Jüdisches Leben in
Südamerika:
Bolivien
Die jüdische Gemeinde wird immer kleiner,
aber die Traditionen überdauern
Von Larry
Luxner
Nachrichtenpool Lateinamerika e.V.
Gern scherzen
die Mitglieder des Israel- Kreises in La Paz, sie seien beim Beten Gott so
nah wie keine andere jüdische Gemeinde dieser Welt. Keine Frage, auf 4.000
Metern über dem Meeresspiegel liegt die Synagoge der Hauptstadt Boliviens
höher als jede andere. Und sie liegt einsam - gerade mal 700 Juden leben in
diesem armen und mehrheitlich katholischen Land im Herzen Südamerikas.
"Wir sind eine
kleine, aber sehr aktive Gemeinschaft," sagt Rabbi Palti Somerstein. "Jeden
Freitag Abend und am Samstag Morgen und Nachmittag feiern wir den Sabbat.
Zweimal die Woche unterrichten wir die Kinder in Hebräisch und jüdischer
Geschichte." Als Somerstein, ein konservativer Jude aus Buenos Aires, vor
vier Jahren nach La Paz kam, lebte die Gemeinde schon 20 Jahre lang ohne
religiöses Oberhaupt. In wenigen Wochen geht er wieder, und niemand weiß,
woher ein neuer Rabbiner kommen könnte. Das Problem der jüdischen Gemeinde
in Bolivien, die im 16. Jahrhundert entstand und nach dem Zweiten Weltkrieg
ihren Höhepunkt erlebte, ist, daß sie im Laufe der Zeit immer kleiner wird.
Historikern
zufolge kamen die ersten Juden zu Kolonialzeiten nach Bolivien.
"Konvertierte Juden" aus Spanien, "marranos" genannt, kamen ins Hochland, um
in den Silberminen von Potosi zu arbeiten. Auch unter den Eroberern, die
1557 die heute zweitgrößte Stadt Santa Cruz de la Sierra im Flachland nahe
der brasilianischen Grenze gründeten, waren Männer jüdischen Glaubens. Doch
erst Mitte dieses Jahrhunderts kamen Juden in großer Zahl in das kleine
Binnenland: Lebten noch 1933 erst rund 30 jüdische Familien in Bolivien, so
wuchs ihre Gemeinde in den Jahren nach dem Holocaust auf 10.000 Personen an.
Gleichzeitig
öffnete die bolivianische Regierung auch vielen Nazi-Kriegsverbrechern die
Tür. "Während der Zweiten Weltkriegs gab es einen starken Antisemitismus
hier," erzählt Marek Ajke. Der 73jährige überlebte das Warschauer Ghetto und
floh nach Bolivien. "Heute kommt es nur sehr selten zu antisemitischen
Übergriffen. Manchmal pinseln irgendwelche Leute Hakenkreuze an die Wände,
zum Beispiel als der Film "Schindlers Liste" in den Kinos gezeigt wurde."
Dennoch, die
jüdischen Einrichtungen in Bolivien verhalten sich - wie auch in einigen
anderen Ländern Lateinamerikas - betont unauffällig. Die meisten Treffpunkte
sind der Öffentlichkeit nicht bekannt und werden von bewaffneten Wächtern
geschützt. Alle Besucher werden eingehend durchsucht. Samstag Nachmittag. Im
Haus des Israel-Kreises in der Landaeta-Straße im Zentrum der Hauptstadt
sind 27 Männer zusammengekommen. Die zumeist über Sechzigjährigen beten von
einem Altar in vierten Stock des Gebäudes. Im schmalen Flur sind die
Portraits der 16 bisherigen Präsidenten der Gemeinschaft zu sehen. Gleich
daneben vergilbte Plakate, die Touristenattraktionen in Israel anpreisen,
und ein Ölgemälde, das die koloniale Altstadt von Potosi zeigt. Im Hof des
Gebäudes findet sich das einzige Mikveh, das rituelle jüdische Bad in
Bolivien.
Die kleine
Gemeinde hat es nicht leicht. Viele Juden sind in den 70er und 80er Jahren
nach Argentinien, Israel oder in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Das
angesehene bolivianisch-israelische Kolleg, 1940 für jüdische Kinder
gegründet, nimmt seit den 60er Jahren auch nichtjüdische Schüler auf. Heute
sind unter den 500 Jugendlichen gerade noch 20 Kinder jüdischen Glaubens.
"Ich wurde in
Bolivien niemals diskriminiert," betont Rabbi Somerstein. "Im Gegenteil, die
Menschen mögen uns. Vor kurzem haben wir zusammen mit einem protestantischen
Pfarrer aus Deutschland und einem katholischen Priester ein Krankenhaus in
einem sehr armen Stadtteil von La Paz gebaut - das "Centro Medico Alto
Obrajes". Auch mit dem Lateinamerikanischen Kirchenrat und der
Bolivianischen Bischofskonferenz arbeiten wir gemeinsam an Projekten, die
sich gegen Diskriminierung wenden."
In der
Hauptstadt, so schätzt die Gemeinde, leben heute knapp 500 Juden, weitere
150 in Santa Cruz, einer aufstrebenden Industriestadt. In Cochabamba, wo im
Zweiten Weltkrieg Hunderte jüdische Familien Unterschlupf fanden und bis
heute die schönste Synagoge des Landes steht, leben vielleicht nochmal 60.
Auffällig ist, daß in Bolivien im Gegensatz zu fast allen anderen Ländern
des Subkontinents die internationale Wohltätigkeitsorganisation B'nai B'rith
nicht präsent ist. Somerstein macht "internen Streit und mangelndes
Interesse" dafür verantwortlich.
Doch die wenigen
bolivianischen Juden halten zusammen. Zwar achten nur wenige auf koscheres
Essen - weit und breit ist kein Schlachter zu finden, der das Fleisch
entsprechend jüdischem Brauch zubereitet -, doch sprechen überraschend viele
Jugendliche Hebräisch und haben bereits Israel besucht. Die Zahl der
gemischten Ehen liege hier bei nur 20 Prozent, weit weniger als die 50
Prozent in den USA, berichtet der Gynäkologe Ricardo Udler. Der 44jährige
ist derzeit Präsident des Israel-Kreises. "Die Mehrheit der
Gemeindemitglieder respektiert den Sabbat," sagt Udler stolz. "Nicht einen
Freitag Abend fällt der Sabbat aus."
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hagalil.com
21-12-2003 |