2. Bundesweiter Kongress des Netzwerkes jüdischer
Frauen, 16. - 17. Mai 2004 in München
Fremdbild - Selbstbild - Identität
Teil 1: Eine
Facette jüdisch-weiblicher Identitäten und weniger stereotype Fremdbilder
Von Gudrun Wilhelmy
Rund 60 jüdische Frauen, darunter
Wissenschaftlerinnen, Schriftstellerinnen, Rabbinerinnen und vielen anderen
Berufen konnten sich auf dem zweiten bundesweiten Kongress des Netzwerkes
Jüdischer Frauen (NJF) in den Räumen der Israelitischen Kultusgemeinde in
München vom 16.-17. Mai 2004 kennen lernen. Ausgezeichnete Referentinnen
machten den Kongress zu einem außerordentlichen Event. Viele stellten
spontan ihren Besuch auf dem dritten Kongresses vom 19.-20. Mai 2006 in Köln
in Aussicht.
Die Referentinnen hatten sich alle intensiv
auf ihre Themen zum Motto des Kongresses "Fremdbild – Selbstbild –
Identität" vorbereitet. Sie sprachen ausnahmslos über Selbstbild und
Fremdbild und sich daraus entwickelnde Identitätsbilder. Dazu wurde aus der
Perspektive von Literaturkritik, Tora-Auslegung und Midrasch-Forschung oder
Kunstkritik umfassend vorgetragen. Diese Unbeschränktheit und Weite
umkreiste die Frage nach Identität und Selbstverständnis von jüdischen
Frauen. Dass die Veranstalterinnen die provokanten Fragen von Judith
Langford bewusst in das Konzept aufnahmen und damit Kontroversen nicht
gescheut wurden, tat der Veranstaltung gut.
Networking, die aktive Vernetzung von
Frauen mit anderen Frauen zur Verbesserung der beruflichen Situation, fand
während der Pausen am Mittagstisch oder beim Nachmittagskaffee statt: Zu
kurz für vertiefende Gespräche, die über die Reflexion des zuvor Gehörten
hinausgingen, um die Zeit für die in Aussicht gestellte berufliche
Vernetzung zu nutzen. Dies gelang unter den Referentinnen, die in der Regel
bereits sehr gute berufliche Positionen erreicht haben, deutlich besser.
"Bedeutende
Jüdinnen im Bild ihrer Zeit" lautet das Thema mit dem Prof. Dr. Tal Ilan
(Berlin/Jerusalem, Foto links) die das anspruchsvolle Programm mit einem
Parcours durch die Zeit von 1000 v.d.Z. bis 1000 n.d.Z. über bedeutende
Jüdinnen im Bild der Zeit eröffnete. Hier brachte ihre wissenschaftliche
Spurensuche nach Königinnen, Richterinnen und Prophetinnen Frauen zu Tage,
deren weibliche Identität in späterer Zeit teilweise in eine männliche
umgedeutet wurde, wie beispielsweise die Prophetin Hulda. Diese hatte die
Zerstörung des Tempels und das nachfolgende babylonische Exil vorhergesagt.
Priesterinnen gibt es – zumindest nach derzeitigem Stand - nicht oder aber
ihnen wurden heidnische Praktiken nachgesagt. Im Buch der Könige kommt das
Wort Malka (Königin) nicht ein einziges Mal vor, obwohl die Mutter von Achav
lange Zeit in dieser Funktion stand, dies aber als illegitime Usurpation
beschrieben wird. Vor allem die Priester, betonte Ilan, und weit weniger die
Rabbinen verdrängten in den von ihnen schriftlich fixierten Aufzeichnungen
die Rolle von Frauen. Dies bestätigt sich auch in Bezug auf Schlom Zion,
deren 9jährige Regierungszeit als Königin durch "Regen zur richtigen Zeit"
gesegnet wurde (Deutonorium). Im Gegensatz zu ihren männlichen Vor- und
Nachfolgern, die dies niemals erreichten. Die Geschichte von Beruria, die
erstaunlicherweise mit einer Auslegung im Talmud aufgenommen ist, also einer
Gelehrten von hohem Rang, ist noch heute erschütternd. Opfer männlicher
Eitelkeit und Intrige brachten sie moralisch vor deren Auge zu Fall, deren
Verhalten jedoch nicht als unmoralisch reflektiert wird. Im Deutschen hat
man hierzu eine vielleicht drastische umgangssprachliche Ausdruckweise: Wer
andern eine Grube gräbt, ist selbst ein Schwein.
Anne Lapidus Lerner (l.) und Paila Hyman (r.)
Das Bild jüdischer Frauen in der Moderne
hat Prof. Dr. Paula Hyman (New Haven) - und bei ihr ist vorwiegend das Bild
der anderen gemeint - und wie es Selbstbild und Verhalten beeinflusst,
eingehend untersucht. Hier unterscheidet sich das Bild der jüdischen Frau
von dem des jüdischen Mannes in der Wahrnehmung der Nicht-Juden auffallend.
Sie ist Femme fatale, die orientalische, sexuelle Begehrlichkeiten weckende
Schönheit, eine kluge Frau und mit Tugenden ausgestattet, sodass sie
zeitweise sogar als ausgezeichnete Ehefrau für christliche Männer
angepriesen wird. Die negativen, antisemitischen Zuweisungen treffen
ausschließlich jüdische Männer. Diese Sichtweise ändert sich mit dem
Aufkommen des modernen rassisch bestimmten Antisemitismus, der beide
Geschlechter mit gleichen negativen Abziehbildern judenfeindlicher
Vorstellungen nachhaltig belegte. Als Beispiele nannte Hyman die Rebecca in
Ivanhoe von Sir Walter Scott bis hin zu Werken von Balzac. In Zeiten von
Massenemigration nach England jedoch, werden auch jüdische Frauen als
Bedrohung empfunden und – zumindest vorübergehend – eher negativ gesehen.
Wie die nicht-jüdische Umwelt den Widerspruch zwischen ihrem Bildes vom
Juden als schmutzigen Wucherer (Vaterbild) und andererseits der exorbitanten
sexuell stimulierenden Schönheit (Tochterbild) im Bewusstsein verarbeitete
oder löste ist eine Frage, die offen bleiben musste.
Nach
den drei Workshops oder dem alternativ dazu angebotenen Rundgang mit Ellen
Presser durch das jüdische München, brillierte Prof. Dr. Anne Lapidus Lerner
(New York, Foto rechts) mit ihrem Vortrag "In Eve's Shadow: Eve and the
Imagining of Jewish Women". Die Entstehung/Schöpfungsgeschichte Evas
untersuchte sie systematisch in Tora und Midrasch. Gleich, ob sie die später
im Text stehende Stelle mit der Entstehung aus Adams Rippe auslegt (die bei
Befragungen immer als erste genannt wird) oder die erste Stelle der
gleichzeitigen Schöpfung eines Wesens, aus dem durch Teilung Eva und Adam
entstehen untersucht, ihre logischen Folgerungen lassen in keinem Falle den
Schluss einer Unterlegenheit Evas zu. Die Gleichheit beider Geschlechter
stellt sich als wertfreie wissenschaftliche Untersuchung vor die
patriarchalisch geprägten Auslegungen und fordert zum Diskurs. Ihre
Ergebnisse sind stimmig, nicht weil sie in unsere Zeit passen, sondern weil
die Schlussfolgerungen richtig sind. Selbst in einer Kritik eines modernen
Gedichtes zu diesem Thema kommt sie aus Sicht der Sprachkritik und
Tora-Auslegungen zum gleichen Schluss: Die Geschlechter wurden als
gleichberechtigte geschaffen, ohne Hierarchie oder Vorherrschaft eines der
Geschlechter über das andere. Lerner arbeitet an einem Buch zu dem Thema.
Ihre Auslegungen und die Vorträge ihrer
Mitreferentinnen auf diesem Kongress machen deutlich, wie sehr bisher
patriarchalische Strukturen unhinterfragt als jüdische angesehen werden und
wie wenig sie einer geschlechtsneutralen Forschung im Bezug auf die Rolle
von jüdischen Frauen in Tora von der Schöpfungsgeschichte, politische und
religiöse Funktionen bis zur Jetztzeit standhalten. Eine vermehrte
wissenschaftlich fundierte Forschung der Auslegung von Torah- und
Midraschtexten kann nachhaltig helfen, den emanzipatorischen, egalitären
Ansatz in der Religionsauslegung zu unterstützten und zu etablieren. Wie
sagte Rabbiner Bea Wyler: "Mir wurde die Tora auch gegeben."
Sehr spät vor einem bereits erschöpften
Publikum sprach Dr. Eva Lezzi (Berlin) über ihre Ausarbeitungen von
Positionen deutsch-jüdischer Autorinnen dem sie das Zitat von Rahel
Varnhagen voranstellte "Diese Raserei ist wahr, ist zu übersetzen". Mit
welchen Tricks literarisch tätige Frauen arbeiteten und sich auch selbst
beschnitten, nahm einen Teil ihrer Darstellung aus. Machten Priester in der
Tora aus Frauen Männer oder verleugneten sie, so taten es Frauen auf dem
literarischen Feld zum Teil selbst: Sie schrieben oder schreiben unter
männlichem Pseudonym und erlangen nur auf diese Weise einen Rang in der
offiziellen Literaturkritik, beschränken sich (Glückl von Hameln) auf
Schriften für die Familie oder Briefe als Literatur (Rachel Varnhagen) und
das Initiieren von Salons. Sehr spät erst stellen sich jüdische Frauen ihrer
eigenen Berufung als Schriftstellerinnen ohne Bezüge zu ihrem Judentum zu
leugnen, ohne offene oder verschwiegene Übertritte zum christlichen Glauben.
Heute hat die Emanzipationsbewegung von Frauen in unserer Zeit auf der
ganzen Welt ihre positiven Auswirkungen auf jüdische Schriftstellerinnen wie
Esther Dischereit oder Erica Fischer. Diese leugnen weder ihre jüdische
Herkunft noch ihr Frausein, widmen sich Themen nach eigenem Interesse und
nicht zwanghaft nach einer Ausrichtung im jüdischen Kontext. Um so
bedauerlicher, dass die Lesung von Viola Roggenkamp nicht stattfand und die
Diskussion darüber deshalb auch entfiel.
Fotos: © Magret
Schmidt
hagalil.com
21-05-2004 |