Oberbayerischer Kulturpreis 2003:
Auszeichnung für Imo Moszkowicz
Der Regisseur und Autor Imo Moszkowicz hat gemeinsam mit
Prof. Hellmuth Matiasek, Präsident der Bayerischen Theaterakademie, den
Oberbayerischen Kulturpreis 2003 erhalten. Die höchste Auszeichnung des
Bezirks Oberbayern auf
kulturellem Gebiet ist mit je 5.200 Euro dotiert. Bezirkstagspräsident Franz
Jungwirth überreichte sie im Rahmen der Oberbayerischen Kulturtage und
Jugendkulturtage am 27. September.
Imo
Moszkowicz wurde unter anderem als Leiter der Kreuzgangspiele in
Feuchtwangen bekannt. 1925 in Ahlen geboren, wurde er 1942 mit der Familie
nach Auschwitz verschleppt, wo seine Mutter und die sechs Geschwister
ermordet wurden. Seine Bühnenkarriere begann 1945 bei der Jungen Bühne
Warendorf, anschließend kam er als Regieassistent zu Gustav Gründgens und
Fritz Kortner. Moszkowicz inszenierte über hundert Aufführungen an
bedeutenden Theatern im deutschsprachigen Raum, außerdem in Santiago de
Chile, Sao Paolo und Tel Aviv. Mehr als 200 Fernsehfilme entstanden unter
seiner Regie. Imo Moszkowicz lebt seit über 30 Jahren in Ottobrunn, wo er
vor einigen Jahren das "Podium des Wortes" gründete, das mit Schauspielern
aus Bayern Lesungen veranstaltet.
Die Laudatio für Imo Moszkowicz hielt der Schauspieler Hans Clarin:
"Die Mutter Polin, der Vater Russe, Soldat, dann
Kriegsgefangener, im deutschen Bergwerk arbeitender, in einer Zeche bei
Ahlen bis zum Ende des Krieges 1918.
Der Gefangene will nicht in das kommunistische Russland zurück, holt seine
Familie, die polnische Frau und zwei Kinder, Rosa und Moses, nach Ahlen,
arbeitet als Schuster und zeugt weitere Kinder, darunter Imo. Sie leben, wie
Imo später schreibt, in schmerzender Armut in Baracken am Rande der Stadt.
Ausgegrenzte, Ausländer, Russkies - polnische, jüdische. Eine Mutter, die
weder lesen noch schreiben konnte, eine Analphabetin, die den Wert einer
Geldmünze durch Form und Metall unterschied. Ihre Unterschrift leistete sie
durch drei Kreuze. Der Vater, wie gesagt, Schuhmacher, Schuster, dem, als
das Geschäft nicht mehr so gut lief, in der Ahlener Zechte, in der er dann
arbeitete, ein Stück vom Zeigefinger und ein paar Fingerkuppen abgefahren
wurden. Der zwar Jiddisch lesen und schreiben konnte, aber in Kyrillisch nur
seinen Namen zu schreiben in der Lage war. Eine ohnmächtige neunköpfige
Familie, ausgesetzt an den Rand der Stadt Ahlen, an den Rand der
Gesellschaft. Der Name dieser Großfamilie im Stande der Not und der Armut
war Moszkowicz. Fast unaussprechbar für deutsche Zungen, fast unschreibbar.
Die Kinder lernten, Deutsch zu sprechen. Sie wussten, nur eine gepflegte
Sprache und eine fehlerlose Schrift konnten sie aus dem Tief ihres Standes
und ihrer beklemmenden Situation herausretten, und nur so konnten sie dem
Spott und dem Hohn ihrer Mitschüler entkommen.
Der Vater Moszkowicz ahnte die kommende nächste Erniedrigung und setzte sich
nach Argentinien ab. Monate später hätte die Familie nachkommen können. So
waren die Spielregeln des Gastlandes. In Argentinien sammelten sich Juden,
Gegner der Nazizeit, von SS und Sa verfolgte, später dann auch verfolgte
Nazis und Sympathisanten, und bald war auch hier Missachtung und
Ausländerhass zu spüren.
In Deutschland, die Familie hatte die Koffer schon gepackt, um am 10.
November 1938 nach Südamerika zu fahren, wurden plötzlich Scheiben
eingeschlagen, jüdische Schulen geschlossen, Synagogen angezündet, Haustüren
aufgebrochen. Eine Horde von Wilden zerstörte, was zu zerstören war. Der
Schüler Imo Moszkowicz konnte die achte Klasse der Schule nicht mehr
besuchen.
Die Familie wurde der Stadt Ahlen verwiesen, fand noch einmal in Essen
Unterschlupf. Dann kamen die Viehwaggons. Die SS pferchte sie ein. Imo
Moszkowicz wurde getrennt von seiner Familie, getrennt von der Mutter und
den Geschwistern, 16 Jahre alt. Birkenau - Auschwitz. Arbeit im Steinbruch,
auf Baustellen, selektiert für Birkenau und die Gaskammer. Er überlebte. Die
Nummer 104998 überlebte. Die Mutter und die sechs Geschwister starben in
Auschwitz.
Der Krieg ist zu Ende. Das Kriegschaos wechselt in ein Nachkriegschaos.
Moszkowicz ist 20 Jahre alt.
Dies ist in fast peinlicher Kürzung die Vorgeschichte einer nun folgenden,
fast unglaublichen Karriere. Dieser polnisch-russisch-jüdische Einfachbub
lernte in der Ahlener Zeit perfekt Deutsch zu sprechen. So perfekt, dass er
daraus eine fast einsame Empfindsamkeit gegenüber der deutschen Sprache
entwickelte.
In seinem Buch "Der grauende Morgen", übrigens jeder Schule als
Geschichtslesestoff dringendst zu empfehlen, schreibt er, es sei sein
Vorsatz geworden, nachdem er die Schule nicht bis zum Ende besuchen konnte,
der deutschen Sprache in Wort und Schrift perfekt mächtig zu sein, die
Setzung der Kommata an der falschen Stelle müsse man entschuldigen. Er
beschäftigte sich mit Theaterstücken, sowohl als Schauspieler wie als
Regisseur. Zuerst in kleinsten Städten. In Ahlen und in Warendorf. ( Ich
habe erst beim Studium seiner Vita erfahren, dass Ahlen oder Warendorf je
ein Theater hatten. Für mich gab es da nur Reitställe und Springpferde.) Er
spielte in Warendorf mit 20 den alten König Thoas in der Iphigenie, färbte
sich mit Zahnpulver das Haar weiß und behauptete, ein Schauspieler zu sein.
Seine, wie er selber sagt, Sehnsucht nach Kultur, trieb ihn weiter. Von
Warendorf bis zu den Ruhrfestspielen nach Recklinghausen, wo er
Regieassistent von Gustaf Gründgens wurde, als der Franz Kafkas "Prozess"
inszenierte. Jetzt hieß es nicht mehr "Stahl für Kanonen", der neue Slogan
des Ruhrgebietes und der Festspiele in Recklinghausen war: "Kunst für
Kohle". Wir machen Kunst - und ihr zahlt mit Kohle. Er lernte neben
Gründgens, bei dem er weiter arbeitete und an dessen Theater er dann ging,
den gerade remigrierten großen Schauspieler Fritz Kortner kennen, der nun
selber Regie führte und Moszkowicz als Assistenten zu sich holte.
Zwischenzeitlich, wenn's dem Theater und ihm in Deutschland etwas schlechter
ging, inszenierte er in Buenos Aires und Sao Paolo. Zurück in Deutschland
wagte er sich mit großem Erfolg an große Opern und galt bald als einer der
bedeutendsten deutschsprachigen Regisseure.
Theaterspielen, als Schauspieler meine ich, habe ich ihn nie erlebt, aber
vielleicht war das auch gut so. In der Schweiz, in Österreich und in
Deutschland wird er in allen großen Schauspiel- und Opernhäusern hoch
geschätzt, immer dadurch verwirrend, dass er im Gegensatz zu anderen jungen
Regisseuren Werk- und Worttreue als oberstes Gebot seiner Arbeiten ansieht.
Eine in der Welt des Theaters und der Oper bis zum heutigen Tage nicht sehr
geschätzte Ansicht. Anwalt der Dichter und Verteidiger der Dichtkunst zu
sein, hat in der Ära des Polit-, Bildungs- und Erziehungstheaters keinen
guten Rang. Das bekam er oft genug zu spüren, hat ihn aber nicht daran
gehindert, seinen geraden Weg weiter zu gehen.
Die Erfindung des Fernsehens gab ihm neue Aufgaben. Er konnte sich nun,
neben den Klassikern am Theater, auch humorvollen Stücken zuwenden. Denken
Sie an "Die seltsamen Methoden des Franz Josef Wanninger" oder an "Graf
Yoster gibt sich die Ehre". Die Karriere nahm kein Ende. Heinz Rühmann holte
sich Imo Moszkowicz als Regisseur für "Max der Taschendieb" oder "Pater
Brown". In manchen Stücken hatte auch ich die Ehre. So in "Max der
Taschendieb" und "Der kleine Riese". Aber auch Tasso und Maria Stuart
inszenierte er fürs Fernsehen. Hunderte von Stücken für Film und Fernsehen,
und dazu immer wieder Theater.
Meine Eitelkeit verbietet es mir, zu verschweigen, dass Imo Moszkowicz und
ich als Pumuckl eine zwölfteilige Serie gedreht haben, nämlich "Pumuckls
Abenteuer". Dann kam es, wie es kommen musste, er wurde eine Zeit lang
Intendant. Er übernahm Gastprofessuren am Max-Reinhardt-Seminar in Wien, an
der Musikhochschule in Graz und am Mozarteum in Salzburg.
"Sehnsucht nach Kultur", schreibt er. Was ist Kultur? Eine Art zu essen, zu
leben, zu trinken, zu denken? Eine Geisteshaltung? Es gibt ja wohl
verschiedene Kulturen, getrennt durch Grenzen, Kulturen, die andere Formen
haben und andere Lebensgesetze. Also können wir sagen, Kultur ist
vielfältig, hat mit technischen und materiellen Dingen genau so viel zu tun
wie mit geistigen Bedürfnissen, ist abgegrenzt durch die Landschaft, das
Gebiet, das Land. Kultur ist das Geistige einer Bevölkerungsgruppe, die aber
ohne das Materielle nicht existent sein kann. Wenn er das meint, und ich
glaube, dass er die deutsche Kultur meint, nach der er sich sehnt, die er
nach Krieg und Nachkrieg erleben will, dann erhebt sich unser Preisträger in
ungeahnte Höhen.
Sehnsucht nach der Kultur, in der die Qual, der Mord zu Hause waren,
Sehnsucht nach der Kultur, die vorher war. Jahrhunderte lang. Friedliches
Zusammenleben zwischen Juden und Nichtjuden. Selbstverständliches
Zusammenleben. Nach der Qual und den Untaten wieder an das Deutschland zu
glauben, das es bis in die späten zwanziger Jahre gab. Das heißt verzeihen,
vergeben, nicht vergessen. Und das heißt für uns, beschämt zu danken. Auch
für das Vertrauen. Also: Der Kulturpreis zeichnet kulturelle Leistungen aus,
die in ihrer Praxis das Soziale innerhalb einer Volksgruppe fördert und
stärker macht durch die sittliche und geistige Leistung des zu Ehrenden.
Immer war Moszkowiczs Arbeit eine Suche nach Vollkommenheit und Ehrlichkeit.
Jeder Satz, den er in seine Finger bekam, wurde auf das Sensibelste
abgetastet nach Sinn und Wahrheit, nach Inhalt und Notwendigkeit.
Stundenlang kann er sich mit seinen Schauspielern beschäftigen, bis endlich
gemeinsam eine Lösung gefunden wird. Er respektiert, wie kaum ein anderer,
die Sprache, seine Sprache, die deutsche Sprache.
Moszkowicz erhielt für sein künstlerisches Gesamtwerk das große
Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland, er erhielt den
Bayerischen Staatspreis. Er wurde 1995 mit dem Bayerischen Fernsehpreis für
die beste Regie geehrt und er wurde mit dem renommierten Scopus-Award der
Hebräischen Universität Jerusalem ausgezeichnet.
Für die Qualen und Erniedrigungen in seinem Leben wird er keinen Orden
bekommen, denn es gibt keinen. Aber für viele unvergessliche Inszenierungen,
für seine schöpferische Energie, für seine sprachliche Eleganz, seine enorme
Bildung und für sein umfassendes Wissen, das er immer weiterzugeben bereit
war, dafür hat er alle Orden und Ehrungen verdient. Auch den Oberbayerischen
Kulturpreis."
Im Lit-Verlag erscheint in Kürze eine Neuauflage von
Autobiografie Imo Moszkowicz'
"Der
grauende Morgen"
Bestellen?
hagalil.com
14-10-2003 |