DocAviv 2004:
Von Sprache zu Sprache
Von Andrea Livnat
Nurith Avivs Beitrag "Mi Safa leSafa" über 10 Menschen, für
die die hebräische Sprache das Zentrum ihres Lebens bildet und die sich das
Hebräische erst aneignen mussten, gewann den israelischen Wettbewerb
der docAviv 2004. In einer
Vormittags-Vorführung wurde der Film durch einen Vortrag von Nissim
Kalderon, Professor für Filmkunst an der Universität Tel Aviv, eingeführt.
Das Hebräische, so Kalderon, erfüllte in den ersten Jahren des jungen
Staates Israel eine enorm bedeutende Funktion. Nur durch die Sprache konnten
Einwanderer beispielsweise aus dem Jemen und aus Deutschland miteinander
kommunizieren. Auch heute noch habe das Hebräische eine stark einende
Wirkung und sei noch weit davon entfernt, etwas ganz Natürliches zu sein:
"Wir lieben die Sprache nicht nur, wir brauchen sie", betonte Nissim
Kalderon. Zwei Thematiken finden sich
bei allen Gesprächspartnern der Regisseurin wieder. Zum einen das Trauma vom
Übergang von einer Sprache zur neuen Sprache, ein Trauma, das den Menschen
ohne Sprache lassen kann.
Besonders drastisch drückte dieses Trauma der Dichter Meir Wieseltier aus,
der davon sprach, dass er das Russische, seine Muttersprache, morden musste,
um Hebräisch schreiben zu können. Geblieben ist ihm die Musik des
Russischen, die Musik eines Puschkin oder Lermontow, die er schon als Kind
zitieren konnte.
Der
Schriftsteller Aharon Appelfeld spricht vom Übergang von einer Sprache zu
nächsten ebenfalls als traumatisches Erlebnis. Appelfeld wurde in Czernowitz
geboren, sprach deutsch als Muttersprache, daneben jiddisch, ruthenisch,
rumänisch. Mit 13 kam er als Shoah-Überlebender ins spätere Israel und
lernte hebräisch, später auch jiddisch. Doch alle Sprachen, so Appelfeld,
reichten nicht aus, um zu kommunizieren.
Ein anderes wiederkehrendes Thema des Films ist das Gefühl
der Schande, des sich Schämens dafür, das Hebräische nicht perfekt zu
sprechen, ein Gefühl, das mit dem Wunsch nach Zugehörigkeit, Gemeinschaft
und Selbstsicherheit verbunden ist.
Der
Sänger Haim Uliel, dessen Eltern aus Marokko einwanderten und der in Sderot
geboren wurde, berichtet von seiner Kindheit und erzählt, dass sich alle in
seinem Viertel ihres marokkanischen Akzents schämten, obwohl alle diesen
Akzent hatten. Heute sei das Gegenteil bei den russischen Einwanderern zu
beobachten.
Frei
von Schamgefühl zeigt sich auch die palästinensische Sängerin Amal Murkus,
die in Ramat Gan bei Tel Aviv Schauspiel und Gesang lernte. Nur im
arabischen konnte sie jedoch überzeugend Rollen spielen und wirklich
gefühlvoll singen. Sie sei wütend darüber, so Amal Murkus, dass die Juden in
Israel nicht versuchen, die Sprache der anderen zu lernen, schließlich
sprechen die arabischen Israelis auch hebräisch.
Dass der Film den israelischen Wettbewerb gewonnen hat, ist
etwas überraschend, denn die filmische Umsetzung ist wenig einfallsreich.
Die zehn Gesprächspartner werden nacheinander gezeigt, dazwischen verbinden
Sequenzen des Vorüberziehens, die den Übergang von Sprache zu Sprache
symbolisieren sollen, die einzelnen Szenen. Jeder Gesprächspartner wird
zunächst vor seinem Haus in einem Standbild eingefangen, damit er im Ganzen
zu sehen ist, von außen im Gegensatz zu dem, was er oder sie aus dem eigenen
Innenleben preisgibt, so die Regisseurin.
Nurith Avivs Dokumentation ist trotzdem ein faszinierender
Film über die Sprache und die Abhängigkeit des Menschen von der Fähigkeit
zur Kommunikation. Ihre Gesprächspartner gleichen die Mankos aus.
DocAviv 2004
hagalil.com
04-04-2004 |