Bundesverband Jüdischer Studenten in Den Haag:
Ein schwieriger Grenzgang
Von Daniel Kashi
Fünf Busse hatte der Bundesverband Jüdischer
Studenten in Deutschland e.V. (BJSD) am 23. Februar organisiert, damit
jüdische Studierende aus Deutschland nach Den Haag fahren konnten, um dort
zusammen mit anderen Studierenden aus Europa sowie einigen israelischen
Organisationen einen Schweigemarsch für die Terroropfer der Intifada
abzuhalten.
Der
Prozeßbeginn zum umstrittenen israelischen Mauerbau vor dem Internationalen
Gerichtshof bot hierfür den Anlass. "Denn", so das einschlägige Argument,
"wer über die Mauer redet, der muss auch über den palästinensischen Terror
sprechen". Dabei gehen die Meinungen über Sinn und insbesondere den Verlauf
der Mauer durchaus auseinander. Aus diesem Grund riefen die Veranstalter
auch zu einem Schweigemarsch und nicht zu einer Demonstration auf.
Man befürchtete, dass die Anhörung, ähnlich wie
beim Anti-Rassismus-Gipfel in
Durban zwei Jahre zuvor, zum
Anlass für antisemitische und antizionistische Hetze missbraucht werden
könnte. Was die Teilnehmer der Veranstaltung einte, waren also zwei Ziele:
Den Blickwinkel auf den Mauerbau zu erweitern, indem darauf hingewiesen
wird, dass dieser untrennbar mit dem Terror zu denken ist. Und zweitens ein
Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen.
Bei
der Ankunft in Den Haag präsentierte sich jedoch ein anderes Bild. Nach der
neunstündigen Busfahrt freute man sich auf ein kleines Lunch-Paket, das den
Anreisenden dankenswerterweise gestellt wurde.
Darüber hinaus wurde man jedoch zusätzlich mit Transparenten und Jacken mit
dem Motto "Fence out Terror / Give peace a chance" versorgt.
Dieses Motto, mit dem sich, so Peleg Reshef, Vorsitzender der WUJS (World
Union of Jewish Students), jeder identifizieren könne, stellt nun aber ein
klares Votum für den Bau der Mauer dar. Uriel Kashi, Geschäftsführer des
BJSD (Bundesverband Jüdischer Studenten
Deutschland), der mit zur Fahrt nach Den Haag mobilisiert hatte,
fand sich in der verlegenen Situation wieder, sich distanzieren zu müssen:
So sei die Sache nicht angekündigt gewesen.
Überhaupt schien die Veranstaltung von plakativen Slogans und dem Interesse
medienwirksame Bilder zu liefern, bestimmt. Da der angekündigte Trauermarsch
durch die Stadt kurzerhand von den Behörden untersagt worden war, drängte
man sich auf einem kleinen Platz unweit des Gerichtsgebäudes, genannt
Friedenspalast.
Aus
Jerusalem war ein zerbombter Bus eingeflogen worden, der unwirklich am Rand
stand. An das Wrack war ein Plakat mit den Gesichtern der über neunhundert
israelischen Opfer des palästinensischen Terrors befestigt. Man wollte
verdeutlichen, was Terror bedeutet, man wollte schockieren. Mitglieder von
ZAKA,
einem israelischen Bergungs- und Rettungsdienst, verlasen die Namen der
Ermordeten. Und genau hierin veranschaulicht sich der schwierige Grenzgang,
den die Veranstaltung versuchte. Dabei schaffte sie es leider weder eine
Trauer- noch eine politisch-aufklärerische Kundgebung zu sein, denn das
Zurschaustellen von Toten auf Fotografien erscheint primär als emotionale
Rechtfertigung und besitzt kaum informierenden Charakter. Darüber hinaus
schmückten die Veranstaltung Plakate mit Slogans wie "Arafat killed my
father" und "Eliminate the arab / terror". Dieser offensive Gestus
verdrängte jede Sensibilität, die zur Erinnerung an die Toten während der
Namen-Verlesung unabdingbar hätte sein sollen.
Nach außen hin musste die Veranstaltung wie eine
verzweifelte Rechtfertigungsgeste wirken, die zwar die Wut der Teilnehmenden
veranschaulichte und hiermit um Verständnis für die israelische Politik
warb, aber eben dadurch den Mauerbau Israels als nur ein weiteres Element in
der Gewaltspirale der Region darstellte. Als Erklärungsmuster für den
Konflikt wurde also unbeabsichtigt "der Teufelskreis" angeboten. Statt also
wie ursprünglich angekündigt den Blickwinkel auf den Bau der
Sicherheitsanlagen zu erweitern und ihn in seiner komplexen Situierung zu
beleuchten, wurde bedauernswerterweise genau das Gegenteil vermittelt.
Es war eine zwiespältige Veranstaltung, die es
jedenfalls nicht schaffte, zur anschließenden palästinensischen Kundgebung,
auf der das Existenzrecht Israels in Frage gestellt wurde, ein Gegengewicht
zu setzen.
Und dennoch: Die Tatsache, dass es möglich war,
europaweit Teilnehmer zu mobilisieren, gibt Anlass zur Hoffnung. Es ist an
der Zeit für ein politisch engagiertes Judentum! Über Formen und Inhalte
sollte freilich noch einmal gründlich diskutiert werden. Das Gefühl aber
zumindest irgendetwas getan zu haben, blieb und war auch auf der stillen
Busfahrt nach Hause noch zu spüren.
hagalil.com
07-03-2004 |