Auf dem Panzerübungsfeld:
Ich habe nur ein Land
Im Stützpunkt Ze'elim bilden junge Frauen
Panzerfahrer aus. Und fühlen sich für die Verteidigung ihres Landes
verantwortlich.
Eine Reportage von Kerstin Eschrich und Federica Matteoni
Jungle World, Israel
Sonderausgabe
"Die Männer haben alle Respekt vor mir, auch diejenigen,
die so alt sind wie mein Vater. Sie wissen, dass ich ihnen etwas beibringe,
das ihren Arsch retten kann", erklärt die junge Frau selbstbewusst. Liad, 19
Jahre alt, bildet bei den Israel Defence Forces (IDF) Panzerfahrer aus. Ihr
Stützpunkt liegt in der Nähe von Ze’elim am Rand der Wüste Negev.
Das Panzerübungsfeld befindet sich auf einem sandigen Hügel
nicht weit entfernt von den Gebäuden. "Ein strategisch wichtiger Punkt",
erklärt uns Commander Eddy, der auch nicht viel älter ist als die Rekruten.
In der einen Richtung liegt die israelische Stadt Beer-Shewa, in der anderen
der Gazastreifen, der teilweise von der Palästinensischen Autonomiebehörde
kontrolliert wird. Doch israelische Truppen sind weiterhin dort stationiert.
Die meisten Rekruten, die im Stützpunkt Ze’elim ausgebildet werden, sind
dort eingesetzt. Rasant fahren wir, Eddy und Alejandro, der uns von der
Pressestelle der IDF zur Seite gestellt wurde und uns auch bei der Anfahrt
begleitete, in einem Jeep über eine holprige Sandpiste zu Liads
Wirkungsstätte.
Wir werden bereits erwartet. Sechs Rekruten sitzen auf dem Boden unter einer
löchrigen Plane und unterhalten sich. Die drei jungen Männer sind Soldaten,
denen das Panzerfahren beigebracht werden soll. Neben Liad sind noch zwei
Ausbilderinnen da. Liad, Alejandro und Eddy sind die einzigen, die mit uns
reden dürfen.
Alejandro schreibt eifrig in einen kleinen Notizblock. Er ist 26 Jahre alt,
also ein wenig älter als seine Kollegen, und kommt aus Argentinien. Auf der
Fahrt zur Base hat er ein wenig von sich erzählt. Mit 21 kam er mit seiner
Freundin nach Israel, seit fünf Jahren wohnen sie zusammen in Tel Aviv. In
Argentinien war er als Journalist für eine jüdische Zeitung tätig, auch in
Israel möchte er als Journalist arbeiten. Bei der Pressestelle der IDF ist
er für die Kontakte mit Spanisch sprechenden Journalisten zuständig. Weil er
älter als 16 war, als er nach Israel kam, muss er nur zwei Jahre zur Armee,
während alle anderen israelischen Männer drei Jahre bei den IDF bleiben. Die
Dienstzeit für Einwanderer nimmt ab, je älter sie zum Zeitpunkt ihrer
Ankunft sind, ab dem Alter von 30 Jahren müssen sie gar keinen Dienst mehr
leisten. Frauen, die bei der Einwanderung älter als 17 sind, müssen gar
nicht zur Armee. Die anderen müssen zwei Jahre dienen.
Genau wie wir, aber mit einer gewissen Gelassenheit, schreibt Alejandro
alles mit, Fragen und Antworten. Er ist offensichtlich da, um zu
kontrollieren, dass wir keine problematischen Fragen stellen, und vor allem,
dass Liad keine problematischen Antworten gibt.
Während wir uns unterhalten, reden und lachen die anderen untereinander.
Liad übersetzt, dass sie über einen Gymnastikkurs sprechen, den die Frauen
neuerdings in ihrer Freizeit machen. "Eddy hat den Vorschlag gemacht, damit
wir fit bleiben", erklärt sie und alle giggeln mit Blick auf den gut
aussehenden jungen Mann. Liad sitzt auf dem Boden neben den anderen und
spricht mit einem amerikanischen Akzent. Sie habe mehrere Jahre in den USA
gelebt, erzählt sie uns. Vier Monate muss sie noch in der Armee bleiben.
Ihren Job als Ausbilderin am Panzer, den sie sich selbst ausgesucht hat,
sieht sie idealistisch: "Das ist mehr als eine Pflicht für mich. Ich helfe
den Soldaten dabei, sich zu schützen." Sie musste vier Monate einen
Spezialkurs besuchen, in dem sie zur Ausbilderin geschult wurde. "Das war
ein hartes Training, sowohl physisch als auch psychisch. Ich bin sehr stolz,
dass ich es geschafft habe."
Die meiste Zeit arbeiteten sie und die anderen Ausbilderinnen in dem
Stützpunkt, aber manchmal gehen sie auch nach Gaza, und zwar dann, wenn die
Soldaten nicht von ihrer Einheit weg können. Laut Liad drängen sich viele zu
dem freiwilligen Ausflug. "Es ist für uns interessant, wir sehen dort, was
wir ihnen beigebracht haben. Dann können wir die Soldaten auch verbessern,
wenn sie etwas vergessen haben oder falsch machen." Frauen sind als
Kämpferinnen nicht in den Städten eingesetzt. Erst seit wenigen Jahren gibt
es überhaupt kämpfende Fraueneinheiten. Zwar gab es schon immer Frauen in
der Armee, seit der Staatsgründung 1948 wurden sie eingezogen, sie waren
aber vor allem mit Verwaltungsaufgaben betraut. Im Jahr 2000 verabschiedete
die Knesset, das israelische Parlament, ein Gesetz, wonach Frauen jede
Position in der Armee versprochen wird, jedenfalls solange es ihre
physischen Fähigkeiten zulassen. Das zu prüfen, ist u.a. eine von Hauptmann
Liora Rubinsteins Aufgaben. Sie arbeitet in Tel Aviv in der Abteilung für
Frauenangelegenheiten der IDF, die seit drei Jahren dem Generalstabschef
direkt unterstellt ist.
Eine große Errungenschaft sei das, meint sie. "Vorschläge, Beschwerden und
Kritik landen so gleich ganz oben. Seit den achtziger Jahren hat sich in
unserer Gesellschaft der Blick auf Frauen verändert. Inzwischen ist
allgemein akzeptiert, dass Frauen für Frauenangelegenheiten verantwortlich
sein müssen." Rubinstein ist seit 17 Jahren bei der Armee. Bis ihre Kinder
geboren wurden, war sie Ausbilderin in einer Infanterieeinheit.
33 Prozent der Rekruten sind Frauen. In der Armeehierarchie wird der Anteil
der Frauen nach oben immer geringer. Drei Prozent der Brigadegeneräle sind
Frauen, weibliche Generäle gibt es nicht. "Noch nicht", sagt Rubinstein,
"das wird sich in den nächsten Jahren ändern." Unter anderem auch durch die
Arbeit ihrer Abteilung. An einer Karriere in der Armee ist Liad aber nicht
interessiert. Sie will nach den zwei Jahren Jura und internationale Politik
studieren, "das interessiert mich sehr", sagt sie mit leuchtenden Augen.
Doch so weit ist es noch nicht. Noch muss sie in der Wüste jungen Männern
den Umgang mit den Panzern beibringen. Für uns gibt es eine
Extravorstellung. Ein bisschen haben wir bereits darauf gewartet, sie in
Action beobachten zu können. Sie setzt den Helm auf, befestigt ein kleines
Mikrophon vor ihrem Mund und stellt sich in den Ausguck. Der Auszubildende
setzt sich ans Steuer im Innern des Panzers. Liad gibt Anweisungen und der
Motor röhrt los. Das Fahrzeug dröhnt staubverhüllt die Piste entlang und
verschwindet nach kurzer Zeit hinter einem Hügel. Unsere Begleiter
telefonieren derweil oder betrachten mit uns die großen Kakerlaken vor
unseren Füßen.
Als die Übung zu Ende ist, machen wir Fotos von Liad auf dem Ausguck. Aber
erst nachdem sie ihren Helm ab- und ihre Mütze aufgesetzt hat. "Sie ist
eitel", sagt Eddy lachend. Wir fotografieren sie auch zusammen mit dem
Soldaten, der aus dem Innern des Gefährts gestiegen ist. Es ist erst seine
zweite Fahrt mit einem Panzer. "Er hat seine Sache sehr gut gemacht",
versichert Liad. Das wird sie ihm auch selber noch sagen. Nach jeder
Übungsfahrt bewertet Liad die Soldaten. Sie sitzen auf dem Boden und stellen
mit kleinen Steinen die Fahrt nach. "Der erste Teil des Gesprächs besteht
darin, die Soldaten zu ermuntern, ihnen Selbstvertrauen zu geben, erst dann
kommt die eigentliche Bewertung", erläutert Liad.
Wir steigen wieder ins Auto, zurück zu den Hauptgebäuden der Base. Die
Ausbilderin will uns zeigen, wo der Theorieunterricht stattfindet. Alejandro
entdeckt, dass eine der Soldatinnen, die mittlerweile etwas gelangweilt
unter der Plane sitzen, auch aus Argentinien kommt. Sie tauschen ihre
Telefonnummern. Auf dem Weg zum Unterrichtszimmer erzählt Liad davon, wieso
sie sich dafür entschieden hat, Soldaten am Panzer auszubilden.
Die Frage, was sie bei der Vorstellung empfindet, auf Menschen zu schießen
und sie möglicherweise zu töten, irritiert sie. "Ich bringe den Soldaten
nicht das Schießen bei." Alejandro interveniert auf Hebräisch, dann
antwortet sie resolut: "Das ist eine politische Frage, ich kann darauf nicht
antworten."
Sie redet gerne, offensichtlich hat sie sich auf diese Führung gut
vorbereitet. "Israel ist mein Land, ich habe kein anderes Land und bin
stolz, es verteidigen zu können", sagt sie. Das betont sie immer wieder im
Gespräch. Es sei eine Pflicht, aber gleichzeitig ein Recht und eine Ehre, in
den IDF zu dienen, sagt Liad, deren Vater ein hochrangiger Offizier ist und
ihr seit ihrem fünften Lebensjahr erzählte, er sehe in ihr eine vorbildliche
Ausbilderin.
Auch als wir sie nach ihrer Meinung über die in Israel stärker werdende
Bewegung der Kriegsdienstverweigerer fragen, wendet sie sich an Alejandro,
der mit einem strengen und gleichzeitig verlegenen Blick erwidert: "Keine
politischen Fragen."
Das Thema darf man während einer offiziellen Vorführung der Armee nicht
erörtern. Die Anzahl der so genannten "Refuseniks", männlichen Soldaten, die
sich aus politischen Gründen weigern, in den besetzten Gebieten zu dienen,
nahm in den letzten zwei Jahren ständig zu. Um die etwa fünfzig
Kriegsdienstverweigerer, die Anfang 2002 in einem offenen Brief an die
israelische Regierung erklärten, nicht in die besetzten Gebiete gehen zu
wollen, bildete sich sowohl in Israel als auch in anderen Ländern eine
breite Solidaritätsbewegung. Mehr als 600 Soldaten haben sich geweigert, in
diese Gebiete zu gehen, unter ihnen auch etliche Reservisten, Angehörige von
Sondereinheiten und Piloten.
Zum Beispiel Yair, den wir in Jerusalem treffen. Als Mitglied einer
Eliteeinheit weigerte er sich, in den besetzten Gebieten zu kämpfen. "Ich
bin nicht naiv. Israel muss verteidigt werden, und irgendwer muss es machen.
Aber in den besetzten Gebieten verteidigen wir Israel nicht", sagt er. Yair
wurde strafversetzt, anderen Verweigerern drohen Haftstrafen von einigen
Wochen. Totale Wehrdienstverweigerer müssen mit einem Verfahren vor einem
Militärgericht rechnen.
Die Refusenik-Solidaritätsbewegung ist in den letzten Jahren verstärkt an
die Öffentlichkeit gegangen und stellt für die IDF ein wachsendes Problem
dar. Nach jüngsten Umfragen des Israel Democracy Institute solidarisieren
sich 43 Prozent der israelischen Jugendlichen mit den Soldaten, die sich
weigern, in den besetzten Gebieten zu dienen, wie die Tageszeitung Ha’aretz
berichtet.
Auch die Anzahl der Frauen, die den Kriegsdienst aus politischen Gründen
ablehnen, nahm in den letzten Jahren zu. Die Regierung teilt dazu keine
offiziellen Daten mit, einige Organisationen, die sich mit
Kriegsdienstverweigerung beschäftigen, wie etwa New Profile, schätzen
jedoch, dass der Anteil der Frauen, die den Dienst ablehnen, etwa 30 Prozent
aller weiblichen Wehrpflichtigen beträgt. Mit Dienstverweigererinnen gehen
die IDF allerdings anders um als mit männlichen Gleichgesinnten: Frauen wird
das Recht auf Verweigerung zuerkannt, sie müssen aber eine
Militärkommission, das so genannte "conscience committee", davon überzeugen,
dass sie aus glaubwürdigen Gründen den Dienst verweigern. Wir würden gerne
einige der Rekruten hier fragen, was sie darüber denken. Doch in Ze’elim ist
das Thema tabu.
Auf dem Hof des Unterrichtsgebäudes hat man das Gefühl, in einem ganz
normalen Gymnasium zu sein, Jungen und Mädchen sitzen draußen, sie
unterhalten sich und rauchen, sehen ein wenig lustlos aus. Wie Schüler
während der Pause. Bald fängt der nächste Kurs an. Wir müssen kurz vor der
Tür des Unterrichtszimmers warten, denn Liad muss noch "einige Objekte"
wegräumen, die wir nicht sehen dürfen. In dem Zimmer stehen 30 Stühle mit
kleinen Klapptischen. An den Wänden hängen Fotos von ehemaligen Schülern vor
Panzern, ein Bild des Staatspräsidenten, die israelische Fahne. Wie bei
einer Touristenattraktion, nur größer, finden sich Zeichnungen an den
Wänden. "Die, die hier waren, wollen das anderen mitteilen. Das sind Sprüche
wie: ›Wir sind die Besten. Wir waren auch hier‹, und dann das Datum",
erläutert Liad.
Wir würden gerne ihr Schlafzimmer sehen. Ganz begeistert ist sie von der
Idee nicht. "Es ist aber heute nicht besonders aufgeräumt", entschuldigt sie
sich auf dem Weg zu den Wohngebäuden. Sie sind zu viert in dem Zimmer, Liad
macht noch schnell ihr Bett. An den Wänden und dem Fenster hängen bunte
Hippietücher. Auf ihrem Bett liegt ein Kissen, auf dem die "Simpsons"
abgebildet sind. "Ich bin ein großer Fan der Serie", sagt sie und fügt
hinzu: "Wir haben die gleichen Interessen wie alle anderen Mädchen auf der
ganzen Welt. Aber Israel ist ein besonderes Land." Dass es bei der Enge des
Zimmers mit der Privatsphäre etwas schwierig sein könnte, scheint sie nicht
zu stören. "Man kann auch alleine sein, wenn man will. Und außerdem wohne
ich hier mit meinen besten Freundinnen."
Auf dem Rückweg zum Auto gehen wir durch eine Gruppe Rekruten. Lässig hängen
die Gewehre über ihrer Schulter. Es ist ein etwas unbehagliches Gefühl, sich
mitten durch eine Menge bewaffneter Menschen zu drängen.
Vor dem Ausgangstor der Base stehen junge Soldatinnen nebeneinander und
schießen ohne Patronen in die Luft. Eine Commander steht daneben und
kontrolliert den Vorgang. "Die Soldatinnen gehen jetzt nach Hause und es
wird sichergestellt, dass sie keine Patronen mehr im Gewehr haben. Die
Magazine dürfen sie nur mitführen, aber nicht einlegen, das gilt auch für
den Stützpunkt", erklärt Alejandro. "Die IDF sind, wie der Name schon sagt,
eine Verteidigungsarmee. Das ist die Grundlage unserer Armee."
Was aber Verteidigung bedeutet, ist in Israel umstritten.
Reise nach Jerusalem:
Die Jungle
World in Israel
Die Idee der mobilen Redaktion ist es, mit der Verlegung des
Produktionsortes zugleich die Perspektive zu wechseln. "Inland" wird
"Ausland" und umgekehrt. Die Sondernummer will Theorie, Kultur, Ästhetik und
Politik aus Israel hierzulande bekannt machen...
hagalil.com
27-06-2004 |