Diplomarbeiten eines
Geschichtsrevisionisten vor Gericht:
Auschwitzleugner an der Universität Lyon III
Von Bernhard
Schmid, Paris
An
Auschwitzleugnern mangelt es nicht an der Universität Lyon-III. Das ist
spätestens seit der "Notin-Affäre" um den rechtsextremen Professor Bernard
Notin, der Anfang der Neunziger Jahre mit Lehrverbot belegt wurde, allgemein
bekannt. Jetzt sind auch die Behörden tätig geworden. Allerdings nicht gegen
die Negationisten wie die Leugner der Realität der Shoah in Frankreich
genannt werden -, sondern gegen einen ihrer schärfsten Kritiker.
Der Student Marc
Jampy stand früher der Vereinigung Hippocampe vor, die anlässlich der
Debatte um die Notin-Affäre gegründet worden war, um die Neofaschisten und
die Auschwitzleugner an der Universität Lyon-III zu bekämpfen. Anlässlich
des Jahrestags der Deportation von 86 jüdischen BürgerInnen Lyons durch
Klaus Barbie hielt Marc Jampy, am 10. Februar 2002, eine Rede. Nach den
feierlichen Ansprachen der Offiziellen das Wort ergreifend, hatte er einige
Ereignisse an der Hochschule während der letzten zehn Jahre in Erinnerung
gerufen. Dabei kritisierte er auch den damaligen Rektor der Universität,
Gilles Guyot. Nicht nur, weil er stets Nachgiebigkeit gegenüber den
Umtrieben der einschlägigen Kreise an den Tag gelegt hatte, sondern konkret
auch wegen seines gescheiterten - Plans, einer Vereinigung rechtsextremer
Hochschulprofessoren zu außeruniversitäten Zwecken eine Finanzierung zu
beschaffen.
Daraufhin klagte
Guyot gegen den Studenten. Die Strafanzeige reichte er nicht in Lyon,
sondern bei einem Untersuchungsrichter in Paris ein wohl weil er hoffte,
einige persönliche Kontakte im Gerichtsmilieu seien ihm dabei von Nutzen. Im
Juni 2003 erhielt Marc Jampy daraufhin eine Vorladung nach Paris. Da der
Student kein Geld hatte, um sich eine Fahrkarte zu kaufen, legte er
Widerspruch ein. Diesem wurde stattgegeben, und im September 03 erhielt er
eine Vorladung zum Lyoner Gericht die allerdings keinen Namen eines
zuständigen Richters, der betreffenden Strafkammer oder ähnliche Angaben
enthielt. Auf Anraten seines Anwalts hin begab er sich deswegen nicht zum
Gericht. Im Dezember folgte eine zweite Vorladung, die aber offenbar vom
zuständigen Polizeikommissariat nicht zugestellt wurde.
Jetzt beschloss
das Gericht, seiner Autorität Nachdruck zu verleihen und ließ Jampy am 20.
Januar einfach zu Hause festnehmen. Der Student wurde durchsucht, mit
Handschellen versehen und nackt in eine Zelle gesteckt. Sein Anwalt
konnte ihn freibekommen, doch zwei Tage später musste Jampy jetzt in Paris
vor dem Untersuchungsrichter antanzen. In Lyon rief diese Behandlung einen
Skandal hervor: Noch nie ist einem der Auschwitzleugner von Lyon-III eine
vergleichbare Behandlung widerfahren, wie Hippocampe und die Liga für
Menschenrechte (LDH) betonten. Am 30. Januar schrieben sie deswegen an
Bildungsminister Luc Ferry. Seitdem hat sich nichts getan.
Lyoner Traditionen auf der
politischen Rechten
Die Hochschule
Lyon-III, die unpassenderweise den Namen des von Klaus Barbie zu Tode
gefolterten Résistance-Kämpfers Jean Moulin trägt, entstand aus einer
Zweiteilung der Universität von Lyon im Jahr 1973. Bei der damaligen
Entscheidung des Bildungsministeriums ging es darum, dem rechtesten Flügel
der Lyoner Bourgeoisie ein Zugeständnis zu machen, der über einen eigenen
Einflussbereich im Hochschulsektor verfügen wollte. Das Bürgertum von Lyon
hat historische Traditionen, die schon immer eher zur Kollaboration als zur
Résistance führten.
Lyon ist auch
die Stadt, deren bürgerliche Rechte sich anlässlich der Kommunalwahlen von
2001 in zwei beinahe exakt gleich große Lager aufgespalten hat. Neben den
"normalen" Konservativ-Liberalen fand man, mit ebenfalls über 20 Prozent der
Stimmen, die Anhängerschaft des rechtskatholischen Politikers Charles
Millon. Millon gehört zu jenen konservativen Regionalpolitikern, die im März
1998, nach den damaligen Regionalparlamentswahlen, ein Bündnis mit dem Front
National (FN) von Jean-Marie Le Pen eingegangen waren. Jedenfalls nahm er
die Stimmen des örtlichen FN, der in Lyon vom "Generalbeauftragten" der
Partei Bruno Gollnisch vertreten wird, zu seiner Wiederwahl als
Regionalpräsident an.
Doch während
andere Protagonisten, die zur gleichen Zeit mit den Stimmen der
FN-Parlamentarier an die Spitze französischer Regionen gewählt wurden
(Jacques Blanc in Montpellier, Jean-Pierre Soissons in Dijon, Charles Baur
in Amiens), dieses faktische Bündnis verschämt abstritten, ging Charles
Millon seinerseits in die Offensive. Er verließ daraufhin die
christdemokratisch-liberale UDF. Und im Frühsommer 1998 bereitete er eine
eigene Parteigründung unter dem Namen "La Droite" (Die Rechte) vor, die im
November 1998 zur eingetragenen Partei unter Namen "Christlich-liberale
Rechte" (DCL) wurde. Sie sollte den rechten Rand der Konservativen neu
formieren. Doch während die neue Partei frankreichweit von Erfolglosigkeit
geplagt blieb (mangels Masse konnte sie nicht zu den Europaparlamentswahlen
1999 antreten), wurden die Millon-Anhänger in Lyon zu einer bedeutenden
Kraft auf der örtlichen Rechten. 23 Prozent der Stimmen erhielt Millon als
Oberbürgermeister-Kandidat in der Stadt am Zusammenfluss von Rhône und
Saône.
Nunmehr ist es
allerdings mit Glanz und Herrlichkeit dennoch vorbei. Seine ehemalige
Partei, die UDF, hatte Charles Millon schon 1999, durch eine Allianz mit den
Sozialdemokraten, aus dem Sessel des Regionalpräsidenten entfernen lassen.
Und jetzt ist Millon, 2003, auf den Posten eines französischen Botschafters
bei der Welternährungsorganisation FAO weggelobt worden. Dort kann er
vermutlich nicht mehr so viel Schaden anrichten - hoffen wir's.
Ein unversitärer Tummelplatz
für Rechtsextreme und Auschwitzleugner
Zurück also zu
Lyon-III. An dieser Hochschule unterrichteten skandalumwitterte Figuren wie
der rechtsextreme Kolonialhistoriker Bernard Lugan, der es witzig fand, in
Uniform der Kolonialtruppen und mit Peitsche in der Hand Vorlesung zu
halten. Hier unterrichtet auch der Blut-und-Boden-Ideologe Pierre Vial als
Historiker, der jahrelang ein - inzwischen geschlossenes - "Institut für
indoeuropäische Studien" (das IEIE, auch "yéyé" genannt) leitete. Früher
nannte man das, was der Mann dort betrieb, auch Arierforschung. Und auch der
Front National-Spitzenpolitiker Bruno Gollnisch hat einen Lehrstuhl, für
Jura und Japanisch, inne.
Streit um eine Diplomarbeit
über "Vergasung von Flöhen in deutschen KZs"
Manchmal kann
der an Lyon-III herrschende Ungeist dann sogar an die "andere" Hochschule,
die aus der administrativen Trennung von 1973 hervorging, übergreifen.
Nehmen wir den ehemaligen Studenten, jetzigen (arbeitslosen) Historiker und
negationistischen Multi-Aktivisten Jean Plantin. Der heutige Enddreißiger
erhielt 1990 einen Magistertitel an Lyon-III mit der Note "Sehr gut". Der
Inhalt seiner Diplomarbeit ist den Ideen von Paul Rassinier gewidmet, einem
derjenigen Ideologen des französischen Negationismus und
Geschichtsrevisionismus, die einstmals von der Linken herübergewandert sind.
(Die Motivation des gegen Lebensende reichlich "durchgeknallten" Rassinier
bestand vermutlich vorwiegend darin, die These "den Zweiten Weltkrieg zu
führen, war schlimmer, als es gewesen wäre, Hitler zu dulden" zu
rechtfertigen.)
Die Diplomarbeit
beginnt mit einem längeren Zitat aus den "Revisionistischen
Geschichtsannalen" (Annales d'Histoire Révisionniste), die immerhin eine
verbotene Publikation darstellen. Eine der Thesen der Arbeit lautet, die
europäischen Juden seien nicht vernichtet worden, sondern alle mit Hilfe
zionistischer Organisationen in die USA ausgewandert. (Vgl. näher dazu
hier)
Mit seinem
Magistertitel ausgestattet, konnte Plantin sich im folgenden Jahr 1990/91 an
der benachbarten Universität Lyon-II einschreiben, die bei der
adminstrativen Trennung von 1973 eher dem "Mitte-Links"-Spektrum
zugeschlagen wurde. Dort erhielt er 1991 einen weiterführenden Titel, den
DEA (Diplômes d'études approfondies, Diplom für vertiefte Studien). Es
handelt sich um eine Art Aufbaudiplom, das zum Einschreiben in eine
Doktorarbeit bemächtigt sowie eine universitäre Lehrerlaubnis bildet. Thema
der DEA-Arbeit: "Typhusepidemien in deutschen Konzentrationslagern". Die
zentrale These lautet, die Gaskammern in den deutschen KZs hätten allein
dazu gedient, Flöhe zu vernichten, um die Übertragung von Typhus unter den
Häftlingen (eine Krankheit, die durch Flöhe übertragen werden könne) zu
verhindern.
1991 konnte Jean
Plantin sich mit dem DEA schmücken, der ihm durch den Professor Yves Lequin
verliehen wurde. 1999, als nähere Details zum Inhalt der Arbeit herauskamen,
gab es einen öffentlichen Skandal. (Vgl. dazu
Jungle World)
Daraufhin gab
der Professor zu seiner (zweifelhaften) Verteidigung an, er habe deren Text
überhaupt nicht durchgelesen. Vielmehr habe er auf das Werturteil seines
Kollegen von Lyon-III vertraut, der dem Studenten ja schon für seine
Magisterarbeit ein "Sehr gut" erteilt habe. Und als armer geplagter
Universitätsprofessor kann man doch nicht alles lesen, was einem so auf den
Tisch kommt... Später sollte sich noch heraus, dass mehrere der Professoren,
die als Mitglieder der siebenköpfigen DEA-Jury unterschrieben hatten, bei
der Vorstellung der Arbeit trotz gegenteiliger Behauptung mit ihrer
Unterschrift gar nicht anwesend waren. (Inzwischen behaupten mehrere
Beteiligte, dass die Jury gar nie zusammengetreten sei. Demnach soll der
Titel auf guten Glauben hin verliehen worden sein. Man mag darüber
diskutieren, was schlimmer wäre: Ein solcher "Blindflug" seitens
hochrangiger Akademiker, wenn dies Version denn stimmt, oder eine
Diplomierung des Kandidaten unter Kenntnis seiner "Forschungsarbeit".)
Aufgrund dieses
Vorgangs, also der Verleihung eines Diploms ohne vollständige Anwesenheit
der für die Begutachtung der Arbeit zuständigen Jury, hat die Universität
Lyon-II den DEA im Dezember 2000 annulliert. Im Jahr 2001 hob daraufhin auch
Lyon-III den im Vorjahr erworbenen Magistertitel auf, unter Berücksichtigung
des Inhalts der beiden Abschlussarbeiten Jean Plantins.
Doch damit war
die Affäre leider nicht zu Ende. Denn Plantin zog gegen die Aberkennung
seiner beiden Diplome vor Gericht ungeachtet der Tatsache, dass er selbst
im Januar 2003 zu sechs Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden war.
Und zwar wegen Wiederholungstäterschaft bei verbotener
geschichtsrevisionistischer Propaganda, unter anderem mittels der von
Plantin herausgegebenen Zeitschrift Akribeaia (vom griechischen
Herkunftswort für Akribie).
Und er erhielt
Recht. Aus formalen Gründen: Eine Anfechtung eines einmal erworbenen,
universitären Diploms könne nur in den vier Monaten nach seiner Verleihung
erfolgen. So wolle es, den Richtern zufolge, das geltende öffentliche Recht,
denn prinzipiell kann ein Verwaltungsakt (acte administratif) nur in den
vier Monaten nach seinem Erlass angefochten werden. (Was aber, wenn gar
keine endgültige Entscheidung vorliegt, da deren Minimalvoraussetzungen
nicht erfüllt sind...?) Die Richter gaben an, sie hätten darüber hinaus
"nicht über den Inhalt der fraglichen Arbeiten zu befinden". - Doch dieser
dürfte tatsächlich gegen geltende Gesetze verstoßen, besonders die Loi
Gayssot vom 1. Juli 1990, die verschärfte Strafen für rassistische
Propaganda sowie die Strafbarkeit der Leugnung des Holocaust einführt.
Jean Plantin hat
bisher durch zwei Instanzen hindurch Recht behalten. Und seine beiden
Diplome, Magister und DEA, zurück bekommen. Das zweite Urteil, vom
Berufungsgericht Lyon, erfolgte soeben, Ende Januar 2004.
hagalil.com
08-02-2004 |