Frankreich vor den
Regionalparlamentswahlen:
Le Pen stellt demagogisch "soziale
Frage(n)"
Von Bernard Schmid, Paris
Es war nicht die
fortschrittlichste, aber wohl die lauteste Demonstration der letzten Jahre
in Paris. Zehntausende Sylvesterböller und einige Leuchtraketen gingen los,
als am Montag vergangener Woche (24. November) die Tabakhändler durch die
französische Hauptstadt zogen.
Rund 20.000 waren aus
allen Ecken des Landes gekommen, um der Regierung mit dem Stimmzettel zu
drohen: "Der Raucherkrebs führt zum Tumor in den Urnen." Das muss nicht
bedeuten, dass sie für die extreme Rechte stimmen werden in der Mehrzahl
der Fälle läuft es aber wohl darauf hinaus. Gleichzeitig drohen sie damit,
ihre "täglich 11 Millionen Kunden" entsprechend zu beeinflussen.
Tabakhändler "im Aufstand" drohen mit dem Stimmzettel
(für Le Pen?!)....
Die Tabakhändler, die in
Frankreich meist zugleich auch Café und Alkohol ausschenken (dagegen, anders
als die meisten Tabakläden in Deutschland, in der Regel keine Zeitungen
verkaufen; dafür gibt es spezielle Papierwarengeschäfte), sind ein
traditionell rechts stehender Berufszweig. Napoleon hatte ihn 1800 begründet
da der Staat ein Monopol auf den Tabakhandel hatte, führte er eine Lizenz
ein. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein wurde bevorzugt eine
Klientel bedacht, die aus ehemaligen Militärs und Polizeispitzeln bestand.
Das hat sich zwar nach dem
Zweiten Weltkrieg geändert, weil die korporatistischen und berufsständischen
Strukturen aufgelöst wurden, die dem Vichy-Staat als Fundament gedient
hatten. Bis heute ist die soziale Mentalität des Berufsstands jedoch eher
konservativ bis reaktionär geprägt. Vertreten wird er durch einen
Berufsverband, der zwar "syndicat" heißt (ähnlich wie eine
Arbeitergewerkschaft), aber in ihrer Funktionsweise weniger einer
Gewerkschaft denn einer Handelskammer ähnelt.
Jetzt empören sich die
Geschäftsleute über den Staat, an dessen Monopol sie mit verdienen. Die
Regierung hat nämlich eine gesalzene Erhöhung der Tabaksteuern beschlossen.
Angeblich aus Gründen des Gesundheitsschutzes, in Wirklichkeit natürlich aus
nackten finanzpolitischen Gründen. Ab kommendem Jahr wird das Päckchen
Zigaretten stolze 5,50 Euro kosten. Die Händler befürchten einen
Kundenverlust und damit Umsatzeinbußen, auch wenn sie "zum Ausgleich"
nunmehr 8 Prozent statt vorher 6 Prozent des Ladenpreises sollen behalten
können.
.... faseln von ihrer "Vernichtung" ("Unser Berufsstand, 1800
geboren und 2003 vernichtet")....
.... und von "Diktatur"
Unter dem Eindruck der
Proteste hat die Regierung eine leichte Verschiebung in Kauf genommen. Jetzt
soll die nächste Stufe der Preiserhöhung (ein Anstieg um 20 Prozent war ab
dem 1. Januar 2004 geplant) nunmehr in zwei Etappen durchgeführt wird. Ab
Juli nächsten Jahres wird die Erhöhung dann aber in vollem Umfang in Kraft
treten.
Zu befürchten ist
angesichts der kollektiven Traditionen dieses Berufsstands freilich weniger,
dass seine Angehörigen rechts oder rechtsextremen stimmen: Das dürften drei
Viertel von ihnen ohnehin tun. Zu fürchten ist hingegen eher die
Multiplikatorenfunktion über ihre eigene soziale Kategorie hinaus, vor allem
in desorientierte Teile der Unterschichten (die sich besonders lange an
ihrem Tresen aufhalten...) hinein, die sie ausüben könnten.
Agitation des Front National
Der neofaschistische Front
National (FN) hat vor diesem Hintergrund eine doch recht geschickte Politik
betrieben. Bereits im Oktober 03 schickte FN-Generalsekretär Bruno Gollnisch
einen vierseitigen Brief an alle 34.000 zugelassenen Tabakhändler in
Frankreich, nachdem er sich angeblich die Kartei der beruflichen Adressen
besorgten konnte. Darin verband er die Interessenpolitik die Ablehnung der
Steuern mit weiter gehenden politischen Zusammenhängen.
Denn die Affäre der
Tabaksteuern werfe einerseits die Frage nach der Wiedereinführung von
Grenzkontrollen innerhalb der EU, die sträflicherweise abgeschafft worden
seien, und dem Ende der "in alle Himmelsrichtungen offenen Nation" auf da
der Zigarettenschmuggel nun sprunghaft zunehmen werde (was die Händler in
den Grenzgebieten tatsächlich um ihre wirtschaftliche Existenz bangen
lässt). Andererseits sei auch die Zunahme von Überfällen auf und Einbrüchen
in Tabakläden zu befürchten, wenn der Zigarettenpreis unerschwinglich hoch
liege. Daher stelle sich die Frage nach mehr Polizei und "Innerer
Sicherheit". Dieser Befürchtung ist die Regierung auch bereits entgegen
gekommen: Der umtriebige Innenminister Nicolas Sarkozy legte einen Plan für
polizeilichen Schutz der Tabakläden vor. Damit hat er zwar einerseits
versucht, der sich ausbreitenden Angst die Spitze zu nehmen, andererseits
aber ihr eine reale Grundlage zuerkannt.
Die Slogans bezüglich des
Schmuggels, der "Ganoven" und der Sicherheitsprobleme waren tatsächlich in
der Demonstration vom 24. November stark und sichtbar präsent. Eine offene
politische Präsenz, sei es des Front National oder anderer politischer
Kräfte (bei den letzten vergleichbaren Demos am 20. Oktober hatte der FN
teilweise sichtbar Präsenz gezeigt) war hingegen dieses Mal ausdrücklich
unerwünscht. Neben dem Front National hatte hingegen auch die
christdemokratisch-liberale und pro-europäische UDF, die derzeit in "halber
Opposition" zum Regierung der bürgerlichen UMP steht und sich zu profilieren
sucht, vorab ihre Unterstützung für die Mobilisierungen erklärt.
Vielleicht ist es auf den
Einfluss der UDF zurückzuführen, dass es an einigen Stellen auch eher
pro-europäische Parolen gab. Denn forderten die einen tendenziell (implizit)
ein Dichtmachen der Grenzen gegenüber der "deloyalen Konkurrenz", sprachen
sich andere Teilnehmer dagegen für eine europaweite Angleichung der
Tabaksteuern aus. Dadurch würde sich das Problem sicherlich auch angehen
lassen, und das zweifelsohne auf rationalere Weise als durch die Angst- und
"Grenzen dicht"-Parolen.
Raucher und Autofahrer als
breite Zielgruppe?
Jean-Marie Le Pen reibt
sich seinerseits bereits die Hände und erklärt in der neuesten Ausgabe der
rechtsextremen Wochenzeitung Minute (vom 26. November), ein
Millionenpublikum erschließe sich der extremen Rechten: Die Raucher und
daneben die Autofahrer, aufgrund der jüngsten Steuererhöhungen auf
Diesel-Kraftstoff.
Tatsächlich sind solche
Erhöhungen der Verbrauchssteuern unpopulär und zudem sozial ungerecht, da
die indirekten Steuern nicht proportional am Einkommen ausgerichtet sind.
Die extreme Rechte wirft dabei nicht die Frage des sozialen
Klasseninteresses auf (man könnte ja auch Lohnerhöhungen fordern und dafür
einen rational organisierten, sozialen Kampf führen!), sondern zäumt das
Pferd auf populistische Weise von hinten her auf, nämlich vom
Verbraucherinteresse her. "Der Verbraucher" aber ist, im Gegensatz zum
Lohnabhängigen, keine soziale Kategorie mit halbwegs fest umrissenen
Interessen, sondern Teil einer amorphen "Masse", deren Unzufriedenheits- und
Neidgefühle sich in fast beliebige Richtung drehen lassen.
Mit Erfolg kann der FN
hier freilich auch nur dann an diesem Punkt ansetzen, wenn er verschweigt,
was er selbst im Parteiprogramm stehen hat, das dezidiert auf
Anti-Steuer-Demagogie aufbaut: Die restlose Abschaffung der (am
Verdienstniveau orientierten) Einkommenssteuer und zugleich die radikale
Erhöhung der besonders unsozialen Mehrwertsteuer. In Schriften Jean-Marie Le
Pens ist von ihrer Verdopplung die Rede, das würde eine Erhöhung auf über 40
Prozent bedeuten, ein extrem schwerer Hammer gerade für die Geringverdiener.
Aber welcher rechtsextreme Wähler studiert schon genau die Programme?
Die Tradition des Poujadismus
Das Phänomen
kleinbürgerlichen Protestes, das die extreme Rechte auf diese Weise
anzufachen versucht, ist in Frankreich nicht neu und hört auf einen
besonderen Namen: Den des "Poujadismus". Unter der Führung des
Ladenbesitzers Pierre Poujade hatten zwischen 1953 und 1956 zahlreiche
kleine Geschäftsleute, Händler oder mittelständische Unternehmer eine
Anti-Steuer-Protestbewegung begründet, die sich auch gegen bestimmte
Erscheinungen der wirtschaftlichen Modernisierung (und der damit
einhergehenden Kapitalkonzentration) wandte. Die damalige kleinbürgerliche
Protestbewegung trug auch teilweise offene antisemitische Züge (eine
britische Karikatur stellte deswegen "Poujadolf" dar), die bei den
derzeitigen Unmutsbekundungen bisher nicht zu erkennen sind.
1956 zog die "Union zur
Verteidigung der Geschäftsleute und Handwerker" (UDCA) der Poujadisten als
neu aufsteigende Kraft mit rund 12 Prozent der Stimmen in das französische
Parlament ein. Auf ihrer Liste wurde auch der damalige jüngste Abgeordnete
der Nationalversammmlung gewählt, ein gewisser Jean-Marie Le Pen. Allerdings
zeigte die "Bewegung" keinerlei Konsistenz, zumal sie zwischen einem im
Grunde anti-politischen und anti-parlamentarischen Flügel (der um jeden
Preis von den Niederungen der Politik "rein" bleiben wollte) und einer
tendenziell rechtsextremen Strömung hin- und hergerissen war. 1958 sog der
erneut aufstrebende Gaullismus fast das gesamte Potenzial der "Poujadisten"
auf, deren Strukturen alsbald in Vergessenheit gerieten und zerfielen. Als
"poujadistisch" werden heute noch in Frankreich alle möglichen
populistischen, demagogischen Bewegungen (oder solche, denen man einen
ähnlichen Charakter unterstellt) bezeichnet.
Le Pen fand sich damals
rasch ein neues Betätigungsfeld, auf dem ultrarechten Flügel der
Pro-Kolonial-Lobby und in der Verteidigung der französischen Präsenz in
Algerien, wo der Krieg tobte. Aber vielleicht erinnert er sich noch an
einige Rezepte von damals. Die Gesellschaftsstruktur hat sich freilich seit
den 50er Jahren, in denen Landwirte und traditionelle Mittelschichten noch
einen starken Anteil an der französischen Gesamtbevölkerung stellten,
deutlich verändert, so dass die Voraussetzungen dafür nicht dieselben
geblieben sind.
Umdrehen von Begriffen: "Die soziale
Unsicherheit"
Auch ansonsten zeigt die
extreme Rechte sich sehr geschickt beim Aufgreifen von sozialen Interessen
und von Begriffen, die umgebogen und in ihren Diskurs eingepasst werden.
Wichtigstes Beispiel ist das neue Leitmotto der rechtsextremen Kampagne für
die Regionalparlamentswahlen im kommenden März: L'insécurité sociale.
Dieser Begriff der
"sozialen Unsicherheit" wurde in den letzten beiden Jahren vor allem durch
die Linke und Antifaschisten benutzt. Und zwar als Gegenargument zum Konzept
von "Unsicherheit" im polizeilichen Sinne, das vor anderthalb Jahren den
Präsidentschafts-Wahlkampf fast aller etablierten Parteien und des FN
dominierte. Dieses "Unsicherheitsgefühl" sei nur eine Chiffre für die
verbreitete Zukunftsangst, wurde betont, die aber in Wirklichkeit soziale
und ökonomische Ursachen habe. Dadurch wurde versucht, die Debatte zu
rationalisieren.
Genau das Gegenteil
bezweckt jetzt die extreme Rechte. In ihrer Wahlkampfstrategie, die
offiziell am 7. Dezember beschlossen wird, soll die "soziale Unsicherheit"
im Mittelpunkt stehen. Präsentiert wird sie aber nicht als Gegenmodell zur
"Unsicherheit" im herkömmlichen Sinne, sondern als Facette einer
Gesamterscheinung, zu der die Furcht vor Straftaten ebenso gehöre wie die
wirtschaftliche Verunsicherung und die Krise der Sozialsysteme. Alles seien
nur Symptome einer um sich greifenden "Unsicherheit", die aus der Zerstörung
der Grenze, der Nationen und traditioneller Hierarchien resultiere.
Auch bürgerliche Politiker
erkennen die mögliche Effizienz dieser demagogischen Strategie an. in einem
Teil des Publikums an, so ein (nicht namentlich genanntes) Führungsmitglied
der konservativen Regierungspartei UMP gegenüber "Libération" (13. Oktober):
"Wir sind von einem Gefühl der physischen Unsicherheit zu einem noch
mächtigeren Gefühl übergegangen, jenem der wirtschaftlichen und sozialen
Unsicherheit. Und demgegenüber sind wir völlig machtlos." Vor allem, so wäre
man versucht hinzuzufügen, wenn man durch die Handlungen der eigenen
Regierung tagtäglich daran arbeitet, die reale, materielle Unsicherheit auf
sozialem Gebiet noch zu verstärken.
Le Pen, Vater und Tochter
Vielleicht wird es der
letzte Wahlkampf von Jean-Marie Le Pen. Der mittlerweile 75-jährige bewirbt
sich um die Präsidentschaft der Region PACA (Provence-Alpes-Côte d'Azur).
Der Präsidentenstuhl steht in Marseille, doch Le Pen tritt als
Direktkandidat im besonders reaktionären Nizza an.
Seine Vision für die
Region ist die eines "französischen Kalifornien". Konkret predigt er eine
Erschließung des Hinterlands durch schwer bewachte Villen und Siedlungen für
reiche Rentner, die als eine Art golden ghettos implantiert würden.
Mit provençalischen Traditionen, auf die er sich beruft, hat das freilich
nichts zu tun. Denn in der Region lebt man traditionell eher zusammen, mehr
unter freiem Himmel als in den eigenen vier Wänden, was auch klimatische
Gründe hat. Aber was angeblich bewahrenswerte "Traditionen" sind und was
nicht, das bestimmt die extreme Rechte ja gewöhnlich selbst.
Dass Jean-Marie Le Pen
angesichts seines Alters ein politisches Auslaufmodell ist, zeigte freilich
seine jüngste Fernsehdebatte (am 20. November) mit Innenminister Sarkozy. Er
schaffte es, den FN-Chef als gealtert und unsouverän erscheinen zu lassen.
Doch Ersatz steht bereit.
Die jüngste Tochter des Parteigründers, Marine Le Pen, wird nicht nur zur
wahrscheinlichen Nachfolgerin des Herrn Papa an der Parteispitze aufgebaut.
Die 35jährige ehemalige Anwältin tritt jetzt auch als Spitzenkandidatin für
die Präsidentschaft der Region Ile-de-France (des Großraums Paris) an.
Und sie knüpft für die
Zukunft auch eifrig internationale Kontakte. Anfang Oktober traf sie in
einem Hotel in der Normandie Vertreter de belgischen Vlaams Blok. Zwei
Wochen später weilte sie in Washington D.C. und New York, auf Einladung des
Women Republican Club of New York einer Frauenvereinigung der
Republikanischen Partei der USA, vor der sie eine Rede halten durfte. Ob es
dabei um's Rauchen ging, ist nicht bekannt.
Eine Kurzfassung erschien in "Jungle
World" vom 3. Dezember
hagalil.com
04-12-2003 |