„Agentur für Auffindung“:
Schicksalhafte Erinnerung
Eldad Beck in Jedioth achronoth
Gegen Ende des 2. Weltkriegs, im Jahre 1943, als
die Alliierten gute Gründe zur Annahme hatten, dass Nazideutschland
früher oder später besiegt werden würde, wurde in der Abteilung für
Außenbeziehungen des britischen Roten Kreuzes beschlossen, die
Vorbereitungen für den Tag nach dem Krieg zu beginnen.
Die Schrecken der Nazibesatzung Europas waren noch
nicht in ihrem ganzen Umfang bekannt, jedem war jedoch klar, dass
Millionen Menschen aus ihren Häusern vertrieben , Familien
zerrissen, Verwandte verschwunden oder getötet worden waren. Es
näherte sich der Tag, an dem die Überlebenden würden wissen wollen,
was von ihrem Leben noch übrig geblieben war.
So wurde in London die „Agentur für Auffindung“ gegründet, die es
sich zum Ziel setzte, Informationen über die Kriegsopfer zu sammeln
und sie über ihre Rechte zu informieren. Nach der Invasion der
Alliierten in der Normandie vor 60 Jahren, wurde die Agentur nach
Frankreich verlegt, später nach Deutschland. Im September 1945 wurde
von der Kommandantur der alliierten Streitkräfte die Anweisung
erteilt, die Agentur zu einem internationalen Service zu machen, der
sich um die Auffindung von Soldaten und Zivilisten aus den
UNO-Ländern kümmert, um Familienzusammenführung und um die Sammlung
von Dokumenten über Personen, die in den Konzentrations- und
Arbeitslagern der Nazis inhaftiert waren.
59 Jahre nach Kriegsende ist dieser Service noch immer aktiv…Nachdem
Westdeutschland im Jahre 1952 seine Autorität zurückerhalten hatte,
wurde der Service der Verantwortung der Bundesregierung unterstellt,
die bis heute seine laufenden Tätigkeiten finanziert. Dem
Kontrollkomitee gehören 11 Staaten an: Belgien, Griechenland,
Luxemburg, Großbritannien, Frankreich, Israel, Holland, USA,
Deutschland, Italien und Polen. Jedes Jahr treten die Mitglieder des
Komitees in einem anderen Land zusammen, um die laufende Arbeit zu
erörtern. Am Dienstag wird das jährliche Treffen in Jerusalem
eröffnet, und auf der Tagesordnung steht die sehr empfindliche
Frage, ob die riesigen Informationsarsenale, die sich in den Jahren
angesammelt haben, Forschern und Historikern zugänglich gemacht
werden sollen.
Es handelt sich dabei um ein äußerst wertvolles Archiv, zu dem
bisher nur Mitarbeiter des Services und Personen, die persönliche
Informationen suchen, Zugang haben. In den Büros und Archiven
befinden sich über 47 Millionen Informationsstücke über 17 Millionen
Personen. Es handelt sich um diverse Dokumente, nicht nur von
jüdischen Opfern, sondern auch von politisch Verfolgten,
Zwangsarbeitern, arischen Kindern, die von ihren Familien getrennt
und an nazistische Institutionen übergeben wurden.
Die Organisation der Dokumente ist eine äußerst schwierige Arbeit,
denn die deutschen Beamten in den Lagern und ihre Kollaborateure
hatten nicht die leiseste Ahnung, wie man die jüdischen Namen, wie
z.B. Jakobowicz, schreibt. Auch die Soldaten der Alliierten machten
Fehlern bei der Registratur von Überlebenden und Flüchtlingen.
Ein weiteres Problem ist die Tatsache, dass viele Dokumente von den
Nazis oder bei den Luftangriffen der Alliierten zerstört wurden. In
den Vernichtungslagern wurden überhaupt keine Aufzeichnungen
vorgenommen.
Der Zugang zu den Dokumenten ist Historikern wie gesagt verboten.
Der Grund: die Überlebenden sind nicht unbedingt daran interessiert,
dass ihre persönlichen Geschichten an die Öffentlichkeit gebracht
werden. „Es geht hier nicht um den Schutz von Verbrechern, sondern
um den Schutz der Privatsphäre der Verfolgten“, erklärt der Leiter
des Services, Charles-Claude Biedermann. „Die Dokumente könnten
persönliche Angaben enthalten, die nicht allgemein bekannt werden
sollten. Wir hoffen, eine Lösung zu finden, die alle zufrieden
stellen wird.“
Als Beispiel führt Biedermann die Geschichte einer jüdischen Frau
an, die in den Lagern medizinische Experimente zur Sterilisation
über sich ergehen lassen musste. Nach dem Krieg gelang es ihr
jedoch, Kinder zur Welt zu bringen. „Vielleicht will sie nicht, dass
ihre Kinder und Enkel erfahren, was man mit ihr gemacht hat“, sagt
Biedermann. „Ein ernsthafter Historiker würde ein Dokument
unterzeichnen, in dem er sich verpflichtet, persönliche Angaben
vertraulich zu behandeln, aber nicht alle Wissenschafter sind so
verantwortungsbewusst“.
Biedermann erinnert auch an Fälle von Holocaustverleugnern, die die
Informationen ausnützen wollten um zu beweisen, dass die Ausmaße des
Holocaust gar nicht so schrecklich waren. Einige von ihnen warfen
den Mitarbeitern des Services vor, sie würden falsche Dokumente
fabrizieren, um die Zahl der Holocaustopfer zu erhöhen. „Die
Revisionisten versuchen die genaue Zahl der Toten, die sich auf
unseren Listen befinden, herauszufinden“, sagt Biedermann. „Aber
diese Listen sind gar nicht vollständig.“
Biedermann fürchtet den Tag, an dem die humanitäre Arbeit des
Services eingestellt werden wird. Ein ähnlicher Service, der nach
dem 1. Weltkrieg eingerichtet worden war, wurde zu Beginn der 90-er
Jahre geschlossen, über 70 Jahre nach Ende jenes Krieges. Es wird
angenommen, dass der Service des 2. Weltkriegs in acht Jahren
geschlossen werden wird, und dann sollen die zahlreichen Dokumente
an diejenigen zurückgehen, die sie ausgestellt haben. „Es wäre eine
Katastrophe, die Dokumente voneinander zu trennen“, warnt
Biedermann. „Man sollte über die Gründung eines internationalen
Fonds nachdenken, der diese wertvollen Dokumente unter einem Dach
aufbewahren wird.“
hagalil.com
03-06-2004 |