Hohmann und der Antisemitismus in den deutschen Medien:
Der nächste Hohmann kommt bestimmt
Von Burkhard Schröder
Erschienen bei: Telepolis,
06.11.2003
Eins ist unstrittig: Der CDU-Abgeordnete Martin Hohmann
ist ein Antisemit. Man darf ihn so nennen, ohne dass er juristisch dagegen
vorgehen könnte. Hohmann selbst würde sich aber nicht so bezeichnen. Er hat
es nicht so gemeint, wie alle Antisemiten, die glauben, sie seien keine
Neonazis, sondern Demokraten. Das spielt keine Rolle. Ein Antisemit kann
Kommunist, liberal oder ein politischer Rechtsaußen sein: die Textbausteine,
die jahrhundertealte Klischees bedienen, sind immer die gleichen, zwar nicht
unbedingt Leit-, aber doch Teil deutscher Kultur.
Die Affäre um einen CDU-Politiker, der von Juden im
allgemeinen als "Tätervolk" spricht, ist ein deutsches Lehrstück: es
beweist, dass der Diskurs in den Medien Meinungen nicht ändert, sondern
vorhandene politische Einstellungen nur verstärkt - bei allen Beteiligten.
Die einen - wie die Taz - folgern: Antisemitismus komme in allen Schichten
und Milieus der Gesellschaft vor, im Bundestag wie bei Skinheads. Man kann
das Phänomen "Rechtsextremismus" nennen, muss aber nicht. Die anderen fassen
ihre dumpfen Emotionen in dem Satz zusammen: "Ich habe nichts gegen Juden,
aber man wird doch noch sagen dürfen ..." Und, wie auch Hohmann: "Es war und
ist nicht meine Absicht, Gefühle zu verletzen." Wir sind nach Hohmann so
klug wie vor Hohmann.
Worum es jetzt im Diskurs geht, lässt sich mit der Frage
umschreiben: Was könnte bei einer kontroversen gesellschaftlichen Diskussion
über antisemitische Parolen als Fazit herauskommen? Die Antwort ist einfach:
nichts. Oder nicht viel. Oder nicht mehr, als schon vor zwanzig Jahren zum
Thema gesagt worden ist. Antisemiten haben wenig Fantasie. Die These, Juden
seien ganz besonders oft bolschewistische Kader, unterscheidet sich
qualitativ nicht vom antijüdischen Vorurteil des christlich geprägten
Mittelalters, "die Juden" schändeten Hostien.
Verbindendes Element des Bolschewismus und des
Nationalsozialismus war also die religionsfeindliche Ausrichtung und die
Gottlosigkeit.
Zitat aus der
Rede von MdB
Martin Hohmann zum Nationalfeiertag.
Dass die Juden "gottlos" seien, behauptete schon Kaiser Theodosius im Jahre
388.
Auch nicht neu ist, dass die Medien vom Antisemitismus
immer wieder überrascht zu sein scheinen. Die Zeit bemüht den Komparativ und
spricht von einer "neuen Qualität in der langen Reihe antisemitischer
Ausrutscher deutscher Politiker." Bisher habe es sich um "dumpfe Klischees
und Affekte" gehandelt, die im "Vor- oder Unbewussten des Sprechers
gespeichert waren."
"Neu" sei, dass Hohmann absichtlich auf "antijüdische
Geschichtsmythen" zurückgegriffen habe. Das ist eine gewagte These: Wie
kamen denn die Klischees und Affekte in die Köpfe hinein, aus denen sie
angeblich mehr oder minder zufällig bei bestimmten Gelegenheiten
hervorquollen? Kühn ist auch die psychologisierende Behauptung,
antisemitische Vorurteile seien eine Art emotionale Konstante, die dem
Deutschen an sich als natürliche emotionale Ausstattung zu eigen seien und
seinem Ich "unbewusst" entschlüpfen könnten, ohne dass er das wirklich
wolle. Dem entspricht die merkwürdige Idee, jemand könne sich für
antisemitische Tiraden im nachhinein entschuldigen oder sich von ihnen
distanzieren, als habe er sich nur nicht genug beherrscht, als sei ihm nur
die Hand "ausgerutscht."
Übrigens - und das haben alle deutschen Medien offenbar
übersehen: Eine Kritik der Rede Hohmanns
fand sich zuallererst auf dem größten jüdischen Online-Portal hagalil.com -
geschrieben von der in Tel Aviv lebenden Journalistin Andrea Livnat
(Telepolis hatte den Artikel übernommen: "Gerechtigkeit für Deutschland").
Und es brauchte eine ganz Weile, bis sich der Mainstream der
Berichterstattung vom "vermeintlichen" Antisemitismus Hohmanns dazu
durchgerungen hatte, die Angelegenheit beim Namen zu nennen. Die deutsche
Öffentlichkeit pflegt weniger die Kontroverse statt vielmehr den
moralisierenden Schulterschluss: Alle wollen von nichts gewusst haben,
obwohl das Hohmannsche Weltbild unstrittig weder ein Einzelfall ist, noch
zum ersten Mail in dieser Hinsicht einschlägig auffällt.
Der moderne Antisemitismus
Was lehrt uns das? Der nächste Hohmann kommt bestimmt wie
das christliche Amen in der Kirche. Kulturpessimistische Komparative, er
werde immer alles schlimmer, die Antisemiten und andere "Rechtsextremisten"
immer dreister, sind aber auch fehl am Platz. Man sollte das "Positive"
antisemitischer Ressentiments betonen, die entlastende Funktion, die
schlichte Aussage, die hinter den verquasten sprachlichen Klischees steckt:
Je mehr Schuld die Juden haben, um so weniger Schuld haben die Deutschen.
Das ist das eigentliche Anliegen des Antisemitismus nach 1945.
Der moderne Antisemitismus, der sich als solcher nicht
direkt zu outen wagt, ist ein politisches Versprechen, die deutsche Nation
neu definieren, die lästige Vergangenheit zu den Akten legen zu können. Der
mediale Diskurs, einzelne Vertreter zu entlarven und sie sozial zu
marginalisieren, hat einen kathartischen Effekt: Er enthebt die Mehrheit von
der irritierenden Pflicht, sich über die Ursachen des Antisemitismus in
Europa Gedanken machen zu müssen. Die sind nicht zwischen den Jahren 1933
und 1945 zu finden.
Der Sturm medialer Entrüstung über jemand, der unstrittig
das ausgesprochen hat, was viele nur zu denken wagen, passt zur Entsorgung
deutscher Geschichte in Form großflächiger Gedenkstätten. Die empörte
Attitüde, jemand habe etwas gesagt, was sich nicht geziemt, und müsse dafür
abgestraft werden, bleibt letztlich folgenlos, weil sie vom eigentlichen
Problem ablenkt: Kann man sich auf die deutsche Nation nach der Shoah
überhaupt positiv beziehen?
[FORUM]
hagalil.com
09-11-2003 |