Über die Initiative "honestly concerned":
Faire Israel-Berichterstattung und gegen Antisemitismus
Von Jörn Schumacher
Seit anderthalb Jahren engagiert sich eine Gruppe von
Bürgern für eine "wahrhaftige Nahost-Berichterstattung und gegen
Antisemitismus" in Deutschland. Durch eine Mailingliste, in der inzwischen
über 1.200 Empfänger eingetragen sind, verbreiten die Mitglieder nahezu
jeden Tag einen aktuellen Pressespiegel sowie private Briefwechsel und
Kommentare rund um das Thema Naher Osten, Judentum und Antisemitismus.
Durch den Vergleich unterschiedlicher Nachrichtenberichte zu
einem Ereignis bekommt der Leser oft einen besseren Eindruck von dem, was
"wirklich" in Israel los ist, als es ein Blick auf die Headlines der großen
Medien leisten kann. Wenn Nachrichten in Zeitungen, im Rundfunk oder im
Internet Israel einseitig darstellen, Fakten verzerren oder Antisemitisches
beinhalten, schreibt das eine oder andere Mitglied der Gruppe dem
verantwortlichen Redakteur einen protestierenden Brief. Viele dieser
Leserbriefe werden dem täglichen Meldungsüberblick als Kopie angehängt und
ermutigen andere, in so einem Fall ebenfalls die Stimme zu erheben. Zudem
verbreitet die Liste Veranstaltungen und organisiert oder unterstützt
Aktionen zum Thema. Angefangen hat
alles im Mai 2002 mit den Äußerungen des damaligen FDP-Fraktionsvorsitzenden
in Nordrhein-Westfalen, Jürgen W. Möllemann. Dieser hatte sich hinter den
Politiker Jamal Karsli gestellt, welcher Israel "Nazi-Methoden" im Umgang
mit den Palästinensern vorgeworfen hatte. Später verband Möllemann seine
Abneigung dem Moderator Michel Friedman gegenüber mit einer Kritik an der
Politik des israelischen Premierministers Ariel Scharon. "Ich fürchte, dass
kaum jemand den Antisemiten, die es in Deutschland gibt und die wir
bekämpfen müssen, mehr Zulauf verschafft als Herr Scharon und in Deutschland
Herr Friedman - mit seiner intoleranten gehässigen Art", so Möllemann
damals. In einem
Hochglanz-Flyer, den er an alle Haushalte Nordrhein-Westfalens verschicken
ließ, betrieb er Wahlkampf mit der Gegenüberstellung eines Fotos von
Scharon und dem von Friedman. Friedman versuche, Scharon-Kritiker "als
antisemitisch abzustempeln", heißt es darin. "Spätestens da war die
Schmerzgrenze erreicht", sagt das Gründungsmitglied von "honestly
concerned", Sacha Stawski. Gerade um den Irrtum zu entlarven, man dürfe
Israel nicht kritisieren, und um anzuprangern, daß Möllemann Wahlkampf
betrieb mit antiisraelischen und antijüdischen Ressentiments im Land,
entschied sich eine handvoll Leute, eine Anzeige in der "Frankfurter
Allgemeinen Zeitung" zu schalten. Darin äußerten die Unterzeichner ihre
Bestürzung darüber, daß Möllemann "historische Tatsachen des
Nahostkonfliktes bewußt ignoriert" und "auf Stimmenfang im braunen Sumpf"
gehe.
Die Resonanz auf diese Anzeige war größer als erwartet.
Schnell kamen 350 Unterschriften zusammen. Viele Menschen - darunter
Politiker wie der Grünen-Politiker Cem Özdemir und Prominente - zeigten sich
bereit, die Initiatoren jederzeit bei weiteren Aktionen zu unterstützen. So
entstand die Idee, diese "spontan zusammengetretene Initiative besorgter
Bürger" weiter auszubauen. Der Name "Honestly concerned" drückt laut Stawski
am besten aus, was die Gruppe ausmacht. Die antiisraelische
Berichterstattung in den Medien und die (fast) alltäglichen antisemitischen
und fremdenfeindlichen Ereignisse (von Grabschändungen bis hin zu
persönlichen Angriffen) können nicht kommentar- und tatenlos hingenommen
werden. Die Grundsätze der ins Leben gerufenen Mailingliste unterscheiden
sich nicht sehr von denen der damaligen Unterschriftenaktion: Kritik an der
israelischen Politik ist erlaubt und nicht zwingend als antisemitisch
aufzufassen; doch wenn Fakten verfälscht werden und Israel einseitig
verurteilt wird, muß darauf aufmerksam gemacht werden.
Einer bestimmten politischen Richtung will sich "honestly
concerned" nicht zuordnen lassen. Man sei jedoch "solidarisch mit den
Menschen in Israel" und legt Wert darauf, daß es den Staat "Palästina" nicht
gebe - wie es so oft in Medienberichten suggeriert werde. Die Mitglieder
beobachten die Medien, und wenn Kritik angebracht ist, dann solle sie
sachlich vorgebracht werden. Initiator Stawski hält Leserbriefe, in denen
"kurz und knapp gesagt wird, worin die falschen Punkte der Meldung bestehen"
für "ein ganz wichtiges Mittel, um in den Medien etwas zu verändern". Doch
um ernst genommen zu werden, dürfe man nicht "einzelne Autoren persönlich
angreifen", fügt er hinzu. Vielmehr solle man sich auf das Geschriebene,
nicht den Schreiber konzentrieren. Es sei zudem falsch, ganze
Zeitungsredaktionen oder Senderhäuser als antisemitisch abzustempeln. "Viele
sehen in uns sowieso einen Haufen von Pro-Israel-Fanatikern und Likudniks,
die Israel-Kritiker mundtot machen wollen. Wenn man bei denen einmal in eine
Ecke gestellt wird, kommt man aus der ganz schwer wieder heraus". Daher
appelliert er auch an die christlichen Mitglieder der Liste, Bezüge zur
Bibel oder zum "von Gott auserwählten Volk" herauszulassen. Man will ernst
genommen werden, schließlich nehme man ja auch die Journalisten ernst. Nicht
umsonst ist das Symbol der Bürgerinitiative eine Waage, die vor einem
Zeitungsstapel steht. Protest erhebt
sich bei den aktiven Mitgliedern der Mailingliste beispielsweise dann, wenn
Zusammenhänge verdreht oder falsche Begriffe benutzt werden, um eine
Stimmung gegen Israel - oder Juden - zu schüren. Aktuelles Beispiel ist der
Zaun, den Israel derzeit entlang der Grenze zum Westjordanland baut. Bereits
von der Regierung des ehemaligen Avoda-Politikers Ehud Barak geplant, wird
er nun unter Scharon verwirklicht, um, wie es offiziell heißt, die
israelische Bevölkerung vor den Terroristen zu schützen. In den Medien werde
jedoch nur zu gerne von einer "Mauer" gesprochen, die, ähnlich wie im
Nachkriegsdeutschland ein Volk einsperre oder aus Israel einen
Apartheidstaat mache. Eigentlich bestehen jedoch über 90 Prozent der "Mauer"
aus einem Zaun, und nach wie vor dürfen Menschen von einer Seite auf die
andere reisen. Ebenso fragen Listen-Mitglieder bei Journalisten nach, warum
in ihren Berichten oft lediglich von "Aktivisten" die Rede sei, wenn es sich
eigentlich um bewaffnete Terroristen handelte. Auf der anderen Seite werden
in Medienberichten israelische Zivilisten auffallend schnell zu "Siedlern".
Die Mailingliste lebt von den ehrenamtlichen Mitarbeitern und
den fleißigen Lesern aus unterschiedlichen Teilen Deutschlands sowie dem
Ausland. Sie beobachten in ihrer Freizeit die Medien und schicken
interessante Artikel an den Verteiler. Sacha Stawski, der in Frankfurt im
Immobilienhandel tätig ist, geht die Mailingliste vor dem Versand persönlich
noch einmal durch. In Zukunft soll ein Büro von "honestly concerned" in
Berlin eröffnet werden, wo ebenfalls Helfer tätig sind. Dort gibt es viele
interessante Veranstaltungen und der Kontakt zur Politik ist viel direkter.
Derzeit arbeiten drei Praktikanten bei der Organisation, und es sind
jederzeit weitere willkommen, lädt der 33-Jährige ein. "Honestly concerned"
strebt zudem eine neue Organisationsform an. Dank eines Spenders aus den USA
wird die Homepage
professionell neu bearbeitet werden, so daß der Versand des Newsletters
vereinfacht wird und man nach vergangenen Nachrichten im Archiv
recherchieren kann. Erfolg sieht
Stawski vor allem in den Reaktionen der Medien auf die Aktivitäten der
Gruppe. "Viele Journalisten haben uns abonniert, nicht weil sie uns lesen,
sondern weil sie unsere Mails abspeichern und als privates Archiv
verwenden", sagt er. Auch wenn beispielsweise eine große Nachrichtenagentur
von Mitgliedern darauf aufmerksam gemacht wird, daß der israelische Kibbutz
"Melzer" durchaus keine "Siedlung" sei wie behauptet und die Agentur sich
daraufhin entschuldigt und den Fehler berichtigt, freue man sich natürlich.
Vielleicht erreicht die Gruppe durch solche kleinen Schritte, daß immer mehr
Journalisten nicht blind pro-palästinensische Meldungen übernehmen, sondern
nachfragen. Wenn etwa von einem "palästinensischen Jungen" berichtet wird,
der von israelischen Soldaten "ermordet" wurde, kann es durchaus sein, daß
sich nachher herausstellt, dieser "Junge" war in Wirklichkeit ein
ausgewachsener 19-Jähriger, der einen Terroranschlag geplant hatte.
Neben dieser aufklärerischen Arbeit beteiligt sich die Gruppe
auch an Veranstaltungen. Ein großer Erfolg war etwa die
Diskussionsveranstaltung in Berlin, bei der Politiker, Vertreter des
Bundestages und Journalisten über die deutsche Medienberichterstattung zum
Nahostkonflikt und über Antisemitismus diskutierten. "Honestly concerned"
hatte im Juni zusammen mit dem Moses-Mendelssohn-Zentrum für
Europäisch-Jüdische Studien und anderen zu diesem Symposium eingeladen. Von
den Medienvertretern referierten unter anderem der Korrespondent der Zeitung
"Jedioth Aharonot", Eldad Beck, sowie der bekannte Israel-Experte von
"n-tv", Ulrich Sahm, der eine enge Beziehung zur Gruppe hat.
Sacha Stawski, der selber Jude ist, sich jedoch nicht streng
religiösen Traditionen verhaftet fühlt, traf den FDP-Politiker Möllemann
einmal persönlich durch Zufall auf dem Berliner Flughafen. Als Stawski den
Mann erblickte, durch dessen antisemitischen Stimmenfang alles angefangen
hatte, ließ er es sich nicht nehmen und sprach ihn an. Als er sich Möllemann
gegenüber als derjenige zu erkennen gab, der maßgeblich für den Protest
gegen den FDP-Flyer verantwortlich war, war der Politiker zunächst etwas
überrascht. Sacha Stawski verbindet mit diesem Erlebnis seine
Grundeinstellung zu seiner Arbeit für die Bürgerinitiative. Einzelne Bürger
können in der großen Politik und in der Medienwelt etwas erreichen. Stawski
erinnert sich: "Möllemann, der erst glaubte, ein Fan wolle ihm die Hand
schütteln, sollte einfach nur sehen, daß hinter der Organisation 'honestly
concerned' und der Unterschriftenaktion ganz normale Leute stehen. Der
glaubte doch bis zum Schluß, eine jüdische Mafia verfolge ihn."
hagalil.com
19-03-2004 |