Weltgebetstag der Frauen 2003 -
Libanon
Dokumentation Teil 6Vorwurf von
Antisemitismus gegenüber der Weltgebetstagsliturgie 2003:
Stellungnahme von Prof. Peter von der Osten-Sacken vom 22.
Januar 2003
"Sehr
geehrte Damen,
durch Ihre Mitarbeiterin ... habe ich
auf Anfrage freundlicherweise die Unterlagen zugefaxt bekommen, die sich mit
dem Vorwurf von Antisemitimus gegenüber der Liturgie für den Weltgebetstag
der Frauen 2003 befassen: die epd-Meldung, die Stellungnahme aus dem Seminar
von Frau Dr. Rudnik, Ihre eigene Replik sowie den Brief von Frau Dr.
Bechmann. Nachdem ich alle Materialien in der Hand habe, möchte ich
zumindest in Kürze Stellung nehmen und Ihnen zu überlegen geben, die
Anmerkungen wie zuvor den Brief von Dr. Bechmann den Vorbereitungsgruppen
zur Kenntnis zu bringen. Denn ich möchte mir zwar nicht die Stellungnahme
aus dem Berliner Seminar in ihrer vorliegenden Form zu eigen machen, denke
jedoch auch, dass die Liturgie als christliches Gebet zum Teil nicht
mitvollziehbar ist (siehe besonders Punkt 3 - 5). Im Einzelnen möchte ich
Folgendes hervorheben:
1. Mit dem Vorwurf des Antisemitismus
sollte man allein schon um einen inflationären und am Ende wirkungslosen
Gebrauch zu verhindern, in der Tat vorsichtig umgehen und ihn nur dann
erheben, wenn er hinreichend klar begründet und damit deutlich gemacht ist,
in welchem Sinne er verwendet wird. Nach dieser Maßgabe ist in der
Stellungnahme aus dem Seminar leider nicht verfahren, so dass Sie diesen
zentralen Punkt mit Recht kritisiert und zurückgewiesen haben.
2. Unbeschadet dessen scheinen mir die
konkreten Kritikpunkte des Briefes nicht ohne jeden Anhalt zu sein, auch
wenn man darüber im Einzelnen debattieren kann. Jedenfalls lässt sich
ergänzend auf Folgendes hinweisen: Das israelische Militär ist das einzige
ausländische, das erwähnt ist, der Kampf der Söhne und Töchter der Frauen
Libanons erscheint im Unterschied zu den Aktionen der Besatzer im reinen
Licht der Stichworte "Befreiung" und "erneute Respektierung der
Menschenrechte" (S. 4, zweite Stimme, sinngemäß zitiert), und ob die
Beterinnen in den Gottesdiensten angemessen assoziieren, wenn die "Miliz"
erwähnt wird, kann man immerhin fragen. Aber auch hierüber lässt sich
zumindest zum Teil debattieren, und als gewichtiger erscheint mir das
Folgende:
3. Wenn in einer Liturgie libanesischer
Christinnen einseitig verfahren wird und die eigene Perspektive dominiert,
so ist dies verständlich. Wenn aber in einer Liturgie, nach der auch in
Deutschland und anderen Ländern gebetet werden wird, die Stimme einer
palästinensischen Christin im Gebet unterstützt wird, die die Rückkehr in
das Gebiet des Staates Israel fordert (Seite 9, 4. Stimme), so plädieren die
Mitbeterinnen mittels dieses Einzelfalls für ein Politikum, das auf die
Palästinenser/innen insgesamt hochgerechnet auf die Beendigung, Auflösung
oder Beseitigung des Staates Israel hinauslaufen würde. Sollte der
Weltgebetstag und zumal das Deutsche Komitee dies wollen oder unterstützen -
was ich nicht unterstellen möchte - dann läge allerdings ein Fall von extrem
zerstörerischer Judenfeindschaft vor.
4. Zu den Spezifika des christlichen
Glaubens gehört seinem Selbstverständnis nach in Übereinstimmung mit der
Bergpredigt die Feindesliebe bzw. deren Gebot durch Jesus Christus.
Unzählige Male ist diese Seite gegenüber dem Judentum und als Merkmal der
Unterscheidung von ihm hervorgehoben worden - und wird es bis heute. Nun
kann man es durchaus nachempfinden, wenn Libanesinnen die Israelis als ihre
Feinde ansehen. Aber sie hätten selbst als Feinde auf einem christlichen
Weltgebetstag noch immer das Recht, christlich als Feinde einbezogen zu
werden. Nach der recht gelesenen Bergpredigt geht es bei diesem Gebot nicht
um die künstliche Erzeugung unwahrer Gefühle, vielmehr wird es durch das
nachfolgende Gebot erläutert und präzisiert: "und betet für die, die euch
verfolgen". Davon habe ich in den Gebeten der Liturgie nicht eine Spur
gefunden, und ich glaube nicht, dass dies so bleiben kann, wenn sie hier für
den 7. März adaptiert wird. Wieso sollte dies Gebot nun gerade denen
gegenüber außer Kraft gesetzt sein, denen man es so oft als vermeintlichen
Ausdruck von Wesen und Überlegenheit der christlichen Religion vorgehalten
hat?
5. Man kann das, was ich zuletzt
umschrieben habe, auch auf eine ganz einfache Weise ohne Bezug auf religiöse
Tradition und Gebet zum Ausdruck bringen: Man wäre ein Unmensch, würde man
von dem Leid und Elend nicht zutiefst angerührt werden, das in der Liturgie
benannt wird, wie etwa das Geschick des Mädchens, dem eine der elenden
Landminen die Beine weggerissen hat. Aber es gibt auch in Israel Mütter,
deren Kinder durch lebende palästinensische Bomben zerfetzt worden sind, in
der Regel mit voller Absicht. Gerade weil es unmenschlich wäre, das Eine
gegen das Andere auszuspielen - und auch, damit nicht die Parteilichkeit,
sondern das Gebet das letzte Wort behält - würde man zumindest ein einziges
Wort auch für diese Frauen erwarten.
Mit freundlichen Grüßen
Peter von der Osten-Sacken
Prof. Dr. von der Osten-Sacken ist
Leiter vom Institut Kirche und Judentum, Zentrum für christlich-jüdische
Studien an der Humboldt-Universität zu Berlin
Weitere Beiträge der Dokumentation zum Weltgebetstag 2003:
hagalil.com
12-02-03
|