Europawahlen und Kommunalwahlen am 13. Juni:
Woher kommen die nazistischen Wahlerfolge?
Von Max Brym
Mit 21,5% hat die SPD ihr schlechtestes Wahlergebnis seit
1945 in Deutschland eingefahren. Das Institut Allensbach bescheinigt der SPD
einen "Identitätsverlust, der zum Machtverlust führen wird". Insgesamt
verlor die SPD gegenüber den letzten Europawahlen 2,8 Millionen Wähler. In
den neuen Bundesländern rangiert sie klar hinter der PDS.
Ihr schlechtestes Wahlergebnis erzielte die SPD in Sachsen
mit 11,9%. Zum Teil sind die Ergebnisse der SPD anläßlich der Kommunalwahlen
in einigen Bundesländern noch katastrophaler. Die klassische Klientel der
SPD, die Arbeiter und Arbeitslosen straften die Partei am deutlichsten ab.
Die Masse der ehemaligen SPD-Wähler verweigert sich dem Wahlgang, eine
Hinwendung zu anderen Parteien fand jedoch nur partiell statt. Auch die
CDU/CSU verlor gegenüber 1999 rund eine Million Wähler. Leitartikler und
Kommentatoren sprechen in den Medien von einer um sich greifenden
Politikverdrossenheit. Diese Diagnose ist falsch und oberflächlich. In
Wahrheit handelt es sich um eine Parteiverdrossenheit, nach einer Studie des
"Allensbach Institutes" empfinden 73% der Menschen in Deutschland "die
gegebene Wirtschafts- und Sozialpolitik als sozial ungerecht".
Unter dieser ziemlich richtigen Einschätzung leidet besonders
die SPD, aber auch die Union. Die Grünen hingegen können ihre Anhängerschaft
aus der Intelligenz und dem neuen Mittelstand mobilisieren. Von der
Rentenkürzung, der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe dem
finanziellen Abenteuer eines Arztbesuches ist die Klientel der Grünen nur
partiell betroffen. Ähnliches gilt für die FDP mit ihrer soziologischen
Basis. Diesen Leuten reicht der Katalog sozialer Grausamkeiten noch nicht.
Die PDS hingegen konnte Gewinne verbuchen, schaffte locker den Sprung in das
Europaparlament und ließ die SPD bei den Landtagswahlen in Thüringen mit 26
zu 14,5% weit hinter sich. Die Ankündigung der PDS, soziale Politik zu
machen, zahlte sich aus. Allerdings nicht in Berlin und in
Mecklenburg-Vorpommern, in diesen beiden Bundesländern gibt es eine SPD-PDS
Koalition und demzufolge eine Politik, die den sozial Schwachen schadet. In
den genannten Bundesländern verlor die PDS zusammen mit der SPD an Stimmen,
allerdings die PDS nicht so dramatisch wie der große Koalitionspartner.
Schröder - "Weiter so"
Schröder erklärte nach den Wahlen: "Ich kann und werde keine
andere Politik betreiben". SPD-Chef Müntefering nannte die Sache mit den
fehlenden SPD Wählern ein "Mentalitätsproblem". Damit vollzog Müntefering
eine Wende, hieß es einst die SPD hätte ein Vermittlungsproblem, so ist es
jetzt ein "Mentalitätsproblem". Damit wird der Wähler endgültig zum
begriffsstutzigen Wesen erklärt. Solange von einem Vermittlungsproblem
gesprochen wurde, sagte man nur, "ihr begreift uns noch nicht ganz richtig,
aber das werden wir schon hinkriegen", wenn es ein "Mentalitätsproblem" ist,
"dann kann mit euch nichts mehr gemacht werden".
Schröder ließ sich am Dienstag, den 15. Juni von BDI-Chef
Rogowski ermuntern, "an seinem Kurs festzuhalten". Klar dem BDI-Boß paßt der
gelockerte Kündigungsschutz, der neue Billiglohnsektor und die Tatsache,
dass sich nur Deutschland und Österreich (entwickelte Industriestaaten) den
Luxus erlauben, keine Vermögenssteuer zu erheben. Die Herrschaften verstehen
sich, wobei Herrn Rogowski das Schicksal der SPD egal ist, es geht um
Kapitalverwertung. Die Regierung wie die Opposition haben den Anspruch
Arbeitslosigkeit zu beseitigen aufgegeben, die neue Religion ist, "es geht
nicht anders" oder "wir führen einen Überlebenskampf in einer globalisierten
Welt", dabei gilt es für Deutschland "den Platz an der Sonne" zu gewinnen.
Dazu ist der Gürtel enger zu schnallen und es wird nationale Hingabe
eingefordert. Allerdings hat eine nationale Standortagitation das Problem,
kalt, ökonomistisch und technokratisch zu erscheinen. Der Propaganda fehlt
das Pathos, sie gibt dem Gemüt nichts, dem "Standortlogiker" fehlt das
Fleisch, um das chauvinistische Knochengerüst attraktiv erscheinen zu
lassen. In diese Lücke stößt der parteipolitisch organisierte Nazismus in
Gestalt der Republikaner und der NPD.
Nazistische Wahlerfolge
Die schon längst totgesagten Republikaner verbesserten ihr
Europawahlergebnis von 1,7 auf 1,9%. Auf den ersten Blick erscheint das
nicht dramatisch zu sein. Diese Einschätzung muß sofort korrigiert werden,
wenn das Kommunalwahlergebnis der Republikaner in Chemnitz betrachtet wird,
dort erreichten die "Republikaner" 10,3%. Der organisierte Nazismus und
Rechtspopulismus hat regionale Zentren, in ihrer alten Hochburg Rosenheim
kamen die Republikaner wieder auf über 5%. Generell muß festgehalten werden,
die faschistischen Gruppierungen legten überall zu und erzielten anläßlich
der Kommunalwahlen teils erschreckend hohe Ergebnisse. Die NPD bekam zu den
Europawahlen in Deutschland mehr als 200.000 Stimmen. In Prozenten
ausgedrückt sind das 0,9% und ein Zugewinn von hunderttausend Stimmen.
Besonders stark ist die NPD bei den Kommunalwahlen in Sachsen geworden. Mit
über 4,1% ist das sogenannte "Nationale Bündnis" in Dresden mit drei
Abgeordneten in den Stadtrat gekommen. In der "Sächsischen Schweiz" erzielte
die NPD Ergebnisse, die sich nur mit den Ergebnissen der NSDAP Ende der
zwanziger Jahren vergleichen lassen. In der Gemeinde Königstein erhielt die
NPD 21,1%, in Sebnitz 13,2% und der absolute Spitzenwert wurde in dem Nest
Reinharsdsdorf-Schönau mit 25,2% erreicht. Die PDS erreichte in
Reinhardsdorf-Schönau 20% und die SPD trat gar nicht erst zu den
Kommunalwahlen in dem Ort an.
Für den sächsischen Verfassungsschutz sind die Erfolge der
Faschisten "nicht überraschend", "vor allem in ihrer Hochburg der
Sächsischen Schweiz", seien Rechtsextremisten in der Mitte der Gesellschaft
integriert". In Teilen Sachsens scheint die Strategie der NPD der "National
Befreiten Zonen" aufgegangen zu sein. In einem Papier des jetzt in München
lebenden Wolfgang Bendel (geschrieben Anfang der neunziger Jahre) wurde
diese Strategie entwickelt. Bendel schlug eine lokale Konzentration der
Nazigruppen vor, in Anlehnung oder Umdrehung von Gramsci, wollte er eine
kulturellen Hegemonie der Nazis erreichen. Diese Hegemonie wurde in vielen
Teilen Ostdeutschlands Realität, Ausländer werden gejagt, geschlagen und
wenn möglich umgebracht. Natürlich sind jüdische Friedhöfe ein besonderes
Anschlagsziel der "kulturellen Hegemonisten". Die Existenz solcher Gebiete
wird der bundesdeutschen Öffentlichkeit seit Jahren vorenthalten, statt
dessen wirbt die "Sächsische Schweiz" mit ihren touristischen Möglichkeiten.
Es wäre allerdings ein Trugschluß, die Erfolge der NPD auf Ostdeutschland zu
beschränken, in der saarländischen Stadt Völklingen bekam die NPD bei den
Kommunalwahlen 10% der Stimmen.
Woher kommt der Erfolg der Nazis?
Dieses Thema kann hier nur angerissen werden. Prinzipiell
profitiert der Nazismus von drei Phänomenen. 1. Die gegebene Politik predigt
den "Wirtschaftsliberalismus". Prinzipien, "wie jeder ist sich selbst der
nächste" oder "der stärkere frißt den Schwächeren", werden direkt aus der
Ökonomie in den Bereich der Ideologie übertragen. Daran knüpft der Nazismus
an, er muß das Ganze nur weiter treiben und rassistisch verabsolutieren. 2.
Immer mehr Leuten geht es in Deutschland wirtschaftlich schlechter, es
findet eine reale Umverteilung von Unten nach Oben statt. Dies ermöglicht
den Nazis offene Ohren in Puncto sozialer Demagogie zu finden.
Selbstverständlich ist für den Nazi der "Ausländer" der "Schmarotzer" und
besonders der "Jude" verantwortlich für die Verwerfungen des
kapitalistischen Weltmarktes. Hier kann der Nazismus auf verbreitete
"Verschwörungstheorien" setzen und verkürzte "Kapitalismuskritiken"
benützen. Die Nazis geben sich als soziale Opposition aus, dies ermöglicht
u.a. die Regierungspolitik. 3. In Deutschland gibt es einen weitverbreiteten
rassistischen Grundkonsens. Die Union führt offen rassistische Kampagnen
durch (früher Doppelpaß, heute z.B. EU Beitritt der Türkei, "islamische
Gefahr" usw.), während Innenminister Schilly Abschiebemaßnahmen gegen
Asylbewerber und Flüchtlinge von Monat zu Monat intensiviert. Den Nazis
kommt dieses Klima entgegen, sie geben sich in Sachen Rassismus als Original
und nicht als Kopie aus. Seit Jahren sagt jede seriöse Untersuchung, dass
zwischen 15 und 20% der Bundesbürger ein relativ geschlossenes
antisemitisches Weltbild haben. Dieses Potential zu erschließen, fällt
bekanntlich in Zeiten der Krise den Nazis leichter als zu anderen Zeiten.
Ausblick
In Dresden fand am Abend, an dem der nazistische Wahlerfolg
bekannt wurde, eine skurrile "Antifa-Demonstration" statt. "Bomber Harris
und die Flut, das tut den Deutschen gut" war eine der Hauptparolen der
Demonstranten. Mit solch menschenverachtenden und nationalistischen Parolen
wird den Nazis geholfen. Denn in Dresden haben 4,1% der Wähler die Nazis
gewählt und nicht die ganze Stadt. Wenn jedem Dresdner "Bomber Harris" an
den Hals gewünscht wird, dann ist der Aufbau einer antifaschistischen
Struktur in Dresden unmöglich. Zudem wird der Nazismus verharmlost, denn
wenn alle Nazis sind und "Die Flut" verdienen, dann ist der tatsächliche
Nazi gar nichts mehr besonderes. Solcher Irrsinn gehört entschieden
zurückgewiesen.
Notwendig ist es, den Nazis überall offensiv
entgegenzutreten. Es gilt ein Klima zu schaffen, in dem der Kampf gegen den
Sozialabbau entwickelt wird. Die historische Erfahrung lehrt, dass eine
starke und entschiedene Arbeiterbewegung ein Wall gegen Faschisten sein
kann. Durch soziale Kämpfe können Menschen mobilisiert werden und Menschen
unterschiedlicher Nationalität aufgrund ihrer gleichen Interessenslage
zusammenfinden.
Quellen: SZ v. 15.6.04, FAZ v.16.6.04, FR v. 16.6.04, BZ v.
16.6.04
hagalil.com 17-06-2004 |