Rassismus und Antisemitismus:
Frankreich veröffentlicht Jahresbericht 2003
Von Bernhard Schmid, Paris
Am Donnerstag, 1. April legte die französische Nationale
Beratungskommission für Menschenrechte (CNCDH), die als unabhängiges Gremium
dem Premierminister zuarbeitet, ihren Jahresbericht vor. Seit den Achtziger
Jahren veröffentlicht die CNCDH alljährlich um diese Zeit, meist Ende März,
ihren Report, der als Zustandsbericht für die französische Gesellschaft
gelten kann. Das Dokument nimmt, wie gewohnt, eine Bestandsaufnahme über den
Rassismus und den Antisemitismus in der französischen Gesellschaft vor.
Dabei erscheinen beide als komplementäre Phänomene.
Der soeben publizierte Jahresbericht für 2003 verzeichnet für
das zurückliegende Jahr insgesamt 817 Gewalttaten und drohungen. Das
widerspiegelt einen Rückgang gegenüber dem 2002 erreichten Rekordniveau
(1313), aber noch immer einen starken Anstieg gegenüber dem voran gegangenen
Jahrzehnt: 1990 wurden 189 solcher Straftaten verzeichnet, 1995 waren es
614. Von den Gewalttaten und drohungen
richten sich 72 Prozent oder 588 Straftaten (463 Bedrohungen und 125
Gewaltdelikte) gegen französische Juden; im Jahr 2002 waren es 932 gewesen.
Von 70 persönlichen Aggressionen gegen jüdische Menschen betrafen gut 30
Schulkinder oder Jugendliche. Dabei kommen aber die Täter selten aus der
sprichwörtlichen Mitte der Gesellschaft, sondern eher aus ihren
Randbereichen: Eine nicht näher genannte Anzahl sind Immigranten; in rund 10
Prozent (2003) bis 15 Prozent (2002) der Fälle wurden französische
Rechtsextremisten als Täter identifiziert.
Weiter in bürgerliche Kreise hinein verbreitet sind
rassistische Denkformen gegen Immigranten aus der Dritten Welt, vor allem
gegen Araber. Besonders hervor hebt die CNCDH den spezifischen Rassismus
gegen Algerier, der aus der französischen Kolonialgeschichte erklärbar ist.
Bei einer Befragung durch die Kommission antworteten 45 Prozent, Moslems
seien im Prinzip nicht integrierbar, sondern blieben in erster Linie Moslems
- während 44 Prozent es für möglich erklären, zugleich Franzose und Moslem
zu sein. Jüdische Menschen sehen 25 Prozent in erster Linie als Juden,
während 56 Prozent der Antwortenden sie zugleich als Juden und als Franzosen
betrachten. Der Rassismus brachte im
vergangenen Jahr (außerhalb der antisemitisch motivierten Taten) 229
Gewaltdelikte hervor. Als Zielgruppen wurden in 81 Prozent der Fälle
Menschen maghrebinischer Herkunft identifiziert. Ein wachsender Teil der
Gewalt gegen Sachen (22 Prozent, gegenüber 12 Prozent im Jahr davor) richte
sich gegen moslemische Kulteinrichtungen, so die CNCDH.
Befragt nicht nach den eigenen Vorurteilen, sondern denen der
anderen und der Gesellschaft insgesamt, erklärten 88 Prozent der Befragten
den Rassismus für "verbreitet" in Frankreich; 64 Prozent halten seine
Bekämpfung für notwendig. Als Ziel- oder Opfergruppen nennen 48 Prozent
Araber oder Algerier, 13 Prozent nennen Juden. 10 Prozent wiederum nennen
"Franzosen, Weiße und Europäer" als angeblich wichtigste Opfer von
Rassismus.
hagalil.com 04-04-2004 |