Von Achim Scheve
Der letzte Verhandlungstag des Bikker Prozesses war am 19. Dezember,
deswegen war - sofern keiner der Beteiligten krank war - ein Verhandlungstag
am 30. Dezember zwingend erforderlich, da eine Hauptverhandlung nicht mehr
als 10 Tage unterbrochen werden darf.
Es waren keine Zeugen aus den Niederlanden geladen, geplant war nur die
Verlesung von Akten oder eventuell die Anhörung eines sachverständigen
Zeugen über die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten.
Die Schwurgerichtssitzung war diesmal noch schlechter besucht als üblich.
Anwesend waren im Zuschauerraum außer dem Beobachter fünf niederländische
Journalisten von Presse, Funk und Fernsehen, ein Reporter der Westfälischen
Rundschau, drei Hagener Antifaschisten, ein fünfzehnjähriger Prozessbesucher
und eine nicht ganz geklärte Restgruppe aus Gerichtsdienern und politischen
Staatsschützern. Die "Stille Hilfe" für angeklagte Neonazis und Altnazis war
vermutlich nicht anwesend. Außer den Journalisten waren diesmal keine Bürger
aus den Niederlanden angereist.
Wegen den Kindergartenferien konnte die für Bikker gewohnte persönliche
betreuende Notärztin Dr. Schellert nicht, und Herr Bikker sollte von Herrn
Dr. Guido Rabast abgeholt und im Gerichtssaal betreut werden.
Doch zu Beginn der Sitzung wurde der Zeuge Dr. Guido Rabatz aufgerufen,
der vor Gericht berichtete, dass er den Angeklagten heute morgen untersucht
hat und dieser auch nicht akut krank sei. Er habe jedoch einfach gesagt:
"Ich möchte nicht"
Deswegen wurde der Angeklagte nicht ins Gericht gebracht. Der Zeuge
berichtete dass der Angeklagte offensichtlich nicht akut krank sei und er
aber leider seine Tabletten nur sehr unregelmäßig nehme.
Das Gericht wirkte etwas ratlos und hörte zunächst einmal den
sachverständigen Zeugen Dr. Markus Schmidt vom Hagener Marienhospital zur
grundsätzlichen Verhandlungsfähigkeit des angeklagten Herrn Bikker an.
Herr Dr. Schmidt berichtete zunächst über die Ergebnisse seiner
Untersuchungen an Herrn Bikker. Insbesondere führte er neurologische
Untersuchungen durch Befragungen durch. "Welcher Tag ist heute?" Herr Bikker
war zeitlich und örtlich orientiert. Seine Merkfähigkeit war allerdings
eingeschränkt. Dies sei vor allem durch seine Kopfschmerzen bedingt. Herr
Bikker nehme seine Medikamente nur unregelmäßig, er sagte:
"Jede vom Arzt verschriebene Tablette ist Gift"
Die vorgefundene Medikamentenliste entsprach selbst in der Stoffklasse
nicht den bei Herrn Bikker vorgefundenen Medikamenten. Die verschriebenen
Tabletten gegen Kopfschmerzen seien nur bei regelmäßiger Einnahme wirksam.
Gegen akute Kopfschmerzen würden sie nicht helfen. Der vorsitzende Richter
Horst Werner Herkenberg erläuterte die Sachlage und Rechtslage.
Selbstverständlich könne man den Angeklagten Bikker durch zwei uniformierte
Kräfte ins Gericht holen lassen. Dann stehe aber zu befürchten, dass man
danach wegen der Aufregung nur einen verhandlungsunfähigen Angeklagten im
Saal habe. Damit sei nichts gewonnen.
Zur möglichen Verpflichtung des Angeklagten seine Tabletten regelmäßig zu
nehmen und dadurch seine Verhandlungsfähigkeit zu fördern, wies der Richter
auf die klassische Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes von 1963
"Liquorentnahme" hin.
Der Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH hatte Fragebogen der
Handwerkskammer nicht ordnungsgemäß ausgefüllt, sondern "mit ungenügenden,
zynischen und teils völlig sinnlosen Vermerken versehen" . Deswegen wurden
gegen die Gesellschaft Bußgelder in Höhe von 1000 DM verhängt, die aber eh
nicht eingetrieben werden konnten. Trotzdem wurde ein Verfahren wegen
Untreue zu Lasten der GmbH eingeleitet. Zur Feststellung seiner geistigen
Zurechnungsfähigkeit sollte mit einer langen Hohlnadel Gehirnwasser "Liquor"
entnommen und untersucht werden. Diese Untersuchung ist schmerzhaft und
nicht ungefährlich. Bereits seit Jahrzehnten war die Verweigerung einer
"Liquorentnahme" keine Begründung für die Verweigerung einer Rente. Das
Bundesverfassungsgericht entschied dann, dass in diesem Fall keine
Verpflichtung zur Zulassung der "Liquorentnahme" bestehe, da der Eingriff
schmerzhaft sei und es sich um einen Bagatellstrafverfahren handele, das
auch einfach eingestellt werden könne.
Ergibt sich denn aus dieser beispielhaften Rechtsentscheidung die
Nichtverpflichtung des Mordangeklagten Bikker durch regelmäßige
Tabletteneinnahme seine Kopfschmerzen zu bekämpfen und dadurch seine
Verhandlungsfähigkeit zu fördern? Das ist schwer zu verstehen, denn hier
geht es nicht um eine Bagatelle sondern um Mord, es geht nicht um eine
schmerzhafte und gefährliche Untersuchung, sondern um die ordentliche und
auch im eignen Interesse des Angeklagten liegende Behandlung von Schmerzen.
Die Nebenfolge ist dann allerdings die Förderung seiner
Verhandlungsfähigkeit.
Das Gericht stellte fest, dass der Angeklagte zur Zeit krank sei und
deswegen die Hauptverhandlung mehr als 10 Tage unterbrochen werden könne.
Der Prozess soll am 9. Januar 11 Uhr fortgesetzt werden.
Bikker-Prozess: