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Entwurzelung, Flucht, Vertreibung, Neuanfang:
Fotografien von Boris Carmi in der "Akademie der Künste"

Eine Ausstellung von Alexandra Nocke (Kuratorin) in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin-Tiergarten
15. Mai 2004 bis 27. Juni 2004

Von Martin Jander

Der Fotograf Boris Carmi (1914 – 2002) verfolgte mit seiner Kamera über 60 Jahre lang Leben und Gesellschaft Israels. Anlässlich seines 90. Geburtstages zeigt die Berliner "Akademie der Künste" erstmals das Werk des Presse- und Dokumentarfotografen als Einzelausstellung außerhalb seiner Heimat. Vorgestellt werden Fotografien aus der turbulenten Phase der Staatsgründung 1948, des beginnenden Krieges mit den Arabern, der Massen-Einwanderung aus aller Welt und der Wirtschaftskrise, aber auch Porträts von Künstlern und Politikern. Seine Bilder berichten von den enormen Herausforderungen, denen das junge Land ausgesetzt war.

Die Fotografien von Boris Carmi dokumentieren jedoch nicht nur, sie erzählen auch Geschichten, die sich dem Betrachter nicht auf den ersten Blick erschließen. Sie haben eine nicht sofort zu entschlüsselnde künstlerische Bedeutung. Um welchen universellen Sinn es dabei geht, wird dem Betrachter nicht gleich bewusst. Dass hier jedoch ein Subtext verborgen sein muss, spürt er unmittelbar.

Alexandra Nocke jedenfalls, Kulturwissenschaftlerin und Kuratorin der Ausstellung der Fotografien Carmis, hat die Ausstrahlung der Bilder sofort erfasst. Als sie sich zur Vorbereitung ihrer Doktorarbeit über israelische Identitätskonstruktionen ein Jahr in Tel Aviv aufhielt und dabei den Fotografen und seine Bilder kennen lernte, "sprang mir" – sagt sie im Interview – "das erzählerische Potential der Fotografien unmittelbar ins Auge."

Mit beeindruckender Energie hat sie seit diesen Tagen den Plan verfolgt, eine Auswahl der Bilder in einer Ausstellung zu präsentieren. Vornehmlich auf sich selbst und ihre Faszination von den Bildern gestellt, gelang es ihr schließlich ausreichend Sponsoren und Unterstützer zu finden. Letztlich übernahmen sogar der scheidende Bundespräsident der Bundesrepublik, Johannes Rau, und der israelische Staatspräsidenten Moshe Katzaw die Schirmherrschaft für die am 14. Mai 2004 – 56 Jahre nach der Proklamation des israelischen Staates – eröffneten Ausstellung in Berlin.

Sehr schnell erfasst hat wohl auch Matthias Flügge, Vizepräsident der Akademie, die Kraft der Bilder. Als Alexandra Nocke vor mehr als zwei Jahren mit einer Mappe der Fotografien Carmis bei ihm auftauchte, habe er der Vorbereitung einer Ausstellung sofort zugestimmt. Die Fotos von Carmi seien der Kunstkategorie "subjektive Autorenfotografie" zuzurechnen, erläutert er in seiner Eröffnungsrede.

Allerdings macht er auch eine Bemerkung, die den politischen Kontext der Ausstellung in der Bundesrepublik – und vielleicht Europa – sehr scharf sichtbar werden lässt. Die Akademie wolle mit der Ausstellung keinesfalls "einseitig Partei im Konflikt im Nahen Osten ergreifen", sagt Flügge. Das Publikum der Eröffnungsfeier protestiert nicht. Für einen kurzen Moment jedoch wird es sehr still. Ob Flügge eine solche Bemerkung auch im Kontext von Fotografien eines russischen oder – nur als Beispiel – norwegischen Künstlers gemacht hätte?

Sehr schnell hat die Bedeutung der Bilder Carmis sein Freund Shlomo Arad erfasst, der bis vor einiger Zeit noch als Fotograf für die Zeitschrift Newsweek arbeitete und der eigens zur Eröffnung der Ausstellung nach Berlin gereist ist. Boris Carmi, der 2002 gestorben ist, hätte sich sicher sehr über diese erste zusammenhängende Ausstellung seiner Bilder außerhalb Israels gefreut, erläutert er im Gespräch. Bereits 1988 habe man zusammen begonnen, die besten Fotos aus den mehr als 20.000 Negativen zusammen zu tragen.

Es sei ganz eindeutig, dass viele der wirklich bedeutenden Fotos von Carmi vor allem von Entwurzelung, Flucht und einem oft konfliktreichen Neuanfang erzählten. Einsamkeit, Hoffnung, Desorientierung, Verzweiflung und oft auch neuer Lebensmut, vor allem jedoch der Blick auf jedes einzelne Gesicht seien das eigentliche Thema von Carmis Bildern. "Du hast Dich der Aufgabe gewidmet, die Geschichten und die Gefühle der orientalischen und europäischen Flüchtlinge und Vertriebenen zu erzählen, die nach Israel kamen", habe er ihm einmal gesagt. "Und Du hast es gut gemacht", habe er hinzugefügt. Carmi jedoch habe abgewehrt. Er habe lediglich versucht, die Berichte der Korrespondenten, mit denen er als Fotograf verschiedener Zeitungen in Israel, aber auch in Europa und Afrika unterwegs war, durch einen anderen Gesichtspunkt zu ergänzen, habe er bescheiden – zu bescheiden wie Shlomo Arad meint - erwidert.
 

Palmach Treffen im Wald bei
Ben-Shemen, 1948
Zur Vergrößerung Bilder anklicken!
© Kobi Carmi (Tel Aviv)
Arad kann seine Bewertung der Bilder von Boris Carmi besonders gut an einem der wohl berühmtesten Fotos von Boris Carmi aus dem Jahr 1948 erläutern. Mitten in einer Gruppe von Soldaten lehnt sich eine junge, schöne Frau an einen Baum. Sie trägt kurze Khaki-Hosen, eine Pistole im Halfter und eine Kaffiyeh auf dem Kopf. Zu ihren Füßen sitzt ein junger Soldat. Blickt man genauer auf seine linke Hand, entdeckt man eine eingebrannte Nummer und weiß, dass er aus einem Konzentrationslager gekommen ist. "Jahrzehnte lang galt dieses Bild als ein Symbol der israelischen Identität schlechthin", erzählt Arad dem Reporter der "Netzeitung" vor der Eröffnung der Ausstellung in Berlin. "Man hat das Bild aber immer so geschnitten, dass man die Nummer auf der Hand nicht sehen konnte." Erst 1996 habe er selbst das Foto für Carmi gedruckt und dabei die Tätowierung entdeckt.

Wer die Berliner Ausstellung, etwa 100 Fotos aus dem Gesamtwerk Carmis, besucht, oder den gleichzeitig erschienenen Fotoband ansieht, wird schnell feststellen, wie präzise Shlomo Arad die Bedeutung dieser Bilder zu beschreiben vermag. Der Fotograf und Freund drückt es ganz ähnlich aus wie György Konrad, von 1997 bis 2003 Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Künste, in seiner Eröffnungsrede. Sie bildete den eigentlichen Höhepunkt der Ausstellungseröffnung. György Konrád übersetzte die Bilder Boris Carmis in kleine Geschichten: "Augen, vieles wissende, sprechende Augen, sehen hinter dem, was sie sehen, auch noch etwas anderes. Sie blicken in die Vergangenheit, dort verharren sie und sehnen sich danach zurück, was nicht mehr vorhanden ist, nach einem Ort, der anderswo ist. Aber wohin sollten sie von hier aus gehen? Es kommt ein Lehrer oder ein Wissenschaftler mit seiner Familie daher: dunkelgrauer Anzug, Krawatte, heller Hut, um ihn herum Wüste, staubige Wege, er sieht nach vorn. Ein Einwanderer mit markanten Gesichtszügen in seinem neuen Zuhause schaut vor sich hin; im Hintergrund schwirrt es geschäftig umher. Die aus Afrika kommende junge Frau, die den Säugling an sich drückt, hat vielleicht niemanden und nichts auf der Welt als dieses Baby.
 
Der Fremdling mit Krawatte und Stoppelbart blickt in die öde Welt. Realistische Blicke - nun ja, so ist das eben - sie geben sich Rechenschaft über die neue Wirklichkeit. Nur dieses neue Zusammengehörigkeitsgefühl gibt es, darin müssen diese Menschen ihr Zuhause finden. Doch das kleine Land ist auch ein buntes Abenteuer; so viele verschiedenartige Menschen, komisch, dass das Judentum so vielfarbig ist wie die Menschheit selbst.
Neueinwanderer, 1950er Jahre
Zur Vergrößerung Bilder anklicken!
© Kobi Carmi (Tel Aviv)

Die Frau aus dem Jemen hockt vor dem verputzten Backofen, versinkt, während sie in alten und schäbigen Töpfen kocht, in ihrer eigenen Welt. Viel Resignation oder einfacher ausgedrückt Traurigkeit in den Augen. Denn auch in den von Schönheit leuchtenden Augen lauert die Kenntnis der Dunkelheit. Eine raue Gegend, primitive Gegenstände, die Menschen sind nicht verwöhnt, vom Lastwagen laden sie ihre ärmlichen Habseligkeiten ab, auf der Seite gaffen die Kinder. Dann stellt sich die Idylle ein; eine orientalische Familie sitzt zusammen auf der Steinterrasse. Das entspricht ihrer Eleganz in jedem anderen nahöstlichen Land, und auch in die Kamera würden sie so und nicht anders schauen, während sie auf das leise Klicken warten."

Dr. Martin Jander, geb. 21.1.1955, Historiker, studierte Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Heute arbeitet er als freier Autor, forscht, lehrt und publiziert zu den Themen Politische Theorien, Nationalsozialismus, Shoah und Deutsche Nachkriegsgeschichte. Darüber hinaus ist er Mitarbeiter der Redaktion der Zeitschrift „Horch und Guck“ und betreibt in Berlin die Stadtführungsagentur "Unwrapping History".

György Konrád:
Eröffnungsrede zur Fotoausstellung Boris Carmi
 

Begleitend zur Ausstellung erscheint das Katalogbuch:

Alexandra Nocke (Hrsg.):
Boris Carmi – Photographs from Israel,
Prestel Verlag 2004
Euro 29,95

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Veranstaltungen der "Akademie der Künste" in Berlin im Rahmen der Ausstellung:

  • "POST INS GELOBTE LAND"
    Lesung
    2.6.2004
    Hanseatenweg 10

    Anna Seghers erzählt die Geschichte einer polnisch-jüdischen Familie, die nach einem Pogrom über Wien und Kattowitz nach Paris emigriert und dort zu bürgerlichem Wohlstand kommt. Nach vielen Jahren wandert der alte Vater noch einmal aus - nach Palästina, seinem Traumziel - und der inzwischen sterbenskranke Sohn versorgt über seinen Tod hinaus den Vater bis zu dessen Lebensende mit "Post ins Gelobte Land".
    Die Erzählung wird gelesen von Ulrich Matthes und Lena Stolze.

  • ZEITZEUGEN
    Gespräch
    3.6.2004
    Hanseatenweg 10

    In seinem autobiografischen Buch "Der Sohn des Rabbiners" erzählt der Komponist Josef Tal in der für ihn charakteristisch launig-luziden Weise aus seinen Erinnerungen: an die Kindheit und Jugend in Berlin, die Phase der Emigration nach Palästina, sein Engagement beim Aufbau des Musiklebens im jungen israelischen Staat. Wie Boris Carmi mit der Kamera, so hielt Josef Tal seine Erlebnisse im Wort fest. Beide dokumentieren die schwierigen Anfangsjahre Israels, das zur neuen Heimat wurde. Für Boris Carmi sprechen die Fotos der Ausstellung; Josef Tal wird im Gespräch mit Alexandra Nocke, der Ausstellungskuratorin, von den Lebensumständen, seinen Eindrücken und Erfahrungen berichten.

hagalil.com 16-05-2004

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