Zur Serie in Koha Ditore - Teil 2:
Die Albaner widersetzten sich den Anordnungen der
Nazibesatzung
Max Brym
Mit dieser Überschrift endete am 4.9.2003 eine Serie in
der albanischen Zeitschrift Koha Ditore (Tageszeitung - Erscheinungsort
Prishtina). Im Mittelpunkt der Berichterstattung stand die Rettung der Juden
in Albanien vor der nazististischen Schoah. Der Autor Ulk Lushi versuchte
der Frage nachzugehen, warum es ausgerechnet in Albanien nach dem zweiten
Weltkrieg mehr Juden gab, als vorher.
Am 2.9.03 untersuchte er die kulturellen und historischen
Hintergründe des Phänomens. In
seinem Artikel vom 3.9.03 befasst er sich mit der praktischen “Judenrettung“
in Albanien. Lassen wir nun Herrn Lushi teilweise selbst zu Wort kommen.
“Die Rettung der Juden begann vor dem zweiten Weltkrieg“
Ulk Lushi berichtet, dass ab 1933 zu den kleinen jüdischen Gemeinden in
Vlora und
Delvine Flüchtlinge aus dem nazistischen Deutschland stießen. “Die
meisten hatten keinerlei Einreiseprobleme, sie betrachteten Albanien als
Transitland, um in die Türkei, die USA oder nach Palästina zu gelangen.“ Ab
dem Jahr 1934 besuchten mehrere Vertreter zionistischer Organisationen
Albanien. Ihr Ziel war es, mit der albanischen Regierung einen konkreten
Vertrag abzuschließen.
Herr Lushi berichtet über einen Vertrag, “der zionistischen Exekutive mit
der albanischen Regierung aus dem Jahr 1935“. In dem Vertrag wurde
festgehalten: “Alle Juden aus Deutschland haben ein unbefristetes
Aufentaltsrecht in Albanien. Sie können Albanien jederzeit betreten und
verlassen.“ Ungefähr zweitausend Juden aus Deutschland und Österreich
benützten Albanien, um nach Palästina zu gelangen. Einige blieben auch und
schlossen sich den kleinen jüdischen Gemeinden in Vlora und Delvine an.
Im April 1939 wurde Albanien vom faschistischen Italien besetzt. Ende 1938
versuchte Italien das ökonomisch abhängige Albanien zu einer Änderung seiner
offenen Asylpolitik zu bewegen. “König Zogu machte einige Zugeständnisse und
setzte die Vereinbarung mit den jüdischen Organisationen teilweise außer
Kraft." Nach der Besetzung Albaniens durch Italien gab es zunächst keine
nachhaltigen Verfolgungsmaßnahmen gegen die Juden.
“Die Albaner widersetzten sich den nazistischen Befehlen“
Im Jahr 1943 besetzte das nazistische Deutschland
Albanien, “schlagartig änderte sich die Lage der Juden in Albanien“, bemerkt
Ulk Lushi in Koha Ditore am 4.9.03. Die Nazis verlangten von der
Kollaborationsregierung unter Mustafa Kruja eine Liste aller jüdischen
Menschen anzufertigen und deren Adressen zu nennen. Ohne besondere Energie
widmete sich die “Regierung“ dieser Aufgabe. Es konnte kein Jude
festgenommen und deportiert werden. Herr Lushi zitiert Frau Johanna Neumann,
die diese Zeit in Albanien erlebte. Frau Neumann erinnerte sich an diese
Zeit in “The Jewish Week“ ( erscheint in Washington) im Jahr 1999: “Die
Albaner, ob moslemisch, christlich oder kommunistisch, versteckten uns und
waren gastfreundlich. Ihr Verhalten erklärten sie immer mit ihrer nationalen
Tradition, den Gesetzen des Kanuns (alter Ehrenkodex). Sie wären bereit,
eher den Tod zu akzeptieren, als uns zu verraten. Ihr Gebot sei es, bei der
Verteidigung des Gastes persönliche Risiken zu übernehmen. Das sagten die
Leute uns immer, mit einem ehrlichen Lächeln und voller Überzeugung“.
Herr Lushi zitiert auch die deutsche Jüdin Irene Grünbaum, die von 1941 bis
1945 unter dem Pseudonym Fatima Nova als Bäuerin in Albanien den Nazismus
überlebte. Ihr Erfahrungsbericht deckt sich mit den Erinnerungen von Frau
Neumann. Die Juden, die in Albanien geboren wurden, betrachteten “Albanien
als ihr Vaterland und beteiligten sich am antifaschistischen Widerstand“, so
Ulk Lushi. Dabei fiel nur ein junges jüdisches Ehepaar im Kampf gegen den
Faschismus. Alle anderen Juden wurden gerettet. Diese Rettung, verdanken sie
natürlich auch der starken albanischen Partisanenarmee, unter Führung von
Enver Hoxha und Mehmed Shehu. Gegen Ende 1944 hatten die albanischen
Partisanenbrigaden annähernd siebzigtausend Menschen unter Waffen. Das war
bei einer Gesamtbevölkerungszahl von knapp 1.Million eine erstaunliche Zahl.
Letzteres erwähnt Ulk Lushi leider nicht.
Worum geht es Ulk Lushi
Diese Frage versucht er am Schluß seiner Artikelserie zu beantworten. Er
meint, es “geht darum, weitgehend unbekanntes aus unserer Geschichte
aufzuarbeiten und in der Welt bekannt zu machen“. Dies ist nach Lushi “erst
ab 1991, nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes möglich“. Es
geht laut Lushi darum, “aus unserer Geschichte für heute zu lernen“.
Offensichtlich meint Lushi damit, die bestehenden nationalen Spannungen in
Kosova/Kosovo.
Lushi spricht sich am Ende seines Artikels für gute Beziehungen mit dem
Staat Israel aus: “Die Basis dafür ist unsere traditionelle Ablehnung des
Antisemitismus“.
hagalil.com
2003-09-08 |