ich wusste, jetzt verlasse ich Deutschland, jetzt verlasse ich meine Heimat. Man ist einfach sehr nervös. Am Flughafen wartete jemand von Sochnut auf mich, setzte mich in ein Taxi und gab dem Fahrer den Auftrag, mich in einem Hotel in Haifa abzuliefern.

Sie hatten keine Kontakte, keine Verwandtschaft?

Nein, und ich konnte mich nicht verständigen. Ich spreche kein Englisch und verstand kein Wort Hebräisch. Die ersten Wochen hier waren sehr schwierig für mich. »Was mache ich hier überhaupt?« habe ich mich gefragt. In Deutschland wollten sie dich nicht, und hier in Israel mögen sie dich nicht – das war so die Stimmung.

Sie wurden als jüdischer Geschäftsmann in Berlin über ein Jahr lang regelrecht terrorisiert. War diese Erfahrung ausschlaggebend für den Entschluss, Deutschland zu verlassen?

Nein, aber dass ich zu diesem Zeitpunkt gegangen bin, hatte damit zu tun. Dass ich irgendwann nach Israel gehe, habe ich schon meiner Mutter versprechen müssen. Meine Frau und ich haben immer daran festgehalten, aber wir wollten natürlich zusammen auswandern. Als ich dann das Geschäft aufgeben musste, hat meine Frau zu mir gesagt: "Du hast all die Jahre für uns gesorgt, jetzt bin ich dran. Geh du jetzt, und ich komme später nach."

Ihre Frau lebt noch in Berlin?

Ja, und wenn man über 30 Jahre zusammengelebt hat, ist so eine Trennung schon eine schwierige Sache. Sie muss ja noch die Schulden abarbeiten, die der Laden gemacht hat. Das kann noch zwei, drei Jahre dauern.

In der Zeit des Nationalsozialismus hat Ihre Mutter Sie verstecken können. Viele Ihrer Familienangehörigen sind im KZ ermordet worden. Später in der DDR mussten Sie ihr Judentum verleugnen. Nach der Wende sprach man in Berlin zwar schon von einer Renaissance jüdischen Lebens, aber Ihr Geschäft hatte keine Chance. Haben Sie sich in Deutschland jemals sicher gefühlt?

Zu mir haben sie in der Schule noch "Judenschwein" gesagt. Und wenn ich zuletzt durch die Müllerstraße im Wedding gegangen bin, bin ich immer mit irgendjemandem zusammengerasselt, ich hatte schon Schwierigkeiten, mich als frommer Jude durch die Stadt zu bewegen, ohne angepöbelt zu werden. In der Nachbarschaft gab es diese Anfeindungen allerdings nicht. Wir waren eine leise Familie. Wenn die anderen Mieter die Mesuse (kleines Röhrchen, in dem ein Stück der Thora-Rolle aufbewahrt wird; H.R.) gesehen haben, konnten sie es sich natürlich denken, dass wir Juden sind. Und wenn einer so gekleidet ist wie ich, mit Hut und Anzug, weiß man ohnehin Bescheid.

Ihr Lebensmittelgeschäft in der Brunostraße bestand seit mehreren Jahren. Erst als es koscher wurde, begannen die Angriffe.

Ich hatte das Geschäft insgesamt acht Jahre. Zuerst war es ein ganz normaler Laden. Koscher war er lediglich die letzten eineinhalb Jahre. Mein Rabbiner hatte die Idee dazu gehabt. Es ging darum, mehr jüdische Geschäfte im Norden der Stadt zu schaffen, denn es gibt ja auch viele jüdische Bürger in der Gegend, die sich aber nicht so zeigten, wie ich das getan habe. Für mich stand sofort fest: Das mache ich. Der Laden wurde neu gestaltet, es gab koscheres Fleisch, israelische Produkte, eigentlich hatte ich alles, was ein jüdischer Mensch zum Leben braucht. Der Laden war längst zu einem Treffpunkt geworden. Da kamen Christen, Muslime und Juden rein, Alkoholiker, Kinder. Ich habe auch ein paar Mal Religionsunterricht in meinem Laden abgehalten und mit den Schülern über das Judentum gesprochen.

Nach einem halben Jahr begannen die Schikanen.

Ich habe meinen Laden immer schon sehr früh morgens aufgemacht. Oft standen dann die Neonazis schon mit dem Auto vor der Tür und haben von der anderen Straßenseite gepöbelt. Sie sind nie gewalttätig gegen mich geworden, aber es nervte. Dann wurde vor die Türe gekackt oder uriniert, die Scheiben wurden beschmiert, bespuckt. Der Laden wurde unappetitlich. Ob ich da selbst einkaufen gegangen wäre? Manche Kunden haben mir gesagt, dass sie einfach Angst haben, hier weiter einzukaufen oder einen Kaffee zu trinken. Und ich kann das auch verstehen.

Gab es auch Reaktionen, die Sie nicht verstanden haben?

Die Bezirksbürgermeisterin hat gesagt, wenn ich so aggressiv die jüdische Fahne raushänge, dann muss ich mich nicht wundern. Also bin ich es, der aggressiv ist?

Welche Vermutungen haben Sie über die Täter?

Es gab die Neonazis, die morgens vor der Tür gestanden haben. Aber das war nicht die einzige Gruppe. Es gab auch die arabisch sprechenden Jugendlichen, die im Laufe des Tages kamen. Es gab diese ganz Jungen, die mir auch die Fahne heruntergerissen haben. In der Polizeiakte steht, dass die Täter nicht ermittelbar seien. Ich habe es auch irgendwann aufgegeben, nach jedem Vorfall die Polizei zu rufen. Der Staatsschutz hatte zugesagt, dass verstärkt Streife gefahren würde, aber davon habe ich dann nichts bemerkt. Es ist auch sicher schwierig, einen Laden rund um die Uhr zu schützen.

Ist Deutschland für Sie ein abgeschlossenes Kapitel?

Ich habe noch einen Pass, falls mal was ist. Aber ich fühle mich inzwischen sehr wohl hier.

Würden Sie sich als orthodox bezeichnen?

Ja. Ich habe schon immer in Deutschland gedacht, ich bin fromm. Aber das ist hier alles noch mal ganz anders. Hier erlebt man, was Frömmigkeit ist, aber man muss das erlernen, und ich denke, ich packe das ganz gut.

Gibt es auch Dinge, die Sie vermissen?

Ich habe alles verkauft, den Daimler, die beiden Computer, um meine Schulden zu bezahlen. Als ich hier ankam, hatte ich lediglich drei Koffer dabei. Mein Lebensstandard ist hier ein ganz anderer als in Berlin. Ich wohne in einem Zimmer in einer Wohnung, die noch von zwei Neueinwanderinnen aus Russland bewohnt wird. Beide sind schon über 80.

Wie verständigen Sie sich miteinander?

Das ist schwierig.

Haben Sie manchmal Angst vor Anschlägen?

Nein, ich fühle mich eigentlich sicher. In den Bussen und Geschäften wird inzwischen viel kontrolliert. Außerdem ist es so, dass die meisten Anschläge in Jerusalem oder Tel Aviv verübt werden, nicht in Haifa.

hagalil.com 29-07-2004

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