Wiener Innenstadt am 8. Mai 2004:
Bräunliche "Heldenehrung"
Von Karl Pfeifer
Wer hätte sich gedacht, dass die "Heldenehrung
des Wiener Korporationsringes", also der aufrechten "teutschen"
Burschenschafter, ausgerechnet am 8. Mai 2004 mit folgenden Sätzen Berthold
Brechts eingeleitet werden würde: "Immer noch schreibt der Sieger die
Geschichte des Besiegten. Dem erschlagenen entstellt der Schläger die Züge.
Aus der Welt geht das Schwächere und zurück bleibt die Lüge."
Berthold Brecht, dessen Werke, die von den angebräunten
Burschenschafter betrauerten "Besiegten", also gerade ihre Vorgänger, die
Deutsche Studentenschaft, als Reaktion auf die angebliche "Greuelhetze des
Judentums im Ausland" am 10. Mai 1933 im Beisein von Rektoren und
Professoren mit "Feuersprüchen" verbrannten, kann sich gegen diese geistige
Leichenschändung nicht mehr wehren.
Kein Zufall, dass der Aufruf zu dieser Veranstaltung des
Wiener Korporationsringes, des Rates Volkstreuer Verbände, des Ringes
Freiheitlicher Stundenten und des Ringes Freiheitlicher Jugend sich unter
anderem auch auf der deutschen Neonazi-Site stoertebeker befindet.
Kritisiert wurde die "Heldenehrung" der Burschenschafter
bereits im Vorfeld vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen
Widerstandes (DÖW): "Anstatt angesichts der Millionen Toten des Zweiten
Weltkrieges innezuhalten, wird mit dieser Veranstaltung implizit der
nationalsozialistische Heldenkult fortgeschrieben. Schon aus dem Aufruf geht
hervor, dass man sich seitens der Veranstalter nicht als Befreite, sondern
als 'Besiegte' begreift." Der Wiener SPÖ-Landesparteisekretär Harry Kopietz
forderte ein Verbot der Ehrbezeugung an NS-Soldaten.
250 bis 350 Burschenschafter beteiligten sich Samstagabend am
Fackelzug zur Krypta am Heldenplatz, der von 700 Polizisten abgeriegelt
worden war.
Die "Totenrede" hielt heuer der neue Wiener
FPÖ-Landesparteiobmann Heinz-Christian Strache. Er kritisierte den Wiener
Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) und die Stadtregierung, die mit der
Aberkennung des Ehrengrabes des Kampffliegers Walter Nowotny die "Schieflage
der derzeitigen Geschichtsauffassung" gezeigt habe und verwendete Ausdrücke
wie "alliierter Bombenterror" für die Schilderung des Zweiten Weltkriegs.
Anwesend war auch Bundesrat John Gudenus (FPÖ).
Im Anschluss an die "Totenrede" sangen die Burschenschafter
gemeinsam das "Lied vom guten Kameraden". Dann folgte eine Kranzsegnung
durch Militärerzdekan Alfred Sammer. Gegen 21.30 Uhr löste sich die
Veranstaltung auf, zwei Dutzend Burschenschafter mit Uniform und Degen
wurden von der Polizei zu einem Reisebus am Ballhausplatz gelotst. Die
anderen Kundgebungsteilnehmer verließen den Heldenplatz Richtung Innenstadt.
Ungefähr 400 Menschen demonstrierten gegen diese "Heldenehrung".
Charakteristisch für dieses Land und seine staatlichen Medien
ist die Tatsache, dass die ORF-Fernsehnachrichten diese "Heldenehrung"
gestern in ihren beiden Spätnachrichten nicht mit einem Wort erwähnten. Denn
es müsste ja gerade die große Regierungspartei stören, wenn sie einen Abend
zuvor den von Nationalsozialisten 1934 ermordeten Bundeskanzler Engelbert
Dollfuß, Mussolinis treuen Verbündeten, der sich zum Klerikalfaschismus
bekannte, als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus feiert und
bereits am nächsten Tag der Wiener Chef ihrer FPÖ-Koalitionspartner
Geschichtsrevisionismus betreibt.
Dass das österreichische Bundesheer und die katholische
Kirche, beide hierarchisch organisierte Körperschaften es zulassen, dass
einer der ihren bei diesem bräunlichen Mummenschanz der Forschreibung des
nazistischen Heldenkultes mitmacht, zeigt, dass das Problem in Österreich
sich nicht auf den rechten Rand beschränkt.
Aber im Land, dessen offizielle Politik immer noch an der
Legende, die österreichische Gesellschaft wäre pauschal das "erste Opfer des
Nationalsozialismus" gewesen, festhält, kann fast nichts mehr erstaunen.
hagalil.com 10-05-2004 |