Elisa Klapheck fordert tolerante
Stadt:
Mädchen, die freiwillig Kopftuch
tragen, sind unsere Zukunft
Das
Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass muslimischen
Lehrerinnen das Unterrichten mit Kopftuch nur per Landesgesetz
untersagt werden kann. Innensenator Körting (SPD) will nun per
Gesetz das Kopftuch gleich aus dem gesamten öffentlichen Dienst
verbannen. Die jüdische Feministin Elisa Klapheck widerspricht dem
vehement.
Wollen wir eine weltoffene und
tolerante Stadt? Wenn nicht, dann soll Innensenator Körting sein
Gesetz durchziehen, nach dem die öffentlichen Institutionen -
darunter die Gerichtsbarkeit und das Schulwesen - tatsächlich nur
die Chimäre einer ethnisch homogenen Gesellschaft unter
ausschließlich christlicher Werte- und Kulturdominanz
repräsentieren.
Wie selbstverständlich christlich diese
Gesellschaft ist, zeigt sich allein daran, dass fast alle gesetzlich
freien Arbeitstage christliche Feste sind, während Juden und Muslime
für ihre Feiertage Urlaub nehmen müssen.
Wenn wir aber eine tolerante Stadt
wollen, dann muss ihre heterogene Realität auf allen Ebenen sichtbar
sein können - natürlich stets in den Grenzen der Demokratie und des
Grundgesetzes. Der Mönch, der in der Kutte Physik unterrichtet, der
orthodoxe Jude, auf dessen Feiertagskalender der Lehrplan Rücksicht
nimmt, oder die gläubige Muslima mit Haarbedeckung, die aufgrund
ihrer kulturell vielschichtigen Erfahrungswelt möglicherweise den
spannendsten Deutschunterricht überhaupt geben kann - dies alles
muss in einer offenen Gesellschaft möglich sein. Ich kann mir für
Kinder und Jugendliche eigentlich keine bessere Erziehung zur
gegenseitigen Anteilnahme vorstellen, als Begegnungen mit Vorbildern
und Respektspersonen, die mit ihrem eigenen Beispiel verkörpern,
dass es noch andere Lebenswelten gibt, als die, in der man
aufwächst. Die Grenze zwischen persönlicher Lebensführung und
religiöser oder politischer Indoktrination ist dabei definierbar,
und da soll es gesetzliche Bestimmungen geben, die Missbrauch
unterbinden.
Die Musliminnen im Berliner
trialogischen Projekt "Sarah-Hagar. Religion, Politik, Gender", in
dem ich engagiert bin, haben mir beigebracht, zu unterscheiden, dass
Kopftuch nicht gleich Kopftuch ist. In meinem Schöneberger Kiez sehe
ich heute Familien, in denen die eine Schwester die Haare bedeckt,
die andere nicht - beide haben sich individuell entschieden; ich
sehe Mädchen, die elegante Tücher kunstvoll um ihr Haar gewunden
haben, zugleich Jeans und hohe Absätze tragen. Ich sehe, dass das
Tuch für die einen Frauen religiöse Demut und auch Unterwerfung
symbolisiert, mitunter sogar Zeichen jenes radikalen politischen
Islam ist, vor dem sich der Westen mit Recht fürchtet und dem klare
Grenzen zu setzen sind. Doch ich sehe auch Frauen, die das Tuch mit
Stolz tragen und so demonstrieren, dass sie als gleichberechtigte
und emanzipierte Mitglieder dieser Gesellschaft nicht bereit sind,
auf ihre kulturelle und religiöse Herkunft zu verzichten.
Als bewusste deutsche Jüdin erkenne ich
in der jetzigen Kopftuchbatte viel von der alten Forderung an die
Juden im 19. und 20. Jahrhundert wieder, nach der sie nur dann
gleichwertige Bürger im deutschen Staat sein dürfen, wenn sie
jeglicher äußerer Zeichen ihres Judentums entsagen - wobei die
Mehrheitsgesellschaft natürlich weiterhin unhinterfragt ihre
christliche Werte- und Kulturdominanz ausüben darf. Als Feministin
erkenne ich jedoch noch andere Vergleichsmomente wieder. Ich war
schockiert, als ich von einer Muslima erfuhr, dass sie keine
Richterin werden kann, obwohl sie die deutsche Staatsbürgerschaft
hat, perfekt Deutsch spricht und mit glänzenden Noten ihr
(deutsches!) Jurastudium absolviert hat - weil sie das Tuch trägt.
Die subtil-arroganten Demütigungen, die sie seitens ihrer
KollegInnen erleben muss, erinnern mich stark an Erfahrungen der
ersten Juristinnen vor dem Ersten Weltkrieg, die damals mit den
fadenscheinigsten Begründungen nicht zu allen juristischen Berufen
zugelassen wurden.
Die muslimischen Mädchen, die sich -
wohl bemerkt freiwillig - für das Kopftuch entscheiden und ihren Weg
in diese Gesellschaft suchen - emanzipierte Bürgerinnen zu werden,
ohne ihre Herkunft zu verleugnen - haben meine volle Solidarität.
Wenn es uns um einen modernen und toleranten Islam in Berlin ernst
ist, sind genau diese Mädchen unsere Zukunft. Ich hoffe, dass eines
Tages möglichst viele von ihnen als Lehrerinnen einer nächsten
Generation vermitteln, dass Religion - auch der Islam - unter den
Bedingungen der Demokratie möglich und dass eine muslimische
Herkunft unter gleichberechtigten Bedingungen in Deutschland lebbar
ist.
Elisa Klapheck ist Chefredakteurin von jüdisches berlin
und Mitbegründerin von Bet
Debora
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haGalil onLine 27-10-2003
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