Nicht der Opa ist das Problem:
Der seltsame Stolz des Friedrich Merz
Von Patrik Schwarz
Für seinen Opa kann keiner was, auch Friedrich
Merz nicht. Was aber einer über seine Vorfahren sagt, wie er sich zu
ihnen und ihren Taten stellt, das steht jedem Menschen frei, auch
jedem Politiker. Der CDU/CSU-Fraktionsvize hat sich mit seinen
extremen Bemerkungen auf einer Parteiversammlung diese Freiheit
genommen. Nun muss er damit leben, dass man ihn danach beurteilt.
Nicht über den Privatmann Josef Paul Sauvigny hat
Merz gesprochen, nicht über Kindheitserinnerungen an einen
möglicherweise netten Opa. Der Politiker Friedrich Merz hat über den
Politiker Sauvigny gesprochen, hat ihn als ein Vorbild angeführt -
für sich und die CDU in seiner Heimatstadt Brilon im Sauerland.
Nicht skeptisch oder gar kritisch hat er an dessen Amtsjahre bis zur
Pensionierung auf dem Höhepunkt der Nazizeit 1937 erinnert, sondern
unbekümmert stolz.
Was Lokalhistoriker über den Bürgermeister
herausgefunden haben, belegt, dass Sauvigny Täter war, nicht
Mitläufer: Von Anbeginn der Naziherrschaft hat er "den Führer"
öffentlich gepriesen, kurz nach der Machtergreifung ließ er kraft
seines Amtes zwei Wege umbenennen in "Adolf-Hitler-" und
"Hermann-Göring-Straße", vier Jahre lang regierte er seine Stadt zur
Zufriedenheit der NSDAP. Seine erste dokumentierte Rede von 1933
lässt kaum ein NS-Klischee über die frisch zerschlagene Demokratie
und die Weimarer Parteien aus.
Ungeachtet dessen führt der Enkel im Jahr 2004 das
Erbe des Großvaters an, um gut gelaunt dazu aufzurufen, das
angeblich "rote Rathaus" der Stadt "zu stürmen". Merz stellt damit
ohne Not einen fatalen Zusammenhang zwischen dem heutigen
Kommunalwahlkampf und der NS-Zeit her. 1933 wurden tatsächlich und
teilweise gewaltsam "rote Rathäuser" gestürmt. Schon Merz Großvater
pries diese "nationale Revolution" der Nazis als "Sturm", der das
Land von den "giftigen Dünsten" einer "missverstandenen Freiheit"
reinige. Für die Verteidiger der Freiheit von Weimar war da gerade
in Dachau das erste KZ eröffnet worden.
Ob Merz Haltung und Handeln seines Großvaters kennt?
Von einem Politiker seines Formats kann man das erwarten. Anders als
Merz Parteifreund Martin Hohmann - nun wegen Antisemitismus aus der
Unionsfraktion ausgeschlossen - ist der frühere Fraktionsvorsitzende
nicht Hinterbänkler, sondern sitzt im Reichstag und bei "Sabine
Christiansen" stets ganz vorne.
Für seinen Opa kann keiner was. Nicht die
NS-Vergangenheit des Großvaters ist darum das Problem, sondern die
Haltung des Enkels. Der Fall Merz zeigt, dass man selbst nach allen
NS-Debatten der letzten Jahre noch irritierend gleichgültig
gegenüber der deutschen Geschichte sein kann. Dass Merz sich
mutmaßlich zu Unrecht kritisiert glaubt, dass er seine Verweise auf
die Erfolge des Großvaters für arglos hält, dass er im
Treuebekenntnis zu seinem Vorfahr gar eine Tugend sehen mag, glaubt
man ihm sofort. Doch gerade darin liegt begründet, was fassungslos
machen kann: Da hat einer es bis zum Oppositionsführer im Deutschen
Bundestag gebracht, hat vermutlich mehr Gedenkstunden für die Opfer
des Nationalsozialismus mitgemacht als die meisten Historiker und
verhält sich doch so, als hätte er von der schuldhaften Verstrickung
der Funktionseliten im Dritten Reich noch nie etwas gehört. Mein
Bürgermeister wars nicht, Adolf Hitler ist es gewesen.
Der Mann, der so gerne Nationalstolzdebatten
anzettelt, trägt ein Geschichts- und Familienbild in sich, auf das
kein Deutscher stolz sein sollte. Von Unbedachtheit kann bei Merz
Einlassungen zu Josef Sauvigny jedenfalls keine Rede sein. Nicht nur
spontan, einmalig und zur Gaudi von 160 Parteifreunden berief sich
der CDU-Politiker auf den Dritte-Reichs-Funktionär. Auch in einem
persönlich autorisierten Interview mit einer Berliner Tageszeitung
führte er im letzten September stolz die Amtsjahre des Großvaters
an. Vorsichtig formuliert verrät Merz damit ein verblüffend
ungebrochenes Traditionsbewusstsein, zumal als Repräsentant einer
Partei, die zu Recht für sich reklamiert, mit der antidemokratischen
Tradition der deutschen Rechten gebrochen zu haben. Gerade wenn
einer wie Merz von Leitkultur redet und einen Mangel an nationalem
Bewusstsein nach 68 beklagt, dann muss die Abgrenzung zum
Nationalsozialismus umso unzweideutiger ausfallen. Tut sie das nicht
- und Merz Einlassungen sprechen dagegen -, dann ist der Redner eine
Blamage für das Parlament, in dem er Sitz und Stimme hat.
Für seinen Opa kann keiner was, aber gerade in Bezug
auf das Dritte Reich gilt, dass deutsche Geschichte immer auch
Familiengeschichte ist. Wie man sich zu ihr stellt - zumal
öffentlich und als Verantwortungsträger - sagt mehr als alle
Gedenkreden darüber aus, wo ein Politiker in seiner inneren
Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit steht. Wenn man den Fall
des Fraktionsvizes wohlwollend bewertet, kann man sagen, Friedrich
Merz steht noch ganz am Anfang. Das Mindeste ist, dass er sich jetzt
erklärt.
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haGalil onLine 19-01-2004 |