Ich erinnere mich ...:
Zum Yom Ha'atzmaut
Ein Zeitzeuge zu Israels Unabhängigkeitstag
Dr. Eli E. Lasch
Als 1945 die Kanonen schwiegen, atmete die Welt auf. Die
Hölle war vorbei. Für uns, die wir in Israel lebten, fing sie aber erst an.
Die Palästinenser sagen, dass für sie damals die Katastrophe, die "Naqba"
anfing. Für uns war es das Aufsammeln der Scherben der größten Katastrophe,
die das jüdische Volk je durchgemacht hat. Zugleich verloren wir die letzten
Reste des Vertrauens, das wir gegenüber der nichtjüdischen Welt noch übrig
hatten.
Nicht nur, dass wir mit den Überresten, man könnte sogar
sagen mit den Ruinen unseres Volkes konfrontiert wurden. Wir erfuhren auch,
dass die Alliierten, unsere "Verbündeten" im Kampf gegen den
Nationalsozialismus, alle Einzelheiten über die Vernichtungslager gewusst
hatten und trotzdem nicht bereit gewesen waren, die Gleise, die dort
hinführten, zu bombardieren: "Das gehört nicht zum Programm unserer
Kriegsführung, und möglicherweise würden die Deutschen so erfahren, dass wir
ihren Code geknackt haben." Wir hingegen hatten das Gefühl, dass die
Anführer der sogenannten demokratischen Welt sich im Stillen die Hände
rieben und zufrieden waren, dass jemand für sie die Schmutzarbeit der
Ausrottung der Juden übernommen hatte.
Es wurde uns immer klarer, dass England, das sich eine
Generation zuvor als unser Freund und Verbündeter ausgegeben hatte, uns
betrogen hatte. Es hatte 1922 das Mandat über Palästina mit der
ausdrücklichen Verpflichtung erhalten in Palästina eine Heimstätte für das
jüdische Volk zu schaffen. Stattdessen schlossen die Briten unter arabischem
Druck die Küsten Palästinas. Wenn sie ihren Verpflichtungen nachgekommen
wären, hätte man möglicherweise Hunderttausende retten können. Und nach dem
Krieg führten sie ihre Politik weiter.
Europa ist zum größten Friedhof des jüdischen Volkes geworden
und die wenigen Überlebenden der Lager wollten nur eins: Weg von der
Vergangenheit, weg von Europa! Für sie gab es nur ein Ziel: eine Heimat, ein
Land, in dem sie nicht mehr wehrlos der Willkür der Völker der Welt
ausgesetzt waren. Und diese Heimat war für die Juden seit jeher das Land,
das die Römer Palästina genannt hatten. Für uns war es immer Erez Israel.
Eine andere Möglichkeit gab es nicht.
Obwohl die Juden Palästinas während des Krieges treue
Verbündete der Engländer waren, während die Araber alles taten um die
englischen Kriegsbemühungen zu unterminieren, führten die Engländer ihre
Vorkriegspolitik weiter, als ob nichts geschehen wäre. Sie waren sogar so
unmenschlich, dass sie ihre Kriegsflotte einsetzten, um die Flüchtlinge, die
in so genannten Nussschalen das Mittelmeer überquerten, abzufangen und auf
Zypern erneut in Lagern zu internieren – als ob sie nicht genug in Lagern
gelitten hätten. Innerhalb des Mandatsgebietes von Palästina taten sie alles
um die jüdische Bevölkerung wehrlos den Arabern auszusetzen. Im Sommer 1945
führten sie sogar eine grosse Aktion durch, um alle versteckten Waffen der
jüdischen Untergrundarmee, der Haganah, zu entdecken und zu beschlagnahmen.
So wurden die Engländer zu unseren Feinden. Kurz nach Ende
des Zweiten Weltkrieges befanden sich in Palästina 100.000 englische
Soldaten, nur um den jüdischen Widerstand zu brechen. Das Resultat: Es
bildeten sich Terrorgruppen, die letztendlich eine wichtige Rolle bei ihrer
Vertreibung spielten. Der Befehlshaber einer dieser Gruppen war Menachem
Begin, der andere Jizchak Shamir, beide wurden später zu Premierministern
Israels. Begin war sogar derjenige, der den Frieden mit Ägypten schloss und
den ganzen Sinai zurückgab.
Zu der Zeit wurde uns auch klar, dass die Juden nur in einem
eigenen Staat eine Chance zu überleben haben und dass dieser Staat nur dann
überlebensfähig ist, wenn er in der historischen Heimat entsteht. Wir
wussten auch genau, dass die arabische Welt dem nie zustimmen würde.
Trotzdem wir von einer riesigen arabischen Übermacht umgeben waren, (600.000
gegenüber 300 Millionen), hatten wir nie einen Zweifel an unserem
endgültigen Sieg. Wir hatten nämlich eine "Geheimwaffe" und die hieß "Ejn
Brerah" – "Wir haben keine Wahl". Wir wussten, dass wir siegen mussten um zu
überleben.
Aus unserer Erfahrung mit arabischen Freischärlern wussten
wir, was uns im Falle einer Niederlage erwartet. Während in Europa Massaker
und Auslöschen der zivilen Bevölkerung die Ausnahme war, war es genau das,
was wir zu erwarten hatten. Man spricht heute viel von dem Verjagen der
Palästinenser durch die Israelis im Jahre 1948. Wir hatten noch viel
Schlimmeres zu erwarten: Vielen der heutigen Flüchtlinge wurde von den
arabischen Armeen versprochen, dass sie nach ihrem Sieg in die "schönen
Häuser der Juden" einziehen könnten.(!) Auch Verstümmelung von jüdischen
Verwundeten, die in die Hände von Arabern gefallen waren, war Gang und Gäbe.
Es ist interessant, dass sich seitdem nicht viel geändert hat und dass sich
in der "Berliner Morgenpost" vom 1. April 2004 eine Überschrift befindet
"Mob im Irak schändet tote Ausländer". Im Artikel selbst wird berichtet, wie
die Leichen von vier Ausländern brutal verstümmelt und geschändet wurden.
Hier handelte es sich sogar um Zivilisten, die in einer Hilfsaktion
unterwegs waren. Das war der Grund dafür, dass wir, wenn es nur möglich war,
keine Verwundeten zurückließen und wenn es nicht anders ging, ihnen
entsicherte Handgranaten in die Hand drückten.
Rückblickend erinnere ich mich, dass wir so etwas wie Angst
nicht kannten. Auch heute, über 50 Jahre später, kann ich mich noch an das
Gefühl des Stolzes erinnern, als ich zum ersten Mal mit einer legalen Waffe
in die Öffentlichkeit trat. Eine Waffe, die mir niemand wegnehmen konnte und
mit der ich, der Jude, zum ersten Mal in 2000 Jahren mein eigenes Volk
verteidigen konnte.
Das erste Kommando, das ich nach Gründung des Staates
übernommen hatte, bestand aus einer Gruppe von Männern, die aus sieben
verschiedenen Ländern kamen, aber genau dieselbe Einstellung hatten wie ich.
Wie lehrt man solche Menschen mit Waffen umzugehen? Ich sprach einen Befehl
erst in Hebräisch, dann in Deutsch und dann in Französisch aus und der wurde
dann weitergegeben auf Russisch, Ungarisch und Rumänisch. Aber wir
verstanden uns. Und nach einer Woche wurden wir an die Front geschickt, wo
sie sich gut bewährten. Alle bis auf einen. Beim Liegen benutzte er meine
Beine als Bollwerk und schoss mir über den Kopf hinweg. Später erfuhr ich,
dass drei von ihnen Offiziere in der Roten Armee gewesen waren und von
Waffen und Krieg sehr viel mehr verstanden als ich. Sie haben es sich aber
nicht anmerken lassen. Von diesem Zeitpunkt an war mein Feind nicht mehr die
Engländer, sondern die Araber. Nach dem Teilungsbeschluss der UNO hatten wir
endlich einen eigenen Staat und den wollte uns die arabische Welt mit
Waffengewalt wieder wegnehmen. Es handelte sich nicht mehr um einen Kampf
mit arabischen Freischärlern, sondern um einen Krieg mit den regulären
Armeen von fünf arabischen Ländern.
Im Grunde hat sich seit damals nicht viel verändert. Wenn die
arabischen Länder bereit wären die Existenz Israels zu akzeptieren und
einzusehen, dass die Zerstörung Israels, die ihnen vor 50 Jahren nicht
gelungen ist, auch in Zukunft scheitern wird, würde es in kürzester Zeit
Frieden geben. Nach meinen Gesprächen mit vielen Arabern handelt es sich
auch nicht um die Rückkehr zu den Grenzen von 1967, denn in diesen Grenzen
hätte ein palästinensischer Staat schon vor 1967 entstehen können. Es
handelt sich darum, dass Israel in ihren Augen ein Fremdkörper ist, dessen
Existenz sie nicht bereit sind zu dulden. Sie sind nicht bereit anzunehmen,
dass Israel anders ist als die Kreuzritter, dass für die Juden der Staat
Israel kein vorübergehendes Phänomen ist sondern das Ende dessen, was sie,
meine Vorväter, die "schwarze Nacht der Diaspora" nannten. Wenn die Araber
das einsähen, würden sie die Flüchtlinge integrieren und so die Naqba zu
einem Ende bringen.
Bin ich ein Pessimist? Ich glaube nicht. Ich sehe mich eher
als Realist und vielleicht Visionär und würde gerne diesen Artikel mit den
Worten von Ben Gurion beenden: "Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein
Realist."
hagalil.com
23-04-2004 |