In bebender Erwartung:
Das Endzeitfieber der christlichen Fundamentalisten
Von Max Brym
Das Endzeitfieber grassiert im dritten Jahrtausend wie
selten in der Geschichte der Menschheit. Die rasante Veränderung der
Weltrealität führt zur Kumulierung apokalyptischer Aspekte. Die Saat
christlicher, esoterischer und antisemitischer Endzeitgruppen gedeiht.
Für den klassischen Antisemiten, der mit dem christlichen
Antijudaismus verbunden ist, ist der Glaube an eine Weltverschwörung die
Zwillingsschwester der Apokalypse. Hinter der beschworenen Endzeit lauert
meist auch die Hypothese des geheimen Paktes der Illuminati, Zionisten,
Freimaurer und Großkapitalisten. Die gefälschten Protokolle der "Weisen von
Zion" werden von neuen Rechten und radikalen Esoterikern als Beleg für das
angebliche Wirken des "Antichrists" in der geheimen Weltregierung zitiert.
Unverstandene globale Krisen und Endzeitstimmungen geben der Idee von den
dunklen Mächten, die die Welt im Geheimen lenken, wieder Auftrieb. In diesem
Zusammenhang gibt es ein ganzes Potpourri neuheidnisch-faschistischer
Gruppierungen und christlich- dogmatischer Gemeinden.
Für viele christlich-dogmatische Gruppen sind die
politischen und sozialen Unruhen ein wichtiger Hinweis auf die letzten Tage.
Im Mittelpunkt der abstrusen Betrachtungsweise über das Ende der Menschheit
stehen der Saat Israel im allgemeinen und die Juden im besonderen. Der
antisemitische, christliche Fundamentalist bezieht sich auf die Bibel und
verkündet, dass Gott bald zum entscheidenden Schlag ausholen würde, damit
der Antichrist (der Jude) die irdische Macht verliere. Die ultimative
Schlacht von Harmagedon soll das Millennium und die Herrschaft Gottes
einläuten, davon sind die "bekehrten Christen" überzeugt.
Der heidnisch nazistische Endzeitphilosoph erwartet die
Rettung entweder durch UFOs, die von Ariern gesteuert werden oder durch
germanische Götter. Für die genannten Strömungen ist der Jude an sich der
Urfeind, den entweder der wahre Christ oder der kosmische Arier in die Hölle
zurückschleudern wird. Dieser mystische Wahn hat weltweit Millionen
Anhänger, auch in Deutschland braucht man einen gut funktionierenden
Taschenrechner, um die Zahl solcher Gruppierungen zusammenzuaddieren. Die
populär christliche Variante, die die Menschheit antijudaistisch ins
Mittelalter zurückführen will, ist gegenwärtig auf der Leinwand in dem Film
von Mel Gibson "Die Passion" zu bewundern. Es gibt aber auch einen
theologisch widersinnigen und abstrusen Streit zwischen Christen über die
Rolle Israels und die "göttliche Funktion" der Juden. Während für die einen
der Jude, der Satan, der Weltmachthaber und der personifizierte Antichrist
ist, ist für den anderen Teil des christlichen Fundamentalismus das Judentum
mit der Aufgabe betraut, die Apokalypse, die Schlacht von Harmagedon, gemäß
der neubiblischen Texte in der Johannes- Offenbarung vorzubereiten. Was
beide eint, ist die Sucht nach einer dramatischen Apokalypse, in der den
Juden die Hauptrolle im brutalen Katastrophenszenario zugedacht ist.
Wer solche Freunde hat braucht keine Feinde mehr
Auf diversen Veranstaltungen und Kundgebungen gegen den
Antisemitismus in Deutschland, tauchen fanatisiert dreinblickende Frauen und
Männer von der Partei "Bibeltreuer Christen" auf. Jedem deutschen Juden wird
erklärt, wie gern man ihn und den Staat Israel hat. Wenn danach gefragt
wird, woher diese Liebe rührt, erfährt der Hörer etwas von der biblisch
religiösen Rolle, die ihm der "treue Christ" zumutet. Der Jude gilt nur als
solcher, wenn er der christlichen Heilslehre der "Hamargedon Leute"
entspricht. Dem Staat Israel wird empfohlen, alle Gebiete des annektierten
Westjordanlandes und im Gazastreifen zu behalten. Dies entspräche dem
originären Text des Evangeliums, bekommt der Jude zu hören. Wenn ein
deutscher Jude dagegen Einspruch erhebt, mit dem Staat Israel gleichgesetzt
zu werden oder ein Israeli davon berichtet, dass es in Tel Aviv eine
organisierte und engagierte Homo- und Lesbenbewegung gibt, fällt der
"Christ" aus allen Wolken. Umgehend spricht er dem real existierenden Juden
die Existenzberechtigung als Jude ab. Der philosemitische Endzeitchrist
diktiert: "Wer Jude ist bestimme ich".
Die "Bibeltreuen Christen" brauchen den Juden nur für ihr
Endzeitszenario. Einem Teil des christlichen Fundamentalismus, darunter der
Partei "Bibeltreuer Christen" ist es gleichgültig um die realen Bedürfnisse
der Menschen in Israel und Palästina. Für sie ist der Jude ein
heilsgeschichtliches Objekt, das keineswegs als Subjekt für Frieden,
Demokratie und Fortschritt tätig werden sollte. Für diese "Christen" haben
Juden in Israel und in der ganzen Welt die Aufgabe, sich in Israel zu
sammeln und unerbittlich die Apokalypse vorzubereiten. Aus biblischen Texten
leiten sie die Sammlung aller Juden in Israel ab, um dort für den Endkampf
bereitzustehen.
Grundlagen der philosemitischen Christen
Der Holländer Wim Malgo gründete in der Schweiz das
internationale Missionswerk Mitternachtsruf und den Verein Beth-Shalom. In
seiner Schrift "Was sagt die Bibel über das Ende der Welt" schrieb der
Evangelist 1982: "Jerusalem ist zum Taumelbecher und Laststein geworden, an
dem sich die Völker selbst zerschmettern werden wie es die Bibel
prophezeie." Für Malgo ist der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern
gut und nicht schlecht, denn Malgo geht davon aus, dass "das Ganze bald ein
Ende mit Schrecken nehmen werde, um dem Königreich Jesu Christi Platz zu
machen". Ergo der Evangelist Malgo ist nicht an einer Friedenspolitik
interessiert, an einer humanen Politik im hier und jetzt, sondern an einer
Endzeitschlacht, in der die Juden endlich, nachdem sie in die Bredouille
geraten sind, Jesus als ihren Herrn anerkennen.
Es geht den philosemitischen "Christen" nicht um den
jüdischen Israeli oder gar den Palästinenser. Es geht um ihre eigene Sucht,
die entsetzlichen Grausamkeiten aus der Johannes- Offenbarung zu durchleben.
"Hagel und Feuer mit Blut vermengt fiel auf die Erde und der dritte Teil der
Erde wurde verbrannt. Das Meer wurde zu Blut und alle Lebewesen starben". So
stellte sich Johannes in der Zeit der Christenverfolgung das göttliche
Strafgericht für den "Antichrist" nach der Schlacht von Harmagedon vor. In
der Offenbarung vereinen sich satanische Kräfte gegen die zwölf Stämme
Israels und der Herr rettet sie im letzten Moment. Damit dieses gewünschte
Finale stattfindet, verbünden sich besessene Harmagedon Freaks mit den
rechtesten Kräften in Israel. Es gibt im christlich- fundamentalistischen
Lager Leute, die mit aller Macht Friedensverhandlungen zwischen Israelis und
Palästinensern verhindern wollen. Sie befürchten, ihre Hoffnungen auf eine
baldige Apokalypse begraben zu müssen, wenn in Israel Frieden herrscht. Die
Sehnsucht nach der Endzeit und die fundamentalistische Bibelinterpretation
macht diese Fundamentalisten im christlichen Lager zu Gesinnungsgenossen des
Rabin-Mörders.
Fazit
Jeder Jude und jeder Israeli sollte sich von
philosemitischen Christen wie von antisemitischen Christen fernhalten. Beide
wollen auf ihre Art über "den Juden" verfügen und ihn entsprechend
behandeln.
Religion ist die Privatsache jedes einzelnen Menschen,
gefährlich wird Religion wenn sie beansprucht, Staat und Gesellschaft zu
leiten. In der gegebenen Realität müssen Probleme mit dem Mittel des
Verstandes und bezogen auf reale Interessen gelöst werden. Endzeiterwartung
verbunden mit Weltflucht, kann das Leben nur unerträglich machen. Auf dieser
Erde gilt es, für Frieden, Arbeit, Demokratie und Toleranz und Respekt
einzutreten. Es gilt dafür zu sorgen, dass die Erde nicht zur Hölle wird.
Literaturempfehlungen:
-
Hugo Stamm: "Im Bann der Apokalypse"
-
Wolfgang Benz (Hg): "Legenden, Lügen,
Vorurteile"
-
Beckers Hermann Josef: "Kulte, Sekten,
Religionen"
hagalil.com
11-04-2004 |