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Exemplarische Strafen gegen Antisemitismus in Frankreich:
Brandstifter und Propheten

Von Bernard Schmid, Paris

Die Affäre um den Untersuchungsbericht zum Antisemitismus in Europa, den das European Monitoring Centre on Racism an Xenophobia (EUMC) in Wien erst bestellt und dann nicht veröffentlicht hatte, wirbelte in den letzten Tagen einigen Staub auf. Einer der ausführlichsten Länderberichte in dem Dokument ­ neben jenen zu Deutschland und Italien ­ gilt dabei Frankreich.

Tatsächlich fand in den letzten drei Jahren im Land eine größere Zahl von Anschlägen und Übergriffen statt, die jüdische Einrichtungen und als Juden identifizierte Personen treffen. Sie hatte ihre Höhepunkte im Herbst 2000 und im Frühjahr 2002, auf die jeweils ein nur relativer Rückgang der Zahl von Gewalttaten folgte. Die Mehrzahl von ihnen wurde ­ soweit die Tatverdächtigen dingfest gemacht werden konnten - von jungen, männlichen Angehörigen der arabischstämmigen Einwanderungsbevölkerung verübt. Mehrheitlich waren sie bereits vorher straffällig geworden, bevor sie mit Delikten gegen jüdische Menschen in Erscheinung traten. Eine Minderheit der Täter oder Verdächtigen kommt aus dem Bereich des französischen Rechtsextremismus.

Zu den jetzt genannten Gründen, die zur Nichtveröffentlichung des Berichts durch das EUMC führten, zählt der Wille, die aus mehrheitlich muslimischen Ländern eingewanderte Bevölkerung nicht zu stigmatisieren. Tatsächlich ist diese selbst Diskriminierungen und Benachteiligung seitens der Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt, vor allem auch in Frankreich, wo der verlorene Algerienkrieg ein Trauma in einem Teil der Gesellschaft hinterlassen hat. Abhilfe könnte theoretisch darin gesucht werden, dass man die Kritik an der Urheberschaft jener Straf- und Gewalttaten, die eine andere Minderheitengruppe treffen, genauer auf bestimmte Organisationen oder Bewegungen beschränkt.

In der Praxis dürfte sich ein solches Vorhaben aber als schwierig erweisen. Denn das Klima, das zu solchen Angriffen und Beleidigungen führt, weist kein organisatorisches Zentrum auf; eher handelt es sich im Wesentlichen um einen alltagsideologischen Prozess. Er macht sich nicht nur in Form von Körperverletzungen und Brandstiftungen bemerkbar. So wurde am 20. November durch Presseberichte in Le Monde bekannt, dass einen Monat zuvor in Paris erstmals in der Justizgeschichte des Landes ein Befangenheitsantrag gegen eine Richterin aufgrund ihres vermeintlich jüdischen Namens gestellt wurde. Der Antragsteller war ein Nachfahre tunesischer Migranten; er wurde freilich vom Gericht nicht nur mit Ablehnung, sondern auch mit einer Geldstrafe wegen "Missbrauchs von Verfahrensregeln" bestraft.

In Taten umgesetzt wird das Juden feindliche Klima dann vorwiegend von Grüppchen, die sich spontan bilden und oft dem sozialdarwinistisch geprägten Milieu bestimmter Trabantenstädte entstammen. Daneben gibt es freilich auch extremistische islamistische Kleingruppen, die versuchen, die Stimmung anzuheizen; sie unterscheiden sich von den "seriöseren" islamistischen Strömungen, die eher zu Fragen des Verhältnisses der Geschlechter und der Rückeroberung einer verschütteten, angeblichen Tradition arbeiten. Man erkennt sie an ihrem Schlachtruf "Khaibar, Khaibar": Am gleichnamigen Ort im heutigen Saudi-Arabien führte der Prophet des Islam im 7. Jahrhundert (crhistlicher Zeitrechnung) eine Schlacht gegen die jüdischen Kaufleute von Medina an, nachdem er mit diesen ehemaligen Verbündeten in Konflikt geraten war.

Am Anfang stand für viele Jugendliche aus der Migrationsbevölkerung eine spontane Identifizierung mit "den" Palästinensern. Denn in den Bildern, die zum Beispiel drangsalierte Menschen an militärischen Checkpoints zeigen, glauben viele Immigrantenkinder in Frankreich ihre eigene Situation wieder zu erkennen, zu der etwa tägliche Kontrollen und Schikanen durch Uniformierte gehören. Diesen Identifikationswunsch hat es im Ansatz bereits in den Jahren nach 1987 gegeben, zu Zeiten der ersten Intifada, die anderer Natur war als die zweite. Damals führte er aber nicht zu ähnlichen Konsequenzen wie heute.

Denn problematisch ist nicht hauptsächlich bzw. allein dieser Solidarisierungswunsch an sich, sondern vor allem die fatale Ethnisierung, die seit einigen Jahren eingesetzt hat - vor dem Hintergrund des allgemeinen Rückgangs an Bevölkerungsgruppen übergreifender Solidarität. Denn bei vielen Parteinahmen geht es heute gar nicht mehr um die dem Konflikt ursprünglich zugrunde liegenden materiellen Fragen, sondern darum, dass das "bessere Volk" oder die "richtige" Religion sich durchsetzen soll. Das ermöglicht es, auch die in Frankreich lebenden Juden mit in den Konflikt einzubeziehen, als seien sie israelische Staatsbürger oder gar für die Politik jenes Landes verantwortlich. Über diese Einbeziehung der jüdischen Community im Lande selbst wiederum ist die Rückkopplung an verschwörungstheoretische Wahrnehmungsmuster möglich. Das ist eine neuere Entwicklung der letzten Jahre. Freilich betrifft sie nur eine Minderheit der migrantischen Bevölkerung.

Der Brandanschlag auf eine jüdisch-orthodoxe konfessionelle Schule in der Pariser Vorstadt Gagny, der am 15. November ­ zeitgleich zu den beiden verheerenden Attentaten auf Synagogen in Istanbul ­ entdeckt wurde, hat zu einer Wendung im Diskus der politischen Klasse geführt. Bis dahin begegneten die aufeinander folgenden Regierungen den Anschlägen auf jüdische Menschen oder Einrichtungen mit einer doppelten Strategie: Einerseits sollten die Gewalttaten effizient verfolgt werden. Die Einführung einer speziellen Qualifizierung von Delikten als antisemitisch motivierte Taten und Strafverschärfungen wurden im Dezember vorigen Jahres, einstimmig, durch die Pariser Nationalversammlung beschlossen. Andererseits sollte zugleich nicht zu sehr öffentlich von den Taten und ihren Sanktionen gesprochen werden, da man darauf baute, dass man die "interkommunitären Spannungen" besser nicht noch anheize.

Nunmehr erklärte Präsident Jacques Chirac am 15. November in einer ersten Reaktion: "Wenn man einen Juden angreift, dann muss man sich darüber im Klaren sein, dass man ganz Frankreich angreift." Zugleich erklärte er das Problem gewissermaßen zur Chefsache. Künftig soll ein speziell eingesetzter Ministerausschuss einmal pro Monat öffentlich eine Bilanz bezüglich der Straftaten gegen Juden und ihre Einrichtungen vorlegen. Ferner sollen bei der Justiz besondere "Verbindungsrichter" geschaffen werden, die stetigen Kontakt mit der jüdischen Gemeinde halten sollen und für eine rasche Verhängung und Veröffentlichung der "exemplarischen" Strafen sorgen sollen.

Sicherlich sind diese Maßnahmen im Sinne eines besseren Opferschutzes zu begrüßen und geeignet, einer Traumatisierung der betroffenen jüdischen Gemeinden vorzubeugen. Allerdings könnte der Gegenteil des erwünschten Effekts eintreten, wenn die subjektive Wahrnehmung der muslimischen Community ­ die in ihrer deutlichen Mehrheit die Gewalttaten gegen Juden verurteilt ­ davon geprägt sein sollte, dass letztere jetzt eine besondere Nähe zu den Institutionen genössen. Ob es zu solchen Effekten kommt, hängt aber nicht so sehr von den jetzt gefällten Beschlüssen ab, sondern eher auch von der sonstigen Minderheitenpolitik, die nicht weniger modellhaft ausfallen sollte. Denn auch wer einen Schwarzen oder einen Araber angreift, greift eine bestimmte Vorstellung von Frankreich an.

Eine gekürzte und überarbeitete Fassung erschien in Jungle World vom 10. Dezember.

hagalil.com 11-12-2003

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