Ein umstrittenes Thema:
Die Finanzierung der liberalen Gemeinden
Elijahu Salpeter, Haaretz, 2. Juni 2004
Das deutsche Gesetz verpflichtet jedes Mitglied
einer Religionsgemeinschaft, 6% der Gesamtsteuern, zu welchen er
verpflichtet ist, an seine Gemeinde abzutreten. Bei niedrigen
Einkommensstufen bedeutet dies ca. 30 Euro im Monat.
Die jüdische Gemeinde Deutschlands zählt ca.
100.000 eingetragene Mitglieder. Die Steuern belaufen sich auf drei
Millionen Euro im Monat. Für diejenigen, die arbeitslos sind, zahlt
das Finanzamt. Weitere Zahlungen schließen sich dem Rest der Gelder
an, die die Bundesregierung in Berlin und die Landesregierungen den
Gemeinden überweisen, eine Summe, die sich im Jahr auf ca. 42
Millionen Euro beläuft.
Vor Kurzem veröffentlichte das Magazin "Der
Spiegel" einen Artikel über die Zahlungen und die finanzielle Lage
der jüdischen Gemeinden. Das Bundesfinanzministerium überweist den
Gemeinden 10 Millionen Euro im Jahr. Das Innenministerium überweist
als Hilfe für die Aufnahme der Einwanderer ca. 3,6 Millionen Euro.
Die Bundesregierung überweist an jüdische Institutionen, wie z.B.
die Hochschule für jüdische Studien an der Universität Heidelberg,
das Leo-Beck Institut, das Zentralarchiv für die Forschung der
jüdischen Geschichte in Deutschland u.ä., ca. 1,6 Millionen Euro.
Die Landesregierungen überweisen an die örtlichen jüdischen
Gemeinden ca. 28 Millionen Euro im Jahr.
Von den 200.000 Juden in Deutschland sind ca.
100.000 eingetragene Mitglieder in jüdischen Gemeinden. Der
Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel,
und die Vorsitzenden der Gemeinden selbst kontrollieren also
beträchtliche Summen.
Dies schafft Kontroversen innerhalb der Gemeinden.
Ein umstrittenes Thema ist die Frage der Finanzierung der liberalen
Gemeinden. Zwischen 60 und 70% der Mitglieder der jüdischen
Gemeinden sind Neueinwanderer aus der GUS. Jeder Einwanderer führt
in seinem Pass unter der Rubrik "Nationalität" das Wort "Jude".
Deshalb wird er, manchmal ohne gefragt zu werden, in der jüdischen
Gemeinde der Stadt registriert, die ihm zugewiesen wird. Der
Zentralrat ist jedoch orthodox dominiert. Für fast alle
Zentralratsgemeinden gilt dies ebenfalls und damit haben viele der
russischen Neueinwanderer ein Problem.
Den liberalen Gemeinden werden jüdische
Einwanderer nicht automatisch zugewiesen, deshalb werden diesen auch
keine Staatsgelder für deren Aufnahme zur Verfügung gestellt. Die
Vereinigung für fortschrittliches Judentum in Deutschland teilt mit,
dies sei auch einer der Gründe, warum sie nur 3.000 eingetragene
Mitglieder zähle.
Gemäß des Abkommens zwischen der Regierung und dem Zentralrat werden
im Jahr 2007 die Zuwendungen auf den neuesten Stand gebracht, wobei
die Zahl der Mitglieder ein wichtiges Kriterium bei der Festsetzung
der Summen sein wird. Das ist natürlich ein weiterer Grund für die
Bemühungen, eine offizielle Anerkennung der liberalen Gemeinden so
lange wie möglich zu verzögern.
"Weder der Bundestag noch die Bundesregierung,
weder die Justiz noch die Abgeordneten werden bestimmen, wer oder
was eine jüdische Gemeinde ist, und wie jüdischer Pluralismus
definiert werden sollte", erklärt Spiegel. Ihm hält Jan Mühlstein,
der Vorsitzende der Vereinigung des fortschrittlichen Judentums in
Deutschland, entgegen, dass ein großer Teil der eingetragenen
Mitglieder der orthodoxen Gemeinden nur "auf dem Papier" am
Gemeindeleben teilnähme.
Das Kanzleramt strich aus dem ursprünglichen Entwurf des Abkommens
zum Staatsvertrag den Paragraphen, der festgelegt hätte, dass bei
der Neuaufteilung im Jahre 2007 auch liberale Juden berücksichtigt
werden sollten. Die Regierung, so stellt es sich heraus, zieht es
vor, sich aus den Kriegen der Juden heraus zu halten.
Russische Juden:
Deutschland ist ein attraktiveres
Einwanderungsziel
Der Vorsitzende der Jewish Agency, Salai Meridor, behauptete, die
deutsche Regierung "verführe" die Juden aus der GUS, "mit dem Status
von Flüchtlingen nach Deutschland einzuwandern, obwohl die Juden
seit 56 Jahren einen eigenen Staat haben"...
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hagalil.com
03-06-2004 |