Das Deutsche Gemüt und Nahost:
Günter Grass auf AbwegenMax Brym
Günter Grass ist einer der bekanntesten deutschen
Schriftsteller. Sein literarisches Talent ist unbestritten. Im letzten
Spiegel gab Grass ein Interview, nicht nur zu seinem neuen Gedichtband
"Letzte Tänze". Schnell bewegte sich das Gespräch auf ein Parkett, auf dem
der Literat die deutsche Gemütslage in typischer Form bediente.
Grass meinte, dass "Siegen dumm macht". Gemeint sind damit
die USA. Der Sieg im zweiten Weltkrieg hat den USA, nach Grass,
intellektuell offensichtlich geschadet. Wohingegen Grass meint, "Deutschland
hätte aus dem Krieg gelernt und wäre klug geworden". Die USA hingegen hätten
aus ihrem Sieg im zweiten Weltkrieg nichts gelernt und deshalb den Krieg
gegen den Irak geführt.
Das ist ein weiterer origineller Beitrag im Rahmen der "Deutschen
Selbstfindungsdebatte". Genauso wie das "Lernen" aus der Niederlage 1945 bei
Grass nur darin besteht, im Jahr 2003 die USA zu attackieren. Für sämtliche
Probleme, wie z.B. "weltweite Armut", macht Grass die USA verantwortlich.
Grass, der als sozialdemokratischer "Linker" gilt, geht es nicht um die
Frage, was eine kapitalistische Weltwirtschaft anrichtet, nein, für ihn sind
die USA der Gegner.
Selbst den islamisch- fundamentalistischen Terror haben die USA selbst zu
verantworten. Grass sagte im Spiegel (NR. 35-2003): "Die Enttäuschung dieser
armen Länder ist in Hass umgeschlagen." Damit bedient Grass ein weit
verbreitetes Bedürfnis in Deutschland, den USA selbst die Schuld am Anschlag
vom 11.09.2001 zu geben. Dieser Wahnsinn hat in Deutschland leider Methode
und muss neuerlich untersucht werden.
Es gibt auch noch weitere Varianten des "Antiamerikanismus" hierzulande. Das
Buch von Andreas von Bülow (ehemaliges sozialdemokratisches
Regierungsmitglied) "Die CIA und der 11. November" kletterte auf der
Spiegel-Bestseller-Liste auf Platz 7. In dem Buch wird ohne Beweis der
US-Regierung der Anschlag auf das World Trade Center in die Schuhe
geschoben. Andere Autoren und Publikationen im Internet bringen den
israelischen Geheimdienst mit dem Anschlag in Verbindung. Am 7. September
soll in Berlin eine Veranstaltung zu diesem Thema laufen, vornehmlich
"Linke" werden sich bemühen, neuerlich den islamischen Fundamentalismus zu
verharmlosen. Das nazistische Störtebeker Netz mobilisiert bereits zu dieser
Veranstaltung, um dem ganzen eine offen antisemitische Wendung zu geben.
Fast niemand diskutiert in diesem Land den wirklichen Charakter des
islamischen Fundamentalismus und eine anständige Analyse dessen, "was der
Kapitalismus sein soll", steht auch aus.
Die Armen und der Fundamentalismus
Gemäß einer ebenso verbreiteten wie inadäquaten These
wird der islamische Fundamentalismus samt seiner terroristischen Speerspitze
als Ausdruck einer "Protestbewegung" gegen die Auswüchse/Verwerfungen der
kapitalistischen Globalisierung, "schöngeredet".
Diese Behauptung ist in mehrfacher Hinsicht irreführend und verstellt einen
angemessenen politischen Problemzugang. Diese Herangehensweise ignoriert,
dass die terroristische Praxis islamisch-fundamentalistischer Bewegungen
sich primär gegen die eigene Bevölkerung in Algerien, Sudan, Afghanistan,
Iran, Pakistan und in der Türkei richtet. Zudem bezeugt die
gesellschaftliche Wirklichkeit in jenen Ländern, in denen islamische
Fundamentalisten an die Macht gekommen sind, nämlich in Iran, Sudan und
Afghanistan, dass a) die sozialen Missstände nicht nur nicht beseitigt,
sondern noch vertieft worden sind und b) die Repression verschärft wurde. Es
weht der Geist der Scharia, es herrscht oder herrschte die absolute
Barbarei.
Der Aufstand der fanatischen Islamisten richtet sich gegen die "Moderne" und
die Aufklärung. Im Fokus der Fundamentalisten steht nicht die
kapitalistische Struktur des Westens, sondern dessen säkulare,
alltagsmoralische Kultur.
Der Pluralismus, die formale Demokratie, die liberalisierte Sexualmoral, die
erkämpften Frauenrechte sind die Hassobjekte der Fundamentalisten. Im
Gegensatz zu virulenten Klischees sind die fundamentalistischen
Trägerschichten und Drahtzieher des Terrorismus, alles andere als "Rächer
der Enterbten", sondern Vertreter eines alternativen antiwestlichen
Herrschaftssystems. Sie stehen für einen religiös verbrämten Despotismus.
Die wohlhabenden Klassen in Saudi-Arabien, Kuwait und den Emiraten, in
Bahrain, Qatar, dem Sultanat Oman, dem Jemen, Libanon, Syrien, Jordanien,
Ägypten, Libyen, Pakistan und Sudan benutzen den Islam als
legitiminatorische Herrschaftsideologie und
finanzieren direkt oder indirekt fundamentalistische Terrorgruppen.
Der islamische Fundamentalismus ist eine
reaktionär-antihumanistische Widerstandsbewegung gegen die "kulturelle
Moderne". Sein "Wille zur Macht" hat nichts mit "antiimperialistischen"
Ambitionen gemein. Bekannte islamische Rechtsgelehrte sehen in dem
Dreigestirn "Darwin – Marx - Freud" den personifizierten Satan, "gegen den
die Gläubigen kämpfen müssen". Hinter dem satanischen "Dreigestirn" steht
natürlich der Zionismus. Grundsätzlich hat der islamische Fundamentalismus
mit seiner soziologische Zusammensetzung (die Führer kommen meist aus dem
Mittelstand), seiner totalitären Zielsetzung und mit seinen Taten gewisse
Ähnlichkeiten mit der faschistischen Bewegung. Die Rhetorik ist stark
antisemitisch und der Fundamentalismus braucht das Chaos sowie den
permanenten Krieg, um zu gedeihen.
Fundamentalisten und Israel
In Deutschland werden Aktionen der HAMAS gegen
israelische Zivilisten oft mit der israelischen Siedlungspolitik in
Verbindung gebracht. Das ist unsinnig, denn die HAMAS begann ihren
Großterror gegen Israel in der letzten Periode der Regierung Rabin. Es ging
darum, den Friedensprozess zu torpedieren.
Dabei traf sich die HAMAS mit den jüdisch-fundamentalistischen Mördern von
Rabin. Die Führer der HAMAS fürchten nichts so sehr wie Frieden und
nachbarschaftliche Koexistenz mit dem Staat Israel. Ihre soziale Funktion
wäre in Frage gestellt, gar nicht zu reden von dem programmatischen Ziel,
den Staat Israel zu vernichten und "das islamische Stiftungsgebiet Palästina
zurückzugewinnen" (HAMAS Charta 1988).
Deutsche Misere
In Deutschland ist man aufgrund von unzureichend
informierten Schriftstellern wie Grass oder den abstrusen Thesen
selbsternannter "Antiimperialisten" immer wieder gezwungen,
selbstverständliches klarzustellen.
Lohnender wäre eine Debatte über einen sinnvollen Kampf gegen Rechts. Auch
über den Kapitalismus wäre zu reden. Aber wie soll das mit Leuten
funktionieren, die ein einfaches Schwarz-Weiß-Schema vertreten. Solange
Fakten ignoriert werden und Verschwörungstheorien dominieren, ist eine
sinnvolle Diskussion schwierig.
hagalil.com
27-08-2003 |