Staatsbürokratie:
Die Deutschen brauchen den Aufstand!
Ein Essay von Bernd Späth, Autor, Remagen
Frei nach Helmut Schmidt bedauert man zusehends, dass
die Deutschen niemals einer Revolution fähig waren, die der Mischung aus
bürokratischer Skrupellosigkeit, Anmaßung und Erbsenzählerei in unserem
Lande die Machtbasis entzogen hätte. – Statt dessen nehmen überall die
einschlägigen Erfahrungen exponential zu: kleinliche Kontrolle allerorten,
dreiste Bevormundung allerorten, offenkundige Respektlosigkeit gegenüber der
bürgerlichen Freiheit allerorten, ungeniertes Abgreifen allerorten. Die
Anständigen und Leistungswilligen im Land – und das ist nicht zuletzt der
Mittelstand – binden immer mehr Energien damit, Abwehrschlachten gegen die
Zumutungen der Staatsbürokratie zu führen, anstatt unbeschwert von
staatlichen Torpedierungen Leistung zu erbringen, Umsätze und damit auch
Jobs zu schaffen und Steuern zu zahlen. – Steuern, die uns längst ersticken.
Aber schlimmer noch: Es sind Steuern, mit denen wir
Deutschen uns einen riesigen Apparat finanzieren, der uns fast allerorten
schikaniert. – Die Bürokratie ist dabei, die Demokratie zu überwuchern wie
ein stinkender blauer Schimmelrasen. Da der Apparat weit außerhalb jeder
Vernunft dimensioniert ist, sucht er sich seine Beschäftigung. Da er
einfache Beschäftigung bevorzugt, schikaniert er die Anständigen, denn der
Unanständigen wird er nur selten Herr. Da die Anständigen sich kaum etwas
Ernsthaftes zu Schulden kommen lassen, muss der Apparat sich seine
Beschuldigungen konstruieren. Schließlich lebt niemand gerne umsonst.
Anfang 1997 erkrankte ich an einer schweren
Herzmuskelentzündung. Das ganze Jahr über kämpfte ich darum, am Leben zu
bleiben. Erst Mitte 1998 konnte ich – nach fast anderthalb Jahren
Arbeitsunfähigkeit – stundenweise meine Tätigkeit als Geschäftsführer meiner
Werbeagentur wieder aufnehmen. Wie ärztlich vorausgesagt, dauerte die
körperliche Erholung noch bis ca. Ende 2001, von den massiven psychischen
Schäden einer derart traumatisierenden Erfahrung ganz zu schweigen.
Insgesamt eine barbarische, scheinbar nie mehr enden wollende Quälerei, -
satte Depressionen, manisch-depressive Entgleisungen, Panikattacken und
reihenweise Zusammenbrüche eingeschlossen. – Leicht zu verstehen, dass die
daraus resultierenden wirtschaftlichen Probleme nicht mehr zu bewältigen
waren. Im März 2002 stellte ich für meinen Laden den Insolvenzantrag, für
den dann im August das Verfahren mangels Masse nicht mehr eröffnet wurde.
Aus heutiger Sicht und rein unternehmerisch betrachtet,
kam der Schritt zu spät. Aber da meine Reha-Ärzte mich dringend davor
gewarnt hatten, eine zu frühzeitige Extrembelastung würde mir meinen
erneuten Zusammenbruch und damit auch mein endgültiges Ableben bescheren,
pumpte ich nochmals dreihunderttausend Mark in den Laden, die ich mir von
Freunden geliehen hatte, um ihn liquide zu halten. - Einfach nur um Zeit zu
gewinnen und um möglichst selbst am Leben zu bleiben.
Während ich 1997 flach lag, erwirtschafteten die
Mitarbeiter einen Verlust von etwa einem Drittel des Jahresumsatzes, trotz
gleicher Umsatzzahlen wie im gewinnbringenden Vorjahr. Drei machten sich
selbständig und nahmen – natürlich! - Kunden mit. Ein Kunde spielte mit
ihnen zusammen und (pardon!) beschiss uns um ein paar Hunderttausend Mark. –
Insgesamt eine ziemlich feine Situation, wenn man auf allen Vieren aus der
Klinik gekrochen kommt.
Trotzdem kein Anlass für Larmoyanz: Wirtschaft ist nun mal
so. Wer nicht funktioniert, der krepiert, wie anders soll es sonst auch
laufen. Klar dennoch, dass die Monate nach dem Insolvenzantrag reine
Horrormonate sind: Die Vorstellung, eine Insolvenz in Deutschland bereinige
alle Probleme und ermögliche einen möglichst zügigen Neuanfang, ist reine
Illusion. In Wirklichkeit regiert der Irrsinn: Krankenkassen zum Beispiel
prüfen den insolventen Laden nachträglich und stellen – kaum zu glauben! –
einen Rückzahlungsanspruch von € 204.— fest, die in den folgenden Monaten
aber nicht ausgezahlt werden können: Denn ich soll einen mehrseitigen Antrag
mit Unmengen blödsinniger Details ausfüllen, damit die kaputt gegangene
Agentur Geld zurück bekommt, das laut offiziellem LVA-Prüfbericht überzahlt
wurde. – Einfach was zurückgeben, so ganz ohne Antrag? Mitten in
Deutschland? Ja woher denn! Den Antrag fülle ich nicht aus. Nach sechs
Monaten ruft mich eine Mitarbeiterin der Krankenkasse an, ob der Betrag
nicht mit einer Beitragsforderung gegen mich verrechnet werden könne...? -
Na meinetwegen. Ja, ob ich dafür bittschön einen schriftlichen Antrag
stellen könnte?
Mahnbescheide an die insolvente Firma flattern mir
paketweise an die Privatadresse, trotz erfolgter Übersendung des
Gerichtsbeschlusses, der die Insolvenz feststellt. „Die müssen einfach ihre
Akten zukriegen“ sagt mir eine gute Freundin, die mich berät. „Und
vielleicht versäumst du ja mal eine Frist, dann können sie dir wenigstens
das Privathaus ausräumen.“ – Dennoch, es geht langsam wieder weiter. Die
Agentur- Neugründung auf den Namen der Ehefrau fasst Tritt, und einige alte
Kunden erweisen sich als bewegend fair und treu. Ende 2002 sage ich zu
meiner Frau: aus dem Schlimmsten sind wir langsam raus. Dann trudeln die
ersten Nachforderungen der Finanzämter ein, kunstvoll konstruierter
Bürokratenschwachsinn, mit dem einzigen Tenor: du warst schließlich
Geschäftsführer, also zahl mal schön!
Das soll mir mal einer zeigen, wie das geht: Ganze
Jahrgänge von Buchhaltungsakten, die ich nie zuvor gesehen habe, soll ich
auf einmal durchforsten, um irgendwelche Belege zu suchen, von denen ich
nicht einmal weiß, wie sie aussehen sollen. Nur um solche Forderungen
abzuwehren. Ich arbeite fünfzehn Stunden am Tag, trotzdem reicht es hinten
und vorne nicht. – Ich war der Kreative, der Konzeptioner, der Texter, der
Akquisiteur, - das Andere hatte ich delegiert. Machen die sich eigentlich
auch Gedanken darum, dass man gesundheitlich wieder auftanken muss? Dass man
nebenher noch Frau und Kind gefüttert kriegen muss? Dass es im Interesse des
Neubeginns dringend angeraten wäre, Umsätze zu machen? Neukunden zu
gewinnen, statt in Bürokratenscheiße zu wühlen? - - Irgendwann bist du,
erstmalig im Leben, am Punkt angelangt, wo du dir sagst: Lass die mit mir
machen, was sie wollen, ich habe keine Kraft mehr. Inzwischen frisst du
Betablocker, Anti-Arhythmika und Antidepressiva. Schlaftabletten und
Antazida für den Magen gehören eh zum Standardrepertoire, weil kein Mensch
diesen Druck aushält. – Interessiert kein Schwein. Wichtiger als die Frage,
ob du krepierst ist, ob du die Formulare ausfüllst und zahlst.
Und dann, out of the beautiful blue sky, kommt die
Krönung: Anfang Januar trudelt mir eine Vorladung der Staatsanwaltschaft
Bonn zur „verantwortlichen Vernehmung“ bei der Polizei Remagen ins Haus. Da
geht dir doch das Herz in die Knie: fast krepiert, wie ein Irrer gekämpft,
um wieder auf die Beine zu kommen, runde zweieinhalb Mio DM drüber verloren,
- und jetzt wollen sie dich auch noch einsperren? Geiler Staat ist das, so
baut man Mittelstand auf, echtes Kompliment! Der Polizeibeamte, den ich
anrufe, ist frustriert: Er hat zwar eine Latte von Verdachtstatbeständen,
aber keinerlei Hinweise darauf, wann was wie und wo begangen worden sein
soll. Erklärungen von mir interessieren ihn gar nicht: „Schriftliche
Stellungnahme wird nachgereicht“ notiert er am Telefon zufrieden, denn auf
die Weise kriegt er die Akte wieder los. – Kohle ist knapp bei mir, in
diesen Tagen, aber jetzt muss ich halt Anwälte einschalten und Akteneinsicht
verlangen, kriminell wie ich nun mal bin. Prompt läuft da – wenn auch ohne
mein Verschulden - auch noch etwas schief, und irgendwann mahnt die
Staatsanwaltschaft Bonn unter Fristsetzung meine schriftliche Stellungnahme
an: Bei deren Ausbleiben „...haben Sie mit einer Anklage zu rechnen.“ Klingt
so, dass ich schon mal überlege, ob ich mich vorsorglich von meiner Familie
verabschieden soll. – Vermutlich werden Staatsanwälte argumentieren, die
Demütigung der Betroffenen sei halt mal systemimmanent.
Nach Akteneinsicht durch die Anwälte erfahre ich, wie
unsäglich kriminell ich bin, und dass man mich wohl unbedingt einsperren
muss: „Verdacht des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt“. –
Wie bitte? Die letzten Sozialabgaben habe ich doch sogar noch von meinem
Privatkonto überwiesen, nur damit nichts schief läuft??? - Du glaubst es
nicht: sie haben die Krankenkassen angeschrieben und wären beinahe
enttäuscht worden, denn fast alle haben abgesagt. Aber im Trubel der ganzen
Insolvenz und einiger damit verbundener satter Herzrhythmusstörungen sind
mir doch glatt € 367,75 an Krankenkassenbeitrag durchgegangen! Krempel, den
ich seit jeher delegiert hatte, und der zwanzig Jahre lang reibungslos
bezahlt wurde. Na, wenn man einen dafür nicht anklagen muss! - - Ein großer
Verlag hat in meiner Insolvenz fast sechzigtausend Mark verloren, wen
interessiert das schon. - So baut man sich mit Lappalien seine Straftäter,
und an Beamtenidiotie wird in diesem Land ganz sicher niemals Mangel sein.
Als nächstes: Verdacht der Verletzung der
Buchführungspflicht! – Was haben sie denn jetzt wieder? Es stellt sich die
erschreckende Dimension der begangenen Verbrechen heraus: Dem vorläufigen
Insolvenzverwalter hatten wir – Gott sei Dank unter Zeugen! – die
Buchhaltung per 31.12.2001 übergeben. Insolvenzantrag war am 12. März 2002,
die Buchhaltung für den Zwischenzeitraum mit nur noch wenigen Umsätzen lag
noch beim Steuerberater. „Wenn Sie es noch brauchen, sagen Sie uns einfach
Bescheid!“ hatten wir dem guten Mann gesagt und dann nie wieder was von ihm
gehört. Schon ist man Tatverdächtiger, - wenn einem da nicht das Herz
aufgeht, bei so viel staatlicher Fürsorge für die Liegenden! „Verdacht der
Insolvenzverschleppung“ kommt eh gleich mit, ohne dass er auch nur
ansatzweise nachvollziehbar begründet würde. – Wenn du jetzt versehentlich
einen fahren lässt, denke ich mir, dann krallen sie dich sofort wegen
Umweltvergehen.
Zusätzlich hat einen auch noch ein Kunde gezielt
angeschwärzt, der sich eine Rechnung vom Hals schaffen wollte, - also gibt´s
auch gleich noch „Verdacht des versuchten Betrugs“. Eine Unverschämtheit,
die ich mit links widerlegen kann. Vom Gegen-Strafantrag wegen falscher
Anschuldigung und Verleumdung rät mein Anwalt mir ab: „Sie haben wirklich
Besseres zu tun!“ – Wem sagst du das, mein Junge.
Mit normalem Verstand betrachtet, handelt es sich um
kleinliche Anwürfe, die die Beschäftigung nicht wert sind. Außerhalb eines
Juristenhirnes in seiner gelegentlichen Armseligkeit wirken sie sogar absurd
bis weltenfern. Aber wenn du erst mal drin bist in dieser
Irrsinnsmaschinerie, dann musst du höllisch aufpassen: „Interessiert das die
eigentlich, dass ich fast krepiert bin?“ – „Bloß nicht“, sagt der Anwalt.
„Wenn sie Pech haben, sagt der Staatsanwalt, dann hätten sie eben keine
Firma führen dürfen, und dann haben die sie.“ Ah so, denke ich mir. So
ticken die. Klaro. Man ist als zusammengebrochener Mittelständler erst mal
genuiner Straftäter, falls man diese Art von generalisiertem Verdacht nicht
ausdrücklich widerlegen kann. Die wollen gar nicht wissen, was
wirklich los war. Die wollen bloß was für die Akten! Und falls du, nach all
den Katastrophen, die Nerven verlierst und dir in einem schwachen Moment die
Birne wegschießt, dann werten sie´s vielleicht sogar als „stillschweigendes“
Schuldeingeständnis...? Oder führt - passionierter Schütze, der ich bin –
schon eine derartige öffentliche Überlegung gleich mal zur vorsorglichen
Überprüfung meiner waffenrechtlichen Zuverlässigkeit? Wär´s nicht sinnvoll,
mir auch gleich den Führerschein zu nehmen, „da angesichts der vom
Beschuldigten selbst eingestandenen Verringerung seiner psychischen
Belastbarkeit berechtigte Zweifel der Behörde an seiner Fähigkeit zur
verantwortlichen Führung eines Kraftfahrzeuges bestehen...?“ Oder
irgendwie so. Wann hören diese Figuren eigentlich auf, dich noch weiter nach
unten zu treten???
Es wäre gut, meint der Anwalt, wenn Sie die € 367,75
„vorenthaltenes“ Arbeitsentgelt privat überweisen würden, das macht einen
guten Eindruck. Und gleich dazu noch gut € 400.— Beiträge für Geringfügig
Beschäftigte, die auch am Ende irgendwie durchgegangen sind und von denen
ich jetzt ebenso zum ersten Mal erfahre. Das ist zwar kein „Arbeitsentgelt“
im Rechtssinne, aber es macht schon wieder einen guten Eindruck. – Privat?
Ja wie komme ich denn dazu? Wozu stell ich denn Insolvenzantrag, wenn ich’s
dann privat bezahle? - Geben Sie Ruhe und zahlen Sie, meint der Anwalt,
sonst klagen die Sie am Ende doch noch an. – Soso ..ähm..., Staatsanwälte
als Büttel von Krankenkassenforderungen??? Während jeder Private mit dem
hundertfachen Verlust dauerhaft ins Rohr schaut, was mir nach zwanzig Jahren
ehrlichen Unternehmertums viel mehr zusetzt als manche sich jemals werden
vorstellen können. Feine Methoden, denke ich: im normalen Leben würde ich so
was ja als strafbare Erpressung betrachten.
Nach einer vierseitigen anwaltlichen Einlassung, in der
wir den ganzen Unsinn widerlegen, teilt die Staatsanwaltschaft uns mit,
wegen meiner „geringen Schuld“ könne das Ermittlungsverfahren gegen Zahlung
einer Geldbusse von € 500.— an eine gemeinnützige Institution eingestellt
werden. – Schuld? Welche Schuld denn? Alle Verdachtstatbestände sind
Vorsatztaten! Seit wann ist da Fahrlässigkeit – falls überhaupt –
schuldbegründend? Schnauze halten und zahlen, meint der Anwalt, und ich rege
Amnesty International als Empfänger an: Niemand ist besser geeignet als eine
Organisation, die sich den Kampf gegen staatliche Willkür und Anmaßung aufs
Panier geschrieben hat. – Aber stinken tut es mir doch.
Also fülle ich einen Überweisungsträger aus und überlege
lange, als was ich die Zahlung deklarieren soll: Braucht ja sonst keiner zu
wissen, was dahinter steht, denke ich mir, „Spende“ ist ein schön neutrales
Wort, anerkannt bis zu höchsten Stellen. Und Hauptsache, Amnesty kriegt die
Kohle. Oder? – Weit gefehlt: Nach Übersendung der Belege an die
Staatsanwaltschaft meldet sich der Anwalt per Fax: Ein hocherzürnter
Oberstaatsanwalt habe das Wort „Spende“ moniert. Woran erst mal kein
normaler Mensch denkt: „Spende“ ist steuerlich absetzbar, und wenn ich es
jetzt steuerlich absetze, ist es „Steuerbetrug“. Da hätten sie mich dann ja
schon wieder mal! Die auf dem „kleinen Dienstweg“ ausgehandelte „Lösung“
sieht so aus: Die Staatsanwaltschaft wird Amnesty International anweisen,
mir keinesfalls eine Spendenbescheinigung auszustellen, (die ich ohnehin
nicht verlangt habe). Und mein Anwalt wird mich „eindringlich ermahnen“, die
Zahlung nicht steuermindernd geltend zu machen. – Allmählich packt mich der
Zorn, wie man in diesem Land von jedem beliebigen Bürokraten behandelt
werden kann: Du bist Dreck. Alles was du tust, ist erst mal verdächtig. Wenn
sie dich nur ansehen, dann unterstellen sie dir schon was. Und dann sieh zu,
wie du den „Verdacht“ los wirst. Das Wort „Spende“ hat sechs Buchstaben.
Kaum zu glauben, was sich mit der entsprechenden Gesinnung daraus machen
lässt. Und jede Wette, dass die sich jetzt schon vorgemerkt haben, meine
Steuererklärung für 2003 durchzuschnüffeln. Da meine ausländische Ehefrau
und ich gemeinsam veranlagt werden, werden sie sie gleich wegen
Steuerbetrugs mit anklagen und sie dann ausweisen, falls durch einen
dämlichen Zufall irgend etwas schief läuft. - - Ich schreibe groß
„Keinesfalls steuerlich absetzen!“ auf die Kopie des Überweisungsträgers und
den Kontoauszug, kopiere das Anwaltsfax, markiere die Passage mit
Leuchtmarker und schreibe für den Steuerberater „Bitte unbedingt beachten!“
dazu. Dann scanne ich das ganze Zeugs und maile die Scans zur Absicherung an
meinen Anwalt, man wird ja übervorsichtig. - Es gibt Momente, da fühlt man
sich nur noch beschissen: einsam, wehrlos, ausgeliefert an eine mir fremde
Form menschlichen Irrsinns. – Die Fähigkeit zur juristischen Abstraktion,
heißt es, sei die Fähigkeit, runde 98 Prozent der Realität zugunsten der
Tatbestandssubsumtion auszublenden. – Bei den Klinikern gilt es als
Realitätsverlust mit Symptomcharakteristik. In Teilen der Justiz scheint so
etwas Einstellungsvoraussetzung zu sein.
Und dann lande ich, rein durch Zufall, bei einer größeren
Gruppe von Mittelständlern, - unorganisiert, aber wütend: Meine Erfahrung,
so stellt sich heraus, ist alles andere als ein Einzelfall, sondern schon
eher prototypisch! Alle haben sie Riesenprobleme. Alle fühlen sie sich als
Leistungsträger dieser Nation und gerade deshalb behandelt wie der letzte
Dreck. Alle haben sie diese endlose bürokratische Anmaßung satt, dieses
verkniffene Eiferertum, dieses unentwegte Sich-Entschuldigen-Müssen, jeder
auf seine sehr persönliche Weise. Alle fühlen sie sich „von denen“
skrupellos nach unten getreten. Alle halten sie für bornierte Verblendung,
was „die da“ für Recht ansehen. Alle sind sie tief verletzt durch die
schäbige Art, wie dieser Staat mit ihnen umspringt. Alle kämpfen sie ums
Überleben. Alle haben sie Angst. Alle sind sie deprimiert. – Und alle sind
sie die gleichen Arschlöcher: Sie lassen es mit sich machen!
Mittelstand leidet. Mittelstand jammert. Mittelstand
krepiert. – Nur wehren tut er sich nicht. Über 100.000 Insolvenzen hat
dieses Land allein in den letzten 3-4 Jahren gesehen. - Und jetzt reden wir
doch ausnahmsweise mal nicht vom Elend unserer lieben Arbeitslosen: Über
100.000 persönliche Existenzen sind an den Rand des Ruins gegangen oder
mitten in den Ruin hinein. Über 100.000 Akten sind an emsige Staatsanwälte
gegangen, die zwar noch nie ein Unternehmen von innen gesehen haben – außer
bei Durchsuchungen - , die aber mit Argusaugen darauf spähen, wo sie etwas
mit Bleistift unterstreichen und am Rand ein Ausrufezeichen setzen können.
Über 100.000 arme Arschlöcher haben davor gezittert, wie dieser Staat mit
ihnen umspringt, jetzt wo sie seine Hilfe und seine Großzügigkeit am
bittersten nötig hätten. Und ganz sicher haben ein paar Tausend von ihnen
zähneknirschend Geld bezahlt, das sie im Zweifel gar nicht zu zahlen
brauchten, - weil sie sich der Demütigung eines öffentlichen
Gerichtsverfahrens nicht unterziehen wollten.
Und das Seltsame ist: egal wo du bist; egal was du machst;
egal ob du selbstständig bist oder angestellt oder arbeitslos oder
pensioniert; egal ob du mit jemandem persönlich redest oder ob du
telefonierst: die Wut auf dieses unsägliche System staatlicher Bevormundung
und beamtischer Schamlosigkeit ist überall Gesprächsthema. Umso makabrer,
dass ausgerechnet jetzt eine Psychotherapeutin mir erzählt, sie habe viele
Beamte als Patienten, die todunglücklich seien, „weil sie im Büro nichts
Gescheites zu tun haben.“ – In der Tat: Gescheites kommt immer seltener von
dieser Bürokratie.
Die Deutschen brauchen den Aufstand, und sie brauchen ihn
dringend. Es wird höchste Zeit, dass sie dieser schwerfälligen und zu weiten
Teilen hirnlosen Verfolgungs- und Schikanemaschinerie die Schranken weisen.
Es wird Zeit, diese unendlich wertvolle Demokratie zu retten vor der
Verlogenheit staatlicher Verfahrensregeln, deren einziges Ziel oft nur noch
ist, Scheinbegründungen für staatliche Geldgier zu liefern. Es wird höchste
Zeit, diesen Beamtenapparat zu zerlegen und ihn seiner angemaßten Macht zu
berauben. Oder glaubt noch irgend jemand in diesem Land, dass es sonst
wieder gesunden würde?
Die Zeit des formaldemokratischen Konsenses ist vorbei.
Zumindest für den Mittelstand herrscht schon längst Krieg. Sein Gegner, der
ihn bedroht, ihn ausplündert und ihn oft genug in den Zusammenbruch treibt,
ist der deutsche Beamtenapparat. Das Nahziel muss deshalb sein: Brechung der
Macht des bestehenden Apparates durch zügige Entfernung aller beamtischen
Privilegien aus unserem Grundgesetz, drastische Reduktion des Apparates
durch Entlassungen und dauerhafte Beschränkung der Aufgaben. Am Ende hat ein
leistungs- und serviceorientierter staatlicher Dienstleistungskomplex zu
stehen, der den Bürger als Kunden und Arbeitgeber versteht, und ihn mit
entsprechender Höflichkeit behandelt. Justiz – und gerade die! – mit
eingeschlossen.
Denn wenn wir diesen bornierten Apparat schon finanzieren,
dann hat er gefälligst für uns zu arbeiten und nicht gegen uns.
Wer sich allerdings der Illusion hingibt, eine derart
erstickende Bürokratie wie die unsere sei von innen heraus zu reformieren,
der träumt. Deshalb nochmals: Krieg ist angesagt. Natürlich nicht der
undemokratische bewaffnete, sondern der mit den Mitteln der Bürokratie: Man
muss sie fertig machen, sie mit ihren eigenen Waffen schlagen, solange, bis
sie zusammenbrechen. Man muss Arbeitskreise bilden, die nur ein Ziel haben:
die Entwicklung gezielter Strategien zur Lahmlegung des bürokratischen
Apparates der Bundesrepublik Deutschland. Nicht um das Land zu schädigen,
sondern um es vor seinen eigentlichen Gegnern zu retten – den Tätern in
Amtstracht. Ein paar wunderschöne Träume gleich mal so zum Mitträumen:
-
Man stelle sich vor: Nur fünf Millionen Deutsche erheben
grundsätzlich gegen jeden öffentlichen Bescheid Widerspruch, egal worum
es sich handelt. Wie lange dauert es, bis der Apparat am Sand in seinem
eigenen Getriebe erstickt? Circa zwanzig Millionen zusätzliche
Widerspruchsverfahren im Jahr?
-
Man stelle sich vor: Nur fünf Millionen Deutsche
beschweren sich über unhöfliche oder anmaßende Beamte per
Dienstaufsichtsbeschwerde. Sagen wir mal, das macht fünfzehn Millionen
zusätzlicher Dienstaufsichtsbeschwerden im Jahr. – Verfolgen wir damit
denn Unschuldige und arme Teufel? Aber ja! Hat denn jemals einen
interessiert, wie wir verfolgt werden?
-
Man stelle sich vor: Nur fünf Millionen Deutsche würden
ihre besondere Gesetzestreue dadurch demonstrieren, dass sie bei jedem
interessanteren Vorgang die verbindliche schriftliche Auskunft der
Behörden einholen: „Mein Nachbar hat mir ein gebrauchtes Fahrrad
geschenkt. Ich bitte höflichst, mir rechtsverbindlich mitzuteilen, ob
hierfür Schenkungssteuer zu entrichten ist, und welche Rechtsbehelfe mir
hiergegen gegebenenfalls zur Verfügung stehen.“ – Unsinn? Aber ja doch!
Von Unsinn lebt Bürokratie, und nur mit Unsinn wird man sie in die Knie
zwingen. – Dreißig Millionen Verwaltungsvorgänge mehr im Jahr bei
bankrotten öffentlichen Kassen, wie lange halten die das durch? – „Ja,
denken Sie denn nicht an die Menschen, die das bearbeiten müssen?“ wird
man mich fragen. Und ob! Mit Genuss denke ich daran! – „Da wird es
Zusammenbrüche geben und Infarkte!“ Na und? Wieviele von uns sind schon
krepiert, weil sie den Druck nicht mehr ausgehalten haben? Wieviele
haben sich tatsächlich schon die Kugel gegeben? Wieso denn immer nur
wir?
-
Und mein schönster Traum: Zehn Millionen Deutsche zahlen
pünktlich und ordnungsgemäß ihre Steuern. Allerdings auf ein
international kontrolliertes Treuhandkonto in der Schweiz. Dort bleibt
das Geld so lange, bis dieser Staat endlich einmal aufhört, seine Bürger
zu drangsalieren. - Zehntausend von uns können sie einsperren, bei zehn
Millionen werden sie in die Knie gehen. Wenn wir die ersten zwanzig
Milliarden Euro auf dem Konto haben, werden sie ihre Arroganz verlieren
und mit uns verhandeln, weil niemand mehr ihnen Kredite geben wird. –
Phantasie ist gefragt, wenn dieses Land wieder aus dem Bürokratenschlamm
gezogen werden soll! Lasst hundert Blumen blühen!
Also halten wir fest: 65 Millionen zusätzlicher, gezielt
schikanöser Verwaltungsvorgänge im Jahr, die alle individuell abgearbeitet
und gestempelt werden müssen. Zwanzig Milliarden Euro Steuerpfand, um aus
der staatlichen Erpressung eine Gegenerpressung zu machen. Und dazu noch der
ganze Skandal und die peinliche weltweite Medienberichterstattung. - - Eine
Phantasie zum Schwelgen!
Phantasie allerdings wird sie bleiben, wenn in diesem
unserem deutschen Vaterlande nicht endlich etwas passiert, was über bloße
Steuersenkungen – also die Rückgabe vorher geraubten Geldes – weit
hinausgeht. Es sei denn, die Gesamtdeutschen brächten plötzlich etwas
zustande, was sie ihre ganze bräsige Geschichte lang noch niemals zustande
gebracht haben: Aufzustehen, sich zu wehren, die unter der willigen Kutte
des Formalrechts getarnten Verfolger endlich als das zu behandeln, was sie
längst sind: die wahren Täter. Es wäre höchste Zeit, dem Volk seine
Demokratie zurückzugeben. Aber dazu müsste man Organisationen gründen und
Strukturen schaffen. Und man müsste zeigen, was es in Deutschland kaum noch
gibt: Mut. – Ich jedenfalls hätte ihn. Bin neugierig, ob sonst noch jemand.
hagalil.com 17-08-2003 |