Konferenz in Tel Aviv:
Deutsche Geschichten über das "Wirtschaftswunder"
Von Jens Misera
Israel Nachrichten,
11.05.2004
Über "Deutsche Unternehmen im 'Wirtschaftswunder'"
veranstaltete das Goethe-Institut Tel-Aviv in Zusammenarbeit mit dem
Institut für deutsche Geschichte der Tel-Aviv Universität und der Cinemathek
Tel-Aviv am 9. und 10. Mai eine Konferenz, während der über die Rolle der
deutschen Unternehmer in der Nachkriegszeit, ihr Selbstbild, sowie die
"Nachwirkungen der Zeit nationalsozialistischer Herrschaft" auf Unternehmen,
Unternehmer und Beschäftigte diskutiert werden sollte.
Einleitend umriss der Direktor des Instituts für deutsche
Geschichte, Moshe Zuckermann, kurz einige relevante Teile der
Wirtschaftsgeschichte Deutschlands zwischen 1870 und 1945 und wies danach
auf die Unmöglichkeit des Wiederaufbaus Deutschlands ohne institutionelle
und personelle Kontinuitäten hin – leider ohne daraufhin die Richtigkeit
dieses Unterfangens selbst in Frage zu stellen. Seine darauf folgenden
Anmerkungen zur Erinnerungskultur in der BRD reichten von der wahnwitzigen
Behauptung, "dass die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu weit
geht," bis zu dem, dem vorher Gesagten vollkommen widersprechenden, aber
dafür richtigen Hinweis auf die Instrumentalisierung der Vergangenheit,
beispielsweise durch die unzähligen NS-Vergleiche, die Joseph Fischer zur
Rechtfertigung des Krieges gegen Jugoslawien bemühte.
Da, so Zuckermann, die Biographie und der Tod Hanns-Martin
Schleyers einen "Knotenpunkt der deutschen Geschichte" darstelle, wurde
darauf folgend der 2003 produzierte Film "Schleyer – Eine deutsche
Geschichte" vorgeführt, der die Biographie Schleyers, von seiner Kindheit,
über seine Karriere im Nationalsozialismus bis zu seiner schließlichen
Ermordung durch die RAF zeigt.
Dass es während der anschließenden Podiumsdiskussion kaum
mehr um Schleyers Taten als begeisterter Nationalsozialist, oder, dem Thema
der Veranstaltung entsprechend, um seine Rolle im Nachkriegs-Deutschland
ging, sondern stattdessen fast ausschließlich über seine Entführung und
Ermordung geredet und getrauert wurde, legte schon die Einladung seines
Sohnes, Jörg Schleyer, nahe. Nachdem der Regisseur des Filmes, Lutz
Hachmeister, mit der Bemerkung, die RAF habe "die selben Methoden wie die
Nazis" angewendet, seinen Beitrag zur Relativierung der Schoah geleistet
hatte, machte sich Jörg Schleyer, der seinen Vater im zuvor gezeigten Film
noch als "duften Kumpel" loben durfte, daran, einem Anwesenden, dessen
Verwandte von den Deutschen ermordet wurden und der daher seinem
Unverständnis über die Einladung des Sohnes eines ranghohen Nazi-Funktionärs
Ausdruck verlieh, zu erklären, dass er nach seinem Besuch in Yad Vashem am
Tag zuvor doch genauso fühle wie er.
Wer sich von diesen Unverschämtheiten nicht abschrecken ließ,
durfte am nächsten Morgen die Fortsetzung der Konferenz erleben. Gleich zwei
Vorträge hielt Werner Abelshauser, Wirtschaftshistoriker an der Universität
Bielefeld. Er brachte es in seinem ersten Beitrag fertig, etwa eine Stunde
über die gute Situation der deutschen Wirtschaft nach 1945 zu reden, ohne
auch nur eine Randbemerkung zu den Einflüssen von Zwangsarbeit und
Arisierung auf das "Wirtschaftswunder" zu machen. Seine Erklärung, die sich
im Wesentlichen auf zwei Faktoren stützte, nämlich die hohen Investitionen
vor 1945 seitens des deutschen Staates und die Verschonung der Industrie vom
alliierten "Bombenkrieg" ab 1941, stellte einige Zuhörer jedoch nicht
zufrieden. So wurde die Frage gestellt, ob Zwangsarbeit und Arisierung denn
nicht auch ausschlaggebend gewesen seien. Zum Thema Arisierung schwieg
Abelshauser auch weiterhin, allerdings führte er aus, warum "die
Vorstellung, die Unternehmen hätten sich daran (an der Zwangsarbeit)
bereichert, nicht haltbar" sei. Die haarsträubende Begründung seiner
geschichtsrelativistischen These war, dass die Unternehmer "Löhne an den
Staat zahlen" und "Lager bauen (sic!) mussten."
In seinem zweiten Vortrag machte sich Abelshauser alsdann
daran, das deutsche Unternehmertum von Tätern in Opfer zu verklären: "Die
Unternehmer im Dritten Reich waren mit ganz wenigen Ausnahmen keine
Steigbügelhalter der Nationalsozialisten", sondern hätten sich nur "aus
Opportunismus in den Nationalsozialismus hineinziehen lassen." In seinen
weiteren Ausführungen hierzu ging er sogar soweit, den begeisterten
Unterstützer des Nationalsozialismus Krups in einen Gegner desselben
umzulügen.
Die Konsequenz einer solchen Umerzählung der Geschichte liegt
auf der Hand. Denn wer behauptet, die Unternehmen hätten zum einen nicht von
Zwangsarbeit profitiert und seien zum anderen in den Nationalsozialismus
hineingezogen, "in die Enge getrieben" worden, muss die Auswirkungen dessen
auf die Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter nicht mehr
explizieren. Wofür sollte man die deutschen Unternehmen denn noch zur
Verantwortung ziehen, wenn sie weder Profit, noch Schuld gehabt hätten?
Als die einzige Stimme der Vernunft an diesem Tag, Avraham
Barkai, der ehemalige Leiter des Leo Baeck Instituts, während des
abschließenden Podiums Abelshausers falsche Thesen korrigierte und die
deutschen Unternehmer als "stille Teilhaber des Regimes" bezeichnete, die am
Nationalsozialismus verdient und dafür freiwillig einen Teil ihrer
Entscheidungsfreiheit abgegeben hätten, erwiderte Abelshauser wider allen
Fakten noch einmal: "Das Bild der stillen Teilhaber trifft nicht zu. (…) Die
Unternehmer waren das Ross, das Regime der Reiter. (…) Das ist ganz klar."
Dies wurde aber nicht mehr weiter vertieft, denn in diesem
letzten Panel, welches eigentlich von "'Wirtschaftsführern' und ihrer
Erfahrungswelt" handeln sollte, wollte die mehrheitlich linke Runde noch
viel wichtigere Fragen erörtern. Lutz Hachmeister zum Beispiel sorgte für
Schmunzeln, als er prognostizierte, dass "das kapitalistische System zu Ende
gehen" wird, "wir werden das alle noch erleben." Stattdessen sieht
Hachmeister die Menschheit "wegen der Globalisierung" bald mit einer
anderen, nicht kapitalistischen Art der Marktwirtschaft konfrontiert. Und
dass man es bei der Globalisierung mit lauter dunklen Machenschaften von
denen da oben zu tun hat, wusste auch der ebenfalls vortragende Georg Feil:
"Die Politiker kommen mir von den Konzernen gelenkt vor."
Diese Schlussworte mag man aber auch nur als weiteren Beitrag
zum ohnehin niedrigen Niveau dieser Konferenz sehen. Abgesehen von der recht
informativen Dokumentation über Hanns-Martin Schleyer am ersten Abend,
wurden dem Publikum fast nur Vorträge geboten, die durchzogen waren von
Halbwahrheiten und Lügen. Was hier propagiert wurde, war deutscher
Geschichtsrelativismus; dem wissenschaftlichen Anspruch der Veranstaltung
wurde man keinesfalls gerecht.
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hagalil.com
24-05-2004 |