Die Union und der rechte Rand
Zur Strategie der CDU/CSU-Fraktion im Umgang mit Parteien
der extremen Rechten
Gerd Wiegel, Forum2000plus!
Inhalt
Einleitung
I. CDU/CSU und die Parteien der extremen Rechten
1. Ausgangspunkt 1949: Integration nach rechts
2. Aufbruch des rechten Randes:
Union und NPD in den sechziger Jahren
3. Ende offen: Die dritte Welle rechter Wahlerfolge
II. Rechtsverschiebung (aus) der Mitte
1. Zuwanderung, Asyl, Ausländer, Asyldebatte
2. Nation, Volk, Familie
Zuwanderung: Wer ist das Volk?
Leitkultur und Nationalstolz
Familie: Kampf der Wiegen
3. Rechte Brückenköpfe
Beispiel Geschichtspolitik
III. Rechtspopulismus:
Gefahr oder Chance für die Union?
1. Rechtspopulismus und die Probleme
des etablierten Konservatismus
2. Populistischer Stil – Modell auch für die CSU?
3. Wo steht die Mitte?
Quellen
Literaturverzeichnis
Einleitung
Im Rahmen der so genannten V-Mann-Affäre des NPD-Verbotsverfahrens mahnte
der SPD-Vizefraktionsvorsitzende Stiegler CDU/CSU und FDP zu einer
besonderen Verantwortung in dieser Sache: Schließlich hätten ihre
Vorgängerparteien in der Weimarer Republik und dann bei der Abstimmung über
das »Ermächtigungsgesetz« den Weg zur Nazidiktatur geebnet. Diese Äußerung
Stieglers produzierte einigen Wirbel und war für die Union Anlass genug zu
der Drohung, die angesetzten Konsensgespräche zum Zuwanderungsgesetz zu
boykottieren. Historisch exakt ist der Vergleich Stieglers von Union und FDP
mit dem Konservatismus beziehungsweise Liberalismus der Weimarer Zeit
sicherlich problematisch. Auf der anderen Seite nimmt etwa die Union diese
Traditionslinie für sich dann gern in Anspruch, wenn sich positive
Bezugspunkte benennen lassen. So verweist der Kanzlerkandidat der Union,
Edmund Stoiber, auf den Geist des christlichen Konservatismus, der den
Widerstand des 20. Juli beseelt habe, um die Union in eben diese Linie zu
stellen.1 Unzweifelhaft hatte der größere Teil des konservativen
Widerstandes aber seine politische Heimat bei eben jenem Konservatismus, der
das Bündnis mit Hitler einging und mit dem »Ermächtigungsgesetz« die
Beseitigung der Demokratie betrieb. Genehm scheinen der Union also nur die
vermeintlich positiven Seiten dieser Tradition, wohingegen die negative
Seite als nicht zugehörig abgespalten wird. Und tatsächlich handelt es sich
bei der Christlich Demokratischen Union wie der Christlich Sozialen Union
auch um keine einfachen Fortsetzungen des Weimarer Konservatismus, sondern
um eine tatsächliche Neugründung, die allerdings ideologische und personelle
Kontinuitäten aufweist.
Von den beiden großen Volksparteien der Bundesrepublik deckt die Union das
rechte Spektrum ab. Somit erscheint die Frage des Verhältnisses der Union
zur politischen Rechten sowohl für die politische Entwicklung der
Bundesrepublik als auch für die Union von einiger Bedeutung. Einerseits galt
es nach dem Zweiten Weltkrieg, die Funktionsträger und Mitläufer des
NS-Regimes in den neuen Staat einzubinden, auf der anderen Seite ging es der
Union darum, unliebsame Konkurrenz auf dem rechten Flügel des politischen
Spektrums nicht zur Entfaltung kommen zu lassen, um die eigene
Mehrheitsposition nicht zu gefährden. Bis heute rechnet es sich die Union
als Verdienst an, dass in Deutschland, im Gegensatz zu großen Teilen der
europäischen Nachbarländer, keine Partei der extremen Rechten Fuß fassen
konnte. Noch jüngst wiederholte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel das alte
Kredo dieser Leitlinie, »dass es keine demokratisch legitimierte Kraft
rechts von uns auf Bundesebene geben darf.«2 Im Vergleich zu Ländern wie
Österreich, Frankreich oder Italien zeigt sich der scheinbare Erfolg einer
solchen Politik. Zu fragen ist allerdings, wie die Union den rechten Rand
des politischen Spektrums abdeckt, wie sie bis heute die Etablierung einer
Partei rechts von ihr verhindert hat, wie ihr Verhältnis zu den zeitweise ja
vorhandenen Parteien der extremen Rechten aussah und ob sich in der
gegenwärtigen politischen Situation, angesichts eines Kanzlerkandidaten
Stoiber, hier etwas verändert.
In der Ausgabe des Focus vom 21.1.2002 bietet der Rechtspopulist Ronald
Schill sich und seine Hamburger Regionalpartei (Partei Rechtsstaatliche
Offensive, PRO) als bundespolitischen Partner für die Union und ihren
Spitzenkandidaten Stoiber an. Aus Schills Sicht ist dies insofern
folgerichtig, als sich die so genannte Schill-Partei als »CSU des Nordens«
sieht und von einer weitgehenden inhaltlichen Übereinstimmung mit dem
Kandidaten Stoiber ausgeht. Die umgehend erfolgten Dementis aus der Union
sind Ausdruck der Angst, genau dem Bild zu entsprechen, das SPD und Grüne
vom politischen Hauptkonkurrenten malen: Eine Union unter Führung von
Stoiber, die sich auf der rechten Seite des politischen Spektrums verorten
lässt und damit die viel umworbene »Mitte« frei gibt. In der Tat wäre es
geradezu fahrlässig von der Union, auf einen strategischen Partner wie
Schill zu setzen, dessen überregionale Träume schnell zerplatzen können.
Dennoch offenbart das Angebot Schills ein Dilemma der Union vor der nächsten
Bundestagswahl: Sie steht ohne »natürlichen« Koalitionspartner da,
wohingegen die Sozialdemokratie mit Grünen und PDS zwei nur auf sie
ausgerichtete potentielle Partner besitzt und die FDP eine weitere mögliche
Option bildet. In einer solchen Situation kann ein möglicher neuer Partner
rechts der Union tatsächlich an Bedeutung gewinnen, jedenfalls dann, wenn er
ein Spektrum abdeckt, das die Union nicht mit vollem Elan bedienen kann.
Wenn Wahlen in der Mitte gewonnen werden, dann muss sich auch ein Kandidat
Stoiber hier verorten. Der rechts frei werdende Raum sollte dann von einer
Partei besetzt werden, die als möglicher Partner in Frage kommt. Die
Schill-Partei würde diesen Anforderungen weit besser entsprechen als alle
bisherigen erfolgreichen Parteien rechts der Union, und zwar vor allem
deshalb, weil sie nicht ohne weiteres als Partei der extremen Rechten
identifiziert werden kann.
Aus diesen Spekulationen ergeben sich Fragen, die auf einer sehr viel
gesicherteren Ebene behandelt werden können: Fragen nach dem Umgang der
Union mit Parteien rechts von ihr, Fragen nach der inhaltlichen Nähe und
Distanz der Union zum rechten Rand, Fragen auch nach der Entwicklung in
anderen europäischen Ländern, in denen eine Zusammenarbeit zwischen
konservativen Volksparteien und Parteien des rechten Randes zu beobachten
ist. »Rechts der Union darf es keine demokratisch legitimierte Partei
geben«, dieses Diktum von CDU/CSU gilt bis heute und für den größten Teil
der Nachkriegsgeschichte. Dennoch lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit,
um dem Verhältnis der Union zu den vielfältigen Parteien rechts von ihr –
von der Sozialistischen Reichspartei (SRP) und der Deutschen Partei (DP)
über die NPD in den sechziger Jahren bis zu den »Republikanern« und der DVU
in 3 den Neunzigern – nachzugehen. Mindestens personell gibt es hier
Verbindungen: Etwa die Gründung der »Republikaner« durch ehemalige
CSU-Mitglieder (Voigt, Handlos und Schönhuber) oder die Affinitäten des
ehemaligen Berliner CDU-Senators Lummer zur extremen Rechten. Darüber
hinausgehend und wichtiger ist das inhaltliche Verhältnis der Union zu den
Parteien des rechten Randes. Die oben zitierte Delegitimierungsstrategie ist
vor allem taktisch zu verstehen, und sagt noch nichts über mögliche
inhaltliche Berührungspunkte. Hier lässt sich vielmehr eine Nähe beobachten,
etwa im Menschenbild, in der Stellung zu Nation, Volk und Heimat, in der
Frage der Zuwanderung und des homogenen Verständnisses der Nation, aber auch
in der Stellung zum Sozialsystem, zur gewerkschaftlichen
Interessenvertretung und zur Rolle des Staates. In diesem Zusammenhang ist
vor allem auf die Bedeutung eines inhaltlich erneuerten Rechtspopulismus
einzugehen, der den Spagat zwischen traditionellem Rechtskonservatismus und
modernem Neoliberalismus wagt. Hier eröffnen sich die strategischen
Möglichkeiten von Partnerschaften, wie sie vor allem in europäischen
Nachbarländern zu finden sind.
Im Gegensatz zu den meisten Nachbarländern hat sich in Deutschland noch
keine Partei rechts der großen konservativen Volkspartei etablieren können;
verschiedene Gründe sind hierfür verantwortlich (Spezifik deutscher
Geschichte, inhaltliche und personelle Schwäche der rechten Parteien etc.).
Der Blick auf Länder wie Österreich, Italien oder die jüngsten Beispiele
Dänemark und Portugal verdeutlichen, dass sich rechts etwas tut und dass die
hegemoniale Stellung der Sozialdemokratie in Europa wankt. An europäischen
Beispielen lässt sich prüfen, welche Art von Partei als Partner
konservativer Volksparteien in Frage kommt und wie die inhaltliche
Ausrichtung solcher Verbindungen aussieht. Im Ergebnis dieser Studie soll
das taktische und inhaltliche Verhältnis der gegenwärtigen Union zum rechten
Rand des politischen Spektrums deutlicher hervortreten. Was ist von einer
durch Stoiber geführten Union auf den traditionellen Feldern rechter Politik
zu erwarten? Lässt sich ein genereller Rechtsruck prognostizieren, und an
welchen Politikfeldern ist das festzumachen? Welche Differenzen ergeben sich
hier auch innerhalb der Union?
I. CDU/CSU und die Parteien der extremen Rechten
1. Ausgangspunkt 1949: Integration nach rechts
Die Integrationskraft nach rechts rechnet sich die Union bis heute als
großes Verdienst an und tatsächlich ist es unter anderem dieser
Integrationskraft zu verdanken, dass sich bisher keine Partei der extremen
Rechten in der Bundesrepublik dauerhaft etablieren konnte.
Insbesondere nach den zwölf Jahren der faschistischen Diktatur war die Frage
der Integration der nach Millionen zählenden Funktionäre, Mitläufer und
Sympathisanten des NS-Regimes von erheblicher Bedeutung. Dass sie zu großen
Teilen in der neu gegründeten Union ihre politische Heimat fanden, band sie
zumindest an eine Partei, die grundsätzlich das
parlamentarisch-demokratische System bejahte. Die Frage stellt sich
allerdings, wie diese Integrationsleistung vollzogen wurde, warum ehemalige
Nazis und Sympathisanten der faschistischen Ideologie sich und ihre
Interessen von der Union vertreten fühlten. Zu fragen ist also nach dem
inhaltlichen Preis, den die Union für eine solche Integrationsleistung
erbringen mußte.
Dabei kann für die unmittelbare Zeit nach Gründung der Bundesrepublik keine
Rede davon sein, dass es rechts der Union keine demokratische legitimierte
Partei gegeben habe. So zogen in den ersten Deutschen Bundestag mit der
Deutschen Partei (DP) und der Deutschen Rechtspartei (DRP) mindestens zwei
Parteien ein, die sich selbst rechts der Union verorteten, und die DP
gehörte zusammen mit der FDP und der CDU/CSU zur ersten Regierungskoalition.
Auch die in weiten Teilen äußerst national ausgerichtete FDP kann in dieser
Phase als rechts der Union stehend angesehen werden. Als Argument für die
Integrationsstrategie könnte hier angeführt werden, dass etwa die DP nur
wenige Jahre später in der Union aufging, doch genau hier stellt sich die
Frage, inwieweit damit auch die Positionen einer solchen Partei integriert
wurden. Die Frage des Umgangs mit und Verhaltens zur NS-Vergangenheit war
für die Anfangsphase der Bundesrepublik entscheidend, wurden doch hier
Weichen gestellt, die für die Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit
lange Zeit richtungsweisend waren.
Norbert Frei macht in seiner Studie zur »Vergangenheitspolitik« deutlich,
wie weit die Adenauer-Regierung hier den Bedürfnissen der NS-Täter und
Mitläufer entgegen kam und große Teile der von den Alliierten betriebenen
Entnazifizierungspolitik revidierte.3 Unter dem Druck der Koalitionspartner
FDP und DP, aber auch der Erwartungen ihrer eigenen Anhänger amnestierte die
unionsgeführte erste Bundesregierung einen großen Teil der von den
Alliierten verurteilten NS-Straftäter, beendete die
Entnazifizierungsverfahren und »rehabilitierte« die vom »131er Gesetz«
betroffenen Beamten, die als belastet 5 unter alliierter Leitung entlassen
worden waren.4
Zum Ausdruck gebracht wurden hier Mehrheitsstimmungen der Bevölkerung, denen
sich weder Regierung noch Opposition völlig entziehen konnten. Die
Adenauer-Regierung begrenzte diese Stimmungen und Erwartungen jedoch nicht,
sondern beförderte sie, auch unter dem Druck ihrer rechten
Koalitionspartner. In der ersten Ansprache Adenauers als Bundeskanzler heißt
es zur Frage der Verfolgung von NS-Tätern, dass »durch die Denazifizierung
viel Unglück und viel Unheil angerichtet worden ist.« Zwar sollten die
»wirklich Schuldigen« streng bestraft werden, aber: »... im übrigen dürfen
wir nicht mehr zwei Klassen von Menschen unterscheiden: (...) die politisch
Einwandfreien und die Nichteinwandfreien. Diese Unterscheidung muß baldigst
verschwinden.«5 Vergangenheits- und Geschichtspolitik waren (und sind bis
heute) also Felder, auf denen die Union eine Integration nach rechts
bewerkstelligen wollte. Mit der Aufnahme des Bundes der Heimatvertriebenen
und Entrechteten (BHE) in die bisherige Koalition nach der Wahl von 1953 kam
eine weitere Rechtspartei zum Bürgerblock hinzu, und natürlich spielte auch
das Anliegen dieser Klientelpartei eine Rolle in der Politik der zweiten
Bundesregierung.
So fanden und finden bis heute die revisionistischen Forderungen der
Vertriebenenverbände ihren stärksten und zuverlässigsten Anwalt in der
CDU/CSU. Neben der prinzipiellen Offenhaltung der »deutschen Frage« ging es
hier vor allem um die Nichtanerkennung der Grenzen, wie sie 1945 festgelegt
wurden. Mit dem Hofieren der »Vertriebenen«, der Infragestellung der
Oder-Neiße- Grenze und den Ansprüchen gegenüber Polen und der
Tschechoslowakei bediente die Union ein rechtes Klientel, das immer noch der
deutschen Großmachtrolle nachtrauerte, einem völkischen Nationenverständnis
anhing und in den Deutschen die eigentlichen Opfer des Faschismus sah. Auch
hier findet sich eine Traditionslinie bis in die Gegenwart, sehen sich doch
die Union und insbesondere Edmund Stoiber und die CSU als Anwalt der
Forderungen der Vertriebenenorganisationen.
Mit all diesen Positionen gelang tatsächlich die Einbindung dieses
rechtsbürgerlichen Spektrums, und die DP und der BHE gingen schließlich in
der Union auf. Dass damit auch einschlägig durch die NS-Vergangenheit
belastete Personen wie Theodor Oberländer, der noch als BHE-Mitglied unter
Adenauer Vertriebenenminister geworden war, zur Union kamen, stieß dort auf
keinen Widerspruch. Vielmehr konnte durch solche Personen, zu denen
sicherlich auch Adenauers Staatssekretär Globke zu zählen ist, das rechte
politische Spektrum noch stärker gebunden werden.6 Mit der eindeutig in der
NS-Tradition stehenden Sozialistischen Reichspartei (SRP), die schließlich
1952 verboten wurde, gab es trotz mehrfacher Angebote seitens der SRP keine
Zusammenarbeit auf Landes- oder Bundesebene. In einzelnen Kommunen
Niedersachsens sah das anders aus, hier waren die Berührungsängste, jenseits
der allgemeinen Aufmerksamkeit, geringer.7
Betrachtet man diese frühe Phase der Bundesrepublik und den Umgang der Union
mit Parteien und Bewegungen rechts von ihr, dann lässt sich ein Paradigma
feststellen, welches bis heute Bestand hat. Die Einbindung und Integration
rechter Parteien und ihres Klientels funktioniert bis heute durch die
Übernahme großer Teile der inhaltlichen Positionen. Diese werden von den
Unionsparteien aufgenommen und in der eigenen politischen Arbeit
artikuliert. Der Effekt dabei ist ein doppelter: Einerseits erscheint den
Wählern kleinerer oder punktuell orientierter Parteien – etwa DP und BHE –
die Wahl dieser Parteien nutzlos, wenn ihre Positionen auch von der großen
konservativen Volkspartei vertreten werden. Stimmenmaximierung ist also der
Lohn einer solchen Einbindung. Auf der anderen Seite werden die
aufgenommenen und von der Union selbst artikulierten Positionen, hier etwa
zur NS-Vergangenheit, legitimiert, in den Raum der demokratischen Mitte
integriert und damit akzeptabel gemacht. Im Verständnis der Union ist
offensichtlich nicht die inhaltliche Ausrichtung politischer Positionen das
entscheidende Kriterium, sondern die Frage, von wem sie geäußert werden.
Abgrenzung findet also gegenüber als extremistisch eingestuften Parteien
statt, so die SRP, wohingegen Inhalte und Positionen, die auch im Spektrum
der extremen Rechten beheimatet sind, dann akzeptabel sind, wenn sie durch
die Union demokratisch geadelt werden. Das Körnchen Wahrheit dieser
Sichtweise liegt darin, dass durch die Anbindung an die Union, vor allem in
der Frühzeit der Bundesrepublik, ein der Demokratie feindlich
gegenüberstehender Teil der Bevölkerung eingebunden werden konnte. Was damit
allerdings auch eingebunden wurde, sind eben die inhaltlichen Positionen
dieses Spektrums, die dann teilweise auch in reale Politik umgesetzt werden.
Der »antitotalitäre Konsens« der frühen Bundesrepublik war für die Union
inhaltlich gesehen immer nur ein antikommunistischer Konsens. Die
organisationsmäßige Ausgrenzung der extremen Rechten fand keine volle
Entsprechung auf inhaltlicher Seite. Diese Politik der Einbindung und damit
Legitimierung rechter Positionen gelingt allerdings nur so lange, wie sich
die politische Rechte auch real durch die Union vertreten fühlt. Mit der
Legitimierung von Positionen ergibt sich die Erwartung und der Anspruch auf
ihre Verwirklichung. Geschieht dies nicht in ausreichendem Maße, dann lassen
sich diese Positionen auch wieder eigenständig organisieren.
2. Aufbruch des rechten Randes:
Union und NPD in den sechziger Jahren
Genau dies geschah in der Mitte der sechziger Jahre, in denen es der neu
gegründeten NPD gelang, beachtliche Teile des Wählerspektrums für sich zu
gewinnen und zwischen 1966 und 1969 in insgesamt sieben Landesparlamente
einzuziehen.8 Der Aufstieg der NPD in dieser Zeit hängt auch mit der ersten
kleineren Wirtschaftskrise der jungen Bundesrepublik zusammen, die die
Wirtschaftswundereuphorie zum ersten Mal dämpfte und alte Ängste vor Krise
und sozialem Abstieg mobilisierte.
Daneben zeigte sich in dieser Zeit, dass die von der Union geschürten
Erwartungen des rechten Spektrums sich in der politischen Realität nicht
umsetzen ließen. Im Zuge der international einsetzenden Entspannungspolitik
rückte die »Lösung der deutschen Frage« in immer weitere Ferne und durch das
Bündnis mit der Sozialdemokratie 1966 wurde zudem die politische Linke
aufgewertet. Die einsetzende Entspannungspolitik wurde von rechtsaußen als
»nationaler Verrat« bewertet.
Seit 1949 war es unumstößliches Diktum der Union gewesen, dass es mit dem
»Unrechtsregime« aus Pankow keinerlei Verhandlungen geben könne, und die
nationale Frage samt Rückgewinnung der verlorenen Ostgebiete gehörte zum
propagandistischen Inventar der Union. Die sich nun abzeichnende Politik
konnte von denen, für die die nationale Frage nicht nur rhetorisch, sondern
auch politisch-praktisch der einzige Dreh- und Angelpunkt der Politik war,
in der Tat nur als »Verrat« aufgefasst werden. Neben der nationalen Frage
hatte die NPD auch eine schnelle Antwort auf die Frage nach den Gründen der
Wirtschaftskrise parat. Die inzwischen 1,3 Millionen ausländischen
Arbeitskräfte stellten eine »Überfremdung« dar und wurden zu Sündenböcken
für die aufflackernde Krise. Durch das Bündnis mit der SPD schien die Union
den rechten Rand preisgegeben zu haben, auf jeden Fall ließ ihre
Bindungskraft nach rechts offensichtlich nach.
Die NPD gründete sich 1964 aus Beständen der Rechtsparteien der Anfangsphase
der Bundesrepublik, so etwa der Deutschen Rechtspartei (DRP), der
Gesamtdeutschen Partei und auch der DP, die ja in den ersten beiden
Adenauer- Regierungen vertreten war. Der erste Vorsitzende der Partei, Fritz
Thielen, kam aus der CDU. Für die Union stellte sich in der zweiten Hälfte
der sechziger Jahre die Frage, wie sie mit dieser offensichtlich in der
Tradition des Faschismus stehenden aber doch recht erfolgreichen Partei
umgehen sollte.
Koalitionen oder Tolerierungen auf Länderebene wurden von der CDU abgelehnt,
auf kommunaler Ebene, etwa in Niedersachsen, sah dies anders aus. Hier wurde
sehr wohl versucht, zusammen mit der NPD Mehrheiten gegen die SPD zu
etablieren und die gezielte Übernahme von NPD-Mandatsträgern sollte einen
Regierungswechsel auf Landesebene ermöglichen.9 Darüber hinaus gab es
weitere Beispiele der Zusammenarbeit in den Kommunen: »In Kulmbach (Bayern)
schlossen CSU und NPD ein Wahlbündnis gegen die SPD; in Neustadt
(Schleswig-Holstein) wurde der stellvertretende NPD-Landesvorsitzende mit
den Stimmen der CDU zum stellvertretenden Bürgermeister gewählt; bei den
Kommunalwahlen in Niedersachsen und Baden-Württemberg gingen Mitglieder der
CDU, der FDP und des ›Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten‹ (BHD)
erstmals in größerem Umfang Listenverbindungen mit der NPD ein, und im
hessischen Landtag arbeiteten NPD und CDU gelegentlich als
Oppositionspartner zusammen.«10
Der rechte Flügel der Unionsparteien, der jedoch nicht in der Mehrheit war,
stellte vor allem die ideologischen Übereinstimmungen mit der NPD in den 8
Vordergrund. Die NPD sei schon deshalb überflüssig, weil ihre Positionen von
der Union ohnehin vertreten würden. So äußerte etwa der CSU-MdB Josef
Stecker: »Was die [Nationaldemokraten] an nationalen Anliegen und
konservativem Gedankengut haben, das praktizieren wir ja täglich«11; und
diese Einschätzung wurde auch von der Gegenseite bestätigt: In einem Bericht
der Deutschen Nachrichten von 1967 heißt es zu einer Podiumsdiskussion mit
CSU, FDP, SPD und NPD: »Zum Schluß stellte Stoppel von der CSU noch einmal
die Lebensforderung des deutschen Volkes auf, die aus nationaldemokratischem
Mund nicht prägnanter hätte formuliert werden können.«12 Ob aus der
kommunalen Zusammenarbeit zwischen Union und NPD mehr hätte werden können,
muss offen bleiben. Ganz offensichtlich gab es auch innerhalb der Union
starke Widerstände gegen eine weitergehende Zusammenarbeit. Wie sich die
Lage bei einem anhaltenden Erfolg der NPD und einem möglichen Einzug in den
Bundestag 1969 entwickelt hätte lässt sich nicht sagen. Mit dem Gang in die
Opposition ab 1969 konnte die Union wieder sehr viel stärker den rechten
Rand des politischen Spektrums bedienen, etwa in ihrer vehementen Opposition
gegen die Entspannungspolitik Willy Brandts. Zusammen mit der Überwindung
der ökonomischen Krise gelang es so, die NPD zu marginalisieren und ihre
Wähler einzubinden. Allerdings wiederum zum Preis einer inhaltlichen
Bestätigung der Positionen, die bei Teilen der Bevölkerung zur Wahl einer
faschistischen Partei geführt hatte.
3. Ende offen: Die dritte Welle rechter Wahlerfolge
Die dritte Welle von Wahlerfolgen der extremen Rechten in der Bundesrepublik
setzte in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre ein und hält bis heute an.
Die 1983 gegründeten »Republikaner« galten Ende der achtziger Jahre als
Hoffnungsträger der extremen Rechten, schien es doch dieser Partei zu
gelingen, sich rechts von der Union zu platzieren, ohne sofort mit dem
neofaschistischen Spektrum identifiziert zu werden.
Dies vor allem deshalb, weil die REP als Abspaltung der CSU in Bayern
entstanden. Aus Enttäuschung über die angekündigte, nach ihrer Auffassung
jedoch ausgebliebene »geistigmoralische Wende« der Kohl-Regierung nach 1982
und konkret veranlasst durch den von Franz-Josef Strauß vermittelten
Milliardenkredit an die DDR, gründeten die ehemaligen CSU-Mitglieder Franz
Handlos und Ekkehard Voigt gemeinsam mit dem Journalisten des Bayerischen
Rundfunks Franz Schönhuber, ebenfalls früher in der CSU, die »Republikaner«.
Bereits 1986 konnte man bei der Landtagswahl in Bayern 3 Prozent verbuchen.
Der Durchbruch gelang 1989 bei der Landtagswahl in Berlin mit 7,5 Prozent
und wenig später bei der Europawahl mit bundesweit 7,1 Prozent der Stimmen.
Jedoch gelang es den REP nicht, diese Ergebnisse zu stabilisieren. Nur in
Baden-Württemberg konnten sie sich über einen längeren Zeitraum halten, wo
1996 mit 9,1 Prozent der Erfolg von 1992 (10,2 Prozent) bestätigt wurde. Bei
der letzten Landtags9 wahl 2001 verloren die REPs allerdings einen Großteil
ihrer Stimmen und verpassten den Wiedereinzug ins Parlament. Neben den
»Republikanern« sind es vor allem die Deutsche Volksunion (DVU) und die NPD,
die seit den achtziger Jahren parlamentarische Erfolge für die extreme
Rechte erzielen konnten. Der DVU gelang es dabei 1987, noch vor den
»Republikanern« in ein Landesparlament einzuziehen, und zwar in Bremen.
Den bis heute spektakulärsten Erfolg einer Partei der extremen Rechten
konnte ebenfalls die DVU verbuchen, als sie im April 1998 mit 12,9 Prozent
in den Landtag von Sachsen-Anhalt einzog. Allen drei bis heute erfolgreichen
Wahlparteien der extremen Rechten gelang es nicht, sich dauerhaft in den
Parlamenten zu etablieren. Ein Grund hierfür liegt sicherlich auch in der
bisher fehlenden Machtperspektive dieser Parteien, die es nicht schafften,
sich als möglicher Partner der Union zu etablieren. Allein die
unterschiedliche inhaltliche Ausrichtung der drei Parteien verdeutlicht die
unterschiedlichen Chancen auf eine solche Option. Während DVU und NPD
eindeutig in der Tradition des Neofaschismus stehen, versuchen die
»Republikaner«, sich ein gemäßigteres und moderneres Image zu geben.
Neoliberale Argumentationen und das formale Bekenntnis zur Demokratie
spielen hier eine wichtige Rolle.13 Dennoch ist es bis jetzt auf Landes-
oder Bundesebene zu keiner Zusammenarbeit mit der Union gekommen, versteht
man hierunter vor allem eine auf Absprachen beruhende gemeinsame Politik.
Fragt man allerdings nach den Ursachen für die Wahlerfolge der extremen
Rechten in den achtziger und neunziger Jahren, dann lassen sich sehr wohl
Übereinstimmungen zwischen der Union und dem Lager rechts von ihr ausmachen.
Die von Helmut Kohl und der konservativ-liberalen Regierung 1982 verkündete
»geistig-moralische Wende« stellt die traditionellen Themen der
konservativen Rechten wieder stärker in den Mittelpunkt der politischen
Propaganda. Die Nation als zentrale ideologische Bezugsgröße gewinnt an
Bedeutung und mit ihr tritt die Frage nach dem Geschichtsbild dieser Nation
wieder stärker ins Zentrum. Sinn und Zweck dieser ideologischen Offensive
der Union ist die Herstellung eines gesellschaftlichen Zusammenhalts, der
vor allem über die Frage der nationalen Zugehörigkeit geschaffen werden
soll. Da im Zuge der sich in den achtziger Jahren auch in der Bundesrepublik
durchsetzenden neoliberalen Politik die reale Einbindung der Bevölkerung
über soziale Absicherung und Teilhabe nach und nach zurücktritt, bedarf es,
auch angesichts der sich ausweitenden ökonomischen Krisen, einer anderen
Form der Einbindung. Der Rekurs auf die Nation ist ein Versuch, diese
Einbindung auf einer imaginären Ebene zu ermöglichen.14 Als weiteres von der
Union in dieser Zeit gesetztes Thema kommt die Frage der Ausländerpolitik
und der Asylsuchenden hinzu. So sind seit Beginn der achtziger Jahre Themen
in der Mitte des politischen Raums platziert, die auch von der extremen
Rechten besetzt werden. Der Aufbruch und wahlpolitische Durchbruch der
»Republikaner« 10 zwischen 1987 und 1989 unterstreicht somit nur die
Verschiebung des Meinungsklimas der Bundesrepublik nach rechts, die
maßgeblich von der Union betrieben wurde.
Diese thematische Nähe zum rechten Spektrum macht sich auch im konkreten
Umgang mit den parlamentarischen Vertretungen der extremen Rechten
bemerkbar. Vor allem in solchen Landesparlamenten, in denen die extreme
Rechte vertreten ist, zeigt sich die praktische Auswirkung des
Unionsdiktums, rechts von ihr dürfe es nichts demokratisch Legitimiertes
geben. Wie schon weiter oben verdeutlicht, bedeutet dies in vielen Fällen
die argumentative Übernahme von Positionen der extremen Rechten. In Bremen,
wo seit 1987 die DVU im Parlament saß, wurde der Landtagswahlkampf 1991 ganz
im Zeichen der Asyldiskussion geführt. Nicht nur die Union, sondern auch der
SPDBürgermeister Wedemeier schwenkten hier ganz auf die Linie der DVU und
machten die Frage des Zuzugs von Asylbewerbern zum zentralen Wahlkampfthema.
Die Union verlor hier inhaltlich alle Berührungsängste zur DVU.15 In der
Konkurrenz mit der extremen Rechten wurde alle Zurückhaltung aufgegeben, wie
anhand einiger Zitate verdeutlicht werden soll. So äußerte der damalige
CDU-Spitzenkandidat Ulrich Nölle: »Herr Wedemeier braucht nicht nach
Schlepperorganisationen zu suchen. Die Politiker, die Bremen zu einem
Asylanten-Paradies gemacht haben, sind die eigentlichen Schlepper.« Der
innenpolitische Sprecher der Bremer Union, Ralf H. Borttscheller, stellte
einen Zusammenhang zwischen der vermeintlich liberalen Asylpolitik Bremens
und der steigenden Ausländerkriminalität her, und der damalige
Fraktionsvorsitzende Kudella beschimpfte Bürgermeister Wedemeier als
»Asylanten- Schwindler«. In einer Zeitungsannonce vor der Wahl hieß es:
»Schluß mit der Bremer Asylpolitik. (...) Bremen und Bremerhaven leiden
unter der Asylantenflut. Wohnungsprobleme, Belästigungen, Kriminalität und
Drogenhandel sind die Folgen. (...) Wer die Asylantenflut stoppen will, muß
CDU wählen.«16 Die hier vorgeführte Diktion unterscheidet sich in nichts von
der Wortwahl der extremen Rechten, deren Positionen und Feindbilder voll und
ganz bestätigt werden. Will man nicht einen fahrlässigen Opportunismus
unterstellen, dann lässt sich etwa in diesem Politikfeld eine große
inhaltliche Nähe von Union und extremer Rechten ausmachen. Die Wirkung
solcher Übernahmen rechtsextremer Propaganda besteht in einer Bestätigung
dieser Propaganda durch die demokratische Mitte. Positionen der extremen
Rechten werden also legitimiert, weil sie nicht nur am rechten Rand, sondern
auch durch die demokratisch legitimierte Mitte vertreten werden. Oft wird
jedoch lieber das Original als die Kopie gewählt, weshalb im konkreten
Beispiel Bremen die DVU ihren Stimmenanteil fast verdoppeln konnte und auf
6,2 Prozent kam. An Beispielen wie Bremen lässt sich sehen, dass es
inhaltliche Affinitäten der Union zur gegenwärtigen extremen Rechten gibt.
So ist es nur zu verständlich, dass auch innerhalb des rechten Flügels der
Union über eine mögliche Zusammenarbeit mit rechts nachgedacht wird.
Heinrich Lummer, ein wichtiger Brückenkopf zur extremen Rechten und während
des Erfolgs der »Republikaner « in Berlin CDU-Innensenator, erklärte diese
gleich zu einem möglichen Koalitionspartner. Auch Carl-Dietrich Spranger aus
der CSU sah in der Alternativen Liste in Berlin die wesentlich größere
Gefahr als in den REP. Offenbar kamen diese Signale auch bei den REP an,
denn gefragt nach Kontakten zu konservativen CDU-Kreisen bestätigte Rolf
Schlierer: »Ja, die gibt es. Wir haben Gespräche mit CDU-Abgeordneten
geführt, die auf dem konservativen Flügel der Union anzusiedeln sind.«17 Von
einer prinzipiellen und einheitlichen Abgrenzung der Union nach rechts kann
also keine Rede sein. Vielmehr lässt sich an vielen Punkten eine inhaltliche
Nähe beobachten, die auch zu punktuellen Zusammenarbeiten geführt hat. Dass
es bisher zu keiner weitergehenden Verbindung von Union und Parteien des
rechten Spektrums gekommen ist, liegt vor allem an der Schwäche der extremen
Rechten in der Bundesrepublik. Hierzu trägt, neben anderen Umständen, auch
die formale Abgrenzungsstrategie der Union bei. Die fehlende Aussicht auf
eine Machtbeteiligung zersplittert das real vorhandene Spektrum der extremen
Rechten und sichert der Union ihre Mehrheitsfähigkeit. Der Preis hierfür ist
eine Rechtsverschiebung der Union und des gesamten politischen Spektrums:
»Jenseits der landespolitischen Arenen verfolgt die CDU seit 1989 eine
›Doppelstrategie‹, die auf Unvereinbarkeitsbeschlüsse mit der extremen
Rechten setzt, jedoch auf einer ›Rechtsverschiebung der Unionsachse‹
basiert, indem man stärker reaktionäre Familien- und Wertepolitik betreibt
und durchgreifende Maßnahmen auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit
konzipiert.«18 Jedoch ist die Union nicht nur getrieben durch die extreme
Rechte, sondern gerade sie ist es, die Themen setzt und in die Mitte des
politischen Raums trägt, die dann auch von rechts aufgegriffen werden. Der
Rechtsextremismusforscher Hans-Gerd Jaschke sagt hierzu: »Die politische
Tagesordnung der 90er Jahre ist nicht von rechtsextremistischer Seite
forciert worden. Diese ist zwar Nutznießer und vorläufiger Gewinner, aber
nicht der eigentliche Akteur in diesem Prozeß der Themenverschiebung.«19
Aufgrund dieser im Weiteren aufzuzeigenden inhaltlichen Nähe ist zu
erwarten, dass die Union zukünftigen Versuchungen von rechts dann erliegen
könnte, wenn sie inhaltlich attraktiv und das heißt kompatibel sind.
Neofaschistische Parteien wie DVU oder NPD kommen hierfür nicht in Frage,
anders sähe das bei einer sich auf Bundesebene etablierenden Partei wie den
»Republikanern « aus. Ein Kandidat Stoiber soll, im Unterschied zu Angela
Merkel, gerade Gewähr dafür bieten, den rechten Rand abzudecken. Angesichts
der aktuellen Schwäche des rechten Spektrums einschließlich der REP ist von
hier wohl keine größere Gefahr zu erwarten. Anders könnte das bei einer
stärker rechtspopulistisch auftretenden Variante wie der Schill-Partei sein.
Ohne die direkte Verbindung zur extremen Rechten, doch unter Abdeckung deren
wichtigster Punkte (Ausländerpolitik, Innere Sicherheit), wäre eine solche
12 Partei problemloser einzubeziehen. Allerdings liefe die Union damit
Gefahr, ihre Mehrheitsfähigkeit zu verlieren. Das Beispiel Hamburg, wo sie
zwar die Regierungsmacht erlangt, aber große Teile ihrer Wähler an Schill
verloren hat, dürfte Warnung genug sein. So wird Stoiber dieses Spektrum
einbinden wollen, ohne sich zu weit aus der »Mitte« zu entfernen. Allerdings
ist eine solche Abgrenzung, wie schon historisch gezeigt, vor allem
taktisch, nicht inhaltlich motiviert.
II. Rechtsverschiebung (aus) der Mitte
In der wissenschaftlichen Literatur zum Rechtsextremismus werden immer
wieder bestimmte Themenfelder genannt, die für das Auftreten der extremen
Rechten von besonderer Bedeutung sind. Diese Themenfelder sind vielfach
jedoch nicht nur für die extreme Variante der politischen Rechten, sondern
für die Rechte überhaupt von Bedeutung. Nicht die Themen, sondern die
Vehemenz und Zuspitzung, mit der diese Themen in der politischen Agitation
genutzt werden, machen den Unterschied zwischen der extremen und der
gemäßigten Rechten aus. Darüber hinaus hat die extreme Rechte, zumindest in
ihrer traditionellen Form, ein ablehnendes oder nur instrumentelles
Verhältnis zur Demokratie. Hier lag in der Vergangenheit ein wichtiger
Unterschied zur gemäßigten Rechten.
Als entscheidende Themenfelder der extremen Rechte in der Bundesrepublik
lassen sich die Frage des Umgangs mit der NS-Vergangenheit, die Bedeutung
und das Verständnis der Nation und die Frage der Zuwanderung ausmachen.
Daneben sind Themen der Inneren Sicherheit, der Rolle der Familie und auch
der sozialen Absicherung von Bedeutung.20 All diese Themen spielten und
spielen bis heute auch für die Union eine große Rolle. Neben der formalen
Zusammenarbeit mit Parteien der extremen Rechten lässt sich das Verhältnis
der Union zu dieser extremen Rechten auch über die inhaltliche Ausrichtung
der Union erhellen. Versteht man Politik vor allem auch als Durchsetzung
bestimmter Inhalte und Kampf um die Mehrheitsfähigkeit solcher Inhalte, dann
wird dieser Punkt größere Bedeutung einnehmen als die Frage nach konkreter
Zusammenarbeit, wenngleich beides in einem Verhältnis steht. Die Frage
nämlich, wie weit Inhalte der Politik, die auch von der extremen Rechten an
zentraler Stelle vertreten werden, hegemonial werden können, hängt nicht nur
von der extremen Rechten selbst ab. Solange diese nicht mehrheitsfähig und
sogar weitgehend marginalisiert ist, können ihre Themen nur durch die
demokratische Mitte legitimiert werden. Für die Bundesrepublik lässt sich
diese Legitimierung eines rechtsextremen Diskurses am eindringlichsten am
Beispiel der Asyldiskussion zu Beginn der neunziger Jahre verdeutlichen.
Kurz nach dem Anfang der so genannten dritten Welle des Rechtsextremismus
wurden die Positionen von »Republikanern«, DVU und NPD in der poli13 tischen
Mitte, namentlich von der Union, aufgegriffen, legitimiert und schließlich
weitgehend politisch umgesetzt. Die Gründe hierfür sind auf mehreren Ebenen
zu suchen: Einer drohenden Gefahr von rechts soll mit Themenbesetzung
begegnet werden, ohnehin latent vorhandene eigene Positionen können jetzt
radikalisiert aufgegriffen werden, weil sie scheinbar ein allgemeines
Bedürfnis zum Ausdruck bringen, die Radikalisierung im Sinne der extremen
Rechten ist zweckrational für die eigene Politik und sichert die eigenen
Mehrheitsfähigkeit. An späterer Stelle sollen diese Gründe genauer
betrachtet werden.
1. Zuwanderung, Asyl, Ausländer
Kein Thema verspricht der extremen Rechten größere Erfolgsaussichten als die
Fragen der Zuwanderung, der Migration ausländischer Arbeitskräfte, der
Aufnahme politisch Verfolgter und des Zusammenlebens von Deutschen und
Nichtdeutschen. Anknüpfen lässt sich hier an die lange Tradition des
Rassismus, des völkisch-ethnisierenden Verständnisses von Nation, welches in
Deutschland eine besondere Spezifik aufweist.
Die Verankerung völkischer Stereotypen in den Köpfen weiter Teile der
Bevölkerung macht es auch für die politische Mitte attraktiv, sich des
Themas zu bedienen. Nicht erst der so konnotierte Wahlkampf der hessischen
CDU 1999, als mit einer ausgrenzenden und latent rassistischen Kampagne eine
schon verloren geglaubte Landtagswahl gewonnen werden konnte, hat die
Brauchbarkeit dieses Themas bestätigt. Der lange Jahre zurückliegende
Ausspruch des heutigen Kanzlerkandidaten der Union, Edmund Stoiber, von der
»durchmischten und durchrassten Gesellschaft« brachte die hier vorhandenen
Affekte noch in einer Deutlichkeit zu Tage, die im politischen
Alltagsgeschäft heute zumeist vermieden wird. In entsprechend zugespitzten
politischen Diskussionen lässt sich diese Deutlichkeit aber auch heute noch
vernehmen. Von der neurechten Zeitung Junge Freiheit gefragt, wie Stoiber
diese Aussage damals gemeint habe, antwortet Norbert Geis, rechtspolitischer
Sprecher der CDU/CSUBundestagsfraktion, im Interview: »dass wir nicht
allzuviele Ausländer in Deutschland aufnehmen können. Wir wollen in
Deutschland Deutsche sein, wie die Franzosen in Frankreich Franzosen sein
wollen. Auch wenn er das in einer zugegebenermaßen überspitzten Form
geäußert hat, war der Grundgedanke lediglich, laßt Deutschland den Deutschen
– doch jeder, der zu uns kommen will, ist uns willkommen, aber wenn er
bleiben will, muß er sich integrieren.«21
Der letzte Halbsatz von Geis ist Tribut an den »Kampf um die Mitte«, der mit
dem auch von Hardcorenazis geäußerten »Deutschland den Deutschen« (hier
folgt dann ein »Ausländer raus«) nicht ohne politisch korrekte Einschränkung
begegnet werden kann. Die Mobilisierung rassistischer und völkischer
Stereotypen ist ein Mittel der Union, keine demokratisch legitimierte Partei
rechts neben sich zu dulden. Hier liegt auch der Grund, weshalb 14 Stoiber
in der aktuellen Situation so sehr darum bemüht ist, das Thema Zuwanderung
im Gespräch und damit im bevorstehenden Wahlkampf zu belassen. Es stellt ein
potentielles Abgrenzungs- und Mobilisierungspotenzial der Union gegen die
Regierungskoalition dar. Die gelungene Inszenierung bei der Abstimmung zum
Zuwanderungsgesetz im Bundesrat garantiert der Union die weitere Aktualität
des Themas auch für den Wahlkampf. Bewußt verschafft hat man sich so die
scheinbare moralische Legitimierung das Thema zentral im Wahlkampf zu
behandeln, wie es von Angela Merkel nach dem Eklat im Bundesrat angekündigt
wurde.22 Wie die jüngere Vergangenheit zeigt, konnte mit einer solchen
Ausgrenzungsstrategie gegenüber Minderheiten schon des öfteren die eigene
Mehrheitsfähigkeit erreicht werden. Für die seit den achtziger Jahren
erfolgreichen Parteien der extremen Rechten steht das Thema »Ausländer« im
Mittelpunkt ihrer Agitation. Rassistisch oder ethnopluralistisch
argumentierend wird hier eine Begrenzung des Zuzugs beziehungsweise
Rückführung der hier lebenden Menschen ohne deutschen Pass gefordert.
Ideologischer Hintergrund ist ein völkisches Verständnis der Nation, die als
homogene, ethnisch-kulturelle Einheit aufgefasst wird. Ausländer werden als
Bedrohung dieser homogenen Nation wahrgenommen, die zur Desintegration, zum
Kulturverfall, zur »Entartung« beiträgt. Dieses Gefühl der Bedrohung findet
sich in der politischen Propaganda der extremen Rechten und appelliert an
eben solche Gefühle bei den Wählern. Einige Überschriften des Parteiorgans
der »Republikaner« aus den achtziger Jahren mögen dies verdeutlichen:
UNTERTRÄGLICHES SCHEIN-ASYLANTENTUM.
DER MISSBRAUCH GEHT WEITER (2/1988)
WIRD BERLIN TÜRKISCH? (2 /1987)
WIRD DIE BUNDESREPUBLIK ORIENTALISCH? (9/1988)
VON RAUSCHGIFT ÜBERSCHWEMMT.
ASYLBEWERBER ALS DROGENKURIERE / EXPLODIERENDE BESCHAFFUNGSKRIMINALITÄT (9
/1988)
ÜBER 10 MILLIARDEN MARK IN DREI JAHREN:
DER ASYLMISSBRAUCH WIRD IMMER KOSTSPIELIGER (6/1989)
ERSCHRECKENDE ASYLANTENKRIMINALITÄT.
POLIZEI VOR UNLÖSBAREN PROBLEMEN (1/1989)23
Die hier vorgenommene Verbindung von Überfremdung, Betrug und Kriminalität
mit den Bewerbern um politisches Asyl gehört zum gängigen Umgang der
extremen Rechten mit dieser Frage. Jedoch findet sich diese Verbindung nicht
nur hier, sonder lässt sich ab den neunziger Jahren auch in der politischen
Mitte24 ausmachen und wird hier vor allem von der regierenden Union genutzt,
die ausländerfeindliche Stimmung im Land für sich nutzbar zu machen.
Einerseits wird damit ein Verständnis von Nation zum Ausdruck gebracht, wie
es sich auch bei der Union mehrheitlich findet (vgl. Kapitel 2.2). Aktuell
geht es aber darum, die eigene Mehrheitsfähigkeit nach rechts abzusichern
und einen vorhandenen politischen Diskurs im eigenen Sinne aufzugreifen.
Asyldebatte Mit der Asyldebatte vom Beginn der neunziger Jahre bot sich für
die Union die Möglichkeit, ein Erklärungsangebot für die soziale Misere
aufzuzeigen, mit der von der eigenen verfehlten Politik abgelenkt werden
konnte. Die Erwartung der »blühenden Landschaften« war enttäuscht und es
galt jetzt Verantwortlichkeiten hierfür zu benennen. Die rassistische und
von der extremen Rechten befeuerte Stimmung im Land wurde von der Union
aufgegriffen und nutzbar gemacht. Der damalige Generalsekretär der CDU,
Volker Rühe, machte 1991 das Asylthema zum bestimmenden Feld der
innenpolitischen Auseinandersetzung. In einem Brief an alle CDU
Funktionsträger forderte er dazu auf, dieses Thema offensiv anzugehen und
gegen den politischen Gegner zu gebrauchen. Denunziert wurden von der CDU
sämtliche Asylsuchenden als Betrüger am Sozialstaat der Bundesrepublik. Aus
Asylbewerbern und politisch Verfolgten wurden »Wirtschaftsflüchtlinge« und
»Sozialschmarotzer«, die angeblich den wohlverdienten Reichtum der Deutschen
gefährdeten. Diese Freigabe von Asylsuchenden und generell von Ausländern zu
Objekten des Sozialneids und Ressentiments führte schließlich zu den
schlimmsten Pogromen seit dem Faschismus, für die die Orte Hoyerswerda,
Rostock, Mölln, Lübeck und viele andere stehen. Der extreme Anstieg von
rechtsextremistischen und rassistischen Anschlägen, die bis heute auf hohem
Niveau fortdauern, nahm hier seinen Ausgang. Mit der faktischen Abschaffung
des Asylrechts von 1993 wurde durch eine große Koalition der Volksparteien
eine Forderung umgesetzt, die von den Parteien der extremen Rechten so schon
immer vertreten und die als Bestätigung dieser Position verstanden werden
musste. Funktional diente dieser staatlich vorangetriebene Rassismus der
Ablenkung von den tatsächlichen Problemen der Vereinigung. Die vorhandenen
und sich vertiefenden Spaltungen zwischen reich und arm, Ost und West sollte
mittels der Homogenisierung der Nation überwunden werden. Für diese innere
Homogenisierung (»Wir« gegen »Sie«) bot sich das Feindbild der Ausländer und
Asylsuchenden an, gegen die sich nun die vorhandenen Aggressionen 16
richteten. Es fand, wie Hans-Gerd Jaschke zutreffend schreibt, eine
»Ethnisierung der sozialen Beziehungen«25 statt. Ethnische Kriterien rückten
an die Stelle von sozialen, womit eine der wichtigsten Forderungen der
extremen Rechten, die Nation als homogene Volksgemeinschaft zu verstehen,
weitgehend erfüllt wurde. Die Diktion, in der vor allem von Unionsseite
damals das Thema Asyl und die hierher kommenden Menschen behandelt wurden,
steht nicht hinter der Deutlichkeit der eben vorgestellten Zitate aus dem
Parteiorgan der »Republikaner « aus den achtziger Jahren zurück:
»Asylantenflut«, »Asylantenschwemme «, »Asylmißbrauch«, »Asylkriminalität«,
»Asylbetrüger«, die Zahl der Komposita, die von der Politik genutzt wurden,
ist schier unerschöpflich. Vom Boot, das voll ist und von der Grenze der
Belastbarkeit wurde gesprochen und alle diese Äußerungen waren natürlich
eine Bestätigung und Legitimierung von Positionen der extremen Rechten.
Kanzler Kohl sprach davon, dass die »Grenze der Belastbarkeit (...)
überschritten« sei und wähnte angesichts des weiteren Zuzugs einen
»Staatsnotstand«. Diesen Notstand konkretisiert etwa der CSU-MdB Erich
Riedel, wenn er sagt: »Das Boot im Münchner Süden läuft über. Jetzt muß
Schluß sein. Deshalb wiederhole ich meine Forderung, den Münchner Süden ab
sofort von Scheinasylanten zu verschonen.« Die »Belastung« der unmittelbaren
Umgebung malte auch CSU-Landesgruppenchef Michael Glos aus, als er 1997
formulierte, in manchen Stadtvierteln könne man inzwischen nicht mehr die
Fenster öffnen, weil es draußen nach frisch geschlachtetem Hammel stinke.26
Der damalige bayrische Ministerpräsident Max Streibel (CSU) verschanzte sich
bei der Benutzung des Vokabulars der extremen Rechten noch hinter einem
Dritten: »Ich gehe nicht so weit wie ein Kommentator, der aber sicher vielen
im Volke aus der Seele spricht, der von einer multikriminellen Gesellschaft
gesprochen hat.« Die hier diffamierte multikulturelle Gesellschaft ist auch
das Feindbild des Rechtsauslegers der Berliner CDU, Heinrich Lummer: »Wenn
Ausländer eine Bereicherung sind, dann können wir schon seit langem sagen:
Wir sind reich genug (...) Eine multikulturelle Gesellschaft ist eine
latente Konfliktgesellschaft. Der innere Frieden ist gefährdet.« Die
Konsequenz hieraus zog Jörg Schönbohm, damals Innensenator in Berlin, heute
Innenminister von Brandenburg: »Die Zeit der Gastfreundschaft geht zu
Ende.«27 Mit der weitgehenden Einschränkung des Asylrechts wurde eine
Forderung der extremen Rechten umgesetzt, zu der dieser die Macht fehlte.
Die Union konnte sich den Wählern und Wählerinnen des rechten Spektrums als
konsequente Vertreterin einer nationalen und ausgrenzenden Politik
präsentieren. Möglicherweise wurde es so verhindert, dass eine Partei der
extremen Rechten die vorhandenen Stimmungen in Wahlerfolge umsetzen konnte.
Die Programmatik der extremen Rechten wurde dagegen weitgehend verwirklicht.
Schlimmer noch: Vorhandene Stimmungen und Ängste, die rassistisch unterlegt
waren, wurden von der Union bestätigt und legitimiert, somit auch per17
petuiert, anstatt ihnen etwas entgegen zu setzen. Bis heute weiß die Union,
dass sie mit diesem Thema mobilisierungsfähig ist. So ist es nur logisch,
dass Stoiber darum bemüht ist, dieses Thema nicht für den Wahlkampf zu
verlieren, weshalb alle Einigungsversuche der rot-grünen Regierung, ein
Zuwanderungsgesetz weitgehend nach den Vorgaben der Union mit dieser zu
verabschieden, scheitern mussten. Dabei ist nicht nur Taktik, sondern auch
ein spezifisches Verständnis der homogenen Nation mit im Spiel. Das Problem
des Kandidaten Stoiber ist, dass er diesen Befürchtungen und Ängsten des
rechten Spektrums Ausdruck verleihen muss, ohne damit die viel zitierte
»Mitte« freizugeben. Seine Einschätzung der Gefahren weiterer Zuwanderung im
Focus-Interview von 1999 haben vor allem die Funktion von ersterem: »Wenn
wir mit dieser neuen Staatsbürgerregelung etwa die ganze Kurdenproblematik
und das damit verbundene massive Gewaltpotenzial nach Deutschland
importieren, schätze ich die Gefährdung der Sicherheitslage höher ein als
bei der RAF in den Siebziger- und Achtzigerjahren.«28 In den hier
vorgestellten Äußerungen von Unionspolitikern erkennt man eine gleiche
Wahrnehmung der Migranten und Asylbewerber wie sie oben von den
»Republikanern« vorgestellt wurden: Asylbewerber und Ausländer generell
erscheinen als Betrüger und Kriminelle, als Bedrohung für die Deutschen und
ihren Wohlstand und als Gefährdung des inneren Friedens. Der Unterschied zur
extremen Rechten besteht darin, dass diese Positionen bei der Union nicht
das alleinige Zentrum der Politik ausmachen, dass es, auch innerhalb der
Union, hierzu Gegenpositionen gibt und dass die Konsequenz der Umsetzung
dieser Positionen hinter den Forderungen der extremen Rechten zurückbleibt.
Als moderne Volkspartei kann die Union sich nicht vor Entwicklungen
verschließen, die allgemein als gesellschaftsverändernd wahrgenommen werden:
so etwa die Globalisierung. Vor allem die Kapitalinteressen an einer
ausgeweiteten Zuwanderung von gut ausgebildeten Arbeitskräften stellt die
Union und auch Stoiber vor das Dilemma, einerseits weiterhin Positionen der
Abgrenzung zu vertreten, damit aber nicht als veraltet und
wirtschaftsfeindlich zu erscheinen. So hat sich auch bei der Union im
Stillen ein Wandel vollzogen, der vor wenigen Jahren noch undenkbar
erschien: Die Bundesrepublik wird auch von der Union als Einwanderungsland –
wenn auch nicht als »klassisches « – wahrgenommen. »Wir brauchen weniger
Ausländer, die uns ausnützen, und mehr, die uns nützen«29, mit dieser
griffigen Formulierung brachte der bayrische Innenminister Beckstein das
neue Verständnis der Union auf den Punkt. Schmarotzer und Betrüger bleiben
diejenigen, die nicht für den Wirtschaftsstandort Deutschland nutzbar
gemacht werden können, willkommen sind diejenigen, deren Arbeitskraft
gewinnbringend für das Land ist – allerdings werden sie auch auf diese
Funktion reduziert. Dieser Wandel der Union, bei gleichzeitigem Festhalten
an einer völkisch definierten Nation, wird noch manche argumentative
Probleme mit sich bringen. Die neurechte Zeitung Junge Freiheit zeigte sich
schon tief enttäuscht über das generelle 18 Bekenntnis der Union zur
Zuwanderung.30 Auch mit Rücksicht auf ein solches Klientel betont der
Kandidat Stoiber im gegenwärtigen Wahlkampf, dass es vor allem um eine
Beschränkung der Zuwanderung gehe. Im Falle eines Wahlsieges kündigte er ein
»Zuwanderungs-Begrenzungsgesetz« an.31
Zu vermuten ist, dass es sich hier nur um eine
semantische Umdeutung handelt, geht es doch auch im aktuellen Gesetzentwurf
um eine Begrenzung bei gleichzeitiger Neuregelung möglicher Zuwanderung. 2.
Nation, Volk, Familie Um die mit dem Thema Zuwanderung verbundenen
Bedrohungsgefühle auf der politischen Rechten verstehen zu können ist es
wichtig, sich das Bild der Nation, wie es hier gepflegt wird, zu
verdeutlichen. Im Unterschied zu westeuropäischen Nachbarländern wie etwa
Frankreich wird die Nation in Deutschland in erster Linie als
Abstammungsgemeinschaft, nicht als politische Gemeinschaft verstanden.
Zugehörigkeit wird im deutschen Verständnis über die Abstammung, das »Recht
des Blutes« (ius sanguinis) und nicht über die Frage des Geburtsortes, das
»Rechts des Bodens« (ius soli), erlangt. Das Nationenverständnis ist in
Deutschland also völkisch basiert, womit ein entscheidender Unterschied zu
den westlichen Ländern benannt ist. Ein wichtiger Teil dessen, was mit dem
»deutschen Sonderweg« bezeichnet wird, ist hiermit verbunden. Zuwanderung:
Wer ist das Volk? Alle Untersuchungen zum Rechtsextremismus verweisen auf
die enorme Bedeutung, die die Nation für die Propaganda dieser Parteien hat.
»Deutschland zuerst«, »Deutsche Arbeitsplätze nur für Deutsche« – die
völkisch definierte Nation als primärer Bezugspunkt ist bei NPD, DVU und
»Republikanern« allgegenwärtig. Bis in die achtziger Jahre hinein hatte die
politische Rechte bei ihrem emphatischen Bezug auf die Nation vor allem mit
den Schatten der faschistischen deutschen Vergangenheit zu kämpfen, die
einen ungebrochen positiven Bezug auf die Nation versperrten. Diese Barriere
der NS-Vergangenheit wurde seit den achtziger Jahren bis in die Gegenwart
weitgehend geschleift.32 Die »geistig-moralische Wende« der ersten Regierung
Kohl war hier insofern von zentraler Bedeutung, weil nun wieder die Nation
zur zentralen ideologischen Bezugsgröße der Politik wurde. Nationale
Identität sollte wieder bestimmend für den Zusammenhalt der Gesellschaft
werden, womit ein ideologisches Angebot formuliert wurde, mit dem die realen
Brüche der Gesellschaft, hervorgerufen auch durch die einsetzende
neoliberale Wende, überdeckt werden sollten. Neben dieser funktionalen
Bestimmung gibt es aber auch einen starken inhaltlichen Bezug des
Konservatismus, der politischen Rechten, zum Konzept 19 der Nation. Ihr
völkisches Verständnis ist dabei nicht nur auf die extreme Rechte
beschränkt, sondern findet sich auch in weiten Teilen der Union. Deutlich
wurde dies wieder in jüngster Zeit, als es um die Frage ging, wie weit
dieses völkische Verständnis der Nation noch zeitgemäß ist. Die Bestrebungen
der rot-grünen Regierung, das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht zu
verändern und den aufgeklärten Traditionen des Westens anzugleichen, stieß
auf vehementen Widerstand der Union, die an der völkisch-blutsmäßig
tradierten Zugehörigkeit zur Nation festhalten möchte. Im Zuge der
Auseinandersetzung 1999 wurden von der Union genau die Ressentiments
mobilisiert, an die die extreme Rechte schon immer apelliert, womit es nur
konsequent war, dass DVU und »Republikaner« ihre Anhänger zur Unterzeichnung
der Unionskampagne aufforderten und der Union ihre Hilfe anboten. Aufhänger
der Unionskampagne war die vorgesehene Möglichkeit der großzügigen Gewährung
von Doppelstaatlichkeit. Für CSU-Landesgruppenchef Michael Glos eröffnet
sich hiermit für Ausländer die Möglichkeit, »auf ganz billige Art Deutsche
zu werden.«33 Die Union wollte dagegen am »bewährten« Grundsatz des
Abstammungsprinzips festhalten, dessen »Aushöhlung« die Grundlagen der
Identität des deutschen Staatsvolks angreifen würde.34 Warum, so ist zu
fragen, gefährdet die Aufgabe des Abstammungsprinzips die Identität des
deutschen Staatsvolks? Gerade hier wird das spezifische Verständnis der
Nation deutlich, wie es die gesamte gemäßigte und extreme Rechte verbindet.
Nation, Zugehörigkeit, Gemeinschaft konstruieren sich auch bei der Union
über die Abstammung, das Blut, die Natur. Die Aufgabe dieses Prinzips würde
nach diesem Verständnis den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährden. Nicht
der Inhalt der Gesellschaft, sondern die natürliche Gemeinschaft verbürgt
diesen Zusammenhalt. Bei Wolfgang Schäuble heißt es hierzu: »Wir schöpfen
unsere Identität nicht aus dem Bekenntnis zu einer Idee, sondern aus der
Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk.«35 Dies ist in Nuce das Verständnis
der Abstammungsgemeinschaft und die Absage an die politische Gemeinschaft,
wie sie etwa in Frankreich verstanden wird. Die Abwehr alles Fremden ist
somit gemeinschaftserhaltend. Die Bedrohungsgefühle und Ressentiments wurden
bei der Kampagne der Union gegen die doppelte Staatsangehörigkeit deutlich.
Die Verbindung der Themen Zuwanderung und Innere Sicherheit stehen für
diesen Bedrohungsdiskurs. Der bayrische Innenminister Beckstein sprach unter
der Überschrift »Importierter Terror« im Spiegel davon, dass nach rotgrünen
Plänen mehrere zehntausend Ausländer, die als »Extremisten« eingestuft
würden, jetzt Deutsche werden könnten: »Die rot-grüne Regierung importiert
damit Terror und gibt potenziellen Verbrechern eine gesicherte
Rechtsposition.«36 Ausländer werden somit zunächst einmal als »potenzielle
Verbrecher« wahrgenommen, eine Sichtweise, die von den Parteien der extremen
Rechten der Bevölkerung ebenfalls suggeriert wird. Nach den Anschlägen vom
11. September 2001 erklärte der hessische Ministerpräsident Roland 20 Koch:
»Wir kennen 2000 bis 3000 Islamisten mit Namen und Adressen hier in
Deutschland, die Zugang zu terroristischen Strukturen und zu Sprengstoff
haben.«37 Das BKA verneinte solche Kenntnisse und forderte Koch auf, sein
Wissen preis zu geben – natürlich gab es dieses Wissen nicht. Auch hier ging
es um die Verbindung von Bedrohung, Kriminalität und Ausländern, die von
Koch vorgenommen wurde. Zwei Drittel aller Straftaten werden laut Koch von
Ausländern begangen und seine Lösung bestand im Wort »rauswerfen«.38 Ein
agitatorischer Unterschied zur Parole der extremen Rechten »Kriminelle
Ausländer raus!« läßt sich hier nicht mehr ausmachen. Edmund Stoibers schon
zitierter Vergleich der Bedrohung durch Einwanderung mit dem Terror der RAF
wurde durch Michael Glos dahingehend unterstützt, dass der Staat nicht auf
seine »wirksamste Drohung« gegenüber gewaltbereiten Ausländern verzichten
dürfe – die Abschiebung. »Wir wollen nicht, dass sich in Deutschland auf
Dauer Lebensformen etablieren, die nicht unsere Lebensformen sind.«39 Der
Weg von hier zur Forderung nach einer »deutschen Leitkultur« ist nicht weit,
und die Union schloss diesen Vorstoß folgerichtig an die Ablehnung der
doppelten Staatsbürgerschaft an.
Leitkultur und Nationalstolz
Friedrich Merz forderte als Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im
Bundestag die Anpassung der in Deutschland lebenden Ausländer an eine
»deutsche Leitkultur«. Die damit einsetzende Leitkulturdebatte hatte noch
einmal die Funktion, den Vorrang der völkisch-deutschen Bevölkerung vor
allen Zugewanderten zu zementieren und gleichzeitig eine homogene nationale
Kultur zu behaupten.40 Der spezifische Inhalt dieser Leitkultur wurde von
Merz eben als »deutsch« beschrieben, womit andere kulturelle Einflüsse und
Äußerungen auf einen minderen Status verwiesen werden. Für Jörg Schönbohm
stellt das Konzept der »deutschen Leitkultur« das Gegenmodell zur
multikulturellen Gesellschaft dar, die gescheitert sei.41 Während diese
»eine Gesellschaft beliebig neben- und nicht miteinander lebender
Volksgruppen und Kulturen ohne allgemein anerkannte Leitkultur und
Wertorientierungen « schaffe, bedeute die deutsche Leitkultur Sicherheit und
Verbindlichkeit. 42 Gefordert sei die Integration der Zuwanderer und diese
Integration habe sich an der deutschen Leitkultur auszurichten, »weil sie
die Verfassung umfaßt und damit das Spezifikum der deutschen Nation.«43
Genau hier liegt jedoch das Problem: Die Verfassung, das Grundgesetz, ist
eben nicht das Spezifikum der deutschen Nation, sondern repräsentiert mit
seinem an den universalistischen Menschenrechten orientierten Rahmen eben
ein universales Moment, kein deutsches Spezifikum. Universale Rechte ebneten
aber die Besonderung des deutschen Volkes ein, am Ende ginge es, wie
Schönbohm befürchtet und von der PDS gefordert, nicht mehr um eine deutsche
Volkssouveränität, sondern um eine »Bevölkerungssouveränität«. Dies bedeute
jedoch 21 die Aufgabe deutscher Leitkultur zugunsten gleichrangiger
»Parallelgesellschaften «, die Schönbohm ablehnt.
»Die grundlegende Kultur in Deutschland ist die
deutsche. Zu ihr gehört untrennbar Toleranz und ein Grundwertekanon, der
sich im Laufe der Geschichte entwickelt hat und im Grundgesetz kodifiziert
ist.«44 Das Grundgesetz als gewachsene deutsche Geschichte: diese
Geschichtsklitterung verkennt, dass es gerade der Bruch von 1945 war, der
wichtigen Teilen des deutschen Sonderwegs ein Ende setzte und dass dieser
Bruch vor allem von außen, durch die Anti-Hitler-Koalition zustande kam. Der
deutsche Faschismus wird in einer solchen geglätteten Sicht auf die deutsche
Geschichte einfach aus dieser ausgeklammert.
Verbunden mit dieser positiven deutschen Identität und einem neuen, von der
Geschichte befreiten deutschen Selbstbewusstsein lässt sich auch wieder
Stolz auf Deutschland verkünden. Während es bei den »Republikanern« noch
gemäßigt in den achtziger Jahren hieß »Andere Völker achten wir, unseres
aber lieben wir«, übernahm der Generalsekretär der CDU, Laurenz Meyer,
gleich eine vor allem im Bereich des Neofaschismus gebrauchte Parole und
verkündete: »Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.« Überlassen werden dürfe
diese Äußerung des Patriotismus nicht der extremen Rechten, weshalb Meyer
sie für die Union reklamierte. Dass damit die gleichen ausschließenden
Implikationen gegen alle Nicht-Deutschen mit übernommen wurden, war Meyer
offensichtlich egal, so wie auch die Legitimierung einer bekannten
Kampfparole des Neofaschismus, mit der dieser Woche für Woche durchs Land
zieht. Günther Beckstein begrüßte anlässlich eines Vortrages bei einer
Münchner Burschenschaft den neuen »Stolz auf Deutschland«, wies aber seine
Zuhörer, angesichts der Beobachtung der rechtsextremen Burschenschaft
Danubia durch den Verfassungsschutz darauf hin, dass die Grenzen zum
Extremismus gewahrt werden müssen. Sein CSU-Kollege Hans Merkel ging bei der
selben Veranstaltung noch weiter und bekundete: »Ich beobachte mit Sorge,
dass als verfassungsfeindlich bezeichnet wird, wer die Folgen einer
verantwortungslosen Ausländerpolitik anprangert oder ein anderes
Zeitgeschichtsbild hat als das herrschende.«45 Ob sich Beckstein von diesem
Geschichtsrevisionismus distanziert hat, wird von der Zeitung nicht
berichtet. Warum wurden Leitkultur- und Nationalstolzdebatte von der Union
im Jahr 2000 vom Zaun gebrochen? Die Antwort liegt auf der Hand, wenn man
sich die politische Debatte dieser Zeit vergegenwärtigt, und sie sagt etwas
aus über die vermeintliche strikte Abgrenzung der Union nach rechts. Die von
der etablierten Politik endlich aufgenommene Debatte über den grassierenden
Neofaschismus im Land, die schließlich im NPD-Verbotsverfahren mündete, nahm
ihren Ausgang eben im Sommer des Jahres 2000. Bundeskanzler Gerhard Schröder
verkündete den »Aufstand der Anständigen« und eine Zeit lang sah es aus, als
würde der Antifaschismus zur neuen Staatsräson, zumindest in der Form von
Bekenntnissen.46 Die Union sah in dieser Kampagne offensichtlich die Gefahr,
dass ihr die Klaviatur der rechten Themen dauerhaft genom22 men werden, dass
man mit den gewohnten Anleihen bei der extremen Rechten aus der politischen
Mitte hinaus dividiert werden könne. Michael Mertes, Chefredakteur des
Rheinischen Merkur, sieht im »Aufstand der Anständigen« den Versuch der
Regierung, moralische Hegemonie zu gewinnen: Antifaschismus solle den
bewährten Antitotalitarismus ersetzen: »War – und ist – der ›Aufstand der
Anständigen‹ ein Versuch, dem Konzept des Antifaschismus in der politischen
Leitkultur der Bundesrepublik zum Durchbruch zu verhelfen? Für die Annahme
spricht erstens die systematisch anmutende Ersetzung des Begriffs
›rechtsextremistisch‹ und ›rechtsextremistische Gewalt‹ durch ›rechts‹ und
›rechte Gewalt‹.«47 Der zweite Grund bestehe in der Anbahnung von
Koalitionen zwischen SPD und PDS, die mittels des Antifaschismus eine
moralische Legitimation bekämen. Ganz in diesem Sinne argumentiert auch der
von der Union bestellte Sachverständige bei der Anhörung des
Innenausschusses des Bundestags zum Thema Rechtsextremismus, Professor
Eckhard Jesse: Über den Rechtsextremismus dürfe sein Pendant von links nicht
vergessen werden, den Parteien der extremen Rechten wurde die Gefahr durch
die PDS gegenübergestellt und überhaupt ginge die größere Gefahr von der
extremen Linken aus.48 Leitkultur und Nationalstolz waren offensichtlich
Versuche der Union, aus dieser Defensive herauszukommen. Roland Koch etwa
warnte vor einer Dramatisierung des Rechtsextremismus und sprach sich gegen
ein Verbot der NPD aus. Politisch wichtiger und vorwärtsweisender sei es
vielmehr, sich der Themen der extremen Rechten anzunehmen, wie er das in
vorbildlicher Weise beim Kampf gegen die doppelte Staatsangehörigkeit
gemacht habe: »Vor der hessischen Landtagswahl sind im Zusammenhang mit der
doppelten Staatsbürgerschaft massive Vorwürfe gegen die CDU erhoben und ein
dramatischer Anstieg der Stimmenanteile rechtsradikaler Parteien prophezeit
worden. Im Ergebnis jedoch wurde ein schlechter rot-grüner Gesetzentwurf
verhindert und die rechtsradikalen Parteien trotz deren strategischer
Absprachen auf unbedeutender Höhe gehalten. Die Politik hat ihre
Hausaufgaben gemacht und die Wähler mitgenommen.«49 Am Beispiel der oben
aufgezeigten Unionskampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft kann man
also studieren, wie die CDU/CSU gedenkt, das Spektrum rechts neben sich
einzubinden. Eben durch eine weitgehende Übernahme ihrer Inhalte, die in
demokratisch geläuterte Bahnen gelenkt werden. Man hat, wie Koch sagt, die
Wähler mitgenommen – und zwar unter Bestätigung vorhandener rassistischer
und rechtsextremistischer Einstellungsmuster. Man stelle sich vor, was Herr
Koch zu einem solchen Konzept der Einbindung sagen würde, wenn etwa die SPD
die Verstaatlichung der Großindustrie fordern würde, um so auch den linken
Flügel der PDS einzubinden (dies ist ein formaler, kein inhaltlicher
Vergleich). 23 Familie: Kampf der Wiegen Eng verbunden mit der Frage von
Nation und Volk ist im konservativen Verständnis die Familie, die als
Keimzelle von Staat und Nation gesehen wird. So ist der besondere Schutz der
Familie, verbunden zumeist mit tradierten Rollenbildern von Mann und Frau,
ein Kernanliegen der gesamten politischen Rechten. Deshalb gelte es, die Ehe
unter den besonderen Schutz des Staates zu stellen, wohingegen nach Wolfgang
Schäuble »kein Interesse der Gemeinschaft daran« besteht, auch anderen
Lebensgemeinschaften einen solchen Schutz zu gewähren.50 Das besondere
Interesse des Staates an Familie und Ehe hebt auch Edmund Stoiber hervor:
»Eine Gesellschaft kann nicht besser funktionieren als ihre kleinste Zelle,
die Familie. Wir dürfen nicht so tun, als seien Trennungen und Scheidungen
reine Privatangelegenheiten, die im Übrigen nur die Statistik etwas
angehen.«51 Diese Sorge um die Familie bekommt erst dann ihre politische
Brisanz, wenn sie mit der Frage der Demographie verknüpft wird, die als
Schicksalsfrage für das Überleben der Nation begriffen wird. Erst hier und
unter Berücksichtigung des spezifischen Nationenverständnisses des
Konservatismus wird die Bedeutung der Familie als biologischer
Reproduktionsort der Nation deutlich. Hiervon abweichende Lebensformen
müssen dann als Bedrohung wahrgenommen werden, so etwa wenn Norbert Geis in
der Homosexualität eine »Perversion der Sexualität« erkennen will, sie als
»schamlos« bezeichnet und zu dem Verdikt kommt: »Der Verlust der sexuellen
Scham aber ist immer ein Zeichen von Schwachsinn.«52 Die vorgenommene
Pathologisierung weist auf sich selbst zurück. Im Rahmen der Debatte um ein
Zuwanderungsgesetz wurden immer wieder auch demographische Argumente
angeführt. Deutschland sei angewiesen auf Zuwanderung, weil die Gesellschaft
immer weiter überaltere. Für die extreme Rechte ist dies ein zentrales
Thema, weil mit dem Geburtenrückgang die Existenz des deutschen Volkes (in
völkischer Definition) gefährdet sei. Während die Deutschen immer weniger
würden, vermehrten sich die Migrantinnen und Migranten, verwiesen wird hier
zumeist auf die Türken, in rasendem Tempo. Familienpolitik ist deshalb aus
Sicht der extremen Rechten keine Form der Sozialpolitik, sondern ein Gebot
zur Erhaltung von Volk und Nation. In der Union kämpfen auf diesem Feld zwei
Linien gegeneinander, die die liberale bzw. konservative Tradition der
Partei verkörpern. Für letztere kommt eine Lösung des demographischen
Problems über eine ausgeweitete Zuwanderung nicht in Frage, widerspricht
dies doch dem oben aufgezeigten Verständnis der Nation. Im Rahmen der
Zuwanderungsdebatte hat die bayrische Landesregierung ein Gutachten in
Auftrag gegeben, welches vor allem die demographische Frage in den
Mittelpunkt rückt.53 In der Zusammenfassung der CSU-Regierung liest sich das
folgendermaßen: Die Konsequenz einer auch demographisch motivierten
Zuwanderungspolitik wäre es, dass die deut24 sche Bevölkerung in vielen
Städten und Regionen zu einer »Minderheit im eigenen Land werden würde.«54
Damit verbunden seien erhebliche gesellschaftliche und kulturelle Risiken,
da die Integrationsfähigkeit unweigerlich abnehme. Bestätigt werde die
Position Bayerns, »dass eine Politik, der es darum geht, die Identität
unseres Staates zu bewahren und die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft
zu erhalten, Zuwanderung nicht ausweiten, sondern deutlich begrenzen
muss.«55 Gefordert sei statt dessen eine demographisch orientierte
Familienpolitik zur Anhebung der Geburtenrate, die Deutschland unabhängig
von Zuwanderung mache. In einem Vortrag vor der CSU-Landtagsfraktion im
Januar 2001 verdeutlichte Josef Schmid, Bevölkerungswissenschaftler an der
Universität in Bamberg, noch einmal den Zusammenhang von Demographie, Nation
und Familie: Mit der Einwanderung als »Heilmittel « des Geburtendefizits
würde in absehbarer Zeit »das zu Erhaltende, nämlich das Stammvolk als
Träger des demokratischen Volkswillens und des leistungsbezogenen
Wirtschaftsstils, unter der Last seiner Nebenwirkungen zusammenbrechen.«56
Enttabuisiert werden müsse dagegen die aktive Geburtenförderung durch den
Staat.
Um dennoch die Zuwanderung benötigter Fachkräfte
zu ermöglichen, die Zahl der Zugewanderten aber so gering wie möglich zu
halten, schlägt Schmid eine »Repatriierung abgelehnter Asylbewerber, welche
den bisherigen Gesamtzuzug dieser Gruppe von ca. 100.000 halbiert: 50.000«57
vor – gemeint ist damit eine Massenabschiebung. Die Logik dieser
Argumentationen steht in ihrer Deutlichkeit nicht hinter den Forderungen der
extremen Rechten zurück: Das »Stammvolk« der Deutschen verkörpert quasi
natürlich den »leistungsbezogenen Wirtschaftsstil«, der jedoch unter der
Last der kulturell fremden und offensichtlich leistungsschwächeren
Nicht-Deutschen zusammenbreche. Lässt sich die Union mit ihrem bayrischen
Kanzlerkandidaten von solchen Sichtweisen leiten, dann ist neben Aus- und
Abgrenzung des »Fremden« auch ein Kampf um deutsche Wiegen zu erwarten. Mit
der Parole »Kinder statt Inder« brachte der als liberal geltende Jürgen
Rüttgers einen solchen Diskurs auf den Punkt.
3. Rechte Brückenköpfe
Aus der vielfältigen inhaltlichen Überschneidung zwischen den Unionsparteien
und dem Spektrum rechts von ihnen ergeben sich Berührungs- und
Anknüpfungspunkte, die selbstverständlich auch zu Zusammenarbeiten führen.
Verlässt man dabei das Feld der unmittelbaren Wahlkonkurrenz der Union, die
Parteien der extremen Rechten, dann finden sich viele solcher
Berührungspunkte und direkten Verbindungen. Namentlich die
intellektualisierte so genannte »Neue Rechte« bildet eine Art Scharnier zum
etablierten Konservatismus der Union. Peter Gauweiler, Steffen Heitmann,
Heinrich Lummer sind Politiker, die die Nähe dieser »Neuen Rechten« suchen
und inhaltlich mit den hier vertretenen Positionen übereinstimmen. Vor allem
beim Verständnis der 25 deutschen Nation, der Bewertung der
nationalsozialistischen Vergangenheit und der zukünftigen Rolle Deutschlands
finden sich weitgehende Übereinstimmungen. Darüber hinaus ergibt sich ein
reger Austausch im Rahmen konservativer Think Tanks, wie etwa des
Studienzentrums Weikersheim, gegründet vom ehemaligen Ministerpräsidenten
Baden-Württembergs, Hans Filbinger, des Christlich Konservativen
Deutschland-Forums, diverser konservativer Gesprächskreise oder auch der
studentischen Korporationen. Beispiel Geschichtspolitik Vor allem der Kampf
um eine zustimmungsfähige, positive Sicht auf die deutsche Geschichte
verbindet neurechte Intellektuelle und Teile der Union. Im Kampf um
geschichtspolitische Deutungshegemonie tritt man auch gemeinsam an die
Öffentlichkeit.58 Anläßlich des fünfzigsten Jahrestages des 8. Mai 1945
unterzeichnete Alfred Dregger einen von der »Neuen Rechten« um Rainer
Zitelmann initiierten Aufruf, der den 8. Mai nicht als Befreiung, sondern
als Beginn von Vertreibung und Teilung interpretierte und so vor allem die
deutsche Opferrolle betonte. Im Rahmen der geschichtspolitischen Debatten in
den neunziger Jahren, vor allem im Rahmen der Auseinandersetzung um die
Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944« kam
es zu vielfältigen Zusammenarbeiten zwischen Rechtsauslegern der Union und
der extremen bzw. »Neuen Rechten«. So begann die öffentliche
Auseinandersetzung um die Ausstellung in München: Im CSU-Organ Bayernkurier
wurde der Ausstellung vorgeworfen, sie sei ein »moralischer
Vernichtungsfeldzug gegen das deutsche Volk« und wolle »Millionen Deutschen
die Ehre« absprechen.59 Zusammen mit der NPD mobilisierte Peter Gauweiler
von der CSU gegen die Ausstellung und es kam zur bis dahin größten
Demonstration des Neofaschismus in München. Die Union insgesamt machte sich
die Ablehnung der Ausstellung zu eigen und bis heute weigern sich die
meisten Funktionsträger der Partei, an den offiziellen Eröffnungen der
Ausstellung in den jeweiligen Städten teilzunehmen. Die Affinität rechter
Unionskreise zu den apologetischen Geschichtsbildern, wie sie von der »Neuen
Rechten« propagiert werden, kommt hier zum Ausdruck. Die Verleihung des
Adenauer-Preises an den bekannten rechtskonservativen Historiker Ernst Nolte
im Jahr 2000 durch die unionsnahe »Deutschlandstiftung « kann als
Bestätigung der Positionen Noltes aufgefasst werden. Mit den vor allem
symbolischen Vorstößen in der Geschichtspolitik war es namentlich Helmut
Kohl, der seit den achtziger Jahren diesen Strang ermutigte. Der Besuch von
Kohl und dem US-amerikanischen Präsidenten Reagan auf dem Soldatenfriedhof
in Bitburg und ihre Ehrerweisung auch gegenüber Angehörigen der Waffen-SS
war der symbolische Auftakt zum im selben Jahr (1986) einsetzenden
Historikerstreit. Aktuell politisch nutzbar gemacht werden solche
Sichtweisen auf die NS-Vergangenheit, wenn die Union und insbesondere 26
Edmund Stoiber sich zum Anwalt der »Vertriebenen« machen und in der neuen
Debatte zu den Benes-Dekreten die politische Führung der Tschechischen
Republik attackieren. Die CDU-MdB Erika Steinbach ist als Vorsitzende des
»Bundes der Vertriebenen« geradezu beruflich damit beschäftigt, die deutsche
Rolle in der Vergangenheit auf den Status des Opfers zu bringen. Die
Forderung nach einem neuen, von der Last der Geschichte befreiten nationalen
Selbstbewußtsein verbindet diese Kreise der Union mit dem rechten Rand.
Friedbert Pflüger, selbst Unionsabgeordneter, drückte in seinem 1994
erschienenen Buch die Sorge aus, dass die Union sich zu wenig von diesen
Tendenzen abgrenze.60 Mit Blick auf die Verbindung von Teilen der Union und
dem rechten Spektrum sagt er: »Neben dem braunen Netzwerk der Neo- Nazis
entsteht ein schwarz-braunes Netzwerk von konservativ revolutionären
Vordenkern. Die Ziele sind im Grunde fast die gleichen, nur dass die
angeblich ›konservativen‹ Clubs ihre Botschaft etwas anspruchsvoller
verpacken.«61 Das neue nationale Selbstbewußtsein nach der Vereinigung traf
anscheinend gerade in der Union auf einen gut bereiteten Boden: »Wer durch
das Land fährt und mit der Parteibasis diskutiert, spürt an allen Ecken und
Enden den Einfluß der Neuen Rechten, sieht Berührungsängste schwinden. In
vielen meiner Veranstaltungen wird zum Beispiel die Westgrenze Polens in
Frage gestellt und gefordert, dass Schlesien und Ostpreußen wieder deutsch
werden müssen. Oft werden die fünf neuen Bundesländer als
›Mitteldeutschland‹ bezeichnet und damit suggeriert, dass es östlich davon
weitere deutsche Gebiete gibt.« Vor allem die Geschichte soll dieses
Selbstbewußtsein nicht mehr einschränken: »Auch andere Denkmuster aus dem
rechtsradikalen Arsenal sind wieder in Unionsveranstaltungen zu hören: Wir
sollten wieder ›aufrecht gehen‹. Die Zeiten seien vorbei, in denen wir den
Juden gegenüber ein schlechtes Gewissen haben müssten.«62 Was in den
Beobachtungen Pflügers zum Ausdruck kommt, ist nicht nur ein taktischer
Umgang der Union mit dem Spektrum rechts von ihr: hier zeigen sich parallele
Überzeugungen. Wie weit diese gegenwärtig in der Union verbreitet sind,
lässt sich nur schwer sagen. Offensichtlich ist jedoch, dass mit der breiten
Stimmung innerhalb der Partei für den Kandidaten Stoiber diese Ausrichtung
nicht geschwächt wurde. Ob ein möglicher Kanzler Stoiber diese Teile der
Partei inhaltlich bedienen müsste und wollte, ist schwer zu sagen,
jedenfalls wenn es um die Frage der praktischen Umsetzung von Politik geht.
In der Frage Zuwanderung, Familienpolitik, Verständnis der Nation haben
CDU/CSU zumindest Erwartungen geweckt, die befriedigt werden wollen.
Verbunden mit dieser Erwartungshaltung ist auch die Gefahr, enttäuschte
Anhänger nach weiter rechts verlieren zu können.
27 III. Rechtspopulismus: Gefahr
oder Chance für die Union?
Ronald Schill, Shooting Star der Landtagswahl in Hamburg im Herbst 2001,
wurde in der Presse zum heimlichen Königsmacher für Edmund Stoiber erkoren.
Nur bei einem rechten Kandidaten wie Stoiber würde die so genannte
Schill-Partei auf eine Kandidatur zur Bundestagswahl verzichten und so der
Union die Konkurrenz zu einer rechtspopulistischen Partei ersparen, die ihr
in Hamburg um ein Haar den Rang abgelaufen hätte. »Schill ante portas« so
hieß es allenthalben in der Presse, ganz so, als ließe sich der Hamburger
Erfolg problemlos auf die Bundesebene übertragen. Diesem Rausch war
offensichtlich auch Schill selbst erlegen und schwadronierte schon von einer
Zusammenarbeit mit der Union auf Bundesebene: »Vor wenigen Tagen war ein
hochrangiger CSU-Funktionär, dessen Namen ich nicht nennen möchte, bei mir.«
Dieser habe berichtet, dass »große Teile der CSU« die Schill-Partei gerne
als Partner sehen würden, um bei Wahlen Mehrheiten zu sichern. »Die CSU
befürchtet, dass ein Bayer im Norden Akzeptanzprobleme haben könnte.
Deswegen suchen sie eine Zusammenarbeit mit der Schill-Partei, die das
konservative Wählerpotenzial gerade im Norden abschöpfen soll«, so Schill.
Es gehe darum, arbeitsteilig Mehrheiten zu erreichen: »Die Schill-Partei
soll sich dabei rechts von der Union etablieren.«63 CSU-Generalsekretär
Goppel bezeichnete diese Äußerungen von Schill als »Wunschgemälde«. Ob es
Gespräche zwischen Union und Schill-Partei zu diesen Fragen gegeben hat,
lässt sich nicht klären, die Wahrscheinlichkeit ist aber hoch, dass Schill
mehr seinen Wünschen Ausdruck verleiht, als dass diese (schon) der Realität
entsprechen. Doch unverkennbar ist, dass der erfolgreiche Aufsteiger am
rechten Rand einige Aufmerksamkeit erregt hat und auch für die Strategie der
Union von Bedeutung ist. Die Parteienforscher Joachim Raschke und Ralf Tils
sahen in einer Analyse unmittelbar nach dem Erfolg in Hamburg die Chancen
Schills vor allem bei einer weiter führungs- und richtungslosen Union
steigen: »Eine Kanzlerkandidatin Angela Merkel könnte eine Versuchung für
Ronald Schill darstellen, trotz ungünstiger eigener
Organisationsvoraussetzungen bei der Bundestagswahl zu kandidieren: Nie wäre
die rechte Flanke der CDU für den Angriff von außen so leicht zu erobern.«64
Mit dem Kandidaten Stoiber ist diese Flanke jetzt besser gesichert, weshalb
Schill auch von einer gemeinsamen Strategie redet und sich nicht in
Konkurrenz zur Union unter Stoiber sieht. Nichts spricht dafür, dass die
Union gerade jetzt das alte Diktum, neben ihr dürfe es keine demokratisch
legitimierte Partei auf der Rechten geben, aufgeben sollte. Insofern ist
sicherlich keine Ermutigung für Schill von hier zu erwarten, vielmehr wird
man selbst darum bemüht sein, das einzige Thema dieser Partei, die Innere
Sicherheit, schlagkräftig zu besetzen.
Die möglichen Kandidaten Stoibers für diesen Bereich, Beckstein und 28
Schönbohm, machen deutlich, wohin die Reise gehen soll. Beckstein sieht in
Schill anscheinend weniger die lästige Konkurrenz als vielmehr einen eigenen
Zögling. Schill rufe ihn dreimal die Woche an und frage um Rat: »Ich schätze
Herrn Schill als Wettbewerber, der im Gegensatz zu den Sozis die Koordinaten
richtig setzt. Aber ich bin ihm um Längen voraus.«65 Sollte es wider
Erwarten doch einen Erfolg der Schill-Partei im Herbst 2002 geben, würde die
Union, wie schon in Hamburg, sicher nicht zögern, diese zur
Mehrheitsbeschaffung zu nutzen, sollte es mit der FDP nicht reichen.
Temporär wäre ein solcher Erfolg für Schill eine Chance für die Union, die
Macht zu erlangen; auf längere Sicht könnte damit allerdings die eigene
Mehrheitsfähigkeit der Union nachhaltig geschwächt werden. Was unterscheidet
die Schill-Partei von der extremen Rechten? Zunächst beschränkt sich diese
neue Partei im Wesentlichen auf ein Thema, die Innere Sicherheit. Dies wird
zwar in klassischer rechter Manier mit der Frage der Zuwanderung, der so
genannten »Ausländerkriminalität« verknüpft, der manifeste völkische
Nationalismus der extremen Rechten spielt hier aber bisher keine große
Rolle. Die Schill-Partei ist (noch?) nicht mit belasteten Personen des
rechtsextremen Spektrums durchsetzt, sondern repräsentiert mit ihren
Mitgliedern den konservativ-autoritären Teil des Hamburger Bürgertums,
weshalb Raschke und Tils als Kennzeichnung »rechtskonservativer
Populismus«66 vorschlagen. Entscheidend für den Erfolg in Hamburg war neben
der Themenwahl sicherlich der politische Stil, mit dem die Partei
aufgetreten ist. Populismus von rechts erweist sich seit einigen Jahren als
Erfolgsrezept, wie man an zahlreichen Wahlen im europäischen Ausland
beobachten kann. Mit der Schill-Partei hat eine solche Ausrichtung erstmals
auch in Deutschland einen beachtlichen Erfolg erzielt; Grund genug, sich der
Frage des Populismus und seiner Auswirkungen etwas genauer zu widmen.
1. Rechtspopulismus und die Probleme des etablierten Konservatismus67
»Konservativ sein, das heißt an der Spitze des Fortschritts zu marschieren.«
Diese von Franz Josef Strauß geprägte griffige Formulierung zeigt den
Anspruch des Konservatismus, wie er sich nach der traumatischen Erfahrung
des Faschismus herausgebildet hatte. Nicht das Bewahren und Festhalten an
tradierten Normen und Werten steht hier scheinbar im Mittelpunkt, sondern
der fortschrittsoptimistische Glaube an die Zukunft, der historisch
eigentlich eher der Linken zugeordnet war. Diese Aussöhnung mit der
kapitalistischen Modernisierung lässt sich für den Konservatismus in
Deutschland auf die Zwischenkriegszeit und die sich hier herausbildende so
genannte »Konservative Revolution« zurückführen, politisch hegemonial wird
sie jedoch erst in den fünfziger Jahren der Bundesrepublik. Der
»technokratische Konservatis29 mus« dieser Zeit knüpft mit seinen
Wortführern Helmut Schelsky, Hans Freyer und Arnold Gehlen an Elemente
dieser »Konservativen Revolution« an, ohne jedoch die durch den Faschismus
diskreditierten Versatzstücke dieser Ideologie – Nation, Volk, Kampf usw. –
zu übernehmen. Die Aussöhnung mit dem modernen Kapitalismus, der modernen
Technik, die nicht länger als seelenlos und kulturzerstörerisch gesehen
wird, ermöglicht dem Konservatismus einen Rollentausch mit der Linken, die
nach 1968 vielfach als fortschrittspessimistisch, maschinenstürmerisch und
rückwärtsgewandt erscheint. Dennoch erleidet der politische Konservatismus
in den sechziger Jahren eine Niederlage, die zu einer erneuten Modifizierung
und zur Herausbildung dessen führt, was dann als Neokonservatismus
bezeichnet wird. Für Großbritannien (Thatcherismus) und die USA
(Reaganomics) wird hierunter vor allem eine weitere Amalgamierung des
Konservatismus mit der neoliberalen Ideologie verstanden. Verbunden ist mit
dieser Wandlung aber auch eine Reideologisierung des Konservatismus, der
jetzt wieder stärker auf Werte wie Nation, Familie, homogene Gemeinschaft
setzt, ohne allerdings seine neoliberale Ausrichtung aufzugeben. So
umstritten innerhalb der Wissenschaft die neue Qualität der Globalisierung
ist – fest steht, dass sie eine enorme Beschleunigung der Auflösung
tradierter Formen mit sich gebracht hat, vom Arbeitsmarkt bis hinein in die
familiären und zwischenmenschlichen Beziehungen. Der von Richard Sennett
beschriebene flexible Mensch68 unterscheidet sich doch weitgehend von seinem
Vorgänger im fordistisch geprägten Kapitalismus. Individualisierung,
Flexibilisierung und die Auflösung tradierter Bindungen haben aber auch
Auswirkungen auf die ideologischen Kernbestandteile des Konservatismus. Die
Familie als schützenswerte Keimzelle des Staates, so etwa von der Union
immer wieder propagiert, entspricht immer weniger der Realität dieses
flexiblen Menschen, der seinen Arbeitsplatz ohne zu murren von Kiel nach
Passau verlegen, am Sonntag einsatzbereit sein und notfalls auch auf seinen
Urlaub verzichten soll. Geburtenrückgang, hohe Scheidungsrate, Zunahme der
Singlehaushalte – gegen alle diese Erscheinungen wenden sich konservative
Politiker, und doch ist es gerade die von ihnen vorangetriebene Politik, die
diese Erscheinungen hervorbringt. Der Rekurs auf die Nation als zentrale
Kategorie der Vergemeinschaftung hat auf konservativer Seite spätestens seit
den achtziger Jahren wieder Hochkonjunktur. Die Renationalisierung,
verbunden mit einem entlastenden Blick auf die deutsche Vergangenheit und
einem sich daraus ableitenden »Normalisierungsdiskurs «, prägt die
konservative politische Hegemonie seit dieser Zeit. Einhergehend mit diesem
wiederentdeckten nationalen Diskurs verschärfte sich die Ausgrenzung der im
Land lebenden Menschen ohne deutschen Pass, die jetzt als Gegenbild zur
homogenen Nation dienten. Schon 1986 wurde das Asylthema vom damaligen
Innenminister Zimmermann (CSU) zum Wahl30 kampfthema gemacht und in der
Vereinigungskrise 1992/93 wurde die funktionale Nutzung des rassistisch
unterlegten Asyldiskurses dann vollständig offenbar: Um die vorhandene
soziale Spaltung zwischen Ost und West zu überdecken, wurde von Seiten der
Politik mit tradierten Ein- und Ausschließungsmechanismen gearbeitet:
Während alle Deutschen, unabhängig von ihrer sozialen Lage, zur homogen
verstandenen Nation gerechnet wurden, galten die Flüchtlinge und
Asylsuchenden als nicht dazugehörig, als Gegenbild und als Grund für die
soziale Misere. Mit diesem Ein- und Ausschließungsdiskurs wurde von
politischer Seite an bereits vorhandene Stereotypen der Fremdwahrnehmung
angeknüpft, die somit nur noch aktiviert und verstärkt werden mussten. Der
Zusammenhang dieser rassistischen und auf Ausschließung gerichteten Politik
mit der sozialen Lage ist offensichtlich und lässt sich an weiteren
Beispielen verdeutlichen, so etwa beim sogenannten Anwerbestopp für
»Gastarbeiter« 1973 (Ölpreiskrise). Alle diese Beispiele belegen also
scheinbar eine konsequente Umsetzung rechter Ideologiemomente, und dennoch
sah sich gerade der etablierte Konservatismus der CDU/CSU massiven Vorwürfen
ausgesetzt, konservative Vorstellungen »verraten« zu haben und selbst der
allgemeinen Liberalisierung anheimgefallen zu sein. So wie sich die Familie
unter den realen Bedingungen des globalisierten Kapitalismus immer weiter
auflöst, so gefährdet diese Entwicklung auch den Bestand der vermeintlich
homogenen Nation. Multikulturalisierung, Amerikanisierung und ein damit
einhergehender allgemeiner Hedonismus sind bis heute das Feindbild
konservativer Intellektueller, und die Partei des Konservatismus, die Union,
wird für diese Entwicklungen verantwortlich gemacht. So ist es kein Wunder,
dass mit der Auflösung der tradierten Politikmuster bis 1989/ 90, in denen
die Blockkonfrontation die alles überlagernde Rolle spielte, sich eine neue
konservative Rechte nicht nur in Deutschland bemerkbar machte, die die
Umsetzung der Versprechen des re-ideologisierten Neokonservatismus
einforderte. Die Nouvelle Droite in Frankreich, die »Neue Rechte« in
Deutschland, mit Ablegern auch in Österreich, und vergleichbare
Entwicklungen in anderen europäischen Ländern setzten den etablierten
Konservatismus von rechts unter Druck. Ein Beleg hierfür ist die Etablierung
von Parteien, die rechts des tradierten Konservatismus anzusiedeln sind und
die verstärkt mit dem Stilelement des Populismus agieren. In Österreich,
Italien und Dänemark hat diese Entwicklung zur Ablösung der Linksregierungen
geführt und eine Zusammenarbeit von etabliertem Konservatismus und den
rechtspopulistischen Newcomern eröffnet. Es zeigt sich dabei ein Unterschied
zum etablierten Konservatismus vor allem im politischen Stil, im
öffentlichen Auftreten dieser neuen Parteien, der es ihnen weitaus besser
als den großen Volksparteien ermöglicht Wünsche, Ängste und Bedürfnisse der
Bevölkerung zum Ausdruck zu bringen und damit die alten Volksparteien in die
Defensive zu drängen.
31 2. Populistischer Stil – Modell auch für die CSU?
Die FPÖ gilt innerhalb der Forschung als das Paradebeispiel einer
rechtspopulistischen Partei und so werden viele Modelle der Theorie an
diesem Beispiel vorgeführt. Für den erfolgreichen Aufstieg der FPÖ wird vor
allem ihre Fähigkeit zur ständigen Mobilisierung ganz heterogener
Wählerklientele angeführt. Verbunden damit ist ein spezifischer politischer
Stil, der, zusammen mit der inhaltlichen Ausrichtung, als Rechtspopulismus
bezeichnet wird. Der Sprachwissenschaftler Martin Reisigl benennt einige
Elemente dieses populistischen Stils: 1. Schwarz-weiß-Bilder und
Freund-Feind-Verhältnisse, 2. Komplexitätsreduktion, einfache
Lösungsangebote, 3. Froschperspektivierung, d. h. sich selbst als nicht
dazugehörig, als Stimme der Ausgeschlossenen betrachten, 4.
Emotionalisierung, 5. kalkulierte Ambivalenzen, scheinbar unvereinbare
Botschaften werden ausgesandt, 6. Verheißungen durch charismatische
Führungspersönlichkeiten.69 Der FPÖ ist es mit diesem Politikstil und ihren
damit verbundenen Inhalten gelungen, zur Regierungspartei zu werden und
gänzlich unterschiedliche Wählergruppen einzubinden. So findet man bei ihr
neben einer betont neoliberalen wirtschaftspolitische Ausrichtung eine
starke Orientierung an den Sorgen und Nöten der unteren Schichten, denen als
Lösungsangebot Nationalismus und Ausschluss der »Fremden« angeboten wird.
Soziale Frage und neoliberale Wirtschaftspolitik stehen dabei neben- und
gegeneinander: Die Ethnisierung der sozialen Frage ist hier eine
entscheidende Entwicklung, die nicht nur auf Österreich beschränkt ist. Die
FPÖ ist mittlerweile die stärkste Arbeiterpartei und nimmt bei den
Selbstständigen den zweiten Platz ein. Die Distanzierung vom etablierten
Politikbetrieb, der als korrupt, verkommen und ohne Blick für die Sorgen der
einfachen Leute dargestellt wird, ist ein weiteres entscheidendes Element.
Hiermit gelang es der FPÖ, sich selbst als außerhalb der etablierten Politik
stehend auszugeben und der sich ausgeschlossen fühlenden Bevölkerung
scheinbar (»wir hier unten – die da oben«) eine Stimme zu geben. Einige
dieser Elemente lassen sich auch im deutschen Parteienspektrum finden, so
bei der Schill-Partei70, aber auch bei der CSU. Wenn Jörg Haider behauptet,
Stoiber sei »nur eine Kopie der FPÖ-Politik« und alles was er, Haider,
mache, kündige Stoiber »mit drei Wochen Verzögerung in Deutschland an«71,
dann ist das sicherlich eine Übertreibung. Der wahre Kern liegt aber in der
Anwendung ähnlicher stilistischer Mittel, die eigene Politik zu vertreten.
So ist es unter den etablierten Parteien vor allem die CSU, die einen Hang
zum Populismus hat. Die Unterschriftenaktion zur Verhinderung der doppelten
Staatsbürgerschaft wurde maßgeblich von Stoiber vorangetrieben. Obwohl die
Union sonst nicht gerade als Verfechterin der plebiszitären Demokratie
bekannt ist, wurde hier »die Straße« mobilisiert, weil man sich vom
emotionalisierten Thema Erfolg versprach. Der Appell an vorhandene Ängste 32
(Fremd im eigenen Land), die Artikulation deutlicher Feindbilder (kriminelle
Ausländer) sind typische Merkmale solcher populistischen Diskurse. Zudem
gelingt es der CSU seit Jahren, sich selbst als Anwalt der
Nichtdazugehörigen zu inszenieren. Profitierend vom ausgeprägten bayrischen
Sonderbewußtsein wird hier ein Gegensatz zum Rest der Republik eröffnet, der
dem gängigen Muster des »wir« gegen »die da« entspricht. Obwohl über
sechzehn Jahre neben Helmut Kohl und der CDU an der Regierung beteiligt,
kann die CSU und besonders Stoiber als ihr bayrischer Repräsentant die Rolle
des Kämpfers gegen die abgehobene Politik in Berlin übernehmen. Mit
bewusster Volkstümlichkeit und einer (stärker noch unter Strauß) Sprache,
bei der dem »Volk aufs Maul geschaut« wird (»Mir san mir«), soll diese
Verbundenheit noch unterstrichen werden. Auch inhaltlich gelingt es der CSU
besser als etwa der CDU, ganz unterschiedliche Gruppen und Bedürfnisse zu
integrieren: Mit »Laptop und Lederhose« lässt sich in Bayern regieren, womit
die Spannbreite zwischen modernem Wirtschaftsstandort und heimatverbundener
Idylle, neoliberaler Flexibilisierung und sozialer Einbindung umrissen ist.
In dieser Spannweite sieht Angela Merkel das »Geheimnis der CSU«, das darin
liege, »dass sie Positionen von weit rechts bis zu denen von Oskar
Lafontaine vertritt – und keiner nimmt es ihr übel.«72 Ein Erfolgsmerkmal
des rechten Populismus ist es, dass er es schafft, den von der
Sozialdemokratie geräumten Platz beim klassischen Arbeiterklientel zu
übernehmen. Hat diese die soziale Frage als Identitätsmerkmal abgelegt, so
wird sie vom rechten Populismus auf spezifische Weise beantwortet: Die
Ethnisierung der sozialen Frage, d. h. der Ausschluss von denen, die als
fremd gelten, ist hier allzu oft die Lösung. Im Meinungstrend vom Februar
2002 lag Stoiber im direkten Vergleich mit Schröder nur bei den Arbeitern
vorn (48 : 43). Diese Klaviatur des Populismus kann die CSU vor allem wegen
ihrer unangefochtenen Stellung in Bayern und der damit verbundenen Ferne von
Berlin spielen. Für einen Kanzlerkandidaten Stoiber ist das, wie schon jetzt
deutlich wurde, nicht mehr so leicht. Das Charisma des Populismus verliert
im Lichte mühsamer Realpolitik schnell seinen Glanz. Das zeigt sich an der
regierenden FPÖ in Österreich, aber auch schon beim Kandidaten Stoiber.
Dennoch ist die Versuchung für eine Partei wie die CSU groß, diese Klaviatur
weiter zu bedienen. Das Problem der gesamten Union dabei ist, dass auch der
politische Gegner dieses Spiel beherrscht und zur Anwendung bringt. Sich
rechts der Sozialdemokratie mit ihrem Innenminister Schily zu positionieren
bedeutet die Gefahr, die »Mitte« zu verlieren. Ein Partner wie Schill, der
auf diese »Mitte« nicht angewiesen ist, würde bei sich bietender Gelegenheit
sicher nicht zurückgewiesen. 33
3. Wo steht die Mitte?
»Die Mitte ist rechts von links«, mit diesem Bonmot hat die CDU-Vorsitzende
Angela Merkel die Union zur natürlichen Vertreterin der politischen Mitte
machen wollen.73 Kontern ließe sich mit der Feststellung »Die
Sozialdemokratie ist rechts von links.« Die Unterschiede der beiden großen
Volksparteien der Bundesrepublik haben sich vor allem seit der neoliberalen
Wende der Sozialdemokratie weitgehend verwischt. Bei überwiegender
inhaltlicher Identität wird um das gleiche politische Klientel gerungen,
eben die Mitte. Wo aber ist diese Mitte? Albrecht von Lucke sagt dazu in den
Blättern für deutsche und internationale Politik: »Die neueste Mitte steht
rechts.«74 Die Tendenzen der letzten Wahlen, von Hessen 1999 bis Hamburg
2001, sei eindeutig gewesen: »Von einer liberalen Mitte kann schwerlich die
Rede sein, die neueste Mitte – der so genannte Bürgerblock – steht ziemlich
weit rechts. Ein rechts-populistischer Ruck dürfte also mit den Wahlen 2002
durchs Land gehen.«75 Wer von diesem Ruck profitiert, ist nicht eindeutig,
denn die Union hat, trotz Stoiber, das Monopol auf rechts verloren. Noch
einmal von Lucke: »Im Zweifel hat sich die bundesrepublikanische Bevölkerung
als durch Populismus verführbar erwiesen. Die Wahl von 1998 machte da keine
Ausnahme. Sie wurde auch mit dem Slogan: ›Kriminelle Ausländer gehören raus
und zwar sofort‹ gewonnen.«76 Überspitzt könnte man sagen, dass inzwischen
auch bundesweit eine Partei rechts der Union demokratisch legitimiert ist –
die Sozialdemokratie. Dies stimmt natürlich so nicht, verdeutlicht aber den
Rechtsruck der Mitte. Den Hauptanteil an dieser Verschiebung haben die
Parteien der Union, die hier seit den achtziger Jahren am Werk waren. Was
wäre also von einer Regierung unter Führung von Stoiber zu erwarten? Kein
Bruch, sondern eine Fortsetzung des eingeschlagenen Weges: Eine neue
Zuwanderungsregel würde semantisch stärker als Zuwanderungs-Begrenzungsregel
verkauft, die Ethnisierung der sozialen Frage damit auch weiter perpetuiert.
In Fragen der Inneren Sicherheit würde der Kurs von Schily verstärkt
fortgesetzt, womit eine weitere Preisgabe demokratischer Rechte verbunden
wäre. Gerade Bayern hat, etwa beim Demonstrationsrecht, ein sehr laxes
Verhältnis zu verbrieften Rechten. Die Verknüpfung von Kriminalität und
Ausländern, die beschleunigte Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern, die
Orientierung am völkischen Verständnis der Nation – all dies gehört zum
Kernbestand der Union. Eine im Wesentlichen neoliberale Wirtschaftspolitik
bei schnellerem Abbau sozialer Sicherungssysteme und eine Kontinuität in der
Außenpolitik wären weiter zu erwarten. Wenig Neues also? Die Affinität zu
den Themen der extremen Rechten ist heute nicht allein auf die Union
beschränkt. Wie aber die Vergangenheit und auch die hier aufgeführten
Beispiele gezeigt haben, versteht es die Union sehr viel besser, diese
Themen auch in ihre eigene Politik einzubinden. Der Widerstand innerhalb der
Union gegen rechte Töne, etwa bei der Kampagne gegen die doppelte 34
Staatsbürgerschaft oder bei der Diskussion um die Zuwanderung, ist weitaus
geringer als innerhalb der Sozialdemokratie. Auch hat die Union immer wieder
bewiesen, dass sie zur Absicherung eigener Mehrheiten bereit ist, diese
Themen und die mit ihnen verbundene Ausgrenzung bedenkenlos einzusetzen.
Wichtige Unionspolitiker, die sicher auch in einer Regierung Stoiber eine
Rolle spielen würden, sind auf dem rechten Flügel der Partei einzuordnen,
stehen also auch für die aktive Indienstnahme dieser Themen: so etwa Roland
Koch, Jörg Schönbohm, Günther Beckstein. Um einer weiteren
Rechtsverschiebung der Bundesrepublik vorzubeugen, wäre die Verhinderung
einer Regierung Stoiber wichtig, eine Garantie ist auch das nicht. 35
Quellen
1 Vgl. Edmund Stoiber/Friedrich Kabermann: Das Maß der Dinge. Über die
Kunst,
das politisch Notwendige zu tun, München 2002, S. 37.
2 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. 2. 2002.
3 Vgl. Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik
und
die NS-Vergangenheit, München 1997 (2. Auflage).
4 Vgl. zu diesen Punkten im Einzelnen: ebd.
5 Beide Zitat nach Helmut Dubiel: Niemand ist frei von der Geschichte.
Die nationalsozialistische Herrschaft in den Debatten des Deutschen
Bundestages,
München/Wien 1999, S. 43.
6 Zu Oberländer und Globke vgl. Georg Fülberth: Berlin – Bonn – Berlin.
Deutsche
Geschichte seit 1945, Köln 1999, S. 56 und 101.
7 Vgl. dazu Frank Bösch: Integration oder Isolierung. Die Unionsparteien und
der
rechte Rand, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 8/2001.
Bösch weist
darauf hin, dass es in niedersächsischen Kommunen sehr wohl Absprachen
zwischen
CDU und SRP gegeben habe.
8 Zur NPD der damalige Zeit vergleiche grundlegend Reinhard Kühnl: Die NPD.
Struktur, Ideologie und Funktion einer neofaschistischen Partei, Frankfurt
a. M. 1966.
9 Vgl. hierzu Bösch: Integration und Isolierung, S. 957 ff.
10 Zitiert nach Reinhard Kühnl: Gefahr von rechts? Vergangenheit und
Gegenwart
der extremen Rechten, Heilbronn 1990, S. 72.
11 Zitiert nach ebd.
12 Zitiert nach ebd.
13 Vgl. zu den unterschiedlichen Ausrichtungen dieser Parteien Reinhard
Kühnl /
Gerd Wiegel u.a.: Die extreme Rechte in Europa. Zur neueren Entwicklung in
Deutschland,
Österreich, Frankreich und Italien, Heilbronn 1998, S. 90 ff.; vgl. auch
Herbert
Schui u.a.: Wollt ihr den totalen Markt? Der Neoliberalismus und die extreme
Rechte,
München 1997.
14 Vgl. hierzu ausführlicher Kap. 2.
15 Vgl. zum Beispiel Bremen Christoph Butterwegge/Birgit Griese /Coerw
Krüger /
Lüder Meier/Gunther Niermann: Rechtsextremisten in Parlamenten.
Forschungsstand,
Fallstudien, Gegenstrategien, Opladen 1997.
16 Alle Belege der Zitate siehe ebd., S. 109.
17 Zitiert nach ebd., S. 215.
18 Ebd., S. 136.
19 Hans-Gerd Jaschke: Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Begriffe,
Positionen, Praxisfelder, Opladen 1994, S. 96.
20 Vgl. Wolfgang Benz (Hg.): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik.
Voraussetzungen,
Zusammenhänge, Wirkungen, Frankfurt a. M. 1989; Christoph Butterwegge:
Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt. Erklärungsmodelle in der
Diskussion,
Darmstadt 1996; Willibald I. Holzer: Rechtsextremismus. Konturen,
Definitionsmerkmale
und Erklärungsansätze, in: Dokumentationsarchiv des Österreichischen
Widerstandes
(Hg.): Handbuch des Österreichischen Rechtsextremismus, Wien 1994.
21 Junge Freiheit, 18. 1. 2002 (Interview mit Norbert Geis).
22 Vgl. Frankfurter Rundschau, 25. 3. 02.
23 Alle Überschriften zitiert nach Kühnl: Gefahr von rechts?, S. 168.
24 Auch innerhalb der Sozialdemokratie finden sich im Laufe der neunziger
Jahre
immer stärkere Anleihen beim Diskurs der extremen Rechten, und verbale
Ausfälle
36
gegen Migrantinnen und Migranten. Da es hier jedoch um die Unionsparteien
geht,
beschränkt sich die Darstellung auf diese.
25 Jaschke: Rechtsextremismus, S. 97.
26 Vgl. Der Spiegel, 2/2002, S. 28.
27 Alle Zitate aus taz, 26. / 27. 8. 2000.
28 Zitiert nach ebd.
29 Zitiert nach ebd.
30 Vgl. Junge Freiheit, 18.1. 2002.
31 Vgl. Frankfurter Rundschau, 11. 3. 2002.
32 Vgl. hierzu Gerd Wiegel: Die Zukunft der Vergangenheit. Konservativer
Geschichtsdiskurs und kulturelle Hegemonie, Köln 2001.
33 Zitiert nach Andreas Klärner: Aufstand des Ressentiments.
Einwanderungsdiskurs,
völkischer Nationalismus und die Kampagne der CDU/CSU gegen die doppelte
Staatsbürgerschaft, Köln 2000, S. 90.
34 Vgl. ebd.
35 Zitiert nach ebd., S. 99.
36 Zitiert nach ebd., S. 84.
37 Vgl. Frankfurter Rundschau, 2.10. 2001.
38 Vgl. Klärner, S. 84.
39 Zitiert nach ebd., S. 97.
40 Vgl. hierzu generell Dietrich Heither/Gerd Wiegel: Die Stolzdeutschen.
Von Mordspatrioten, Herrenreitern und ihrer Leitkultur, Köln 2001.
41 Vgl. Jörg Schönbohm: Unter dem Dach einer nationalen Kultur, in:
Die politische Meinung, Nr. 374 ( Januar 2001).
42 Ebd., S. 6.
43 Ebd.
44 Ebd.
45 Vgl. Junge Freiheit, 4.1. 2002.
46 Vgl. Gerd Wiegel: Verordneter Antifaschismus? Zur aktuellen Debatte um
die
extreme Rechte, in: Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung, Nr. 44 (Dezember
2000).
47 Michael Mertes: Das pathologisch gute Gewissen. Der Kampf um kulturelle
Hegemonie zielt auf Erwerb und Sicherung von Macht, in: Die politische
Meinung,
Nr. 374 ( Januar 2001), S. 35.
48 Vgl. Eckhard Jesse: Mit links gegen rechts? In: Frankfurter Allgemeine
Zeitung,
26.10. 2000. Der von Jesse vertretene Totalitarismus- und Extremismusansatz
ist
strukturell unfähig, die entscheidenden Differenzen zwischen rechts und
links wahrzunehmen,
da es hierbei um keine inhaltliche, sondern eine rein formale Analyse geht.
49 Roland Koch: Den Kampf gegen den Extremismus politisch führen, in:
Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 26.10. 2000.
50 Wolfgang Schäuble: Und der Zukunft zugewandt, München 1995
(Taschenbuchausgabe),
S. 116.
51 Stoiber/Kabermann: Das Maß der Dinge, S. 149.
52 Vgl. zu diesen skandalträchtigen Äußerungen von Geis Süddeutsche Zeitung,
2. / 3. 2. 2002.
53 »Von Zuwanderung profitiert vor allem der Migrant, nicht der Staat.«
Was der Bielefelder Bevölkerungsforscher Herwig Brig im Auftrag des Landes
Bayern
herausgefunden hat, in: Frankfurter Rundschau, 18.1. 2002.
37
54 Ebd.
55 Ebd.
56 Vgl. Josef Schmid: Die demografische Entwicklung in Deutschland – soziale
Folgen
und politische Steuerung, in: Politische Studien, Heft 377 (Mai /Juni 2001).
57 Ebd.
58 Vgl. dazu ausführlich Wiegel: Zukunft.
59 Bayernkurier, 22. 2.1997; vgl. auch Wiegel: Zukunft, S. 193 ff.
60 Friedbert Pflüger: Deutschland driftet. Die Konservative Revolution
entdeckt
ihre Kinder, Düsseldorf /Wien/New York/Moskau 1994.
61 Ebd., S. 177.
62 Beide Zitate ebd., S. 178.
63 Vgl. Frankfurter Rundschau, 21.1. 2002.
64 Joachim Raschke/Ralf Tils: Die CSU des Nordens. Was Roland Schill für den
Rechtspopulismus bedeutet, in: Frankfurter Rundschau, 5.1. 2002.
65 Junge Freiheit, 4.1. 2002.
66 Raschke /Tils in Frankfurter Rundschau, 5.1. 2002.
67 Vgl. zum Folgenden generell Gerd Wiegel: Völkischer Neoliberalismus.
Vom populistischen Spagat einer modernisierten Rechten, in: Heither /Wiegel:
Die Stolzdeutschen.
68 Richard Sennett: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus,
Berlin 1998.
69 Vgl. zu dieser nicht vollständigen Liste Martin Reisigl: »Dem Volk aufs
Maul
schauen, nach dem Mund reden und Angst und Bange machen.« Von populistischen
Anrufungen, Anbiederungen und Agitationsweisen in der Sprache
österreichischer
PolitikerInnen, in: Wolfgang Eismann (Hg.): Rechtspopulismus.
Österreichische
Krankheit oder europäische Normalität?, Wien 2002, S. 166 ff.; vgl. auch
Sebastian
Reinfeldt: Nicht-wir und Die-da. Studien zum rechten Populismus, Wien 1994.
70 Vgl. Raschke/Tils und Meinhard Meuche-Märker: Ein politisches Beben
verändert
die Stadt – bald auch die Republik? Gedanken zum Aufstieg der Schill-Partei,
Hamburger Skripte 2, Hrsg. Rosa-Luxemburg-Bildungswerk e.V., o.J.
71 Der Spiegel, 3/2002, S. 31.
72 Ebd.
73 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. 2. 2002.
74 Albrecht von Lucke: Die neueste Mitte steht rechts, in: Blätter für
deutsche
und internationale Politik, 2 /2002.
75 Ebd., S. 138 f.
76 Ebd., S. 139.
38
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Notizen Herausgeberin: PDS Bundestagsfraktion, Platz der Republik, 11011
Berlin
Kontakt: Telefon 030 / 22 75 56 75, Telefax 030 / 22 75 65 43 E-Mail:
paetzolt@pds-im-bundestag.de www.pds-im-bundestag.de Autor: Dr. Gerd Wiegel,
Universität Marburg Redaktion: Dr. Harald Pätzolt Redaktionsschluss: 27.
März 2002 V. i.S.d.P.: Rolf Kutzmutz (MdB)
hagalil.com
10-11-2003 |