Neonazi-Gewalt in Frankreich I:
Jüdischer Friedhof im Elsass geschändet
Von Bernard Schmid, Paris
Die Täter wussten, was sie taten, denn sie hatten das
Datum wohl mit Bedacht gewählt. Am Freitag, 30. April wurde vormittags die
Schändung des jüdischen Friedhofs von Herrlisheim im französischen
Département Haut-Rhin (südliches Elsass), bei Colmar, entdeckt. Der Fahrer
eines zufällig vorbei kommenden LKW hatte die Behörden alarmiert.
Die Datumswahl ist kein Zufall: Auf einem der beschmierten
und besudelten Grabsteine war "30.04.1945" aufgemalt. An jenem Tag beging
Adolf Hitler in seinem Bunker in Berlin Selbstmord; ihm hatten die Neonazis,
die unzweifelhaft die Urheber der Schändung waren, auf ihre Weise "gedenken"
wollen.
Dabei wurden in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag 127
Grabsteine und eine Gedenktafel "für die Opfer der NS-Barbarei (1940 45)"
mit Hakenkreuzen, SS-Runen, faschistischen Keltenkreuzen oder Nazisprüchen
beschmiert. In deutscher Sprache wurde etwa "Juden raus", "NSDAP" oder "Ein
Reich, ein Volk, ein Führer" geschrieben. Zwei schwarz-rot-gelbe
Deutschlandfahnen wurden aufgefunden, auf denen "Ein Reich Elsass Sieg
für unser Führer" (Rechtschreibung im Original) stand.
Der jüdische Friedhof des 1.800 Einwohner zählenden
Herrlisheim wurde bereits zum vierten Mal geschändet, das letzte Mal davor
am 30. August 1992 (mit 193 umgeworfenen oder zerbrochenen Grabsteinen). Das
liegt einerseits daran, dass er sich an einem relativ abgelegenen Ort
befindet und daher den Tätern das unbemerkte Agieren erleichtert.
Andererseits hängt es damit zusammen, dass die extreme Rechte im Elsass
insgesamt stark ist, mit 27 Prozent der Stimmen (für den Front National und
die rechtsextremen Regionalisten von "Alsace d'abord" zusammen genommen) bei
den Regionalparlamentswahlen im März 04. Eine ausgeprägte
"Deutschfreundlichkeit" ist in manchen rechten Kreisen verbreitet,
wenngleich gesellschaftlich minoritär.
Insgesamt wurden in Frankreich im ersten Vierteljahr 2004
bereits 67 antisemitische Straftaten und 160 Drohungen registriert. Dabei
gehen allerdings beileibe nicht alle solche Taten auf rechtsextreme Kreise
zurück; denn auch sozial marginalisierte Randgruppen der arabischstämmigen
Einwandererjugend verüben seit dem Jahr 2000 vermehrt Übergriffe auf
französische Juden, als Folge einer chauvinistischen Rezeption des
Nahost-Konflikts. Gleichzeitig und unabhängig davon kommt es in Frankreich
seit rund zwei Jahren, als ideologische Folgewirkung der 11.
September-Attentate, auch vermehrt zu Attacken von Rassisten auf moslemische
Kultstätten und daneben auf maghrebinische Geschäfte. Allein sechs davon
wurden nur im Monat April im südelsässischen Département Bas-Rhin verübt
(Quelle: "Journal du dimanche", 02. Mai).
Positiv wurden im konkreten Fall die schnellen Reaktionen
aufgenommen: Staatspräsident Jacques Chirac telefonierte sofort mit dem
Präsidenten der israelitischen Kultusgemeinde des Départements, Pierre
Dreyfus. Und sein Innenminister Dominique de Villepin nahm noch am Freitag
nachmittag an einer kurzen religiösen Zeremonie teil. Frankreich war wegen
der hohen Anzahl von Attacken gegen jüdische Einrichtungen und Personen, die
vor allem zwischen 2000 und 2002 u.a. in Folge einer Identifikation
französischer Juden mit der israelischen Politik durch einen (kleinen) Teil
der französischen Araber verübt wurden, in die internationale Kritik
geraten. Am Sonntag, 2. Mai nahmen in Herrlisheim mehrere hundert Menschen
an einer Protestkundgebung gegen die Schändung des jüdischen Friedhofs teil.
hagalil.com 03-05-2004 |