"Rabbiner Horden spricht nicht für
uns":
Schwedens Juden zur Homoehe
Von Paul Piwnicki
"Homoehe bedroht freie
Kirchen" war die Überschrift eines Beitrags auf der Debattenseite im
Internetauftritt der großen schwedischen Tageszeitung "Dagens Nyheter". Der
Beitrag war unterzeichnet von einer Reihe Vertreter schwedischer
Freikirchen, zwei Imamen und Meir Horden, Rabbiner, Jüdische Versammlung
Stockholm. Die Unterzeichner wenden sich in ihrem Beitrag gegen den
Gesetzesvorschlag, den Begriff "Ehe" im schwedischen Gesetz in Zukunft ohne
Bezug auf die Geschlechter der Partner zu definieren.
Auf Initiative des
Ombudsmanns gegen Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung soll der
schwedische Reichstag über einen Gesetzesentwurf beraten, der
gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften nicht nur der Ehe rechtlich
gleichstellen, sondern jeglichen formalen Unterschied zwischen diesen beiden
Formen des Zusammenlebens abschaffen würde. Ein solches Gesetz wird in
Schweden schon seit längerem von den Parteien des linken Lagers gefordert,
wird aber neuerdings auch von der bürgerlichen Liberalen Freiheitspartei
unterstützt. Die Erfolgschancen eines solchen Gesetzesentwurfs sind wohl
ziemlich gut, wobei die praktischen Auswirkungen nur gering wären, da die
registrierte Partnerschaft praktisch bereits alle Rechte bietet, die eine
Ehe mit sich führt – seit 2003 auch das Recht, Kinder zu adoptieren. Seit
2003 unterscheidet auch das Gesetz über eheähnliche Gemeinschaften
(Sambolagen) nicht mehr zwischen homo- und heterosexuellen Paaren. Im
Wesentlichen würde das neue Gesetz nur eine verbale Diskriminierung
abschaffen, die darin besteht, dass für die gleiche Rechtsinstitution je
nach sexueller Orientierung der Partner unterschiedliche Begriffe verwendet
werden.
Für die religiösen
Gruppen, die das Leben in einer homosexuellen Partnerschaft nicht als
gleichwertig mit einer Ehe ansehen, könnte ein solches Gesetz aber ein
Problem mit sich bringen: Denn in Schweden werden Ehen in der Regel in
Kirchen oder Synagogen geschlossen und erlangen damit auch Rechtskraft. Eine
zusätzliche Trauung auf dem Standesamt ist nicht nötig. So könnten die
Gemeinschaften fürchten, sie würden das Recht verlieren, rechtsgültige
Eheschließungen durchzuführen, sollten sie nicht bereit sein, homosexuelle
Paare zu trauen. Das führen die Autoren aber nicht als Argument an, sie
schreiben vielmehr, dass durch den Gesetzesentwurf den
Religionsgemeinschaften die gerade politisch korrekten Haltungen
aufgezwungen würden, sie würden des Rechts beraubt, ihre eigenen heiligen
Schriften auszulegen und fühlen sich ganz einfach diskriminiert. All dies
vor dem Hintergrund, dass – wie betont wird – die Religionsgemeinschaften
natürlich das Recht der Menschen respektieren, ihren eigenen Lebensstil zu
wählen, denn in einer modernen Gesellschaft gäbe es ja keinen Raum für
Zwang.
Den meisten Lesern dieses
Beitrags wird aufgefallen sein, dass unter den Unterzeichnern kein Vertreter
der Schwedischen Kirche war, der die weit überwiegende Mehrheit der
schwedischen Christen angehört. Dass auch die jüdische Gemeinschaft sich
keineswegs einheitlich hinter die vertretenen Positionen stellt, wurde
deutlich, als am 15. Januar auf der gleichen Debattenseite ein Beitrag mit
dem Titel: "Rabbiner Horden spricht nicht für uns" erschien. Er war
unterzeichnet von Philip Spectre, dem Oberrabbiner von Schweden, Lena
Posner-Körösi, der Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Stockholm und 37
weiteren Mitgliedern der jüdischen Gemeinde, die entweder in der Gemeinde
oder im schwedischen gesellschaftlichen Leben eine bedeutende Rolle spielen.
Die Unterzeichner dieses Beitrags betonen, dass Horden nur Rabbiner des
relativ kleinen orthodoxen Gemeindeteils sei und in seinem Protest nur für
sich spreche, weil er sich nicht um Unterstützung der Gemeinde bemüht habe.
In dem ursprünglichen Beitrag erkennen sie die Rhetorik fremdenfeindlicher
Aussagen: dessen Autoren fühlen sich diskriminiert, weil sie das Recht
verlieren sollen, andere zu diskriminieren. Da Hordens Unterschrift in der
Gemeinde heftige Reaktionen ausgelöst hat, sah man sich gezwungen, eine
Klarstellung zu veröffentlichen.
Diese endet mit den
folgenden Aussagen:
"In der Bibel steht, dass alle Menschen in Gottes Ebenbild geschaffen sind.
Wir, die wir alle Mitglieder schwedischer jüdischer Gemeinden sind, halten
es für offensichtlich, dass weder Homosexuelle noch deren Lebensstil
diskriminiert werden dürfen. Ihre Lebensweise darf auch nicht als von
geringerem Wert angesehen werden als die Heterosexueller.
In den jüdischen Gemeinden Schwedens unternimmt man in der letzten Zeit
verstärkte Anstrengungen, homosexuellen Juden die aktive Teilnahme am
Gemeindeleben zu erleichtern. Dies sollten alle religiösen Gemeinschaften
tun.
Mit diesem Beitrag wollen wir klarstellen, dass Meir Horden nur sich selbst
repräsentiert und nicht die jüdischen Gemeinden Schwedens."
Das sind deutliche Worte,
die innerhalb der Stockholmer jüdischen Gemeinde geäußert wurden, die als
Einheitsgemeinde sie sowohl orthodoxen als auch nicht-orthodoxen Juden Raum
bietet. Die meisten Gemeindemitglieder zählen sich zum nicht-orthodoxen
Teil, der vom konservativen Oberrabbiner betreut wird, und besuchen die
große Synagoge, in der der Gottesdienst nach altem deutschen Reformritus
abgehalten wird. Viel Raum bekommen auch liberale Gruppen, die progressive
Gottesdienstformen ausüben. Die Orthodoxen verfügen über zwei kleinere
Synagogen, stellen aber nur einen kleinen Teil der Gemeindemitglieder.
Auch wenn sie nicht immer
mit dem Vorgehen des schwedischen Staates einverstanden sind – das
Schächtverbot und der Versuch, die Beschneidung zu verbieten, sind zwei
Beispiele – , sehen sich die Juden Schwedens als Teil der schwedischen
Gesellschaft und haben so auch an den allgemeinen gesellschaftlichen
Entwicklungen teil. Dazu gehört auch ein Verhältnis zur Homosexualität, das
schon seit mehreren Jahrzehnten deutlich liberaler ist als in anderen
Ländern. Offenbar ist Meir Horden nie hinreichend in Schweden angekommen um
zu verstehen, dass sich die jüdische Gemeinde nicht – wie die Freikirchen –
als Verteidigerin konservativer Werte sieht, sondern aktiver Teil einer
modernen und offenen Gesellschaft ist.
Mehr über die
Jüdische Gemeinde Stockholm
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28-01-2004 |