Brutal, paradox und antisemitisch:
"Die Passion" des Mel Gibson[DISKUSSION
/ FORUM]
Der Film "Die Passion" von Mel Gibson legte in den USA
einen rekordverdächtigen Start hin. Mel Gibsons "Bibel Epos" läuft erst seit
Mittwoch den 25. Februar in den amerikanischen Kinos und hat bereits 20
Millionen Dollar eingespielt, immerhin zwei Drittel der Produktionskosten.
Die Münchner Abendzeitung wußte am 27. Februar bereits von einem Herztod
einer 57-jährigen Frau aus Kansas zu berichten. Offensichtlich war die Frau
dem fast zweistündigen Blutexzeß nicht gewachsen und erlitt einen
Herzanfall. Ab 8. April soll der Film im Verleih der Constantin Film in den
deutschen Kinos starten.
Am Aschermittwoch den 25. Februar lud die Filmgesellschaft
zu einer Pressevorführung um neun Uhr morgens in das Matthäuser Kino am
Hauptbahnhof in München ein. Nicht nur wegen der unchristlichen (oder
christlichen) Zeit war der Film auf nüchternen Magen eine unerträgliche
Zumutung. Der Film beschreibt in blutigen, extrem brutalen Bildern die
letzten zwölf Stunden im Leben Jesu. Der Zuschauer wird in 124 Minuten mit
grausamen Folter und Kreuzigungsszenen dermaßen in die Enge getrieben, dass
ihm nur abgrundtiefe Depression, Verzweiflung oder unsägliche Wut bleibt.
Bekanntlich lebt es sich mit Depression und Verzweiflung schlecht, die Wut
hingegen kann über das antisemitische Ventil abgelassen werden. Dieses
Ventil bietet der Film aufdringlich an.
Darstellung der Juden und die aramäische Sprache
Der Macher des Filmes, Mel Gibson, und die Darsteller des
Filmes geben stolz an, Aramäisch gelernt zu haben, um in ihrer
Glaubensfestigkeit zu wachsen. In dem Film wird hauptsächlich aramäisch
gesprochen, die Römer sprechen ein altes verzerrtes Latein. Während des
gesamten Filmes hört man in der Tat kein englisches oder deutsches Wort. Der
tragische Held des Filmes spricht wenig, dafür um so mehr jüdische
Würdenträger, Rabbiner, oder das gemeine Volk. Alle sind sich in dem Film
einig, den Ketzer möglichst grausam zu malträtieren und von Pilatus zu
fordern: "Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder". Die absurde
antisemitische Fragestellung: "Ob die Juden den Heiland ermordet haben",
wird in dem Film objektiv bejaht. Das gezeigte Volk und die aramäisch
jüdischen Würdenträger werden in dem Film als widerwärtige blutrünstige
Monster präsentiert. Die dargestellten Grausamkeiten in Verbindung mit der
aramäischen Sprache haben die Funktion, den Zuschauer gegen ein bestimmtes
Volk, das der Juden, aufzubringen. Denn wozu soll es gut sein, in
amerikanischen und deutschen Kinos einen Folter und Grausamkeitserguß in
einer völlig fremden Sprache endlos hinzuziehen. Wenn in amerikanischen und
deutschen Kinos eine lange Blutorgie vollzogen an einer Person im
chinesischen Kaiserreich, in chinesischer Sprache gezeigt würde, dann gäbe
es nicht die Frage, gegen wen sich der Film wohl richtet. Der Constantin
Verleih behauptet bezüglich des Filmes "Die Passion" : "hier werden nur
historische Tatsachen festgehalten". Nichts ist weniger wahr als diese
Behauptung; der Film bietet neben dem Blutspektakel historische Absurditäten
und antisemitische Klischees.
Kaiphas und Pontitus Pilatus
Entgegen der historischen Faktenlage, wird der
Hohepriester Kaiphas zum eigentlichen Machtträger in der damaligen römischen
Provinz. Pilatus, der römische Statthalter, setzt sich oft dafür ein, Jesus
zu begnadigen, um am Ende seine Hände in Unschuld zu waschen. Im Film droht
Kaiphas dem römischen Statthalter mit einem Aufstand, wenn er Jesus nicht an
das Kreuz schlage. Ergo wird die antisemitische Botschaft transportiert: "In
Wahrheit haben die Juden die Macht, obwohl es offiziell nicht so aussieht".
Wie war die Lage zur damaligen Zeit tatsächlich ? Die
Sadduzäer (Zdukim) stellten die traditionelle Elite, jene Familien, aus
denen der Hohepriester des Jerusalemer Tempels stammt und die den lokalen
Adel stellten. Sie empfanden sich als Hüter der Tradition, mit Rom hatten
sie sich arrangiert, sie kooperierten mit der Besatzungsmacht. Im Volk
galten die Sadduzäer als Kollaborateure und waren verhaßt. Geachtet waren
hingegen die Pharisäer (Pruschim). Sie galten als gebildet, sie stellten die
meisten Schriftgelehrten. Elitär und asketisch gaben sich die Essener, ihr
Zentrum war wohl die klosterähnliche Anlage von Qumran am Toten Meer. Die
Essener lebten, um es neuzeitlich auszudrücken, in kommunistischen
Gemeinschaften und warteten auf den Erlöser. Am meisten setzten den
römischen Besatzern die Zeloten (Kanaim) zu. Die Zeloten, oder Sicarri
(kurzer Dolch), setzten nicht nur auf Schrifttum und kultische Reinheit,
sondern sie kämpften mit der Waffe in der Hand für die Befreiung des Landes
Israel. Ihr militanter Kampf richtete sich gegen die römische Herrschaft und
gegen die mit ihr verbundene privilegierte Klasse. Bekanntlich war Jesus
kein Zelot, sondern nur einer von vielen pazifistischen Wanderpredigern
unter den Juden. Für die Sadduzäer war der Hauptgegner das Zelotentum,
genauso wie für die römischen Oberherren. Dass Kaiphas dem Statthalter
Pilatus mit einer Revolte wegen Jesus gedroht haben soll, ist eine abstruse
Legende. Pilatus war der Herr und Kaiphas sein bereitwilliger Untergebener.
Die gewesenen Machtverhältnisse in ihr Gegenteil zu verdrehen (wie es der
Film tut), entsprang historisch dem Bedürfnis urchristlicher Agitatoren
unter den "Heiden" (den Römern). Damit die jüdische Sekte (Christentum)
sich in Rom erfolgversprechend entwickeln konnte, mußte der römische
Statthalter Pilatus zum Unschuldslamm mutieren, Kaiphas und die Juden
hingegen zu mörderischen Gottesleugnern. Die aktuelle filmische Inszenierung
der urchristlichen Legende durch Gibson fördert die Reaktivierung des
christlichen Antijudaismus und noch stärker den rassistisch geprägten
Antisemitismus.
Der Hintergrund von Mel Gibson
In dem Werbeheft zu "Die Passion" von Constantin Film wird
Gibson als bekannter Schauspieler und Produzent vorgestellt. Das ist nichts
neues und eigentlich überflüssig. Interessant ist hingegen der ideologische
und organisatorische Hintergrund von Mel Gibson. Dazu weiß der Verleih von
Constantin Film nichts zu sagen. Mel Gibson gehört der christlich
fundamentalistischen "Catholic Church" an. Der Vater von Mel Gibson
beschrieb Anfang 2003 den ideologischen Kern der Sekte im New York Times
Magazine: "Ich halte das Zweite Vatikanische Konzil von 1965 für eine
freimauerische Verschwörung unter jüdischer Leitung". Hutton Gibson
kritisierte damit eine Erklärung des Konzils, in der die Juden nicht mehr
als kollektive Christusmörder bezeichnet werden. Mel Gibson teilt
offensichtlich die Haltung seines Vaters, denn eine Distanzierung vom Herrn
Papa ist nicht bekannt. Kurz vor der Premiere des Filmes erklärte Hutton
Gibson : "Der Holocaust ist eine Erfindung. Die meisten der angeblich in
Vernichtungslagern umgekommenen Juden seien in Wirklichkeit nach Amerika
ausgewandert" ( AZ-27.2.04 und Zeri-Stimme 12.2.04). Herr Gibson hat sich
von solch ungeheuerlichen Äußerungen seines Sektenbruders und Vaters nicht
eindeutig distanziert. Statt dessen besitzt der Constantin Film Verleih die
Frechheit, Herrn Gibson als spirituell veranlagten Künstler und einfach
religiösen Menschen zu präsentieren.
Ausblick und Prognose
Der brutal antisemitische Müll von Mel Gibson paßt in die
Landschaft. In den USA ist seit Jahren ein militanter stärker werdender
christlicher Fundamentalismus feststellbar. Die Kampagne gegen die Homo-Ehe,
mit der Bush offensichtlich die Wahl gewinnen will, ist hierfür ein
signifikanter Ausdruck. Christlicher Puritanismus und religiöser Eifer
dominieren weite Teile der US-Gesellschaft. Der religiöse Fanatismus bewirkt
in den USA ein wiedererstarken antijudaistischer christlicher Paradoxone.
Der christliche Erlösungsgedanke ist mit dem Tod des Jesus untrennbar
verbunden. Es ist ein Widerspruch, einerseits den Tod von Jesus als
göttliche Erlösung zu feiern und andererseits auf die angeblichen Mörder,
die Juden einzudreschen.
Die Proteste vieler jüdischer Organisationen gegen den
Gibson Film bewirkten in den USA nichts. In Deutschland wird der Film an
Ostern starten. Gespannt darf man auf die Frage sein, wie sich der
Antisemitismus in Deutschland bei den Gibson Freunden zeigt. Eine Prognose
sei hier gestattet, er wird im Gegensatz zu den USA nur formal religiös
erscheinen, eher wird hier der Antisemitismus kalt, barbarisch und
"modern" einherschreiten. Der antisemitische deutsche Mob sowie die
"kultivierten" Antisemiten werden das Gibson Geschenk beim Schopf packen. In
den USA gehen seit Wochen Anrufe und Briefe bei jüdischen Organisationen
ein. "Der Film wird Millionen daran erinnern, dass die Juden Jesus
ermordet haben", schrieb ein Gibson Fan an das Simon Wiesenthal Center in
New Jork . Auch oder gerade in Deutschland darf mit einigem gerechnet
werden.
Max Brym
Spezial zum Kinostart:
"Die
Passion" von Mel Gibson
Als Juden und Jüdinnen sollten wir uns nicht nur dazu äußern, inwieweit der
Film nun antijudaistische Klischees transportiert oder nicht, sondern die
Frage an die Christen zurückgeben, ob der Film das zeigt, was wir über ihre
Religion lernen sollen: Eine Religion des Blutes, der Gewalt, der Schmerzen
und der Brutalität...
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hagalil.com
29-02-2004 |