Ein Schlag
ins Gesicht der Überlebenden:
Eine retrospektive
Kritik an "Aimée und Jaguar"
Von
Clemens Heni
Die
deutsche Selbstversöhnungsrhetorik hat mit dem Film "Aimée und Jaguar" von
Max Färberböck, der auf seine Weise das Textmaterial des gleichnamigen
Buches von Erica Fischer filmisch umsetzte, im Jahre 1999 einen weiteren
Höhepunkt erreicht. Das wurde insbesondere von Esther Dischereit bereits zur
selben Zeit klar und deutlich festgehalten.
Dischereit hat
gründlich recherchiert, Akten gewälzt, die Stationen des Überlebens, des
Fliehens von der Prager Straße 29 zur Claudiusstraße, vom Nollendorfplatz
nach Friedenau etc. der Jüdin Felice Schragenheim in Berlin 1941-1944
erkundet, den Konnex von Deportation, Untertauchen und einer letzten
Möglichkeit: einer Beziehung zu einer ganz normalen, deutschen Frau, die
Schutz bieten könnte, dargestellt. Liebe als Rettungsanker. All das ist bei
Dischereit auch online nach zu lesen, vgl. unten.
"Im Vorwort [von
Erica Fischer] heißt es, daß die Überlebenden keinen Frieden mit Lilly
Wust schließen können und wollen. Nein, können sie auch nicht, wenn da
Schuld wäre, gäbe es keinen Grund, 'Aimée', Lilly Wust, zu einer
Retterin zu stilisieren. Die Buchautorin Erica Fischer äußerte unlängst,
ihr scheine es im Film immerhin gelungen, 'mit dem Thema nicht voller
Schuld, Selbstbezichtigung und Schwere umzugehen'. Nun ja, es gibt wohl
Themen, da gibt es Schuld und Schwere und auf Selbstbezichtigung warten
die Staatsanwaltschaften noch immer"( Esther Dischereit (2001): Mit
Eichmann an der Börse. In jüdischen und anderen Angelegenheiten, Berlin
(Ullstein), S. 71)
Denn auch gewisse
Teile des interessierten Publikums, das ansonsten sehr offen ist für
radikale Kritik an Deutschland und Antisemitismus, haben sich an diesem
Punkt der innerdeutschen Selbstversöhnung, die von Dischereit verweigert
wird, resistent gezeigt. Die Erzählungen einer Erica Fischer haben offenbar
eine lange Haltbarkeitsdauer. Da selbst die Stimme einer jüdischen
Überlebenden des Holocaust in diesem Fall nichts zu zählen scheint, möchte
ich dieser Stimme wenigstens ein klein bißchen Raum verschaffen und an sie
erinnern, sie aufwärmen.
Die aktuelle Rezension
des Bildbandes "Erica Fischer: Das kurze Leben der Jüdin Felice
Schragenheim "Jaguar", Berlin 1922 Bergen-Belsen 1945. Mit Reproduktionen
und Fotos von Christel Becker-Rau, dtv, München 2002", der das Buch
"Aimée und Jaguar" (Erica Fischer), dessen Erstauflage 1994 erschienen
war, Ende 2002 noch einmal publikumswirksam untermalen möchte, von Petra
M. Springer, deren kleiner aber bezeichnender Artikel zuweilen
über Monate hinweg auch von Online-Magazinen sehr positiv aufgenommen wurde
und im Original auf
http://www.neuewelt.at (Ausgabe 4/5 2003) nachzulesen ist, ist ein
Schlag ins Gesicht der Überlebenden. So heißt es:
"Die Liebe
zueinander veränderte das Leben beider Frauen grundlegend. Lilly ließ
sich scheiden, Felice gab ihre Tarnung auf und lieferte sich dadurch
ihrer großen Liebe aus. Das Glück der beiden währte aber nur kurze
Zeit."
Hier wird schon
festgezurrt, daß es sich um "Liebe" gehandelt habe, primär (!), und nicht um
die einzig verbliebene Möglichkeit für eine Jüdin im Berlin jener Jahre zu
überleben.
Sie basiert auf den
Phantasmen der Lilly Wust, die von Frau Fischer seit Jahren lanciert werden
und natürlich in Deutschland, dem Land der großen Wiedergutmachung mit sich
selbst, ankommen. Das Publikum ist eine Volksgemeinschaft der besonderen
Art: Künstler, KulturtheoretikerInnen, Feministinnen, Berlinale-Fans und
unkritische Lesben kommen gleichermaßen auf ihre identitären Kosten.
Denn es liegt ein
weiterer Fall von Verwertung jüdischen Lebens in dem Film Aimée und
Jaguar vor, der auf der wahrhaften Geschichte beruhen soll (!), dessen
Hauptdarstellerinnen auf der Berlinale 1999 den silbernen Bären bekamen, als
beste Darstellerinnen. In diesem Film wird das Leben der Jüdin Felice
Schragenheim und ihrer Geliebten Lilly Wust (die noch lebt) im Berlin der
Jahre 1943/44 gezeigt. Am Ende wird Felice ermordet. Die Vorgeschichte wird
dabei nicht nur in dem Film entstellt. So hat sie z. B. ihrer lesbischen
Geliebten Lilly Wust noch auf dem Sammelplatz der Geheimen Staatspolizei
(Gestapo) einen Erbschein unterschrieben, den Lilly Wust, vormals stramme
Nazi-Frau, nach dem Krieg bei der überlebenden Schwester und FreundInnen von
Felice einlösen wollte, was in dem Film gekonnt verschwiegen wird.
"Am 28.7.44 erhält
Lilly Wust eine Schenkungsurkunde von Felice Schragenheim; am 21.8.1944
wird Felice Schragenheim deportiert. Also drei Wochen später. In den
Krimis kommt an dieser Stelle immer eine Lebensversicherung vor,
anschließend der Tote. Das hätte uns stutzig gemacht"(Dischereit 2001:
69)
Es ist gewiß kein
Zufall, daß das Material einer arischen Deutschen wie Lilly Wust nicht der
Staatsanwaltschaft sondern einem Regisseur vorgelegt wurde.
Dischereit berichtet
auch von vielen weiteren Geschenken, "Frauenkleidern aus Foulardseide und
feinem Leinen, Abendkleid aus Taft"...
Noch der Besuch von
Felice im KZ Theresienstadt, von dem alle im Untergrund lebenden Juden und
Jüdinnen der arischen Deutschen mit Mutterkreuz und der Manie, ihre
(jüdische) Geliebte gerade vor ihren SS-Freunden auf Parties zu
präsentieren, abgeraten hatten, wird nicht in seiner Todesgefahr
heraufbeschwörenden Dimension erkannt. Elenai Predski-Kramer, die
jüdische Überlebende und Freundin von Felice, stellt diese Fragen. Sie
ist stark enttäuscht, getäuscht und traurig ob der Geschichtsphantasmen von
Wust, die von Fischer als Wahrheit angenommen wurden. Noch 1999 als Esther
Dischereit ihre Recherchen veröffentlichte und als erste die Hintergründe
des skandalösen Films von Färberböck beleuchtete, hatte Dischereit Elenai
P.s Namen nicht ausgeschrieben. Frau Predski-Kramer wollte nicht genannt
werden. Die Verletzungsgefahr ist zu hoch in diesem Deutschland. Doch Jahre
später, viele Auflagen und Preise für Aimée und Jaguar später, möchte Elenai
Predski-Kramer nicht länger schweigen und tritt mit großem Mut an die
Öffentlichkeit. Katharina Sperber hat auf sehr einfühlende, nachdenkliche,
kritische, emphatische Art und Weise aus den Gesprächen mit Elenai
Predski-Kramer einen sehr wichtigen Artikel verfasst (vgl. link).
Doch selbst dieser
Artikel wird z. B. von einer Petra M. Springer nicht zur Kenntnis genommen.
Auch sie schlägt mir ihrer Rezension Predski-Kramer ins Gesicht. Da
Springers Artikel schon über ein Jahr alt ist und sie offenbar kein
Bedürfnis sah, ihn zu ergänzen, zu revidieren gar, halte ich diese harsche
Kritik für unabdingbar.
Viele Ungereimtheiten
(die in den unten angehängten links zu Dischereit und Sperber sehr
gut nach zu lesen sind) lassen Fragen über Fragen offen, schließlich Wut:
"Die feministischen
Reflexionen über nazideutsche Täterinnen waren immer recht spärlich und
spät gefallen. Und Aimée wirkt entlastend, so wurde letztlich nicht die
Geschichte der Felice Schragenheim geschrieben, sondern die von Lilly
Wust. Die Stilisierung zur Love-Story, wie die Geschichte im Titel eines
Dokumentarfilms über Jaguar und Aimée genannt wurde, und zu einem – wenn
möglich – neuen deutschen Kultfilm entspräche dem fortschreitenden
Wir-Gefühl. Da haben die Täterinnen schon fast so viel gelitten wie die
Opfer, und die Nicht-Opfer sind den Opfern emphatisch jedenfalls beinahe
gleich. Alle handelnden Personen im Film haben verdeckte Namen, nur
Jaguar nicht. Sie heißt Felice. Sie kann keinen Einspruch erheben. Es
fehlt nicht mehr viel, bis Auschwitz als das kollektive Massada der
Deutschen in eine geläuterte nationale Selbstdefinition eingeht. Opfer
sind alle und Erinnerung gemeinsam: die Toten aber könnten beiseite
bleiben. Die stören. Überlebende manchmal noch mehr. Ehre, Würde,
Vermögen, Leben der Opfer waren schon gestohlen, bleibt noch deren
Geschichte”(Esther Dischereit 1999).
Daß es zumal in der
linken Szene der Nachfolgestaaten des Nationalsozialismus immer um das
Suchen der eigenen Widerständigkeit ging und geht hat bis auf den heutigen
Tag verhindert, die Rolle der Linken bei der Mythifizierung des guten Volkes
zu hinterfragen. Noch nicht einmal die Tatsache, daß Lilly Wust, die arische
Deutsche, eine Nazi-Frau war, hat die Szene, mithin und insbesondere die
FrauenLesben-Szene nachhaltig irritiert. Die (vermeintlich) lesbische Liebe
hat alles übertüncht und die deutsche Narzisstin konnte ihren Coup landen.
Im Film mit deutscher Besetzung (Maria Schrader, Juliane Köhler) und
deutschem Regisseur (Max Färberböck) wurde das mit einem silbernen Bären auf
der Berlinale 1999 ausgezeichnet. Bei einer Geschichte die so grotesk und
infam an der Wahrheit vorbei schrammt, die Worte einer Überlebenden denen
einer deutschen "Nazi-Mitläuferin" nicht vorzieht sondern übergeht, bei
solch einer Geschichte wird mir übel.
Wer sich also kritisch
und nicht links-identitär mit dem Nationalsozialismus beschäftigen möchte,
dem und der seien die beiden wichtigsten Texte einer Hinterfragung der
Phantastereien Erica Fischers empfohlen: erstens Esther Dischereits Artikel
in der FR, der komplett bereits in der Wochenzeitung aus der Schweiz vom 20.
Mai 1999 abgedruckt worden war (http://www.hagalil.com/archiv/99/10/jaguar.htm)
und zweitens der auf einem Gespräch mit der Freundin von Felice Schragenheim
basierende und im Gegensatz zu Erica Fischer die Stimme von Elenai
Predski-Kramer sehr ernst nehmende Artikel von Katharina Sperber aus der FR
vom 07. Januar 2003:
"Eine andere
Version: Schmerzhafte Erinnerungen einer Überlebenden
Von Katharina
Sperber
Elenai
Predski-Kramer, mit der im KZ ermordeten Felice Schragenheim befreundet,
erzählt eine andere Version von "Aimee und Jaguar"
Wie vor den Kopf
geschlagen fühlte sich Elenai Predski-Kramer, als sie vor acht Jahren
die Auslage einer Buchhandlung betrachtete. Zwischen all den Titeln, die
da ausgestellt waren, entdeckte sie einen Buchdeckel mit einem großen
Schwarz-Weiß-Foto. Darauf zwei Frauen im Badeanzug am Havelstrand. Beide
Frauen kannte sie. Die eine ist die Jüdin Felice Schragenheim, die
andere Lilly Wust, eine mit dem Mutterkreuz dekorierte Nazi-Mitläuferin"
(http://www.berlin-judentum.de/frauen/predski.htm).
Auf geradezu obszöne
Weise geriert sich Erica Fischer (Ende Januar 2003) zum Opfer; auf
alle Argumente, die Dischereit oder Predski-Kramer und andere KritikerInnen
ihrer Geschichtsklitterung bringen, reagiert sie gar nicht, schweigt sie
einfach, wie in einem hagalil-forum (des größten deutschsprachigen,
jüdischen Magazins im Netz) und möchte einfach nur ihren "Erfolg", der "gut
tut", genießen:
"Veröffentlicht am
Montag, 27. Januar 2003 - 15:21 Uhr:
Betrifft: Felice
Schragenheim ("Jaguar")
Beitrag 117
Sie irren
entschieden, Frau Inge: An Haut und Zähnen haben die Deutschen
entschieden mehr verdient. Ich finde Ihren Vergleich widerwärtig. Die
Lebensgeschichte von Felice Schragenheim ist ebensowenig gefälscht wie
die vielen anderen Biographien, die ohne die Möglichkeit des direkten
Befragens der Betroffenen geschrieben wurden und werden. Sie ist nach
bestem Wissen und Gewissen recherchiert. Unbeweisbare Spekulationen habe
ich allerdings nicht aufgegriffen. Ich weiß nicht, wer Sie sind und
womit Sie sich das Leben verdienen, ich weiß nur, dass ich mit meinen
Büchern gute Arbeit leiste, die von Menschen, die ebenso seriös sind wie
ich selbst, als das geschätzt werden, was ich mit ihnen beabsichtige:
Aufklärung.
Nur eines darf eine
Frau und Jüdin in den Augen Ihresgleichen wohl nicht haben: Erfolg. Neid
und Missgunst sind ihr dann gewiss. Gerade Frauen und Jüdinnen sind da
besonders gnadenlos. Ich wünsche Ihnen ein wenig Erfolg. Es tut einfach
gut.
Erica Fischer
Berlin"
Die folgende
Irritation blieb ohne Antwort der angesprochenen Erica Fischer, und diese
Antwort bleibt sie notgedrungen schuldig, sie müßte der Überlebenden Jüdin
Elenai Predski-Kramer noch einmal, wie schon im erwähnten Bildband, der ja
ihr Buch Aimeé und Jaguar nur noch potenziert in seiner Aussage: eine
tragische, lesbische "Liebe im Dritten Reich" (so die Überschrift auf
www.neuewelt.at), zum wiederholten Mal die Kompetenz absprechen über
Verhältnisse und Situationen zu urteilen, die Predski-Kramer selbst erlebt
hat im Berlin 1942/43 und sich als Nachgeborene Erica Fischer über die
realen Erfahrungen einer Überlebenden stellen:
"Veröffentlicht am
Montag, 27. Januar 2003 - 21:47 Uhr:
Hallo Erica,
als ich hörte, daß
Du Dich im haGalil-Forum geäußert hast, habe ich mich erst einmal
gefreut, als ich Deinen Beitrag gelesen habe - allerdings weniger.
Ich finde es
schwach, die Kritik an Deinem Vorgehen auf die Ebene zu reduzieren:
"Da gönnt mir eine
meinen Erfolg nicht".
Ich finde es sogar
weit unter der Gürtellinie.
Ich kann durchaus
verstehen, wie es zur ersten Auflage von Aimee und Jaguar kam und daß Du
seinerzeit einige Zusammenhänge noch nicht so klar hattest.
Ich verstehe
allerdings nicht, daß Du in den folgenden Ausgaben und fremdsprachigen
Übersetzungen so weitgehend bei Deiner vorherigen Darstellung geblieben
bist. Was sagst Du denn zur Kritik von Elenai Predski-Kramer?
Als Esther
Dischereit den Artikel "Zwischen Abhängigkeit, Prostitution und
Widerstand" (http://www.hagalil.com/archiv/99/10/jaguar.htm)
veröffentlicht hatte, hatten wir beide ein Gespräch. Du warst ganz
verwundert und meintest:
"Das habe ich doch
auch schon geschrieben".
Wenn es denn so
gewesen wäre, wären die beiden Artikel von Esther Dischereit und Frau
Sperber überflüssig.
Noch zum Stichwort
"Erfolg" ein Gedanke:
Kann es sein, daß Du
Dich vom Erfolg verführen hast lassen?
Viele Grüße
Iris,
die sich fragt,
warum Du sie permanent ignorierst, seit der Esther Dischereit Artikel
bei haGalil steht." (http://forum.hagalil.com/board-a/messages/3320/11923.html?1044348347)
Fischers
Geschichten hingegen bekamen gleich mehrere Verleger
und viele Auflagen,
weltweit, das betont sie auch: Sie stellt voller Genugtuung dar, wieviele
Auflagen sie erreicht hat
"Aimée & Jaguar,
Eine Liebesgeschichte, Berlin 1943, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1994,
1996; dtv (Neubearbeitung), München 1998; rororo (Neubearbeitung),
Reinbek 2001 (übersetzt in 13 Sprachen)"
http://www.erica-fischer.de/werkverzeichnis.html
plus dem von Petra M.
Springer gepriesenen Bildband vom November 2002. Springer ist für mich ein
typischer Fall von links-identitärem Gerede, das sich um kritische
Darstellung nicht zu kümmern scheint. Denn – und das mag für das Motiv, sich
damit überhaupt zu befassen wegweisend sein oder wieso läuft der Film Aimèe
und Jaguar nicht nur immer und immer wieder im TV sondern wird auch noch auf
allen möglichen AstA-Etagen bundesdeutscher Universitäten, wie der von
Bremen, von jedem x-beliebigen FrauenLesben Referat für jede neue
Studentinnen-Generation gezeigt ?? - das eigene Stilisieren zu einer
Opfergruppe ist für die Linke in der BRD bzw. Österreich konstitutiv. Auch
die unwissendsten Interessierten haben zumindest ein Buch in ihrem kleinen
Bücherregal: Erica Fischers Aimée und Jaguar. Eine allzu deutsche
Geschichte, die gefällt. Der Plot hat den Fokus der arischen Frau als
Ausgangspunkt. Das ist basal für Film und Buch. Im Film wird das auf
eklige Weise schon zu Beginn deutlich, als in der Szene mit dem "lesbischen
Blick"der Fokus von Wust die Grundlage und den ganzen Film bestimmt, somit
keine Brüche, Zweifel oder Schuld aufkommen lassen. Es geht nicht um Kritik.
Es geht um Identität. Und dabei geht es mir gar nicht darum und kann es auch
gar nicht darum gehen die Vereinnahmung von Felice einerseits von Lesben
andererseits von Jüdinnen für ihre jeweiligen Identitätspolitiken in einem
Dritten – einem vermeintlichen Ort der Nicht-Identität - aufgehen zu lassen:
hiermit kritisiere ich den Artikel "Of Death, Kitsch, and Melancholia -
Aimée und Jaguar: 'Eine Liebesgeschichte, Berlin 1943' or 'Eine Liebe
größer als der Tod'? von Anna M. Parkinson (2001), in: Helmut
Schmitz (ed.): German Culture and the Uncomfortable Past, Aldershot u.a.
(Ashgate), S. 143-163. Solche 'Dialektik' ist an genau diesem historischen
Ort schal und schief. Parkinson argumentiert in Anlehnung an Judith Butlers
Konzept von gendered Melancholie. Demnach habe Lilly nach der Deportation
und Ermordung von Felice sich selbst zur Jüdin gemacht und das verlorene
Objekt der Begierde verinnerlicht, eine melancholische Introversion, die
Parkinson mit Freud untermauert wissen möchte. Daß aber Lilly Wust aufgrund
ihrer möglichen direkten Verantwortung für die Deportation von Felice selbst
Anteil hätte - denn wie kam denn die Gestapo an eines der wenigen Fotos von
Felice, die außer Lilly nur andere Jüdinnen in Besitz hatten ?? Und wieso
ließ Lilly sich einen Erbschein unterschreiben ? Und wieso schließlich hat
sie Felice, so denn dies stimmt, im KZ besucht, obwohl alle Jüdinnen ihr
abgeraten hatten von diesem narzistisch evozierten Besuch, der sich nur die
Liebe bestätigt sehen wissen wollte (im KZ!!) und evtl. selbst große
Mitschuld an der baldigen Ermordung von Felice Schragenheim trägt ??? – das
verschweigt Parkinson im beredten Abstrahieren von diesen realen Fragen und
Fakten.
Sind das nicht alles
Anhaltspunkte einer radikalen Hinterfragung der Phantasmen einer Lilly Wust
? Es sind die Fragen der jüdischen Freundin von Felice, die Fragen Elenai
Predski-Kramers. Parkinsons kulturtheoretische Analyse ist somit geradezu
grotesk: ohne die Frage nach all diesen Schuldanteilen auch nur zu stellen
imaginiert Parkinson sich eine kultur- und gender-studies-theoretische
Analyse, die in typischem Stil gegenwärtiger Sozial- und Kulturwissenschaft
Täter und Opfer in einem sehen möchte. Alles im Fluß. Daß eine solche
Analyse eine Derealisierung darstellt, ist offenbar. Wenn sich die arische
Deutsche Wust beim Einmarsch der Roten Armee Anfang 1945 in Berlin den
gelben Stern gleichsam stolz ans Revers heftet ist das doch nicht
"ironically" (Parkinson 2001: 147), weil Felice ihn nie trug !
Parkinson läßt
letztlich die Geschichten von Wust/Fischer stehen und zeigt eine Empathie
gleichsam eskamotierende Ferne zu der realen Überlebenden Elenai
Predski-Kramer. Ich würde es 'kulturtheoretische Derealisierung'
nennen. Im Rekurs auf Freud kann Parkinson zwar interessante Elemente von
Melancholie, Identitätsverweigerung oder –wandel konstatieren aber nicht die
konkrete Historie erhellen. Denn Täter und Opfer, die konkrete
Leidensgeschichte der Jüdin werden nicht aus deren Sicht oder der ihrer noch
lebenden Freundin Elenai Predski-Kramer erzählt und festgehalten sondern aus
der die jüdische Perspektive derealisierenden Sicht der arischen Deutschen.
Wie kommt es denn zu der unglaublichen nick-name-Bildung von "Jaguar"?
Gerade die existenziell bedrohte, vom Verhalten ihrer deutschen Umwelt
abhängige Jüdin wird als Jägerin tituliert, die sich eine arische Deutsche
Geliebte sucht. Wäre die Geschichte aus ihrer Sicht erzählt, wäre es nie zu
so einer grotesken, infamen, derealisierenden Begrifflichkeit gekommen. Doch
mit so einem Titel reüssieren Buch und Film. Es wird geradezu kokettiert mit
der – um Parkinsons merkwürdige Verdrehung von 'ironisch' aufzugreifen –
'ironischen' Verkehrung von Opfer und Täter, Jägerin und Geliebter hantiert.
Doch es ist natürlich keine Ironie sondern der arisch-deutsche Fokus, der
hier dominiert.
Es ist schließlich im
Kontext der politischen Kultur der BRD eben kein Zufall, daß genau so ein
Plot, so ein Fokus reüssiert. Erinnerungsabwehr wird so in Sinne identitärer
Politik fortgeführt. Die Abstraktion von der deutschen Volksgemeinschaft
auch nach 1945 im Fokussieren der lesbischen Liebe läßt das von Dischereit
so treffend bezeichnete "Massada der Deutschen" Wirklichkeit werden. Zu
suggerieren, weder die eine noch die andere 'Seite' habe Recht wie es
Parkinson tut, mag zwar der Diskursanalyse, den gender-studies mithin
schmeicheln, schlägt sich jedoch subkutan zumindest auf die Seite der
Siegerin, der egomanischen Nazi-Frau Lilly Wust. Es geht um deren Identität.
Deutsche Identität mit Feder und Kamera im Gleichschritt.
"Das Leben der in
Auschwitz getöteten Jüdin Felice Schragenheim scheint durch die Akteurin
"Aimée", real Lilly Wust, hindurch und über diese vermittelt. "Jaguar"–
im Kosenamen eine grotesk absurde Verkehrung darüber, wer hier Jäger und
wer hier Gejagte ist. Das ist eine Übernahme aus dem gleichnamigen Buch,
in dem die Geschichte bereits so angelegt ist, daß wir letztlich
erfahren, wie sehr die Nicht-Jüdin, Kosename "Aimée", leidet. Durch den
Filter ihrer Person erfahren wir von der Verfolgungsgeschichte der
Jüdin, die die Deutsche "Aimée"wie in einem Mysterienspiel auf sich
nimmt und posthum zu ihrem Leiden macht. In Talk-Sendungen in
Deutschland verstieg sich die authentische, nun schon betagte "Aimée",
Lilly Wust, zu der Bemerkung, die Tote erscheine ihr gegen Abend. Statt
Hitler-Bild ist nun ein siebenarmiger Leuchter in Betrieb. Und – mit dem
jüngst zur Welt gekommenen Baby der Maria Schrader sei nun wieder eine
wunderbare Felice auf der Welt"(Dischereit 2001: 63f).
hagalil.com
25-04-2004 |