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Interkulturelle Inkompetenz
Auf der Schmalspur in die Zukunft:
Die Universität Erfurt geht neue Wege
Von Micha Brumlik
"Provinz", so die gallige Bemerkung einer Freundin, "Provinz ist dort,
wo es schäbiger ist als unbedingt nötig." Das deutsche Hochschulwesen
ist marode, und dem siechen Patienten widerfährt die zusätzliche
Schmach, von politischen Kurpfuschern zu Tode kuriert zu werden. Selbst
wenn man vom Skandal des so genannten "Bulmahn-Gesetzes" absieht, zeigt
jeder genauere Blick, dass der Versuch der Politik, die Wissenschaft zu
reformieren, nur weiter ins Unglück führt.
Zum Beispiel Erfurt - eine nach Überlegungen des Philosophen Hermann Lübbe
entworfene Universität, die stolz darauf ist, erstens nur die Geistes-
und Sozialwissenschaften zu pflegen und sich zweitens ausschließlich von
Berufspolitikern leiten zu lassen. Dem Gründungspräsidenten Peter Glotz,
folgte vor zwei Jahren der treue Kanzlerberater Wolfgang Bergsdorf, ein
habilitierter Berufspolitiker, der das Ende der Ära Kohl durch den
Wechsel ins akademische Leben überstand. Man mag dabei an
US-amerikanische Modelle denken, wo der Kreislauf der Eliten zwischen
Wissenschaft, Wirtschaft und Politik ja so erfolgreich sein soll.
Auf ihrer Website preist sich die Universität Erfurt als Erfolgsmodell an:
sie habe sich "zu einem Zentrum der Hochschulreform in Deutschland
entwickelt", zeichne sich durch "Internationalität,
Interdisziplinarität, ein intensives Betreuungssystem, neue
Studienkonzepte und -inhalte" aus. Beispielhaft für all das könnte der
größte rein religionswissenschaftliche, also nicht theologische
Fachbereich an deutschen Universitäten stehen. Fünf Professuren - für
östliches und westliches Christentum, für europäische Polytheismen, für
Islamistik und Judaistik - sollen in kultur- und
sozialwissenschaftlicher Perspektive die Bedeutung der Religion für das
menschliche Zusammenleben zumal in Europa erforschen und den
Studierenden "interkulturelle" Kompetenz vermitteln. Soweit die gute
Absicht, wie aber sieht die Wirklichkeit aus?
Der Studiengang "Religionswissenschaft" unterscheidet zeitgemäß zwischen
B.A. und M.A. - und fordert für ersteren keine besonderen
Sprachkenntnisse. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Einem
in Erfurt im Rahmen des B.A. ausgebildeten Religionswissenschaftler wird
bescheinigt, dass er weder das Neue Testament auf Griechisch, den Qur'an
auf Arabisch noch die Bibel auf Hebräisch lesen können muss. Stattdessen
werden die Studierenden in sechs Semestern fit für den "wachsenden
Arbeitsmarkt ,Religionen in Europa' gemacht". B.A.-Absolventen der
Erfurter Religionswissenschaft müssen wir uns also etwa als rastlos
durch die Erwachsnenbildungskademien eilende Vermittler denken, die dem
staunenden Publikum ihre von Sprachkenntnis freie "interkulturelle
Kompetenz" demonstrieren, oder vielleicht als Mitarbeiter von
Verfassungsschutzorganen, die die islamistische Szene von ferne beäugen.
Immerhin: Für den schwerpunktbezogenen M.A.-Studiengang werden denn doch
schwerpunktbezogene Sprachkenntnisse verlangt.
Die Regelung bezüglich der Sprachkenntnisse, die erneut beweist, dass der
angeblich berufsqualifizierende Charakter des B.A. eine Mogelpackung
ist, mag auch die Ursache einer seit geraumer Zeit schwelenden
Auseinandersetzung an der Erfurter Universität sein. So beantragt der
dortige Lehrstuhlinhaber für Judaistik, Andreas Gotzmann, seit längerem
so unermüdlich wie erfolglos eine Lektorenstelle: eine halbe Stelle, um
den Studierenden die für das Verständnis des Judentums nötigen
Kenntnisse in mittelalterlichem und modernem Hebräisch zu vermitteln.
Denn ohne diese Sprachkenntnisse ist ein Hauptfachstudium mit
Schwerpunkt Judaistik nicht zu haben. Warum also wird die Stelle
verweigert? Dass in Erfurt die Judaistik vergrault werden soll, mag man
nicht ernsthaft unterstellen.
Der Präsident Wolfgang Bergsdorf reagierte auf den in der scientific
community steigenden Druck bezüglich der Lektorenstelle mit einem
Schreiben an den Vorsitzenden des Verbandes der Judaisten, das seinen
Vorgänger Glotz in ein merkwürdiges Licht stellt: Die Gründerväter der
Universität seien davon ausgegangen, dass die für den Magister nötigen
Sprachkenntnisse extern zu erwerben seien. Die Universität, versichert
Bergsdorf, Mitglied im Kuratorium der internationalen Leo Baeck
Stiftung, werde die Studierenden der Judaistik beim Erwerb der
Sprachkenntnisse unterstützen, "durch Angebote über Lehraufträge oder
über Zuschüsse zu Reisekosten und Kursgebühren". Derlei heißt im Jargon
kommunaler Haushaltspolitiker outsourcing - in diesem Falle können wohl
nur Gebühren für Volkshochschulkurse gemeint sein. Wer mag sich noch
über die Leseschwäche der Schüler erregen, wenn Hochschulreformer das
Heil des universitären Bildungswesens in der Volkshochschule suchen?
Es war der Philosoph Hermann Lübbe, der sich die geisteswissenschaftliche
Hochschule Erfurt erdachte und darauf beharrte, dass Gesellschaften
angesichts der technischen Beschleunigung solider Widerlager in der
Pflege ihrer kulturellen Bestände bedürfen. Es waren Gelehrte wie
Dilthey, Wilamowitz und Curtius, die einst einen beispiellosen
wissenschaftlichen Aufschwung einleiteten und das der deutschen Kultur
eigene Konzept der "Geisteswissenschaften" hervorbrachten, an dem sich
in der Sache durch die Umbenennung in "Kulturwissenschaften" wenig
ändert. Indem aber die "kulturwissenschaftliche" Umorientierung
herhalten muss, blinde Sparzwänge zu exekutieren, erweist man den
Kulturwissenschaften einen Bärendienst. Die Universität Erfurt ist damit
jene Hochschule, auf die die Schüler Pisa-Deutschlands noch gewartet
haben.
Erstveröffentlichung in der Frankfurter Rundschau vom 13.3.2002
haGalil onLine 28-02-2002 |
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