Den Staat Israel aus dem Koma holen:
Eine Gefühlsaktion
Nach Nachum Barnea in Jedioth achronoth
Bis Montag früh war es hier furchtbar langweilig. Die
Sicherheit war perfekt. Die Wirtschaft ein Paradies. Das Leben war so
leicht, so angenehm, dass die Minister zu einer Notstandssitzung
zusammentraten, um den Staat Israel aus dem Koma zu holen.
Was können wir tun, fragten sich die Minister. „Vielleicht liquidieren wir
den Scheich?“, schlug der MP vor. „Los, das tun wir“, antworteten die
Minister in patriotischem Einklang. Auch wenn es das Problem des Terrors
nicht löst, so wird es hier wenigstens nicht mehr so langweilig sein.
Die Bürger Israels reagierten auch wirklich mit großem Interesse auf die
Liquidierung des Scheichs. Sie fuhren nicht mit dem Bus, gingen nicht ins
Einkaufszentrum und blieben stattdessen mit ihren Kindern zu Hause. Ein
ganzes Volk versammelte sich vor den Fernsehapparaten, in gespannter
Erwartung auf die Mutter aller Anschläge. Gut gemacht, Regierung.
Aus moralischer Sicht ist an der Liquidierung Jassins nichts auszusetzen.
Jeder Terrorist, der in den letzten Jahren zu seiner Selbstmordmission
auszog, trug seine Lehre in seinem Sprenggürtel. Auch das Argument, die
Liquidierung verstoße gegen internationale Normen, ist nicht überzeugend.
Udai und Kussai, die Söhne Saddams, wurden von den Amerikanern liquidiert,
so auch andere in Irak und Afghanistan. Für Bin Laden und seinesgleichen
planen die Amerikaner ein ähnliches Ende.
Hatte er es verdient zu sterben? Natürlich. Die Frage lautet, ob wir es
verdient haben.
Es scheint, als gäbe es zwei Absichten, die unsere Regierung in
Sicherheitsfragen leiten: zum einen will man der anderen Seite Schmerz
zufügen, zum anderen, den Schmerz unserer Seite lindern.
Der Zaun war z.B. dazu bestimmt, den Schmerz der Israelis zu lindern. Das
ist das Geheimnis seines Charmes. Die Regierung, die den Zaun nicht wollte,
baute ihn dann so, dass er Tausenden Palästinensern Schmerz zufügt. Dieser
Schmerz ist Öl auf dem Feuer des Terrors. Das Ergebnis ist, dass sich der
Zaun selbst unterminiert.
Die Politik der gezielten Tötungen ist hingegen das Ergebnis der zweiten
Absicht, die ihre Befriedigung vom Schmerz der anderen Seite erhält. Diese
Politik ist eine völlig emotionelle: ihr Ursprung liegt in der schrecklichen
Frustration der Regierung, die hilflos dem nicht enden wollenden Terror
gegenübersteht. Sie weiß, dass die Liquidierungen den Terror nicht
reduzieren, vielleicht sogar im Gegenteil, aber sie hat kein anderes Patent.
Niemand, auch nicht der MP selbst, glaubt, dass die Liquidierung Scheich
Jassins den Terror reduzieren wird. Es gibt hier keine Strategie, nur
bittere Frustration und die zunehmende Schwierigkeit, den Wählern in die
Augen zu schauen.
Dem stehen die Risiken gegenüber. Die Befürchtung vor einem neuen Ausbruch
des Volksaufstands, wie z.B. nach Öffnung des Mauertunnels oder nach dem
Besuch Sharons auf dem Tempelberg. Die Befürchtung vor einem Mega-Anschlag.
Die Befürchtung vor einem jüdisch-islamischen Religionskrieg. Die
Befürchtung vor Anschlägen in jüdischen Gemeinden in aller Welt, von
Istanbul bis Buenos Aires. Scheich Jassin hat sich zu seinen Lebzeiten des
Todes von Hunderten Juden schuldig gemacht. Die Frage, die uns nun
beschäftigt, lautet, wie viele Juden er mit seinem Tod töten wird.
Israel Nachrichten [nahost-politik.de]
hagalil.com 25-03-2004 |